Minarettabstimmung
Kommentar von Helke Sander
Statt in nahezu allen Kommentaren lesen zu müssen, dass die Schweizer Entscheidung ein Skandal sei, die Rechte auf dem Vormarsch, das Antidemokratische zur Kenntlichkeit entwickelt usw., würde ich gerne einmal analysiert haben, warum a) bei einer Volksabstimmung die Wahlbeteiligung so außerordentlich groß war und b) - wie von mir nicht nachzuprüfen, aber offenbar durch Fakten untermauert - so viele Frauen für das sogenannte Minarettverbot gestimmt haben. In den Kommentaren liest es sich so, als seien alle irregeleitet und auf dem Weg, Nazis zu werden. Gäbe es nicht noch andere Interpretationsmöglichkeiten?
Vielleicht haben ganz andere Überlegungen die Abstimmenden zu ihren Entscheidungen geführt. Überlegungen, die vielleicht mit dem Wort „dauerndes Unbehagen“ gekennzeichnet werden könnten.
Ich will mal ein eigenes Erlebnis dazu mitteilen, das mich immer noch umtreibt, weil ich nach wie vor nicht weiß, wie ich mich hätte verhalten sollen oder können. Und anders als in Situationen, in denen ein Nicht-Deutscher von einem Deutschen angegriffen wird, steht darüber dann am nächsten Tag nichts in der Zeitung: Ein fast leerer U-Bahnhof in Berlin. Die Treppe herunter geht ein vielleicht dreißigjähriger hübscher bärtiger Mann in einem weißen langen Gewand mit weißem Käppchen. Hinter ihm stolpert eine vollkommen in eine schwarze Burka gehüllte Frau, die nicht mal das traditionelle Gitter vor dem Gesicht hat, sondern vollkommen schwarz verhüllt ist. Sie kann offenbar gar nichts sehen. Von den Bewegungen her ist sie jung und schlank, vermutlich Anfang zwanzig und seine Frau. Der Mann steuert sie, indem er sie von außen fest am Unterarm gepackt, hinter sich herzieht. Sie muss ja auch noch Abstand zu ihm halten und sich möglichst nicht die Knochen brechen.
Darf das in Berlin sein? Ist EINE so behandelte Frau tragbar, HUNDERT aber nicht? Ist das mit unserem Grundgesetz vereinbar oder gehört das auch zur Glaubensfreiheit des Mannes? Würde ein solches Verhalten einem Mann gegenüber nicht Folter genannt? Ein immer wieder auftauchendes Argument in den Kommentaren zur Abstimmung lautet, dass die ca. 400.000 Moslems in der Schweiz gut integriert seien und das Abstimmungsergebnis schon deswegen absurd. Wenn man allerdings ein bisschen recherchiert, wird man feststellen, dass es auch in der Schweiz Ehrenmorde gab und Zwangsheiraten und dass die Schweiz immerhin schon Gerichtsurteile gefällt hat gegen die auch im übrigen Europa zunehmende Zahl von Klitorisbeschneidungen. Und den abstimmenden Frauen in der Schweiz dürfte auch nicht entgangen sein, dass in allen vom Islam geprägten Ländern Frauen entweder rechtlos sind oder jedenfalls sehr in ihren Rechten beschnitten. Insofern ist dieses Abstimmungsergebnis meiner Meinung nach ein solidarischer Akt mit unterdrückten und um ihre Freiheitsrechte kämpfenden Frauen aus islamisch geprägten Ländern, es ist aber auch eine Aufforderung, gründlich darüber nachzudenken, ob wir in Europa dabei sind, die mühsam erkämpften zivilen Errungenschaften möglicherweise leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Bestimmte Ängste sollen ausdiskutiert werden (Das hieße nebenbei gesagt: Geschlechterfragen in die Politik zu bringen).
Im gleichen Atemzug mit der Kritik am Abstimmungsverhalten wird auch darauf verwiesen, dass Gewerkschaften, Kirchen, alle möglichen Verbände und Parteien als Institutionen anders abgestimmt hätten. Ausnahmsweise haben nun die Repräsentierten, die ja diese Institutionen bilden, selber ihre Meinung ausdrücken dürfen und darauf hingewiesen, dass sich manche Fragen nicht schematisch abbügeln lassen. Es wird darauf verwiesen, dass bei einer möglichen Volksabstimmung in Deutschland der größte Teil gegen Atomkraft stimmen würde (da wäre die Bevölkerung „reif“ und „gut“) , vermutlich ebenso viele gegen die Europaverträge (da wären sich die Kommentatoren uneins) und in ebenso hoher Zahl gegen die sogenannten Minarette (da wären die gleichen schon als Rechte abgestempelt).
