Pegida und Presse
von Helke Sander
Leider informiert mich die gesamte Presse zur Zeit nicht darüber, was diese Pegida-Demonstranten eigentlich wollen. Was man liest, sind fast durchgängig pauschale Distanzierungen. Um zu erfahren, was sie selber sagen, muss ich googeln und finde dann eine Art Programm - ohne Impressum - auf einer der hinteren Googleseiten.
Ich würde nun erwarten, dass die Medien die Aussagen analysieren, möglicherweise widerlegen und zwar in Auseinandersetzung mit den Leuten, die diese Texte verfasst haben oder sich auf sie berufen. Davon gibt es in der Presse, die gerade jetzt zu Recht die Pressefreiheit verteidigt, kaum eine Spur.
Nach ihrem eigenem Selbstverständnis sind die Pegida-Demonstranten für die Aufnahme von Flüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten, sie berufen sich aufs Grundgesetz und plädieren für dezentrale Unterbringung. Wenn das alles nicht ernst gemeint sein sollte, könnten die Journalisten dies widerlegen. Ebenso ist mit den anderen Thesen bzw. Forderungen umzugehen. Warum geschieht das nicht und warum gibt es keine Auseinandersetzungen aus erster Hand?
Das dümmste Argument, die Auseinandersetzung mit Pegida zu verweigern, ist die Feststellung, dass sich hier Leute äußern würden, die selber keine Erfahrung mit Ausländern haben. Man muss nicht an Ebola erkrankt sein, um sich über Schutz davor Gedanken zu machen. Und es ist nicht gleich Fremdenhass zu unterstellen, wenn Menschen, denen der Islam fremd ist, beunruhigt darüber sind, was in seinem Namen zur Zeit auf der Welt geschieht. Ich glaube gerne, dass auch die meisten derjenigen, die diesem Glauben angehören, ebenso beunruhigt sind. Aber was sagen sie zu den „Ehrenmorden“, die auch hier passieren, mit Versuchen, hier und da eine Scharia-Polizei zu etablieren und dem Anblick von Burka tragenden Frauen, bei denen zumindest bezweifelt werden darf, dass dies auf Freiwilligkeit beruht. Und was sagen die kopftuchtragenden Frauen zu denen, die mit dem Tode bedroht werden, wenn sie keins tragen? Die Presse zumindest hätte zu diskutieren, was es politisch bedeutet, dass es kein einziges islamisch geprägtes Land gibt, in dem Frauen gleiche Rechte haben.
Der Afghanistan-Krieg wurde u.a. damit begründet, den Frauen Freiheiten zu bringen. Wie begründet man nun die deutschen Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, das als eines der 10 Länder der Welt gilt, in denen Menschenrechte allgemein und Frauenrechte ganz besonders nicht gelten?
Dazu kommt, dass die Presse weitgehend aufgehört hat, über in Deutschland lebende Türken, Iraner, Iraker, Syrer usw. zu sprechen, sondern es inzwischen vorzieht, für alle pauschal den Ausdruck „Muslime“ zu gebrauchen und dazu analog die eingeborenen Deutschen nicht mehr als Deutsche, sondern als Christen zu titulieren. Unter den vielen hier lebenden Nationalitäten gibt es viele Muslime. Das kann kaum in Abrede gestellt werden. Es gibt unter ihnen aber auch viele Nicht-Muslime, Atheisten oder Angehörige anderer Religionen, die sich so gut wie nie zu den geschilderten Problemen öffentlich äußern dürfen.
Die sogenannten Bio-Deutschen sind mehrheitlich keine Christen mehr. Diejenigen, die sich noch den beiden Kirchen verbunden fühlen, sind das meist aus kulturell-traditionellen Gründen, um Weihnachten, Hochzeiten, Volksfeste und Beerdigungen zu begehen. Wer von dem Rest noch an Erbsünde und Erlösung glaubt, ist eher mit der Lupe zu suchen. Sowohl die lange Schreckensherrschaft der christlichen Kirchen und die lange Zeit, sich davon zu befreien, steckt tief im Bewusstsein der Menschen wie auch glücklicherweise inzwischen das Wissen, die Anfänge totalitärer Ideologien ernst zu nehmen.
