Mehdorn, Mann meiner Träume
von Helke Sander
(Diese Glosse habe ich Anfang März 2009 geschrieben, also noch vor dem Rücktritt des wohl meist gehassten Konzernchefs Deutschlands. Durch ihn mussten die Bundesbürger auf die harte Tour lernen, dass es bei einem „erfolgreichen Bahnmanagement“, das Herrn Mehdorn nach wie vor nachgesagt wird, nicht etwa darum geht, das Reisen für alle angenehmer zu gestalten. Wer ein Auto hat, hat es aufgegeben, auf die Bahn umzusteigen. Die Älteren erinnern sich inzwischen mit Sehnsucht an Zeiten, als pünktliche Züge noch an kleinsten Bahnhöfen hielten, die Preise jahrelang stabil und bezahlbar waren sowie an Fahrkarten, die weniger als die Größe einer halben EC-Karte hatten.)
Das also träumte ich im März 2009: An einem nasskalten Tag mit eisigem Wind schleppte sich ein Mann mit schwerem Koffer in der einen und Computertasche in der anderen Hand die Stufen zu Gleis 5 im Bahnhof Stendal hoch. Vorher hatte er irritiert feststellen müssen, dass es auf dem relativ großen Umsteigebahnhof Stendal weder einen Fahrstuhl noch eine Rolltreppe und auch kein Laufband für das Gepäck gab, und er sah auch niemanden, der ihm hätte helfen können, denn das ganze Bahnpersonal inklusive der Schließfächer war vor einiger Zeit abgebaut worden. Sein Rücken schmerzte. Er war es nicht gewohnt, selber etwas zu tragen. Als er gerade oben war, knackte es im Lautsprecher und eine Frauenstimme bellte, dass der Zug voraussichtlich eine Verspätung von 25 bis 30 Minuten haben würde. Herr Mehdorn, der war es nämlich, entschied sich nach einigem Zögern dagegen, für die Wartezeit und zum Aufwärmen zurück ins Bahnhofsgebäude zu gehen. Dafür hätte er nämlich Koffer und Computer den ganzen Weg von Bahnsteig 5 die Treppe runter durch den Tunnel, Treppe hoch zu Bahnsteig 1 und Ausgang schleppen müssen und gegen Ende der Verspätung alles noch mal von vorne. Er entschied sich für das kleinere Übel Frieren und zog seinen Schal fester. Er würde ein bisschen hin und her laufen. Davon nahm er allerdings Abstand, als er fünfzig Meter weiter Claudia Roth entdeckte, der das Lachen mal vergangen war und die vor Empörung bebte. Die Kälte, ihre rote Nase und die tränenden Augen empfand sie als persönliche Beleidigung, und darum drehte sie sich mit großer Geste von Herrn Mehdorn, den sie ihrerseits erkannt hatte, weg und murmelte was von „NACHSPIEL HABEN“. Das Wegdrehen war also gleichzeitig und gegenseitig. Auch Herr Mehdorn wollte Frau Roth ganz und gar nicht begegnen. Dann aber sah er zu seinem Entsetzen auf seinem und auch auf den gegenüberliegenden Bahnsteigen - verteilt neben normalen in Geduld und warme Kleidung gehüllte Reisende - Spitzenvertreter aller Parteien von einem Bein auf das andre treten und geradezu ungläubig und konsterniert feststellen, dass sie sich wirklich in einer derart unwürdigen Situation befanden: Auge in Auge mit der Bevölkerung und den gleichen Unbilden ausgesetzt.
Was war geschehen? Aus irgendeinem Traum-Grund funktionierte kein Auto, vielleicht waren die Chauffeure im Streik oder das Benzin war ausgegangen oder irgendjemand hatte allen Spitzenkräften Langsamkeit verordnet und ihnen befohlen, Realität zu schnuppern – da keuchte sogar die Kanzlerin die Treppe hoch – und verboten, sich zu wichtigen Terminen mit Privatautos und Privatjets bringen zu lassen. In Norwegen hatte das mal die Regierungschefin durchgesetzt, die um 17.00 Uhr mit dem Regieren aufhörte und zu ihren Kindern ging und das auch von ihren Ministern verlangte. Die waren zunächst vollkommen außer sich, denn sie waren es gewöhnt, ihre Unentbehrlichkeit zu inszenieren und glaubten selber daran. Nun mussten sie nach Hause, sich mit den Kindern befassen und den Abwasch machen. Aber der Erfolg gab der Regierungschefin Recht: Konfrontiert mit den praktischen Problemen der Bevölkerung und ihnen selber unterworfen, kamen ihre Mitregenten plötzlich in vielen Fragen auf einfache und praktische Lösungen, ganz ohne Leibwächter und Staatskarossen. Ich wachte irgendwie ganz befriedigt in dem Moment auf, als die Verspätung um weitere 20 Minuten durch die Lautsprecheransage verlängert wurde und sah gerade noch das wutverzerrte Gesicht von Herrn Mehdorn, der nicht wusste, auf wen er schimpfen sollte.