Zunehmend wird mit „Glaubensfreiheit“ argumentiert und ihrem Schutz durchs Grundgesetz. Man möge hier nicht vergessen, dass der Kampf gegen die Intoleranz der Kirchen Jahrhunderte gedauert hat und die Trennung von Staat und Kirche ein ungeheurer Schritt in die Zivilgesellschaft war. Dass überhaupt die Kirchen heute in Fragen der Moral so ausführlich zu Wort kommen dürfen, als schleppten nicht gerade sie Jahrhunderte währende Schreckenstaten mit sich herum, wäre in diesem Zusammenhang auch zu erörtern. Obwohl in deutschen Großstädten die Mehrzahl der Menschen sich als Nichtgläubige oder Konfessionslose definieren und im deutschen Osten auch die Landbevölkerung, wird in der Öffentlichkeit so getan, als seien die christlichen Kirchen Horte der Toleranz. Dass sie nun so sehr für die Moscheebauten eintreten, hat vermutlich auch noch andere als nur hehre Gründe. Wie man weiß, sind die Kirchen weitgehend leer, aber die Moscheen sind voll.
Die Moscheen oder moslemischen Betstuben, die es seit den Siebzigern in Deutschland gibt, waren anfangs auch nicht voll. Und es gab praktisch keine Kopftuch tragenden Frauen oder Mädchen. Es ist also schon eine Untersuchung wert, woher der plötzliche Einbruch von Frömmigkeit kommt, wie er finanziert wird und von wem er ausgeht. Dies alles nur mit einer Sehnsucht nach Transzendenz zu erklären, die plötzlich unsere hauptsächlich türkischen Mitbürger befallen haben soll, scheint doch ein wenig zu simpel. Aber genau darauf berufen sich alle, die jetzt nach der „Freiheit der Religionsausübung“ schreien. Und dieser einfachen Lösung haben die SchweizerInnen gerade einen Riegel vorzuschieben versucht.
Helke Sander © Dezember 09
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13 Kommentare
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12.12.2009 um 19:34 Uhr Duerr
Danke, Helge Sander, für diesen Kommentar!!
Ich habe zwar Nein gestimmt, weil Bauvorschriften nicht in die Verfassung gehören, aber das ist eine andere Diskussionsebene.
Hingegen kommt mir der moslemische Missionseifer unter den hier lebenden - und wie Sie richtig feststellen - meist wenig religiösen Moslems auch seltsam vor!
Zur Toleranz: Die katholischen und protestantischen Minarette SIND Zeichen der Macht, und gerade die Schweiz hat diese Macht z.T. auch über Verfassungsartikel beschnitten: Es gab bis in die 70-er Jahre ein Jesuitenverbot und einen sog. Bistumsartikel, der dem Papst verbot, die Bischöfe in der Schweiz eigenmächtig zu bestimmen.
Als ich jung war, war es “verboten” mit den reformierten Jungs der Nachbargemeinden Freundschaft zu schliessen; der reformierte Metzger im Dorf konnte trotz erstklassiger Ware nicht überleben; eine reformierte Mitschülerin wurde immer wieder schickaniert (heute: gemobbt). Mit anderen Worten: Sooo tolerant wie gewisse Kreise heute sich geben wollen, sind und waren wir Christen nie!
Zur Burka: Wir alle im Westen tragen eine Burka. Die Burka des Schlankheitswahns. (Die Botschaft ist die Gleiche, nämlich: Verschwindet, Ihr Weiber, aus unserer Männergesellschaft - es sei denn, wir haben Unterleibsmigräne, die Unterhosen müssen gewaschen werden oder wir haben ein Bobo!) Es gibt noch mehr Burkas: Das Alter, die Falten, der BH, die Kleider, die Kinderbetreuung….!!
Die Burka gehört verboten - nicht nur wegen der Frauen - sondern aus Sicherheitsgründen, weil sich darunter jeder Halunke/Attentäter verstecken kann, wie das in Afghanistan und Pakistan zunehmend auch gemacht wird.
