Cybersexisten: Neuigkeiten aus den USA
Cybersexisten: Neuigkeiten aus den USA 16.11.2014
Ich habe den folgenden Text Mitte November 2014 bei einer Lesung mit Luise im Endlich-Salon des Frauencafés endlich im Hamburg vorgetragen. Ich poste ihn leicht verändert hier wieder. -Joey Horsley
Ich habe in der Ankündigung gelesen, dass ich euch heute abend “mit einer gehörigen Portion Ironie über die sprachliche Herrenkultur in den USA” unterhalten werde. Ob mir das gelingt? Jedenfalls werde ich versuchen, über einige Neuigkeiten von drüben zu berichten. Denn, obwohl ich jetzt über einen Monat bei Luise in Hannover bin, habe ich wie immer versucht, mich auf dem Laufenden zu halten mit dem, was in den Staaten so vor sich geht. Das wird diesmal vornehmlich mit Technologie zu tun haben, genauer gesagt, mit trüben Entwicklungen in der Cyberwelt.
Im Voraus möchte ich betonen, dass wir beide, vor allem Luise, eigentlich sehr vom Internet, vom iPhone und dergleichen begeistert und sogar davon abhängig sind. Zum Beispiel verdanken wir dem Programm Skype die Möglichkeit, miteinander zweimal am Tag von Angesicht zu Angesicht zu reden, auch bei 6000 Kilometer Entfernung. Schon lange hört Luise gern auf ihrem iPod oder iPhone die neusten Hörbücher aus der Stadtbibliothek – so kommt sie auf mehr als 60 Bücher im Jahr. Ich dagegen höre lieber Nachrichtenpodcasts und Politsendungen, die ich aus dem Netz herunterlade. Dadurch haben wir einander am Frühstückstisch immer viel zu erzählen – Luise trägt zu unserer kulturellen Bildung bei, ich wühle uns mit den neusten Ungeheuerlichkeiten auf.
Heute möchte ich aus meinen Hörfrüchten über zwei Themen berichten, die neulich in den US-Medien für Aufregung gesorgt haben. Beide beziehen sich auf eine besonders hässliche Seite der Herrenkultur in den USA und beide bringen neue Wörter in das englische – und vielleicht deutsche – Vokabular ein. Die zwei Begriffe, über die ich reden werde, heißen Gamergate und Sexting. Beide haben mit dem sehr ernsten Problem des Cyberbullying oder der sexuellen Belästigung und Bedrohung im Internet zu tun. Daher werde ich wohl nicht so sehr Ironie aufbringen, als vielmehr euch hoffentlich in eurem feministischen Kampfgeist anspornen.
Gamergate.
Alle kennen das Wort Watergate, das Kürzel für das Abhören der Demokraten 1972 durch Nixons Handlanger in Washingtons Gebäudekomplex Watergate. Vielleicht kennt Ihr auch Camillagate oder Travelgate oder Whitewatergate – alles Namen von politischen Skandalen. Die Nachsilbe –gate kennt man auch im Deutschen. Sie wurde sogar zum Anglizismus des Jahres 2013 gewählt, frau denke an Beispiele wie Handy-Gate, Handtaschen-Gate oder Brüderle-Gate.
Aber Gamergate? Das ist weder so bekannt noch so einfach zu definieren. Die Kontroverse um “Gamergate” liefert aber ein erschreckendes Beispiel dafür, wie die Worte und Meinungen von Frauen gedreht und gegen sie gerichtet werden - diesmal in der Welt der Computer- und Videospiele, einer fast ausschließlich männlichen Domäne. Gamergate steht für eine Gruppierung von Videospielern, oder Gamers, und Spielentwicklern, die sich angeblich für Transparenz und Ethik beim Schreiben über Videospiele engagieren – sie behaupten zu wollen, dass die Journalisten, die ihre neuen Spiele rezensieren, dies objektiv und fair tun, ohne Beeinflussung durch mogliche persönliche Beziehungen. Aber die meisten Online-Kommentare der Gamergaters zeigen, dass es vielmehr um die Verteidigung eines Männerreiches gegen weibliche Eindringlinge und deren Kritik am herrschenden Sexismus in Video- und Computerspielen geht.