Statt also ununterbrochen Gegendemonstrationen zu organisieren, die den einzigen praktischen Zweck verfolgen, sich selbst als die besseren Menschen darzustellen und dabei die einfachsten Totschlagargumente anzuwenden, nämlich den ANDEREN immer sofort zu unterstellen, Nazis zu sein, wäre es sinnvoll und hilfreich, sich einzeln mit den Argumenten derjenigen auseinanderzusetzen, die zu Recht oder Unrecht glauben, dass es für viele heutige Konflikte Erklärungsbedarf und Handlungsbedarf gibt und dass die Antworten darauf nicht immer einfach zu finden sind.
© Helke Sander
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
7 Kommentare
Nächster Eintrag: Schon wieder Kopftuch
Vorheriger Eintrag: Halina Bendkowski: Rede zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Alexandra Goy
05.02.2015 um 18:04 Uhr Amy
Ja, hinter dem `Schleier` hätten uns Frauen sicherlich auch etliche moderne Patriarchen gern. Der Kampf um Gleichstellung ist noch lange nicht abgeschlossen; im Gegenteil, er ist so akut und bedeutend wie vor weit über 100 Jahren Frauenbewegung; denn das religiöse Patriarchat steht endlich im Zentrum der `offenen` Kritik. Ich begreife es nicht, wie sich muslimische Frauen , zumal in einer `offenen` Gesellschaft lebend - obwohl sie wissen müssten, wie viele ihrer Geschlechtsgenossinnen zur Verschleierung gezwungen werden - strikt an die Vorgaben ihrer religiösen patr. Vertreter halten, die mit aller Macht ihre Gehirnwäsche mit Angst und Schrecken in die moderne Gesellschaft einbringen. Eigentlich ein Beweis dafür, welche Dominanz eine von Männern erfundene Glaubensrichtung hat und wie sich Frauen willig anpassen. Ein extremes Beispiel, wie der von Fundamentalisten gepredigte Menschenverstand sogar mit Erfolg an die Frau bzw. den Mann gebracht wird. Das betrifft uns ALLE! http://www.bz-berlin.de/berlin/neukoelln/neukoellner-imam-eine-frau-darf-niemals-nein-sagen
19.01.2015 um 14:59 Uhr Amy
Danke an Luise F. Pusch und Drn Theresia Sauter-Bailliet! Dazu fällt mir das Zitat von Rosa Mayreder (FemBio) ein: Es ist eine auffällige Erscheinung, dass bisher die Frauen als gleichberechtigte Mitkämpferinnen in jeder Bewegung wirkten, die auf Erhebung und Befreiung der Unterdrückten ausging, solange sie im Zeichen des Kampfes stand, solange sie eben wirklich eine Sache der Unterdrückten war - dass aber die Frauen wieder vom Schauplatz verschwinden mussten, sobald sie zur Sache der herrschenden Partei wurde, sobald sie zur Macht gelangte. (Zur Kritik der Weiblichkeit, 1904)
Dieses Zitat finde ich so aktuell.
