Lena Vandrey: Sancta Etcetera - Abschluss mit Maria
Sancta Etcetera: Abschluss mit Maria Maria schwebt über uns auf ihren Knien
Anekdotenbiographie
Es gibt in der Provence ein berühmtes – nur in selbiger berühmtes – Gemälde des Malers Enguerrand Quarton, nämlich „Die Krönung der Jungfrau“ (1454) – Museum Pierre du Luxembourg in Villeneuve-les-Avignon.
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Auftragsarbeit von Äbten und Mönchen, welche ihre Göttin virtuell einkleideten, rührender-weise Anzieh-Puppe spielten, obwohl sie doch, in weiblicher Bekleidung unerfahren, es gar nicht hätten tun dürfen. Wie viele Meter von weißem feinen Linnen verwandt werden sollen, und was an purpurnen und lapislazuliblauen Wollstoffen von feinster Webart, und welche Spitzen und welchen Schmuck und überhaupt, welche Tücher, das edel Stoffliche, alles ist im Vertrag genannt und auf das Genaueste fein säuberlich festgehalten. Das Ganze heißt : der Mach-Preis und mutet an, als ob der Maler diese Ware wirklich kaufen sollte zum Zwecke des Konterfeis. Was gut möglich ist. Eine Auflage hieß, dass die zwei Figuren, welche Maria krönen, identisch sein sollen, Vater und Sohn als Zwillinge. Der Vater wird von links auf rechts transponiert in einer kompletten Computer-Kopie. Gottvater und Sohn sehen wir als bärtige Jünglinge mit genüsslich halb-geschlossenen Augen nach gotischer Fassung und genauso genüsslichen Lippen. Die Krone halten sie ein wenig über Mariens Kopf, um ihr nicht gleich wehzutun. Beide tragen gleiche Sandalen auf gleichen Füßen, die Nägel sind soigniert, die Bärte wollig und sauber. Sancta Maria ora pro nobis ! Was macht sie ? Ein verdrossenes Gesicht ! Auch halb-gotische Augen, wie alles, was von Ferne gesehen wird. Drumherum und darunter allerhand Leute mit runden Augen, was wohl ihr Staunen ausdrücken soll. Damit ist die Auftragsarbeit beendet; der Künstler nimmt sich ein wenig Platz für eigene Ideen ein wenig darunter. Auf blauer Leinwand Christus-im-Kreuze und Engel, die da die Seelen retten. Seine auch ? Könnte es eine Andeutung sein ? Haben sich die Christen mit Jesu Seele jemals befasst ? Und Maria, welch’ war ihr Denken ? Maria ist auch die Königin der Hölle und diejenige große Frau, von der es heißt, dass sie eines Tages der Schlange den Kopf zertreten würde : Ave-Eva-Maria. In der Hölle oder darüber sehen wir Engels-Skelette, welche an einem gelben Bein sehr fleischliche Sünder aus dem hitzigen Pfuhl zu ziehen trachten. Die meisten Sünder sind vertreten, jedoch nicht alle – wie könnte man Neid verbildlichen ?! Dieses letzte Drittel eigenen Denkens enthält ein paar großartige Stellen des christlichen Romans. Meine Aufgabe war, eine bildliche Lektüre dieses Gemäldes zu veranstalten – und es kam genau umgekehrt : „Die Krönung der Jungfrau“ von Quarton erklärt meinen Zyklus Magma Magna Maria, und nicht meine Arbeit erläutert das berühmte Bild… So geschieht es oftmals bei doch den besten Absichten, weil Absichten eben Ab-Sichten sind. Alles in allem habe ich die Welt dargestellt, in welcher Maria lebte, dieses Gleichzeitige von Stillstand und rasender Bewegung, eine Landschaft des Stupors, der animalischen Vereinigung von Sanftem und Wildem, vom tiefsten Nicht-Wissen zur Eindeutigkeit ; ein Magma, ein Labyrinth. Wer ist Maria ? Für die Protestanten ein Niemand – von ihrem Sohn „zurechtgewiesen“. Aber : „Er hat trotzdem getan, was sie wollte“, sagen die Katholikinnen, ein Mensch, Vermittlerin zwischen ihrem und einem unbegreiflichen, unsichtbaren Gott und seinem toten Sohn. Die einzige Adresse, die wir haben.
Für die evangelische Bischöfin ist Gott „Vater und Mutter zugleich“, worin wir wieder eine Gleichzeitigkeit sehen können, ein unverschämtes Novum und eine perverse alte Kamelle ; Reduzierung auf das Primitivste, Ausklammerung der Frauen, und Maria katapultiert ins Nichts. Und was sagt die Zeugin Jehovas ? Maria war eine einfache, unbedeutende Frau, die sich erst nach der Kreuzigung bekehrte, ein Irgendetwas, ein Niemand, aber dann urplötzlich murmelt sie und wendet das Gesicht ab. Sie war wohl Ischtar – ist das nicht fürchterlich ??! Fürchterlich allein ist, was mit Ischtar geschah, und um hin und wieder ihre Gegenwart zu preisen, gibt es hier und dort gekreuzigte Marien mit Bärten. Diese Bärte waren das Macht-Symbol der großen Göttin, sie wurden mit zwei Henkeln an den Ohren befestigt. Diese Ohren müssen groß gewesen sein, um die schweren Wolle-Locken zu tragen ; wir denken an Indien, an Elefanten, an die Göttin Kali, an Astarte – das alles war sie – aber ein Vater war sie nicht, denn Väter gab es in diesem Sinne gar nicht. Wir können das Ding also nicht umdrehen, um der Bischöfin in ihrer Umkehrung halb und halb Recht zu geben.
