Unterkomplex, gefühllos gegen Frauen, aber tapfer gegen rechts: Bemerkungen zur Presse
Unterkomplex, gefühllos gegen Frauen, aber tapfer gegen rechts: Bemerkungen zur Presse
von Helke Sander
Neulich, schon im Bett, zappte ich im TV herum und landete bei Markus Lanz, der grade einen AFD-Politiker vorstellte und nach seinen Plänen fragte.
Da blieb ich hängen, weil mir gefiel, dass ich mal den Teufel persönlich kennenlernen konnte; ich war gespannt auf seine Aussage. Eine Seltenheit im Deutschen Fernsehen, weil ich inzwischen gefühlt dauerhaft und täglich nur mit Krimis oder bekenntnishaften Distanzierungen von der AFD konfrontiert werde, die vermutlich einen guten Eindruck bei den Arbeitgebern der Journalisten und definitiv auch der Journalistinnen hinterlassen, aber fast nie erklären, was diese Partei im Einzelnen eigentlich vorhat, um sie evtl. mit guten Argumenten zu widerlegen. Es gibt da nur wenige Ausnahmen. Ab und zu wird Herr Höcke zur Abschreckung gezeigt, allerding meist ohne Ton, aber wenn mal einer kommt, sind seine Aussagen kaum nachvollziehbar und abstoßend. Dieser Politiker bei Lanz also (dessen Namen ich nicht behalten habe, und die der anderen Gäste auch nicht) sollte an einem Beispiel erzählen, was die AFD für die Zukunft plant, und er äußerte sich bereitwillig zur geplanten Familienpolitik. Er sagte ungefähr Folgendes: Um den Fachkräftemangel in der BRD durch Deutsche und nicht durch Ausländer zu beheben und die alten Familienformen zu stabilisieren, sollten die deutschen Frauen mehr Kinder bekommen, auf jeden Fall drei. So viele habe er schon selber.
An diesem Punkt brach ich in Gelächter aus – und ebenfalls andere Frauen, an anderen Fernsehapparaten, wie ich später erfuhr. Ein solcher Plan würde eine etablierte und erfolgreiche Diktatur verlangen. Dieser Satz war geradezu eine Einladung zum Bürgerkrieg und vollkommen jenseits dessen, was sich Frauen heute vorstellen können, auch wenn sie Kinder lieben und gerne Mütter sind. Die übrige Runde schien ein bisschen unsicher, wie darauf zu reagieren sei und reagierte im Grunde gar nicht, was möglicherweise auch am geringen Frauenanteil lag. Der aktuelle Mangel an Fachkräften solle also durch die Geburt deutscher Kinder behoben werden, die dazu ausersehen sind, nach Beendigung ihrer Ausbildung in ca. 25- 30 Jahren eine aktuelle Misere zu beheben. Das war ein solcher Quatsch, eigentlich hätte er eher auf eine Karnevalssitzung gepasst.
Ich stellte mir die Frauen vor, besonders die aus der ehemaligen DDR, denen in der BRD das vorherige Recht auf Abtreibung äußerst eingeschränkt worden war, die sich umschulen lassen mussten, die auch heute den Hauptanteil an der Kinderbetreuung, Erziehung und Hausarbeit leisten und immer noch weniger verdienen als Männer – diese und alle anderen Frauen sollen dazu gebracht werden, mindestens drei Kinder zu gebären und diese Kinder in Krippen, Kindergärten und Schulen unterbringen, wenn sie Glück haben. Es gäbe noch viele andere Argumente, auf die ich hier verzichte. Wird das den AFD-Wählerinnen mal so in aller Deutlichkeit gesagt?
Und wird sie das dazu veranlassen, weiter diese Partei zu wählen? Ich wünschte mir mehr solche öffentlich diskutierten Programmvisionen dieser und auch der anderen Parteien. Da wäre bald der Lack ab. Mit Sicherheit bringt eine solche Konkretion mehr Einsichten als die täglich in der Presse immer gleichen Wiederholungen der allgemeinen Distanzierung.
Was in all diesen berühmten Talkshows und Politikrunden praktisch nie in seiner ganzen Schärfe auf den Tisch kommt – und da unterscheiden sich die Parteien kaum - , ist die Gewalt an Frauen, nicht nur in der Bundesrepublik sondern meist noch viel gravierender auf der ganzen Welt. Jährlich werden ca.150 Morde an Frauen, genannt Femizide, allein in der BRD begangen, und über ca. 160.000 körperliche Gewalttaten sind die Regel. Diese Gewalt übertrifft die Gewalt an Migranten und Juden um ein Vielfaches, wird aber nicht im gleichen Maß thematisiert und bekämpft. Zehntausende und neuerdings Hunderttausende gehen gegen Rechts auf die Straße. Das ist erfreulich. Aber die viel zahlreicheren Morde an Frauen werden in diesen Zusammenhängen normalerweise nicht einmal erwähnt und der Protest dagegen kriegt, wenn überhaupt, nur lahme Unterstützung von staatlicher Seite.