Da hatte ich es ihm aber gegeben! Und ich fragte mich beim Aufstehen, wie so ein Mensch diese geballte vieltausendfache Wutenergie, die täglich aus unzähligen Herzen und Hirnen auf ihn eindringt und die er doch eigentlich fühlen muss, verkraftet. Er müsste doch zumindest beim Rasieren sehen, wie er täglich immer hässlicher wurde in dieser seiner Amtszeit und mal über die Gründe nachdenken.
Alles was nicht klappte bei der Bahn, hatte eines Tages eine Adresse: Herr Mehdorn. Selbst das, wofür er nichts konnte, wurde ihm angekreidet. Und ganz unbemerkt wurde ein Wunsch bei allen meinen vielen Bahnfahrten zum ständigen Begleiter: Möge er doch selber tagtäglich und wörtlich genommen erfahren, was er unsereiner zumutet.
Heute mal ein Beispiel aus Uelzen. Der berühmte Hundertwasserbahnhof Uelzen mit seinen krummen und unebenen Kacheln auf dem Boden, gefürchtet von allen Leuten mit Gehbehinderungen. Ein Bahnhof, in dem sogar der Toilettenbesuch einen Euro kostet, da auch die Toilette als Kunstwerk besichtigt werden kann und es durchaus passiert, das auf der Damentoilette ein Mann rumlungert, der auf Befragen antwortet, dass er hier nur die Architektur bewundern will. Momente, in denen eine die Mordlust überfallen kann.
Neben dem Bahnhof steht ein Parkhaus mit zwei Etagen: eine ebenerdig und darüber gibt es Abstellflächen auf dem Dach. Das Gebäude ist ungefähr 200 Meter lang mit Zu -und Abfahrt in der Mitte. Die drei Frauen- und zusätzliche Behindertenparkplätze gegenüber der Einfahrt sind immer belegt, außer an den Wochenenden. Dann ist das Parkhaus aber sowieso nahezu leer und jeder Mensch, der auch dann mit der Bahn fahren will und vor allem jede Frau, sieht zu, dass sie ihr Auto möglichst nahe an den Fußgängerweg ganz links zum Bahnhofseingang stellt und nicht in die für sie vorgesehene Mitte des Parkhauses, von der sie ja noch hundert Meter zu gehen hätte, bis sie, möglicherweise mit schweren Koffern, die Treppen vom Parkhaus hinunter zum Bahnhof steigen muss. Es sind nicht viele Stufen, aber immer noch so viele, dass sämtliche bekannten Flüche einmal ausgesprochen werden können und Strafen für die zuständigen Architekten (ich kann mir nicht vorstellen, dass hier eine Architektin am Werke war) und städtischen Genehmigungsbürokraten erdacht werden könnten. Z.B. solche, dass die Verursacher dieser sinnlosen Gestaltung, denen nicht einmal eine Rampe für Koffer, RollstuhlfahrerInnen oder Kinderwagen eingefallen ist, mindestens 14 Tage täglich 8 Stunden schwere Koffer vom Bahnhof ins Parkhaus und zurück schleppen müssten. Aber wer ebenerdig parken kann und sei es auch an dem anderen Ende mit einem mindestens 200 Meter langen Weg zum Bahnhof, ist noch gut dran. Wer auf dem Dach einen Platz erwischt hat, muss nun sehen, wie sie es mit Kinderwagen, Koffern, Krücken, Rollator usw. die schmalen Treppen hinunter vom Dach ins Erdgeschoss schafft, von dem aus natürlich noch die schon geschilderten Stufen zum Bahnhof folgen.
Tagsüber ist das schon kaum zumutbar. Aber zusätzlich beängstigend ist es bei Dunkelheit. Da entfaltet sich erst richtig die ganze planerische Inkompetenz. Die schmalen Treppen sind nämlich nicht frei einsehbar vom Parkhaus, sondern verstecken sich hinter einer Art Paravent. Im Erdgeschoss liegt zwar die Treppe frei, aber unmittelbar dahinter steht als Sichtschutz eine Wand, hinter der sich unangenehme Zeitgenossen verstecken könnten.
Vor dem Haupteingang gibt es verschiedene Kurzparkplätze, hauptsächlich für Leute, die Reisende abholen oder Fahrkarten kaufen wollen. Auf dieser Seite ist tatsächlich ein intelligenter Mensch auf den Gedanken gekommen, bei den Kurzparkern drei Parkplätze für Behinderte relativ nah zum Haupteingang einzurichten, in der gut gemeinten Absicht, ihnen einen langen Weg zu ersparen. Offenbar war die gleiche Person aber nicht zuständig für das Aufstellen der Parkuhren. Denn die armen Behinderten müssen nun, wenn sie ihre Parkgebühr bezahlen wollen, einen weit längeren Weg zurücklegen als die Nichtbehinderten: zunächst knapp hundert Meter zurück laufen oder rollen, um die Parkuhr zu bedienen und auf dem Weg zurück auch noch eine Anhöhe bewältigen.
So füllt man sich schon zu Beginn einer Reise mit Wut auf. Der einzige Lichtblick sind die Leute an der noch existierenden Fahrkartenausgabe. Sie sind die nettesten, höflichsten, kompetentesten Menschen an Schaltern, die man sich nur vorstellen kann. Sie benehmen sich so, als wollten sie die ganze Unfähigkeit der Leitung aus Scham kompensieren.
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