Vor Ort: Die Registrierung von Flüchtlingen
von Cornelia Heuer
Vorbemerkung: Conny (Cornelia) Heuer ist FemBio-Autorin und Fachbereichsleiterin im Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ). Sie erzählte mir kürzlich, sie habe sich auf Bitte der Landesregierung für die Aushilfe bei der Registrierung von Geflüchteten abordnen lassen. Den Bericht, den sie über ihre ersten Eindrücke an ihre KollegInnen schickte, fand ich so interessant, dass ich vorschlug, ihn auf FemBio zu veröffentlichen. Wann bekommen wir solche Informationen schon mal aus erster Hand?!
Hier also ihr Bericht:
Liebe Kollegin, lieber Kollege,
ihr habt auf die Nachricht, dass ich mich für 3 Monate abordnen lasse, um bei der Registrierung von Flüchtlingen zu helfen, sehr aufgeschlossen reagiert und zum Ausdruck gebracht, dass ihr gern von meinen Erfahrungen hören möchtet. Ich versuche mal, die Eindrücke zusammenzufassen.
Ich war am Montag und Dienstag in Friedland. Dort waren die Gänge von Flüchtlingen mit deren Kindern bevölkert. Übrigens viele, wenn nicht alle, mit Mobiltelefon…
Wir bekamen eine Einweisung in die Registrierung. Die Flüchtlinge werden erst einmal mit ihren Personalien erfasst, inkl. Herkunftsland, Sprache und Religion. Danach werden sie nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt (Zufallsgenerator). Man stellt sicher, dass Familien nicht auseinandergerissen werden. Es kann also sein, dass jemand, der in Friedland ankommt, gleich weitergeschickt wird, mit Fahrkarte natürlich, zum Beispiel nach Bielefeld. Viele bleiben aber in Niedersachsen, also in Friedland, wo sie aufgenommen werden: sie bekommen einen Heimausweis, einen Röntgentermin mit körperlicher Untersuchung und der Möglichkeit zu Impfungen, ein Bett und eine Essenskarte.
Die Unterlagen werden an die Ausländerbehörde weitergeleitet, die sich um die Unterbringung in einer Kommune kümmert, und an das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das das Asylverfahren abwickelt. Nach meinem Eindruck warten die Flüchtlinge derzeit über ein halbes Jahr darauf.
Aufnehmen bedeutet das Erfassen der Daten im NiAS (Niedersächsische Ausländersoftware), das Erstellen eines Fotos und das Drucken aller Unterlagen. Das haben wir von Mitarbeitenden vor Ort gelernt und dann kurz geübt. Sie haben nebenbei Flüchtlinge, auch in Grüppchen, registriert und aufgenommen. Außerdem wuselten Sprachmittler in den engen Büros herum. In Friedland kommen die meisten Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak und natürlich aus Syrien.
Ach ja, es gibt einen Sicherheitsdienst, der dafür sorgt, das alles geregelt abläuft.
Am zweiten Tag haben wir "Kasse" gelernt, d. h. wie wir die Auszahlungsunterlagen für das Taschengeld und den Bekleidungsgutschein erstellen, samt Antrag und Bescheid und Quittung.
Ich bin ab dem 3. Tag nach Bad Gandersheim gekommen. In einem ehemaligen – heruntergekommenen – Hotel versorgt ein Betreiber die Notunterkunft mit derzeit 450 Flüchtlingen. Der Betreiber kümmert sich um alles außer der Registrierung. Diese haben in den letzten 4 Wochen schon 3 Abgeordnete aus Finanzamt, Polizei und Justizvollzug erledigt. Nun wird die Auszahlung vorbereitet. Das klingt leichter als es ist, denn wir haben für 6 Leute nur 3 PCs und nur einen super langsamen Drucker. Außerdem ist es laut, weil im Haus noch umgebaut wird (Bohrhammer).
Die Flüchtlinge sehe ich bisher nur bei Gängen durch das Hotel und beim Essen. Dort ist eine sehr gute Stimmung. Wenn man bedenkt, dass sie sich doch eigentlich den ganzen Tag langweilen müssten, sind sie sehr freundlich und entspannt.
