Schlicht, schlecht und bösartig – so bitte nicht! Oestreichs Kommentar zu Pusch
Schlicht, schlecht und bösartig – so bitte nicht! Eine Entgegnung auf Heide Oestreichs Kommentar zu Luise Pusch
1991 hat keine Geringere als Judith Butler in einem Sammelband einen Aufsatz veröffentlicht, den zu schreiben sie sich nach Reaktionen auf einen früheren Text von ihr gezwungen sah. Sie gab ihm den Titel „Für ein sorgfältiges Lesen“. Wie nötig diese, damals an feministische Wissenschaftlerinnen gerichtete, Aufforderung ist, belegen nicht nur Shitstorm-Beiträge zu Luise F. Puschs Glosse „Frauenquote fürs Cockpit“, sondern auch der Kommentar von Heide Oestreich in der taz vom 30.3.2015 „Der Mann als Restrisiko“.
Schon mit den ersten Sätzen beginnt die Schieflage, in die sich die Autorin hinein manövriert. „Mit einer Andrea wäre das nicht passiert. (...) Eine Frau hätte das nicht getan, suggeriert Linguistin Pusch.“ Nein, das tut Pusch nicht. Sie drückt sich viel vorsichtiger aus, wenn sie schreibt: „Die Lufthansa könnte (…) das Risiko, dass ihre Piloten das Flugzeug zu Selbstmord und vielfachem Mord missbrauchen, mit jeder Frau, die sie zur Pilotin ausbilden, ganz erheblich reduzieren.“ Das heißt gerade nicht, keine Frau hätte so etwas getan. Pusch bewegt sich auf dem Feld der Wahrscheinlichkeiten. Auch wenn sie ausdrücklich eine Frauenquote quasi als Katastrophen-Prophylaxe der Lufthansa zur Umsetzung vorschlägt, so tut sie es in dem Zusammenhang, dass Maßnahmen gesucht werden, die solche selbst-/mörderischen Handlungen in Zukunft ausschließen oder wenigstens unwahrscheinlicher machen. Nirgendwo sagt sie, dass Frauen dazu nicht fähig wären, verweist jedoch auf die Tatsache, dass Frauen unter den Amok Laufenden und „erweiterten SelbstmörderInnen“ eine kleine Minderheit darstellen. Wenn Oestreich hier also von Suggestion spricht, so kann sie nicht das meinen, was Luise Pusch gesendet hat, sondern das, was sie selbst darin gelesen, dazu assoziiert hat.
Noch weniger berechtigt ist Oestreichs nächste Aussage. „Der Pilot : ein Mann, die Schulklasse: 2 Lehrerinnen, 14 Mädchen und zwei Jungen, und schon lautet die Gleichung: Täter Mann, Opfer Frau.“ Damit löst sie Puschs Hinweis auf das Geschlecht der Opfer völlig aus dem Zusammenhang. Pusch zieht nämlich eine Parallele zwischen der Tatsache, dass niemand an frauenrelevante Maßnahmen denkt und der Tatsache, dass Frauen und Mädchen – ich ergänze: in einigen Medien – unsichtbar gemacht wurden, indem von Lehrern und Schülern gesprochen wurde. An Frauen wird nicht genug gedacht, so Puschs Schlussfolgerung. Oestreichs Schlussfolgerung, die ganz allein auf ihrem Mist gewachsen ist, lautet dagegen: „Subtrahiert man die Männer, dann gibt es keine Mordanschläge mehr.“ Eine 0% Männerquote hat jedoch niemand, auch Pusch nicht, gefordert. Das ist billige, böswillige Polemik gegen eine Feministin. Damit kann sich Oestreich des Beifalls aus vielen Ecken sicher sein.
Auch Oestreichs Rechnung, dass auf der Passagierliste (ich ergänze sowie der Liste der CrewmitarbeiterInnen) nicht nur 14 Schülerinnen, sondern 149 Männer und Frauen stünden, läuft ins Leere, denn Pusch hatte sich lediglich auf diejenigen Personen bezogen, deren Geschlecht sprachlich ins Männliche umgewandelt worden war.