Dass Videospiele hauptsächlich an die männliche Jugend gerichtet sind und stereotype, sexistische Darstellungen von Frauen bevorzugen, ist nichts Neues. Aber mittlerweile machen Frauen einen großen Teil der Spiel-Community aus, und sie wollen Spiele, in denen Frauen andere Rollen als nur Sexualobjekt oder Opfer haben. Als ein paar Feministinnen es wagten, dafür zu plädieren, wurden sie von den Männern auf hässlichste Weise mit unflätigen Mails und Tweets angegriffen – darunter auch Verstümmelungs-, Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Die persönlichen Daten dieser Frauen wurden auch online publik gemacht, so dass zwei von ihnen sogar ihre Wohnungen verlassen und umziehen mussten, aus Angst vor den anonymen Drohungen. Und als die feministische Medienkritikerin Anita Sarkeesian eine Rede vor Besuchern der Utah State University halten wollte, bekamen sie und Vertreter der Universität eine Mail, die ein Attentat androhte, das alle bisherigen Schulmassaker Amerikas übertreffen würde. Sarkeesian sagte den Vortrag ab, da die Universität laut dem Gesetz in Utah dem Publikum nicht verbieten darf, Schusswaffen in den Hörsaal zu bringen (New York Times 15.10.14). Diese und ähnliche Drohungen und Hasstiraden werden hauptsächlich auf Twitter und einigen anderen Websites der Videospiel-Community unter dem Namen #Gamergate verbreitet, meist anonym.
Es ist klar, die Mehrheit der männlichen Spieler und Spielentwickler sehen sich und ihre gewalttätigen Fantasiewelten durch das Eindringen der Frauen und deren feministische Kritik bedroht und schlagen um sich. Einige beschimpfen die kritischen Frauen als “Social Justice Warriors” oder Gerechtigkeitskämpferinnen – das soll als Schimpfwort verstanden werden – die ihre schöne Spielerwelt zerstören wollen und daher die feindseligen Messages verdient haben. Sie versuchen, den Spieß umzudrehen und den Frauen die Schuld an ihrer eigenen Belästigung zu geben. Das ist natürlich nichts Neues – kennen wir doch alle Slogans wie “She’s asking for it” (Sie will es ja nicht anders / Sie fordert es selbst heraus) als Entschuldigung für Vergewaltigung. Die Vorherrschaft von bedrohlichem, sexistischem Hass in den Äußerungen macht deutlich, dass die Gamergate Bewegung hauptsächlich ein Ausdruck der Frauenfeindlichkeit ist – oder war.
Denn einigen der Gamers ging der Frauenhass dann doch zu weit, und sie haben verlangt, der Gamergate-Affäre ein Ende zu machen. Als die Mainstream-Medien die Kontroverse aufgriffen, wurde es klar , dass die Drohungen und Beschimpfungen eigentlich der beste Beweis dafür waren, dass die Feministinnen doch recht haben mit ihrer Kritik an der Gaming Community (Newsweek, 25.10.14). Eine Gegenbewegung, #StopGamergate, wurde sogar gestartet.
Frau kann heute also hoffen, dass sich in Zukunft mehr Frauen als Spielentwicklerinnen durchsetzen und uns bessere, menschlichere und frauenfreundlichere Spiele geben.
Sexting
Vielleicht kennt ihr diesen Ausdruck schon, eine Kombination von Sex und Texting oder Simsen, SMS schicken. Das Wort wird hauptsächlich für das Versenden von erotischen Selbstaufnahmen (Selfies) per Smartphone verwendet. Der US-Kongressabgeordnete Anthony Weiner musste schon 2011 wegen eines Sexting-Skandals, Weinergate genannt (!), schließlich zurücktreten. Dass er sexuell explizite Photos von sich an diverse junge Frauen getweetet, gepostet oder getextet hatte, war allerdings dumm und moralisch fragwürdig, nicht aber illegal oder auch nur ungewöhnlich. Eine Untersuchung hat 2014 sogar herausgefunden, dass 49 Prozent der US Erwachsenen ihre Smartphones benutzen, um sexuelle Inhalte zu senden und zu erhalten (Wikipedia englisch, "Sexting").
