Weder Mann noch Frau und beides
von Renata Egli-Gerber
Daniela Truffer ist ein Zwitter. Sie kämpft für die Rechte dieser Menschen und macht Eltern Mut, ihre Kinder, deren Geschlecht bei Geburt nicht zuweisbar ist, vor Eingriffen zu schützen.
Sie ist auf den ersten Blick eine unauffällige Frau in Jeans und Bluse, der man ihre 45 Jahre nicht geben würde, eine Frau mit dichtem, braunem Haar, blaugrauen, ausdrucksvollen Augen und einem edel geformten Mund, wie man auf den zweiten Blick entdeckt. Aber Daniela Truffer wurde nicht als Frau geboren, sondern als Zwitter. Dieses von „zwei“ abgeleitete Wort umfasst Mann und Frau gleichzeitig und verbindet sie zur Einheit. „Zwitter“ ist ihr lieber als die offizielle, politisch korrekte Bezeichnung „intersexuell“ – ein Ausdruck, der Menschen auf die Sexualität allein verweist und auf einen Platz zwischen den Geschlechtern, gleichsam zwischen Stuhl und Bank.
Die Geschlechtszugehörigkeit der heute in Zürich lebenden Walliserin konnte bei ihrer Geburt 1965 nicht eindeutig bestimmt werden: Im Bauch des Neugeborenen fanden sich Hoden, auch auf Grund der Chromosome konnte das Kind als männlich bezeichnet werden. Sein äußeres Geschlecht wich jedoch von dem eines Knaben deutlich ab. Außerdem hatte das Kind einen Herzfehler. Die Ärzte räumten ihm deshalb keine großen Überlebenschancen ein. Dies hielt sie aber nicht davon ab, zwei Monate nach der Geburt zur Operation zu schreiten. „Das Kindlein muss kastriert werden“, steht in der Krankenakte. Sie entfernten die gesunden Hoden, ohne die Eltern darüber aufzuklären. Kurz und bündig befahlen sie diesen sodann, das Kind als Mädchen zu erziehen und vor allem Stillschweigen über seine Besonderheit zu bewahren.
Ein braves „Mädchen“ Als Daniela sieben war, wurde ihr Geschlecht operativ dem eines Mädchens angepasst, indem der Mikropenis zur Klitoris zurechtgeschnitten wurde, im gleichen Jahr fand die Herzoperation statt. Daniela Truffer hat noch zwei jüngere Schwestern. Sie merkte, dass etwas mit ihr nicht stimmte, kam sich „abartig“ vor und fühlte sich als „Monster“, ohne den Grund dafür nennen zu können.
Sie sei ein braves, überangepasstes „Mädchen“ gewesen, berichtet sie. Mit zwölf Jahren wurden ihr vom Hausarzt Hormone verordnet, „damit sie einen Busen bekomme.“ Als sie ihn fragte, warum sie keine Monatsblutungen habe wie die anderen Mädchen, erklärte er, man habe ihre Eierstöcke wegen einer bösartigen Geschwulst entfernen müssen. Ein anderer Arzt warf ihr dann unvermittelt an den Kopf, Eierstöcke hätte sie gar nie gehabt, sondern Hoden. Ihre Verstörung war groß. Mit 18 ließ sie sich eine künstliche Vagina anlegen und hatte eine viele Jahre dauernde Beziehung mit einem Mann. Daniela hatte Glück: Auch wenn die Operationen bisweilen Schmerzen und unangenehme Gefühle in ihrem Intimbereich zurückließen, war es ihr doch möglich, die Sexualität zu genießen. Aus medizinischer Sicht ein voller Erfolg. Und dennoch: „Als Frau bin ich eine Mogelpackung“ sagt sie traurig und ballt unwillkürlich die feingliedrigen Hände zu Fäusten. Durch die künstlichen Hormone läuft sie außerdem Gefahr, an Diabetes und Knochenschwund zu erkranken.
Mut zur Öffentlichkeit Seit drei Jahren tritt Daniela Truffer mit Demonstrationen und anderen Kundgebungen mutig an die Öffentlichkeit und wird darin von ihrem Lebenspartner tatkräftig unterstützt. Sie ist Gründungsmitglied einer Menschenrechtsorganisation und einer Selbsthilfegruppe (siehe Kasten) und wurde auch bei amnesty international zur erfolgreichen Botschafterin für die Rechte intersexueller Menschen. In einer Motion forderte im April die Sektion amnesty Schweiz die Dachorganisation amnesty international auf, eine offizielle Position zu den Menschenrechtsverletzungen an Zwittern zu erarbeiten. Darin heißt es: "Wir erachten genitale Zwangsoperationen für ein schweres Verbrechen, das gegen die Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde verstößt. Genitale Zwangsoperationen sind schwere medizinische Eingriffe an Kindern mit gesunden, aber sogenannten nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen, die ohne die Einwilligung der Betroffenen vorgenommen werden."
Daniela Truffer, die heute als Schulsekretärin arbeitet, erkämpfte die Herausgabe ihrer Krankenakte - eine schockierende Lektüre, die sie nur Dank langjähriger psychotherapeutischer Begleitung verkraftet hat. Und doch war die ungeschminkte Wahrheit besser, als das Schweigen und die Lügen, die ihre Kindheit und Jugend überschatteten: „Die Beziehung zu meinen Eltern ist dadurch offener und herzlicher geworden“, sagt Daniela Truffer, die sich selbstbewusst als Zwitter bezeichnet und die gegen außen wie eine Frau wirkt, die ihren Mann stellt.