Wenn Oestreich dann als Puschs Logik Folgendes formuliert: „Männer sind gefährlich und müssen minimiert werden, indem man den Frauenanteil steigert.“ - so trifft letzteres im Prinzip auf jede Frauenquotenforderung zu. Mehr Frauen in einem Bereich, in dem diese unterrepräsentiert sind, bedeutet automatisch weniger Männer in diesem Bereich. Nun denkt Oestreich dies weiter und fragt: „Warum dann nicht das Restrisiko Mann ganz ausschließen?“ Gegen eine solche Phantomforderung, die niemand je erhoben hat, Stimmung zu machen, ist tatsächlich sehr schlicht.
Das Wichtigste sei jedoch, so Oestreich, dass die meisten Feministinnen sich einig seien, dass nicht „die Männer“ das Problem sind, sondern welche Art von Männlichkeit in unserer Gesellschaft möglich ist. So weit, so gut. Aber mit den gesellschaftlich geforderten und geförderten Männlichkeiten müssen sich lebendige Menschen auseinandersetzen, ebenso wie mit den entsprechenden Weiblichkeiten. Folglich hat man es auch immer mit konkreten Personen zu tun, und die können sehr wohl zum Problem werden. Etwa wenn sie, Männer wie Frauen, mit ihren Ideologien für die traditionelle Ehe als einzige Lebensform Sturm laufen. Auch wenn sie als Individuen Männlichkeiten und Weiblichkeiten zum eigenen Schaden verinnerlichen, sei es als Magersüchtige, sei es als Selbstmörder. Dies ist dann problematisch nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für deren Umfeld und zum Teil Thema feministischer PsychotherapeutInnen.
Sehr daneben liegt Oestreich wenn sie behauptet: „die Forderung nach einer Frauenquote kann man nicht mit einer angeblichen weiblichen Überlegenheit begründen.“ Genau das ist jedoch seit einigen Jahren geschehen und wird mantraartig wiederholt, wenn es um die Forderung nach einer Frauenquote in Aufsichtsräten ging. So heißt es beispielsweise in der Berliner Erklärung vom Dezember 2011, die als Petition eingesetzt wurde:
„Die gleiche Beteiligung von Frauen an Entscheidungsgremien ist auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. In gemischten Führungsgremien können Frauen und Männer zu besseren Entscheidungen kommen, gemischte Teams steigern den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen. Das belegen nationale und internationale Studien.“
An wem liegt es dann, wenn reine Männerteams nicht so effektiv arbeiten wie gemischte Teams? Man/frau kann nur schließen: Direkt oder indirekt an den Frauen, sei es, dass sie besser sind, sei es, dass sie ihre männlichen Kollegen anzuspornen verstehen. In jedem Fall doch wohl eine Überlegenheit von Frauen. Ich habe zu diesen Frauenquoten schon immer eine andere Position vertreten und diese Begründung kritisch gesehen. Aber in der taz habe ich dazu keine Kritik gefunden. Jetzt dagegen, wenn es offenbar darum geht, Luise Pusch zu diskreditieren, ist es nicht statthaft, mit einer Überlegenheit von Frauen zu argumentieren. Das kann ich nur als Messen mit zweierlei Maß bezeichnen.