Die Presse, die sich bis zum Überdruss als demokratisch outet, ist an diesen Tatsachen nur mäßig interessiert. Zu diesen Tatsachen gehört ein Problem, das ebenfalls nicht in seiner ganzen Schärfe aufgegriffen wird, weil eine Lösung nur gefunden werden kann, wenn es in seiner ganzen vielfältigen Problematik diskutiert würde. Kanada war da mal ein Vorbild und ist es evtl. immer noch. Einwanderern wurde und evtl. wird von Anfang an klargemacht, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind und Gewalt gegen Frauen strafbar ist und dass Zuwiderhandeln mit Ausweisung geahndet wird. In vielen muslimisch geprägten Ländern haben Frauen nicht alle Bürgerrechte, sind ihren Männern untertan, werden immer noch genital verstümmelt oder zwangsverheiratet und kriegen, weil häufig nicht aufgeklärt, mehr Kinder als ihnen lieb ist. „Wir kindern Euch tot“ sagte mal ein migrantischer Taxifahrer stolz zu einem Fahrgast. Um nicht als ausländerfeindlich zu gelten, wenn diese Gewalt angesprochen wird, vertuschen JournalistInnen gerne den prozentuale Anteil von Ausländern an den Gewalttaten gegen Frauen in der BRD, auch Statistiken erfassen ihn nicht, es sei denn, es bricht mal besonders deutlich aus, wie in der Kölner Silvesternacht 2015.
Das ist Österreich anders, und wer sucht, kann Auskunft über diesen erschreckend hohen Anteil an Gewalt gegen Frauen auch im Internet finden, z.B. auf heute.at:
Laut "Heute"-Infos hatten von 17 mutmaßlichen Tätern acht Migrationshintergrund. Das entspricht 47 Prozent. Zehn Verdächtige stammen aus Österreich, drei aus Afghanistan und je einer aus Serbien, Bosnien, Syrien und Somalia. (15.9.2021)
Oder:
Im Untersuchungszeitraum 2016 bis 2020 hatten 42,1 Prozent der Femizid-Täter Migrationshintergrund. Wie bereits ausgeführt, weist Statistik Austria für 2020 den Anteil der österreichischen Wohnbevölkerung mit Migrationshintergrund mit 24,4 Prozent aus. (OE24, 15.8.2021)
Ganz ähnlich auch Wolfram Schütte in seinem Artikel "Blauäugigkeitsvorfälle" vom 22.1.2024.
Es ist eine Schande, dass z.B. Seyran Ates für die Gründung ihrer liberalen Moschee unter Polizeischutz gestellt werden muss, weil Muslime sie mit dem Tod bedrohen. Gleiches gilt für Hamed Abdel-Samad. Die AFD benennt zwar einige Probleme mit Migranten, hat aber keine auf Friedfertigkeit bauenden Lösungsansätze. Weil andere Parteien diesen Problemen aus dem Weg gehen, wählen sicher viele Leute die AFD.
Ich glaube nicht, dass 30% der Deutschen Rechtsradikale sind, weil sie die AFD wählen. Tausende haben 2015 die Flüchtlinge willkommen geheißen (obwohl sie nicht registriert wurden, was sicher ein fundamentaler Fehler war). Auch Tausende Freiwillige helfen bei Überschwemmungen und anderen Katastrophen (darunter sicher AFD-Wähler) oder Tausende bei der Tafel.
Ich glaube, dass ein Großteil der Bevölkerung diese Partei wählt, weil die anderen Parteien diese Probleme kaum aufgreifen. In den berühmten Politikrunden wird nicht über das Dauerproblem Schule gesprochen oder mal über ein Bundesministerium Schule nachgedacht, weil 16 teure Länderministerien über Jahrzehnte die Bildungsmisere vorantreiben. Man könnte auch darüber nachdenken, wo es gleiche Interessen gibt: Mit Sicherheit wollen Leute auf dem Land, wählen sie nun CDU oder SPD oder AFD oder sonst was, bessere Verkehrsverbindungen, genügend Kindergärten und erreichbare ÄrztInnen für alle.
Würden alle Punkte ernstlich gemeinsam debattiert, stünden meiner Meinung nach die Chancen gut, dass simplifizierende Lösungen erkannt, abgelehnt und widerlegt werden. Richtige Verfassungsfeinde, die es auch gibt, könnten dann eher erkannt werden. Dieses Problem der Pauschalisierung treibt mich schon länger um und war Anlass von mehreren Infos über meinen Film „DORF“ in Sachsen-Anhalt, der 2001 uraufgeführt wurde (enthalten in der DVD-edition Helke Sander, produziert von neue visionen und vertrieben von good!movies). Ich lebte damals in diesem 120-Einwohner-Dorf und verfolgte die Presse-Auseinandersetzungen rund um das Dorf „Dolgenbrodt“. Dieses Dorf, auch in Sachsen-Anhalt, hatte 140 EinwohnerInnen und sollte über Nacht 60 Flüchtlinge aufnehmen. Die DorfbewohnerInnen protestierten gegen diese hohe Zahl, wurden von den höheren Stellen nicht gehört oder einbezogen und fackelten das vorgesehene Haus schließlich vor dem Einzug der MigrantInnen ab. In „meinem“ Dorf sagten die von mir Befragten, dass die Flüchtlinge besser verteilt werden müssten, wenige Personen in einzelne Dörfer, um sie besser zu integrieren. Es gäbe genügend leerstehende Bauernhäuser. Dolgenbrodt jedenfalls war bald in der gesamten Weltpresse als NAZI-Dorf verschrieen. Die Argumente der sogenannten Demokraten waren damals, im Jahr 2000 und noch ohne AFD, schon ähnlich pauschal urteilend wie heute.