Die neusten Sexting-Schlagzeilen aus den USA haben aber mit Jugendlichen zu tun. Teenager schicken einander auch anzügliche oder Nacktfotos. Laut einer Studie von 2012 sind es etwa 20 Prozent der befragten 14-18-Jährigen. Fast doppelt so viele haben solche Fotos erhalten, und ein Viertel derjenigen haben das Foto an andere weitergeschickt. Neulich erschienen Dutzende von Nacktfotos von Schülerinnen aus dem Bundesstaat Virginia auf der Foto-Webseite Instagram – jedes der Mädchen hatte ein Foto an ihren Freund geschickt, und der leitete es ohne ihr Wissen an die Öffentlichkeit weiter. (Hanna Rosin, “Why Kids Sext: An inquiry into one recent scandal reveals how kids think about sexting—and what parents and police should do about it.”The Atlantic. 14.10.2014)
Dieser Fall sorgte für breite Empörung, nicht so sehr wegen der Verletzung der Privatsphäre der Mädchen, als vielmehr deshalb, weil das Gesetz in Virginia die Polizei vor eine absurde Aufgabe stellte. Es verlangte nämlich, dass alle Beteiligten, die Mädchen voran, wegen Besitz, Verbreiten oder Erhalten von Kinderpornographie angeklagt würden. Und das ist, wie bekannt, ein Schwerverbrechen mit weitreichenden Folgen. (Wo Familienfotos aufhören und Kinderpornografie beginnt ist auch in Deutschland ein brisantes Thema, wie wir neulich gehört haben: die neue, verschärfte Gesetzgebung des Bundestages ist auch nicht ohne Kontroverse und Kritik geblieben.)
Die Fälle von Sexting bei Jugendlichen in diversen amerikanischen Bundesstaaten jedenfalls werden nun in den Medien von Experten diskutiert. Die meisten plädieren für eine Revision der Gesetzgebung in Richtung Entkriminalisierung, wenigstens was das Aufnehmen von Selfies (Fotos von sich selbst) und deren Abschicken an den Freund oder an die Freundin betrifft. Das Weiterschicken ohne Erlaubnis oder die Veröffentlichung auf Social Media allerdings sollte strafbar bleiben.
Man muss solche Überlegungen als logisch und menschlich begrüßen. Aber es machte mich stutzig, in mehr als einem Artikel zu lesen, dass – weil heutzutage so viele Teens mit ihren Smartphones am Sexting teilnehmen – es daher als vollig normal und kaum problematisch einzustufen sei. (z.B. Rosin; Elizabeth Englander, “Stop Demonizing teen sexting. In most cases, it’s completely harmless.” The Washington Post. Post Everything 7.11.2014). So viel ich herausfinden konnte – und es wird nicht immer so klar dargelegt – sind es hauptsächlich die Jungs, die ihre Schulkameradinnen um ein Nacktfoto bitten. Ungefahr 70% der Mädchen berichteten, dass sie von ihrem Freund unter Druck gesetzt wurden, ein Nacktfoto zu schicken. Diese Fotos werden dann häufig herumgeschickt, um das Ansehen des Besitzers zu steigern und das des Mädchens herabzusetzen. Die gute alte Doppelmoral trifft hier unerbittlich zu – wenn ein Mädchen ihr Foto verweigert, gilt sie als prüde und hochmütig, wenn sie es schickt, wird sie bald von den Jungs sowie von anderen Mädchen zu einer thot (that ho over there –“die Hure da drüben”) oder slut (Schlampe) degradiert. Einige Mädchen haben sich nach solchem Cyberbullying (Cyber-Mobbing) sogar das Leben genommen (Rosin).
Sexting mag “normal” geworden sein, so normal wie die misogynen Tweets und Posts der Gamergate Frauenhasser. Wir müssen solche Phänomene aber nicht deshalb auch gutheißen.
WAM! – geminsam sind wir stark
Es ist inzwischen klar, dass die neuen technologischen Entwicklungen wie Smartphones, das Internet, die social networks wie Twitter und Facebook besondere Gefahren für Frauen und Mädchen mit sich bringen (siehe vor allem das neue Buch von Danielle Keats Citron, Hate Crimes in Cyberspace. Harvard University Press. 22.9.2014). Eine neue Umfrage von Internet-BenutzerInnen in den USA berichtet, dass jede vierte Frau zwischen 18 und 24 Jahren online sexuell belästigt und/oder verfolgt (stalked) wird (Pew Research Survey 2014). Um die unterschiedlichen Erfahrungen von männlichen und weiblichen Benutzern zu testen, eröffneten ForscherInnen der Universität von Maryland Online-Konten unter falschen Namen. In Chat-Rooms bekamen die männlichen Namen 3,7 bedrohliche oder sexuell belästigende Nachrichten pro Tag, die weiblichen Namen bekamen 100. (Amanda Hess, “Why Women Aren’t Welcome on the Internet.” Pacific Standard. The Science of Society. 6.1.2014).