Verlust der Intimität Jährlich werden in der Schweiz etwa 370 Kinder mit nicht eindeutig bestimmbarem Geschlecht geboren. Die Gründe dafür sind vielfältig und bleiben oft verborgen. Die Intersexualität selber zeigt sich in vielen verschiedenen Formen. Immer noch - entgegen anders lautender Lippenbekenntnisse - werden Eltern intersexueller Kinder in Spitälern dazu gedrängt, sich für ein Geschlecht zu entscheiden. Dies bedeutet chirurgische Eingriffe und hormonelle Behandlungen. (Siehe unten: Bericht einer Mutter). Häufig werden Zwitterkinder zu Mädchen umgeformt, da ein zu kleiner Penis bei einem Mann in unserer Gesellschaft immer noch undenkbar ist. Mehrere Operationen sind oft notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Die Intimsphäre geht für das Kind verloren: Immer wieder betrachten, berühren und fotografieren fremde Menschen sein Geschlecht. Wird im Kindesalter eine künstliche Scheide angelegt, muss diese regelmäßig gedehnt werden. Durch die kosmetischen Genitaloperationen wird die sexuelle Empfindungsfähigkeit oft stark vermindert oder vollständig zerstört. Ziel der Organisationen intersexueller Menschen ist es, zu erreichen, dass weder Operationen noch Hormonbehandlungen an gesunden Neugeborenen vorgenommen werden, um ihr Geschlecht zu „korrigieren“. Betroffene sind sich einig: „Wichtig ist es, das Kind so anzunehmen und zu lieben wie es ist.“ Sie plädieren für Aufklärung in Geburtskliniken und Schulen und machen sich stark dafür, in amtlichen Dokumenten neben „männlich“ und „weiblich“ auch die Rubrik „intersexuell“ zu führen. Zwitter sollen die Möglichkeit haben, sich allenfalls später selber für ein Geschlecht und die dafür notwendigen Operationen zu entscheiden.
DER BERICHT EINER MUTTER, die ungenannt sein möchte
„Als nach einer Tochter unser jetzt zweijähriges Kind zur Welt kam, sagte die Hebamme zuerst, es sei ein Mädchen, merkte dann aber schnell, dass dies nicht der Fall war. Bei einer genauen Untersuchung im Kinderspital St. Gallen stellte sich heraus, dass es sich bei dem Kind um eine Form von Intersexualität handelt, die bereits schon in unserer Familie vorgekommen ist. Wir hatten mit dieser Möglichkeit gerechnet, denn ich wusste, dass ich Trägerin des Gens bin. Verschiedene Ärzte kamen. Sie waren ganz ratlos und wir mussten sie aufklären. Ich bekam ein Einzelzimmer. Am Bettchen des Babys stand an Stelle des Vornamens einfach „Kind“. Es wurde ihm Blut entnommen und allerlei Abklärungen gemacht. Wir Eltern wurden dann von den Ärzten massiv unter Druck gesetzt, das Kind geschlechtsbestimmend operieren zu lassen, obwohl es vollkommen gesund war und keine Beschwerden hatte. Nicht zu operieren wäre für das Kind ein gesellschaftliches Desaster, lautete die Begründung. Die Rede war zuerst von einem Mädchen. „Aber wir machen auch einen Bub, wenn sie lieber wollen“, bot uns die Ärztin an. Als wir uns gegen eine Operation aussprachen, sollte unser Kind mit drei schmerzhaften Hormonspritzen getestet werden, die eine verfrühte Pubertät bewirkt hätten und in Folge davon Bartwuchs etc. Auch diese Behandlung lehnten wir ab. Bei einem weiteren Arztbesuch sollten wir unser Baby erneut für Untersuchungen und Blutentnahme entkleiden. Da weigerten wir uns und stoppten das ärztliche Experiment, denn wir denken, dass niemand das Recht hat, eine so folgenschwere Entscheidung zu treffen außer die Betroffenen selbst. Gott hat uns dieses Kind geschenkt, so wie es ist. Wir nehmen es dankbar an und lieben es. Es ist gesund und fröhlich und entwickelt sich prächtig. Das Thema Intersexualität muss Teil des Sexualkunde-Unterrichts in der Schule werden. Auch vermisse ich geschultes Personal und Informationsprospekte in den Spitälern.“
Kontaktadressen: Eltern: Selbsthilfegruppe für Eltern intersexueller Kinder. Verein Selbsthilfe Intersexualität, Postfach 4066 Basel
Betroffene: Selbsthilfegruppe für Intersexuelle.
Menschenrechtsinitiative: Zwischengeschlecht.org
Medizin: Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Disorders of Sex Development (DSD) Dr. Rita Gobet, Kinderspital Zürich, Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich, rita.gobet@kispi.uzh.ch
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2 Kommentare
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11.12.2010 um 16:33 Uhr Bridge
ich habe von 1 fall in Milano/Italien gehört: 1 kind sei vollkommen ohne geschlecht geboren worden, es hatte weder äußere noch innere geschlechtsmerkmale: auf grund dessen gaben ihm/ihr die eltern einen weiblichen namen (!) und gaben das kind als mädchen aus. Sie hielten aber dem druck der umgebung nicht stand, dass ihr kind weder das eine noch das andere war - und gaben es noch im 1. lebensjahr zur adoption frei.
Ich begrüße die genannten initiativen zur wertschätzung von intersexualität.
Was aber mit den menschen OHNE geschlecht?
03.12.2010 um 10:13 Uhr Irmgard Rösch
Gut, dass dies einmal angesprochen und somit ins Bewußtsein gerufen wird. Gut, dass die ungenannte Mutter dem Ansinnen der Ärzte widerstanden hat und ihr Kind so liebt wie es ist.