Was die Beachtung der Menschenrechte betrifft, so haben wir Christen es den Moslems bestenfalls vorgemacht, und vorläufig haben die Moslems wohl noch bei Weitem nicht so viele Frauen und Männer ermordet, wie die Christen in der Vergangenheit. Die Notwendigkeit, Menschenrechte überhaupt erklären zu müssen, ist die öffentliche Bankrotterklärung der christlichen Religionen! (Aber es ist immer so: Wenn vor der eigenen Türe soviel Dreck liegt, dass man hintenherum aus dem Haus muss, wischt man SEHR gerne vor der Türe der anderen….)
lg
Duerr
12.12.2009 um 18:40 Uhr Judith Rauch
Die Debatte, ob das Minarettverbot feministsch zu begründen ist oder nicht, beschäftigt auch die Journalistinnen im Watch-Salon-Blog des Journalistinnenbunds: mit durchaus unterschiedlichen Standpunkten. Wir freuen uns über weitere Kommentare:
http://www.watch-salon.blogspot.com/
12.12.2009 um 10:47 Uhr Evelyn
Ich stimme der Analyse von Helke Sander voll zu. Die Minarettabstimmung war ein Zeichen gegen die Menschenfeindlichkeit, da Frauenfeindlichkeit, des Islam. Auch inmitten von Deutschland findet die Grundgesetzübertretung täglich statt und einen ausreichenden Dialog der Politik mit den (männlichen) Islamvertretern darüber kann ich nicht erkennen.
11.12.2009 um 21:50 Uhr Katja
Die Alevitische Gemeinde Deutschlands hat eine sehr differenzierte Pressemitteilung herausgegeben, die mal wieder zeigt, dass es “den Islam” nicht gibt.
Ich finde es wichtig, dass es in Deutschland mal eine Debatte darum gibt, welche muslimischen Strömungen grundgesetzkompatibel sind und welche nicht. Und dann gibt es eben nicht einen Staatsvertrag, sondern einen mit den Aleviten und erstmal keinen mit den Sunniten und Shiiten.
Dann müssen Muslime in Deutschland genauso wie Christen sich einer Gemeinde zugehörig erklären. Unter Umständen lösen sich viele Probleme dann von selbst, weil sich z.B. rausstellt, dass viele Verbände Sprachrohr nur für eine verschwindend geringe Minderheit sind - und gar nicht als Verhandlungspartner für Politik und Gesellschaft geeignet.
11.12.2009 um 13:31 Uhr Antje Grabenhorst
Wie sich verhalten? Das hat sich auch ein marokkanischer Freund von mir gefragt, als sich ein ähnliches Paar wie von Helke Sander geschildert, auf einer belebten schmutzigen Berliner Straße zum Gebet nieder warf.
Langfristig helfen nur weltliche Bildung und Kultur. Wer Jugendeinrichtungen schließt, läuft Gefahr den Moscheevereinen das Feld zu überlassen. In Berlin sollen so gut wie alle kommunalen Jugeneinrichtungen geschlossen werden. Wo bleibt die Volksabstimmung?
Es gibt in Deutschland Persönlichkeiten, die konstruktiv zu den von Helke Sander aufgeworfenen Fragen wirken könnten, denn sie kennen islamisch geprägte Gesellschaften von innen. Ihnen sind sie nach Deutschland entflohen, weil die BRD in arabisch sprachigen Ländern den Ruf eines säkularen demokratischen Staates hat, in dem Frauen und Männer partnerschaftlich zusammen leben und arbeiten. Genau das wollten sie. Viele haben kein Asyl gekriegt und leben illegal hier. Manche haben sich mit deutschen Staatsbürger/Innen quasi zwangs-verheiratet, um Aufenthaltsrecht zu bekommen, kriegen aber beruflich kein Bein auf die Erde, weil ihre nicht-deutschen Diplome nicht anerkannt werden, oder weil ihnen antiarabische Vorurteile entgegengeschleudert werden. Statt positiv zu wirken, leben sie am Rand der Gesellschaft und sind dort mit ihrem Überlebenskampf beschäftigt.
Aber jetzt zur Finanzierung: Konservative monotheistische Kreise arbeiten weltweit zusammen. “Führende US-amerikanische Kreationisten nahmen 1998 am Gründungskongress der türkischen Stiftung für ‘Wissenschaft und Forschung’ (BAV) teil.”, so Harald Brand am 7.8.09 im Deutschlandfunk-Dossier “Fossiles Denken als Gottesbeweis - Die Allianz christlicher und muslimischer Kreationisten”. Mittels Religion sollen Gehorsam und Leichtgläubigkeit eingeübt werden. Religion ist, wie auch Sloterdijk erkannt hat, ein Trainingssystem. An der Verdummung der Gesellschaft haben auch gewisse Wirtschaftskreise Interesse. Damit dürfte die Finanzierung kein Problem sein.
Mit friedlichen und sehr weltlichen Grüßen
Antje Grabenhorst