Aber das Problem der Online-Belästigung wird immer deutlicher sichtbar und allmählich auch ernst genommen, genau wie andere Formen der sexuellen Gewalt in den USA wie street harrassment, Vergewaltigung und Belästigung im Militär und an Universitäten und Colleges (wie von Jake Swearingen im Atlantic dargestellt wird: “The Imminent Death of the Internet Troll” 22.10.2014).
Immer mehr Frauen engagieren sich für Gender-Gerechtigkeit in den Medien und überhaupt. “Women, Action and the Media!” (oder WAM!) zum Beispiel ist eine Nonprofit-Organisation, die dafür kämpft. Anfang November hat sie bekannt gegeben, dass sie eine neue Methode entwickelt habe, um auf dem social network Twitter anstößige und bedrohliche Tweets zu kontrollieren und entfernen. Und schon im Frühjahr war sie daran beteiligt, dass Facebook ähnlichen Inhalten entgegenarbeitet.
Wir sollten uns also nicht zu sehr deprimieren oder entmutigen lassen, sondern uns ein Beispiel an den WAM!-Frauen nehmen und gemeinsam kluge Lösungen finden.
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20 comments
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11/30/2014 13:06, gwendolyn
“Es ist klar, die Mehrheit der männlichen Spieler und Spielentwickler sehen sich und ihre gewalttätigen Fantasiewelten durch das Eindringen der Frauen und deren feministische Kritik bedroht und schlagen um sich.”
spieleentwickler stehen eigentlich geschlossen gegen #gamergate (http://www.gamasutra.com/view/news/224437/IGDA_issues_statement_condemning_harassment.php)
die wenigen, die den ganzen scheiß doch unterstützen, sind meistens selber belästiger (wie zb brad wardell) oder totale betrüger (wie zb “roguestar”)
11/30/2014 10:36, Dagmar
Dank dir, Joey, für diesen Artikel, der uns deutsche Leserinnen so gut informiert und auch ein bisschen Hoffnung auf Gegenwehr gegen diese anonyme Flutwelle an Frauenhass im Netz lässt.
Gruß Dagmar und Rose
11/26/2014 20:26, Joey Horsley
Danke dir auch, Anne. Ich weiß, du kennst dich in diesem Bereich aus!
11/26/2014 19:25, anne
danke Joey für deine ausgezeichnete zusammenfassung!
dank des internet-zeitalters (segen und fluch zugleich)kann sich diese misogyne haltung der cybersexisten in ihrem männlichkeitswahn innerhalb von sekundenschnelle ausbreiten. mit dem gamergate-schrott werden enorme gewinne erzielt; `intelligente` männer der computer-branche schaffen die voraussetzungen dazu. das internet ist inzwischen zu einem frauenhassenden, frauenfeindlichen ort geworden - wir erleben eine diskussionskultur, die nur noch geprägt wird durch aggressives, verbales, obszönes und beleidigendes verhalten - ein spiegelbild unserer (gewalthaltigen)sexistischen, pornografischen medien-Kultur. das schlimme ist die verharmlosung, die abwehrhaltung und das unverständnis , wenn ich dazu die vielen kommentare der männer lese.
zitiert: “Es scheint eine nennenswerte Anzahl Männer zu geben, die sich bedroht fühlen durch das Mitreden von Frauen, als sei die Deutungshoheit allein die ihre. Sie versuchen, uns Frauen durch Beleidigungen zu vertreiben, aus den virtuellen Räumen, in denen sie weiter das Sagen haben wollen. Diese Alltagspraxis kann man totschweigen und negieren, aber das bedeutet dann auch, eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Verletzung der Menschenwürde von Frauen hinzunehmen.” http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/frauenhass-im-internet-das-medium-braucht-eine-inklusive-kultur-11999526.html