Hurra, wir kriegen eine Moschee… – ob wir wollen oder nicht
Aber warum sollten wir wollen? So fragt Richard Kelber im nachfolgenden Beitrag aus Alternative Kommunalpolitik, Heft 2/1997. Er will Religionen die Weiterentwicklung zu einer humanen und demokratischen Gesellschaft abverlangen. Davon sei der Islam weit entfernt.
„Tabubruch“ ist ein grünes Steckenpferd geworden. Vor allem zum Beweis der Regierungsfähigkeit. Beides interessiert mich nicht. Statt dessen tue ich einfach einmal so, als hätte ich es bei Ausländern mit Menschen zu tun, an deren Vorstellungen vom Leben ich Fragen zur zivilen, säkularen, demokratischen und humanen Entwicklung unserer Gesellschaft stellen darf – wie Dir und mir.
Infas hat in einer Studie „Wohn- und Lebenssituation der Ausländer – Eine Befragung von Deutschen und Ausländern in Dortmund-Nordstadt“ herausgefunden:
• 70 Prozent der deutschen Haushalte leben in Gebäuden ohne ausländische Mieter. • Die Hälfte der befragten Deutschen hat am Arbeitsplatz keinen Kontakt zu Ausländern. • Italiener, Spanier und Jugoslawen setzen übereinstimmend das Fehlen eines nationalen kulturellen Zentrums an die erste Stelle ihrer Mängelliste. • Fast alle befragten Dortmunder Ausländer lesen regelmäßig eine heimatsprachige Zeitung. So informieren sie sich sowohl über das Geschehen im Herkunftsland wie über deutsche Ereignisse.
Von „Multikulturalität“ künden diese Untersuchungsergebnisse nicht gerade. Was nicht daran liegt, daß sie aus dem Jahr 1976 stammen. Seitdem hat sich allerdings nicht allzuviel geändert:
• In Duisburg haben 1993 von über 1.000 Moscheebesuchern 97 Prozent erklärt, daß sie keinen Kontakt zu Deutschen haben. • Alle Befragten lehnten eine Verheiratung ihrer Töchter mit einem Deutschen ab. • 87 Prozent der türkischen Haushalte lesen eine türkischsprachige Zeitung. • Deutsche Fernsehprogramme haben in türkischen Haushalten so gut wie keine Bedeutung.
Ist die „multikulturelle Gesellschaft“ also eine Chimäre? Eine Kopfgeburt von wohlmeinend-ausländerfreundlichen RepräsentantInnen der Hochkultur? Ein ideologisches Konstrukt für Alltagsmenschen, die gezwungenermaßen „multikulturell“, also mit Menschen verschiedener national-kultureller Herkunft, leben müssen?
Ein weiterer Blick in die Realität: Wann und wo immer in deutschen Landen ein Kinderspielplatz, ein Behindertenwohnheim oder eine Drogenberatung geplant wird, sieht es so aus, als wäre unser Leben ohne Auto einfacher. Warum sollte das bei der Errichtung einer Moschee anders sein? Laut einer Eingabe an die Bezirksvertretung Dortmund-Eving aus dem Januar 1997 kommen dort die Nachbarn nicht nur „während des Fastenmonats Ramadan nicht zur Ruhe. Ständiger Autoverkehr, Türenschlagen, Hupen und lautes Zurufen“ seien unerträglich, die Straßen zugeparkt und die Einfahrten versperrt.
Das alles reiche an Belästigung völlig aus, da fehle der Gebetsruf des Muezzin gerade noch: „Wenn behauptet wird, der Ruf zum Gebet ist wie das Glockenläuten, so ist das falsch. Die für Nichtmuslime unangenehmen, durch Lautsprecher übertragenen fremden Laute können nicht mit Musik, zu der Glockenläuten gehört, verglichen werden.“ Eine solche Mixtur aus Eigennutz, Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit verdient neben der Moschee noch mindestens je einen Kinderspielplatz, ein Behindertenheim und eine Drogenberatung.