Auch das muslimische Patriarchat unter die Lupe zu nehmen, ist ein so wichtiges feministisches Anliegen, denn vor allem sind es Frauen und Mädchen, die den Schleier, die Burka, den Niqab, das Kopftuch etc. im Namen der `Herrenkultur` tragen (müssen). Mit einfachen Worten: Kritik am Christentum , an der Institution kath. Kirche gehörte mal zur ‘linken’ Bewegung - wie waren sie doch verhasst ! Gehörte es sich nicht für einen kritischen Menschen, schon damals der Kirche als Symbol von Macht und Obrigkeit den Rücken zu kehren ? Heute scheint mit anderen Maßstäben gemessen zu werden? wenn es um den Islam (Staatsreligion) geht. Vielleicht gefällt es den 68er Patriarchen, Frauen unter den Schleier zu bringen, sie zu züchtigen - denn wir erleben auch das Erstarken des Maskulinismus - Feminismus wird gehasst, verabscheut , abgelehnt, kritisiert , von vielen gar nicht verstanden, weil sie lieber mit Klischeevorstellungen argumentieren. Am Feminismus ist noch keine/r gestorben - alle Welt weiß, dass der polit. Islamismus/Salafismus vor allem für Mio Frauen keine freudige Botschaft bedeutet; es geht einzig um Macht, unter der vor allem Frauen in jedem Patriarchat zu leiden haben, missbraucht werden. Ungläubige dürfen in einem muslim. Land keine Moschee besuchen? Und Mio muslimische Menschen finden sich damit ab? So haben auch diese Religionswächter mit ihrer patriarchalischen Gehirnwäsche aus ihren Untertanen gefügige, unkritische, passive Gehorsame gemacht, und etliche Frauen müssen sich arrangieren, um zu überleben. Vergessen wird dabei das Thema Genitalverstümmelung, an Frauen und Kinder verübt im Namen des Herrn - wie menschenfeindlich ist Religion, entstand sie doch in einer Zeit, als es noch gar keine Menschenrechte gab? http://www.deutschlandradiokultur.de/plaedoyer-fuer-einen-humanistischen-islam.950.de.html?dram:article_id=137362
18.01.2015 um 12:26 Uhr Dr. Theresia Sauter-Bailliet
In der seit den fürchterlichen Morden verstärkten, die Menschen verunsichern sollenden medialen Propaganda wird gesagt, wir sollen Religion nicht mit Politik verwechseln. Wenn in Deutschland der Staat die Kirchensteuer einzieht , (hier auf die beiden großen Konfessionen beschränkt), oder die Gesetzgebung sich an christlich tradierten Werten orientiert, heißt das nicht, dass dem Christentum eine staatstragende Rolle beigemessen wird?
Die Türkei ist ein islamischer Staat. Das Staatsoberhaupt Erdogan möchte an die vor-atatürksche islamische Tradition anknüpfen und Frauen wieder hinter den Schleier bringen, in die Küche zurückverweisen, in das KKK Gefängnis, aus dem wir uns hier erst langsam zu befreien suchen (siehe „Gleichberechtigung ist für Erdogan ‘unnatürlich‘“, Die Welt Kompakt, 25.11.14). Ich richte einen kritischen feministischen Blick auf diese Entwicklung, die ich beobachte. Im Iran haben viele Frauen die Revolution gegen den Shah mitgetragen. Was war der Dank dafür? In Saudi Arabien, in Afghanistan, etc. werden Frauen z.T. hinter der Burka gefangen gehalten, wird mit Gewalt gedroht, wenn sie unverschleiert, unbegleitet auf die Straße gehen. Haben Sie schon einmal ausprobiert, wie es sich anfühlt, nur durch zwei Augenschlitze die Umwelt wahrnehmen zu dürfen?
Ich war im Scharia-Land Aceh (Nordsumatra), das einen bedeutend lockereren Islam lebt. Die Frauen gehen Berufen nach, sie scherzen auch mit den Männern. Aber das Kopftuch darf nicht fehlen. Wann immer meine Kontaktperson die Haustür hinter sich zumachte, nahm sie sichtlich erleichtert den Schleier ab. Ich selbst konnte mich schleierfrei bewegen, außer im Moscheegelände; da wachte die Sittenpolizei streng auf die Einhaltung dieser islamischen Sitte. Als ich, voll in Schleier eingehüllt, die Stufen der Moschee hinaufstieg, wurde ich zurückgepfiffen: Als Ungläubige darf ich die Moschee nicht betreten. Ich habe das respektiert, denn ich war ja in einem moslemischen Land und habe mich an die dortigen Gepflogenheiten zu halten.
In der aktuellen Debatte wird nicht angesprochen, was die patriarchalen Weltreligionen dem Menschengeschlecht, besonders den Frauen, angetan haben, noch antun. Viele indigene Völker, die sie entweder konvertiert oder ausgerottet haben, achteten Mutter Erde und alles Leben. Von ihrem Moralverständnis, wo die Frauen eine lebens- und friedenstiftende Funktion innehatten, könnten wir uns Einiges abschauen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass unsere eingefleischten Patriarchen es gerne sähen, wenn auch wir nicht-moslemischen Frauen „hinter den Schleier“ kämen.