Abschließend meint Oestreich: „Aus der Welt der Zuschreibungen von Eigenschaften müssen wir doch gerade herauskommen!“ Es gibt aber einen Unterschied zwischen Zuschreibungen, Klischees, Stereotypisierungen von Eigenschaften für die Geschlechter einerseits und statistischen Fakten andererseits, wie etwa die höhere Selbstmord- und Amoklaufrate von Männern. Es war immer eine feministische Forderung, geschlechtsspezifische Unterschiede zu erforschen, nach ihren Ursachen zu fragen und sich damit auseinanderzusetzen. Denn nur dann lassen sich erforderlichenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen. Nur wenn beispielsweise bekannt ist, dass das Risiko, vom Partner Gewalt zu erleben, während einer Schwangerschaft oder bei einer Trennungsabsicht der Frau besonders hoch ist, können besondere Aufklärung und Beratungen, etwa von GynäkologInnen, ins Auge gefasst werden. Im Fall von Suizidgefährdung von Piloten werden ja bereits Überlegungen dazu angestellt, wie diese in psychologischen Routineuntersuchungen erkannt werden können. Das aber war nicht Puschs Thema.
Sicher kann man an dem Text von Luise Pusch zur Frauenquote im Cockpit Kritik anmelden. Aber dann doch bitte bezogen auf Aussagen, die Pusch auch tatsächlich getroffen hat und nicht auf angenommene Positionen. Auf alle Fälle aber sollte mit stichhaltigen Argumenten gekontert werden.
Das erwarte ich von gutem Journalismus.
2.4.2015
--------------------- Dr. Ursula G.T. Müller war lange Frauenbeauftragte der Stadt Hannover, danach Staatssekretärin im Frauenministerium Schleswig-Holstein.
Wichtige Publikationen:
Die Wahrheit über die lila Latzhosen. Höhen und Tiefen in 15 Jahren Frauenbewegung.
Dem Feminismus eine politische Heimat - der Linken die Hälfte der Welt: Die politische Verortung des Feminismus.
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5 Kommentare
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07.04.2015 um 18:20 Uhr Dr. Mai
Warum dieser Shitstorm auf einen sachlichen Vorschlag von Prof. Pusch, wie derartige Extremprobleme mit einem Co-Piloten verhindert werden können? Ganz einfach, wenn das Wort “Frau” fällt, hakt das Gehirn aus. Vorzugsweise bei Männern. Sogar in Texten seriöser Zeitungen wird die weibliche Bank zum Partner, die weibliche Bundeswehr zum Arbeitgeber. Und unsere Fußball-Frauen (statt Fußballerinnen) sind mal wieder Weltmeister. Und DIE Partei ist Wahlsieger. Lieber falsche Grammatik, als überhaupt mal etwas Weibliches zu erwähnen. Die Worte Partnerin, Arbeitgeberin, Weltmeisterin, Wahlsiegerin flößen wohl Angst ein. Ich habe im März 2015 einen diesbezüglichen Brief an den “SPIEGEL” (an einen Redakteur) geschickt. Glauben Sie, ich hätte eine Antwort erhalten? Nein. Und Frau Müller: “männliche Kollegen”? Kollegen sind per definitionem männlich.
07.04.2015 um 16:07 Uhr anne
liebe Lena Vandrey - ein klasse beitrag von dir - `um einer feministin eins auszuwischen` - vermutlich liegt frau O. schon lange mit EMMA und A.S. im clinch - vor allem, was das thema prostitution betrifft. es scheint schick und bei manchen jüngeren feministinnen in mode zu sein, prostitution zu einem frauenberuf emporheben zu wollen… wo sind wir feministinnen eigentlich inzwischen gelandet, frage ich mich?? erstaunlich, wie sich taz-frauen mit der prostitutions-lobby eher solidarisieren als mit feministinnen, die sich kritisch mit dem system prostitution auseinandersetzen. auch von daher dieser o.a. rundumschlag / schlicht - schlecht - bösartig? wenn das `neuer feminismus` sein soll, dann wird mir ziemlich mulmig zumute - der lachende dritte wird die masku-bewegung sein. zitat: “Feminismus hat einen schlechteren Ruf als die Deutsche Bundesbahn”, so die Autorin Thea Dorn, die leistungsstarke Individualistinnen zur neuen “F-Klasse” erhob.”