Gestern hatte ich ein besonderes Erlebnis. Am Tag zuvor war ein Baby geboren worden, das ich registriert habe. Die syrische Großmutter merkte, wie angetan ich von dem kleinen Wesen war und sie gab mir die kleine Jana auf den Arm. Ich habe sie feierlich und herzlich in der Welt und in Deutschland willkommen geheißen und ihr ein glückliches Leben gewünscht. Was ihr wohl bevorsteht…?
Sehr prägend ist auf der anderen Seite für mich die Erfahrung, verwaltend zu arbeiten, mit viel Genauigkeit und gleichzeitig nicht allzu anspruchsvoll, denn ich arbeite lediglich ab. Das habe ich zuletzt im Landeskirchenamt im Studium gemacht. Außerdem ist es spannend, mit anderen Menschen, die ich gerade kennengelernt habe, ohne Hierarchie zusammenzuarbeiten. Das klappt erstaunlich gut. Aber ich erwarte auch gruppendynamische Prozesse.
Vieles ist noch nicht sehr gut gelöst, so dass wir improvisieren müssen. Ich selbst wundere mich über mich selbst, dass ich dabei so gelassen bin. Mal sehen, ob das anhält.
Ich bin aber auch froh, nur an 4 von 5 Tagen abgeordnet zu sein, so dass ich Wichtiges im NLQ weiterführen kann.
Bis jetzt jedenfalls, falls es euch interesseiert, habe ich den Schritt nicht bereut.
Viele liebe Grüße
Conny Heuer
(geschrieben Ende November 2015)
4 Kommentare
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12.12.2015 um 16:23 Uhr Lena Vandrey
@ Amy
Einen ganz besonderen Dank für Deinen guten Text mit der Erwähnung der deutschen Ostflüchtlinge damals. Gestohlene Kindheit, verlorene Jugend, die früheren Kriegskinder sind von diesem Elend noch heute nicht geheilt.
Die Geburt der kleinen Jana lässt mich denken, dass das Mädchen eine gebürtige Deutsche ist. Wird es die Staatsangehörigkeit jemals bekommen? oder als Erwachsene einklagen müssen? Also, was geschieht mit den Kindern, die jetzt geboren werden, und mit ihren Müttern? Ich selbst wurde in Breslau, also in Deutschland geboren, bin aber heute gebürtige Polin. Das deutsche Konsulat lehnte mich ab und die Papiere wurden in Wroclaw angefordert mit Übersetzungs-Kosten. Meine Freundin war gebürtige Deutsche mit deutscher Mutter. Ihre Rechte gingen durch den Umzug nach Frankreich verloren. Zuerst Französin, dann Algerierin, dann wieder Französin, mit zweimal Abitur in Pariser Lagern…
Wir gratulieren Dir zu Deinem Können und dem Mut zum Können!
11.12.2015 um 15:23 Uhr Amy
Nicht jede/r Geflüchtete lässt sich `registrieren`. Insgesamt halten sich nach Schätzungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von Ende September ca. 290.000 nicht registrierte Flüchtlinge in Deutschland auf. `Wir wissen also, es gibt eine komplette Großstadt aus Flüchtlingen, aber keiner weiß, wo sie sich derzeit befindet`, lt. Hauptgeschäftsführer des nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebunds. (FAZ, 10.10.2015)
Das Grenzdurchgangslager Friedland (seit September 1945 erste Anlaufstelle für Flüchtlinge, Vertriebene und Heimkehrerende) hat seit seiner Gründung für mehr als 4.000.000 Menschen gewirkt. Aber es heißt , dass die aktuelle Situation auch dieses Erstaufnahmelager überfordert. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-10/fluechtlingspolitik-friedland-spd
Die Mio Flüchtlinge/Vertriebenen nach dem 2. Weltkrieg hatten in dem zerbombten Deutschland eine weitaus schwierigere Zeit nach ihrer Flucht, Aussiedlung, Vertreibung zu bewältigen. Damals gab es auch keine Handys , mit denen die jungen männl. Flüchtlinge heute so gut ausgestattet sind. Übergroße Not , Hunger, verheerende Wohn- Lebensverhältnisse herrschten. Darunter waren sehr viele Frauen, Kinder und Alte , die jahrelang in Auffanglagern und Baracken leben mussten. Und sie hatten keine Möglichkeiten je wieder zurückzukehren.