14.01.2015 um 18:10 Uhr lfp
Danke, Amy. Hier noch ein Link zu Hillebrand, den Helke Sander mir direkt geschickt hat. http://www.ipg-journal.de/rubriken/soziale-demokratie/artikel/charlie-hebdo-und-das-linke-appeasment-733/
Ich finde den Artikel von Hillebrand sehr gut. Helke sagt mit Recht ” dass es kein einziges islamisch geprägtes Land gibt, in dem Frauen gleiche Rechte haben.” Die (überwiegend männlich geprägte) Linke hat das schon immer weniger interessiert als uns Frauen. Wir lehnen Islamisten aus vielen guten Gründen ab, die sie uns täglich selber liefern (Boko Haram, etc.) Das bedeutet allerdings nicht automatisch, dass wir Pegida etwa gut finden.
14.01.2015 um 17:21 Uhr Amy
Einfach nur Danke an Helke Sander für ihre differenzierte , kluge Sichtweise . Dazu gehört auch die Überlegung, warum sich eine politisierte Bewegung wie Pegida formiert. Sie kommt ja nicht aus heiterem Himmel. Was macht die Politik falsch?
Es wird von aller Welt nach Gründen gesucht, wieso sich angeblich friedliche junge Männer radikalisieren und ihr Lebensziel in der Gruppe von gewaltbereiten, menschenfeindlichen Islamisten suchen, die in Europa nach Menschenfutter suchen.
Es stimmt , wie H. Sander feststellt, es gibt in der Presse weniger Analysen zum Positionspapier, weil die Medien wissen, dass sich hier sogar Positionen mit denen unserer Politik decken.
Zum Islam gehört auch die Scharia und in islamistisch geprägten Ländern sieht es mit den Frauenrechten düster aus; das alles spielt sich ebenso in Europa ab. In Nigeria werden tausende Menschen von Islamisten ermordet, Frauen , Kinder verschleppt, vergewaltigt, domestiziert - ein Aufschrei bleibt aus.
Wie die Presse `manipuliert` oder `verschleiert`, zeigt das Foto `Verschwörung von Paris`. Große Empörung herrscht. Ein kleiner Ausschnitt mit Wirkung, denn der Marsch der Millionen fand getrennt statt - die Politik war wieder einmal unter sich und Frauen unter den Eliten unserer Politik sowieso unterrepräsentiert.
http://www.handelsblatt.com/politik/international/terror-anschlag-auf-charlie-hebdo-tagesschau-wettert-gegen-verschwoerung-von-paris-seite-all/11227850-all.html
@ Frank Perrey - Frau Sander hat recherchiert und daraufhin eine Menge Fragen gestellt, die von Ihnen sicherlich noch nie in Betracht gezogen wurden. Mann müsste einfach mal den Artikel bis zum Schluß durchlesen !
Was mich betrifft, ich bevorzuge in jedem Fall die klugen Analysen von gestandenen Feministinnen.
14.01.2015 um 14:18 Uhr frank perrey
https://www.facebook.com/LuisePusch/posts/690455247719462 die Diskussion zum Beitrag ...
ich bevorzuge die Original-Quellen gegenüber Presseberichten. Pegida auf die Schliche zu kommen, ist längst nicht so schwierig, wie Frau Sander das hier darstellt.
http://www.i-finger.de/pegida-positionspapier.pdf wäre da so eine Quelle. Ich wäre jetzt glatt meinem Vorurteil erlegen, eine Schriftstellerin müsste recherchieren können .... ;)
12.01.2015 um 20:48 Uhr TRAUTMAN
Danke, echt guter Beitrag. Man denkt momentan echt man spinnt, wenn man die Scheinheiligkeit in der Berichterstattung zu PEGIDA liest. Handelt es sich in ihren Forderungen doch eigentlich nur um eine Umsetzung des kanadischen Einwanderungsmodells.