Logisch gesehen war Anna die große Göttin. Sie bekam unbefleckt-parthenogenetisch eine Tochter, ein gradliniges, matriarchalisches Ereignis. Auch war Anna voll von Freude über diese Geburt und gab ihre Tochter als kleine Gottheit gleich in den Tempel, woraus die Menses sie dann vertrieb, was das Ende des Matriarchats bedeutete, die Projektion von Unreinheit auf weibliche Wesen. Annas Tochter wurde ein Gebrauchsgegenstand der Kirche und ihre Geschichte verfälscht. Laut hebräischen Quellen, die sich wiederum nach protestantischen richten, wurde Maria in ihrem zwölften Jahr von einem Cousin vergewaltigt. Hieß er nicht zufällig Gabriel ? Ein Tier hat mich überkommen ! Und aus dem Tier macht die Seele einen Engel, denn ein Menschenmann kann es doch nicht sein ! Maria eröffnet sich ihrem Verlobten, welcher die Flucht vorschlägt, denn sonst wären sie beide gesteinigt worden. Dieser Tatsache verdanken wir Christus und den Anfang des christlichen Gottes, welcher von Ischtar-Kali-Anna Hoffnung, Milde, Sterne und Leben sät und unserer Bischöfin Recht gibt. Jehova hat sich Ischtar einverleibt, und wer auf Maria beharrt, ist eine störrische Ketzerin und negiert die göttliche Anstrengung zum Transsexuellen, ob es uns nun gefällt oder nicht. Die Iren waren die letztbekehrten Leute. Als eines Tages die römischen Mönche kamen, sagten sie : Eure große Göttin, Edna-Gretna, grüßt euch, sie ist am Leben ! Wie schön, sagten die Iren. Aber sie war auf Reisen und trägt einen anderen Namen jetzt. Das kommt vor auf Reisen, sagten die Iren. Und wie heißt sie jetzt ? Maria, sagten die Mönche. Hübsch, sagten die Iren : Mary ! Merry Mary ! Jaaa, aber – sagten die Mönche – das kleine Töchterchen, das ist jetzt ein Knäblein ! Ihr habt wohl nichts gegen ein Bübchen ? Aber wie könnten wir denn, sagten die Iren, ein Kind ist ein Kind ! Den zweiten Teil der Geschichte behielten die Mönche vorsichtig für sich. Dieses Gräueldrama wurde erst später aufgedeckt – zum Entsetzen der Iren. Aber wie es so oft ist, wenn wir auf eine Fälschung hereingefallen sind, will es der Stolz, will es die Ehre, dass wir dazu Ja und Amen sagen. Und deshalb gibt es zwei Geschichten, eine freudige von Mutter und Tochter und eine tieftraurige von Mutter und Sohn. Dass der Weg zu Gott-Vater über den Mord an seinem Sohn führen musste, sollte nachdenklich stimmen, wie alle Konkurrenz-Fragen : Wir haben die Wahl zwischen einer lebendigen Frau und einem toten Mann, und so teilen sich die Geister. Protestanten sind Alt-Ägypter mit ihrem Totenkult; Katholiken sind Heiden mit dem Ischtar-Kult aus dem Land nebenan. Die Toten aber, so scheint es, besitzen sehr viel mehr Macht. Tragisch.
Und gerade weil es tragisch ist, sollten wir mit Humor rekapitulieren : Protestantische Feministinnen haben darauf gedrungen, dass Jesus eine Frau sei. Resultat : Gott wird eine Transsexuelle. Maria ist nicht mehr vonnöten. Katholische Feministinnen pflegen den Marien-Kult und damit die Erinnerung an alle großen, heiligen Frauen, Nonnen, Stifterinnen von Schutzklöstern und genialen Werken, aber in ihrer Kirche gibt es außer Maria keine andere Frau von göttlicher Bedeutung. Sancta Anna fällt unter den Tisch. Sie brachte ihrer Tochter das Lesen bei. In der hebräischen Buchkultur etwas völlig Unübliches, und sie freute sich ! Erwähnen wir doch noch einmal diese Freude bei der Geburt einer Tochter ! Hätte diese so arg seltene Tatsache die evangelischen Feministinnen nicht zum Stutzen bringen sollen ? Anna mit ihrer Tochter Maria : Da ist Freude und Leben ! Da sind zwei Frauen, die sich lieben. Ein wirkliches Vorbild ! Könnten uns die etwaig transsexuellen Komponenten von männlichen Gottheiten nicht indifferent sein ? Wer sucht nach Männlichkeit bei Anna und Maria ? Ischtars Bart auf Maria bedeutet keine Männlichkeit, sondern ein Kostüm. Was mögen die Protestantinnen an Maria nicht ? Die Darstellung ! Finden sie besser den eisgrauen Greis Jehova, der dem jungen nackten Adam die Fingerkuppen reicht ? Nun könnt ihr vergleichen : Anna, das Buch, das Mädchen, Schutz und Wissen, und den hingegossenen jungen, unbeweibten Mann Adam und sein fernes Idol, Idealvorstellung des Künstlers auf Vatersuche. Wen suchen wir ? Adams Gott oder Mariens Mutter ? Für uns ist es leicht : Ihre Statue ist an der Hauswand befestigt und durch nichts herunter zu bekommen. Ihre Hand auf der Schulter der Tochter : Das ist Religion. Diese beiden sind verbindlich gültig.
Sancta Etcetera ist eine seltsame Fremde, der alles zukommt über Träume und Briefe … eine Allheilige ist Sancta Etcetera, die wir der Panoplie hinzufügen …
Marginalie : Ares wurde von Hera ohne männliches Zutun geschaffen und am Tage von Mariä-Verkündigung geboren : Mariares …
@Lena Vandrey 2011.
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