Was Syrien betrifft, da wäre doch zu hoffen, dass dieser schreckliche Krieg einmal ein Ende finden wird und die vielen jungen Männer in ihre Heimat zurückkehren können, um an dem Wiederaufbau ihrer Heimat und hoffentlich auch an stabilen demokratischen Verhältnissen mitzuwirken? Es ist schon kurios, dass nicht nur die BRD mit 1200 SoldatInnen und andere europ. Länder in Syrien die IS-Monster vertreiben sollen, während über 100.000 und weitaus mehr junge syrische Männer das Geschehen aus sicherer Entfernung über ihre Handys mitverfolgen können, ohne selbst je eingreifen zu müssen?
Und das Patriarchat fährt mit im Schleuserboot, da frage ich mich als Frau, wieviel Patriarchat wird uns noch weiter zugemutet? Und es ist aktenkundig, dass insbesondere Flüchtlingsfrauen sogar in Flüchtlingsunterkünften vor Männergewalt nicht sicher sind. http://www.sonntagszeitung.ch/read/sz_08_11_2015/fokus/Freiheit-muss-man-erst-lernen-und-dann-verteidigen-48504
Besonders schlimm und undemokratisch empfinde ich die momentane Situation, weil wir `Fragende` nicht nur aufgrund dieser sog. Flüchtlingskrise, sondern aufgrund der Erfahrungen einer Parallelgesellschaft mit ihren negativen Folgen viele Fragen gar nicht erst offenbaren dürfen, ohne sogleich von `Grünen, Roten in eine Braune Ecke` gestellt zu werden. Dazu passt die Formulierung `Wieviel Demokratie verträgt das Land`? http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/56359/nach-dem-2-weltkrieg
09.12.2015 um 14:47 Uhr Lena Vandrey
Mit der ganzen Empörung meiner 15 Jahre schrieb ich den Text: “Wie wir so registriert wurden”... Nicht als Ost-Flüchtlinge in Nissen-Hütten, woselbst das Licht Tag und Nacht brannte, sondern 10 Jahre nach dem Krieg von Fürsorgerinnen aus der Wohnung gerissen und reihum in Heime gestopft wegen ein paar kiebigen Wörtern. Meine Schwester wurde besonders häufig “registriert”. Das Wort stand ganz einfach für Gefängnis. Aufmüpfigen Kindern, die keinen Platz für sich hatten, wurde Platz gegeben hinter den hohen Mauern eines “Rauhen Hauhes”, wo “alte Nazis” sie mit Stahl-Linealen bearbeiteten und ihnen die Haare ausrissen und durch Fenster-Türen warfen. Die aufgeschlissenen Arme wurden nicht behandelt, einige riesige Narben erzählen von dieser Registrierung. Wir empfanden uns als ausspioniert, und Jahre später malte ich ein Bild: “Isola Lesbos, mein ausspionierter Körper”. Eine Freundin las den Titel anders: Mein Körper ist Pionier, las sie. Wenn das keine Feministin war!
Aber zu dieser Geschichte: Nur 2 PC und ein so langsamer Drucker? Die Welt quillt über von gebrauchter Elektronik! Da könnte doch gespendet werden?! Und wieviele Toiletten gibt es, wieviel Wasser, Wickel-Tische, Ruhe-Räume? Die staatlichen Instanzen sollten sich erstmals selbst registrieren! Bei alledem, was wir wissen, klingt dieser Text arg harmlos, und was soll die Bemerkung über Mobil-Telefone und die “entspannten Frauen”?
Ich hätte nach England auswandern sollen, da gibt es keine Melde-Pflicht! Die Mörder vom “Bataclan” waren auch registriert. Das hat nichts verhindert!!
09.12.2015 um 10:56 Uhr Gudrun Nositschka
Danke für die ersten Eindrücke. Ich fände gut, über Ihre weitere Erfahrungen nach drei Monaten zu lesen.