das würde ja im umkehrschluss bedeuten, all unsere leistungsstarken pionierinnen der feministischen frauenbewegungen sind selbst verantwortlich für ihren ach so schlechten ruf.. oder legen sich heute einige wieder freiwillig mit ihren peinigern ins bett?
http://www.emma.de/artikel/die-taz-luegt-kritischer-beitrag-ueber-prostitution-abgelehnt-311651
06.04.2015 um 13:55 Uhr Lena Vandrey
Wie ist es möglich, dass eine so vernünftige Analyse wie “Frauenquote fürs Cockpit” derartig böse Kommentare auslöst? Warum will die TAZ durch Bluff verblüffen, und wen?
Diese Zeitung ist per Prinzip anti-feministisch gesonnen, aber es gelingt ihr nie, sachlich zu argumentieren. Frauen gegen Feministinnen einzusetzen, ist jämmerlich und zeigt die eigene Hilflosigkeit. Das alles ist leider nichts Neues. Für meinen Teil hätte ich nichts dagegen, dass Flugzeuge ausschließlich von Frauen geflogen werden, Helikopter inbegriffen und Züge, U-Bahnen und Busse ebenfalls nur von Frauen gefahren würden. An keinem der groBen Unfälle der letzten Jahre waren Frauen beteiligt, das müsste doch auch die anti-feministische “Kritik” wahrnehmen können! Denn Kritik ist das gar nicht, sondern der hämische, tölpelhafte Versuch, die Evidenzen in ihr Gegenteil umzudeuten. Das ist Kollaboration auf niedrigstem Niveau. In früheren Zeiten hätten diese schamlosen Stimmen LFP mindestens ins Gefängnis gebracht, wenn nicht auf den Scheiterhaufen. Die TAZ ist ein scheiternder Haufen, das Wortspiel möge mir erlaubt sein… Ein groBes PFUI! wäre hinzuzufügen.
Jemand hat hier bei uns ein Heft mit Schüttelreimen vergessen. Darin finde ich den Satz “Lasst uns unsere Pimmel hissen und somit in den Himmel pissen!” Das passt doch glänzend zu der Cockpit-Story! Frauen müssten die zynische Infantilität der (meisten) Männer erkennen, kontrollieren und abbauen können.
Aber darum geht es der Autorin Oestreich ja gar nicht, nur darum, einer Feministin eins auszuwischen über krasse Lese-Unfähigkeit. Irgendwie grotesk!
Von gleicher Warte her - nämlich Links - hieß es, dass Margaret Thatcher eine Schande für die Frauen sei. Aber Lenin, Hitler, Stalin und Mao waren keine Schande für die Männer??! fragte ich.
Wir sind zornig, aber nicht erschüttert: Gegen einen Misthaufen kann man nicht anstinken! Kurze Haare sind bald gekämmt!...
In unverbrüchlicher Solidarität zeichnet
Lena Vandrey.
05.04.2015 um 15:36 Uhr anne
einfach nur danke an Ursula Müller für diese gerechte , intelligente antwort auf Heide Oestreichs unseriösen artikel - dieser (H.O.) wirkt auf mich wie dahingeschmiert, um schnellstmöglich auf den shitstorm-zug gegen Luise F. Pusch aufzuspringen. nicht einmal recherchiert, bei Luise F. Pusch nachgefragt, sie einfach mal befragen, kontaktieren, bevor über sie dermaßen negativ hergefallen wird. nicht nur, dass eine feministin der Taz in diesem artikel einen schlechten journalismus beweist, die claqueure der antifeministischen masku-bewegung sind dankbar für jede steilvorlage, die ihnen - ausgerechnet von einer frau - gegeben wird.
auch “Die Wahrheit über die lila Latzhosen” werde ich mit viel interesse lesen und gerne daraus zitieren dürfen ..
lg Anne
04.04.2015 um 17:22 Uhr Joey Horsley
Ausgezeichnete Analyse! Dank an Ursula Müller!