Ich füge hier einige von mir damals verfasste Texte zu meinem Filmvorhaben in gekürzter Form bei:
„...60 Aussiedler über Nacht in ein Dorf mit 140 Einwohnern zu verfrachten, wäre in etwa so, wie in Hamburg eine Million Flüchtlinge aufzunehmen. Im Dorf bewohnt jede Familie ein eigenes Haus. Die Flüchtlinge sollten in eine ehemalige Kaserne. Die Gewalttat der Dörfler hat mich dazu gebracht, dies nicht für einen Ausdruck besonderer Rechtsradikalität zu halten, sondern eher für den Beweis der gnadenlosen Fantasielosigkeit der vorgeschalteten Bürokratie, die überhaupt auf den Gedanken gekommen war, ein solches Verfahren ins Auge zu fassen und Leute ins Nirgendwo zu schicken. In ein Dorf, in dem es keine Schule, kein Geschäft, keine Kneipe und nur eine Haltestelle für den Schulbus gibt.
„Mein“ ähnliches Dorf hat Jahrhunderte mit der gleichen Einwohnerzahl überstanden, war zuerst slawisch, wurde mit Gewalt christlich, besitzt einen wunderschönen alten Friedhof und eine im 30jährigen Krieg nicht eingeschmolzene Bronzeglocke und hat seit einigen tausend Jahren in seinem Boden Relikte noch früherer Bewohner bewahrt und eine Menge durchziehender Völkerschaften erlebt. Ihre slawische Sprache wurde mehrfach verboten. Sie erlebten viele Kriege, wurden immer wieder dezimiert wie im 30jährigen Krieg, waren fremdbestimmt, die Männer mussten in Kriegen sterben, deren Notwendigkeit unklar blieb. Die Kriegerdenkmäler verzeichnen Tote in jeder Familie. Nach dem 2. Weltkrieg strandeten hier überlebende Frauen aus dem Osten, die einheimische Männer heirateten, es gab etliche Russenkinder.
1993 gab es nur ein einziges Telefon, verbunden mit einem ehemaligen Anschluss der Volkspolizei. Noch gibt es jemanden, der die Gürtelrose besprechen kann. Und es gibt Leute, die sich auch zu DDR-Zeiten dagegen gewehrt haben, den Bach zu begradigen oder durch Abholzen alter Bäume einen besseren Überblick für die Kontrollorgane dieses Grenzdorfes zu schaffen. Alle sehen RTL, am liebsten nachmittags „Fliege“ oder „Vera am Mittag“. Viele sind arbeitslos, stehen aber, wie früher auch, spätestens um sechs Uhr auf, essen gegen elf Uhr zu Mittag und gehen um acht Uhr zu Bett. Wenn ein Auto vorbeifährt, geht man ans Fenster um zu sehen, wer es ist. Ist X krank? Kommt der Mann zu Y.? Kauft Z doch die Möbel?
Eine Geschichte, die schon Legende geworden ist, handelt von dem russischen Offizier, der damals, „Am Anfang“ mit den wenigen übrig gebliebenen deutschen Männern soff, als es noch nicht verboten war, Kontakt mit der Bevölkerung zu haben. Nach einigen Wodkas und bei guter Stimmung versetzte der Offizier schon mal auf Wunsch der Bauern mal hier, mal dort den Grenzzaun ein bisschen, damit willkürlich getrenntes Land zusammenblieb. Bei der Wiedervereinigung stimmte dann oft der tatsächliche Verlauf der Grenze nicht mit den vorliegenden Papieren überein. Die Geschichten entströmen den Leuten nicht. Sie müssen ihnen entwunden werden. „Ich denk mir meinen Teil“, eine lange Übung über die Jahrhunderte, um der immer wieder von Außen kommenden Übermacht einigermaßen ungeschoren zu entgehen. Und dann kam die Weltpresse nach Dolgenbrodt, und in vielen Sprachen gab es Artikel darüber, dass die Leute ihre Türen und Fenster verschlossen, auf Fragen nicht mehr antworteten, unhöflich waren, eingefleischte Nazis eben.
Das Abfackeln des Asylhauses blieb natürlich eine Straftat....
© Helke Sander Januar 2024
Keine Kommentare
Vorheriger Eintrag: ‘A white bird trapped inside me beating scared wings’ - Seamus Heaney, his Lost Sibling and Re-Imagining, by Mary Adams