Schreckliche Schönheiten
von Silke Gyadu, Sonnengöttinnen.de
Sprache kann so entlarvend sein! Einen Einblick mitten hinein in den Mechanismus der patriarchalen Sprache erlaubt ein Dokumentarfilm, der am vergangenen Samstag vom Bayerischen Fernsehen ausgestrahlt wurde: "Quallen - Schreckliche Schönheiten".
Auch wenn es "die Qualle" und "die Schönheit" - ob schrecklich oder nicht - heißt, war im Film von den Quallen als den heimlichen Herrschern des Meeres die Rede, die als Einzelgänger oder im Verbund (Staatsquallen!) die Weltmeere durchstreifen und sogar in Baggerseen (iiih!) zu finden sind. Meist sind die schrecklichen Schönheiten jedoch Bewohner der Tiefsee und häufig sehr, sehr giftig. So ist die Seewespe das gefährlichste Tier der Welt.
Auch Medusa treibt ihr Unwesen im Meer. Und an dieser Stelle lohnt ein kleiner Ausflug in die antike Mythologie. Als vor rund dreitausend Jahren die patriarchale Gesellschaftsordnung eingeführt wurde, musste diese nicht nur mehr oder weniger gewaltsam durchgesetzt, sondern auch durch abgeänderte Mythen legitimiert werden. Die männlichen Mond- und Fruchtbarkeitsgötter stiegen zu Himmels- und Sonnengottheiten auf, während die vormals umfassenden kosmischen Göttinnen auf Liebe, Schönheit, Fruchbarkeit und Mutterschaft reduziert wurden. Denn eine weibliche Sonnengottheit, die neben ihrem angenehmen Aspekt als Wärme-, Licht- und Lebenspenderin auch eine aggressive Seite als versengende zerstörerische Sonnenkraft besitzt, passte so gar nicht ins patriarchale Weltbild. Daher wurde beispielsweise die einstige Sonnengöttin Medusa ( =Die Herrscherin ) zur schrecklichen Gorgone abgewertet. Die Fähigkeit zu versteinern hat Medusa unter anderem mit der germanischen Sonnengöttin Frau Sunna, unserer Frau Sonne, gemeinsam, deren Anblick Zwerge zu Stein erstarren ließ.
Den Psychologen waren derart mächtige und gefährliche weibliche Gestalten ebenfalls suspekt, so dass sie den Archetyp der "Furchtbaren Mutter" kreierten, zu dem angeblich Göttinnen wie Medusa, Lilith und Kali zählen. Mit dieser psychologischen Konstruktion band mann uns einen der vielen Bären auf, die uns das Patriarchat in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden beschert hat. Denn bei der verschlingenden "Furchtbaren Mutter", vor der sich nur Männer fürchten (schlechtes Gewissen?), handelt es sich um nichts anderes als um die Personifizierung des verbrennenden, lebensfeindlichen Sonnenaspektes.
Doch zurück zu den Quallen: Diese Meeresbewohner leben vorwiegend als Räuber, so der den Film erläuternde Text. Und dann passiert es: Einer dieser "Räuber" erbeutet anstatt des üblichen Fisches ein Exemplar einer anderen, kleineren Quallenart. Eine Verwandte also, wie der Sprecher klagend berichtet. Und noch ein weiteres Mal wechselt die Sprache von der männlichen zur weiblichen Form. Auf einem norwegischen Forschungsschiff werden mit einem großen Netz riesige Mengen giftiger roter Quallen aus der Meerestiefe geholt. Tageslicht ist für diese Quallen tödlich. Sie sterben und verlieren dabei die rote Farbe, die die Tiere giftig macht. Die Forscher werfen die toten Quallen ins Meer zurück, wo sich sofort Fische und Krabben über die ungefährlich gewordenen Körper hermachen. Und der Kommentator fragt bang: Wird die Herrscherin des Meeres nun zum Opfer?
Wir sehen wieder einmal: Solange ein Individuum aktiv, gefährlich und Respekt einflößend ist, wird es mit der männlichen Form bezeichnet. In dem Augenblick jedoch, in dem es zur Beute oder zum Opfer wird, wechselt mann zur weiblichen Form.
Halten wir weiterhin kritisch Augen und Ohren offen, egal, ob es um Quallen, Medusen oder andere Mythen geht!
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1 Kommentar
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15.10.2009 um 16:39 Uhr Sascha
Hallo,
ich bin zwar ein Mann, aber ist das nicht doch seeehr weit hergeholt. Es geht nur um das grammatische Geschlecht einzelner Worte. Sehen Sie, in den Turksprachen ist dieses Phänomen unbekannt. Deswegen ist die Türkei aber doch noch lange kein Matriarchat, weil die Türken auf “grammatische Diskriminierung” verzichten. Andersrum: wenn wir der die das im repressionsfreien Neusprech verzichten, verdienen Frauen dann plötzlich das gleiche wie Männer?