Die Politik und der Muezzin
Aber es sind nicht nur „die Leute auf der Straße“, die gemeinen, die eher selten mit einer demokratischen Handlungsperspektive streiten. Auch im „politischen Raum“ schlagen die Obsessionen muntere Kapriolen. Im Frühjahr 1995 hat eine muslimische Gemeinde in Dortmund den Antrag auf Errichtung einer Moschee in einem ehemaligen Kino gestellt. Für SPD, CDU und Grüne die Chance, eindrucksvoll zu beweisen, daß ihre Stadt „multikulturell“ ist. Sie haben sie genutzt.
Haben wollte das Religionshaus keine Partei. Die SPD redete sich – taktisch vermeintlich klug – auf eine erhöhte Verkehrsbelastung aus der göttlichen Bredouille. CDU und GRÜNE meinten, es gehe nur um religiös bemäntelten Rechtsextremismus. Über die Moschee entscheidet schließlich das Baurecht, über den Gebetsruf das Immissionsschutzgesetz. Und dann das Verwaltungsgericht. Und zwar allgemein und gleich. Das ist allerdings noch nicht bei allen Christenmenschen angekommen.
Wir leben in einem Land, in dem die Säkularisierung leidlich gelungen ist. In dieser Situation stehen wir einigermaßen fassungslos vor dem Phänomen, daß Muslime sämtlicher Generationen das grundgesetzlich verbürgte Recht auf Ausübung ihrer Religion einfordern „wie die Christen“. Das ist kein Fortschritt, und wir staunen mit Kemal Atatürk, dem Fo(e)rderer staatsfreier Religion und des religionsfreien Staates, Bauklötze.
Um so mehr brauchen wir die offene Debatte darüber, wieviel Staatsnähe sich die Gesellschaft für die Religionen leisten und ob sie diese nicht insgesamt – wie für die Sekten, die ja vor allem wegen ihrer geringen AnhängerInnenschaft so heißen – zur Privatsache erklären will.
Schließlich ist es nicht (nur) so, daß die Muslime für ein säkularisiertes Verständnis privat und in ihrer Moschee ein bißchen sehr religiös sind. Sie möchten ihre moralisch-religiösen Maßstäbe ganz gerne zu gesellschaftlichen erheben, leben mithin eine „politische Religion“. Das hatten wir schon einmal – mit dem Christentum. Insofern haben uns die Muslime Teile unserer alten Welt, die wir längst überwunden wähnten, zurückgebracht. Das gefällt uns gar nicht. Aber muß es das denn? Müssen wir diesen Re-Import der alten Welt hinnehmen – und auch noch „multikulturell“ toll finden? Oder haben wir das Recht, für Emanzipation, wie wir sie verstehen und erreicht zu haben glauben, auch mit ausländischen Muslimen zu streiten?
„Politische Religion“ contra Emanzipation
Denn es ist sicher nicht verwegen, festzustellen, daß bei diesen von den bürgerlich-revolutionären Errungenschaften „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ mal gerade die Brüderlichkeit angekommen ist. Allerdings halten wir mittlerweile „Geschwisterlichkeit“ für die allgemein-menschlichere Perspektive.
Bassam Tibi greift deshalb meines Erachtens zu kurz: „Allgemeine Forderungen der Toleranz auch gegenüber Islamisten sind purer Unsinn. Damit würde die Identität des demokratischen Staatssystems in Europa, säkular zu sein, aufgegeben werden.“ Eine Gesellschaft, die sich rational oder gar vernünftig organisieren und damit Willkür ausschließen will, muß religiöse Bestrebungen in die Schranken verweisen. Gläubige verzichten, so absurd das klingt, mit Willen und Bewußtsein auf Rationalität. Ihr Glaube ist konstitutionell nichtrational. Und in der Tendenz nicht nur missionarisch-einnehmend, sondern, wenn die Gesellschaft keine Grenzen setzt, totalitär.
Da macht der Islam – jenseits des „Islamismus“ – keine Ausnahme, diese „äußerst tolerante, ja toleranteste Religion und Weltanschauung“, wie sie ihre Vertreter loben. Was irgendwie einleuchtet, denn weiter predigen diese: Jeder Mensch sei als Muslim geboren und erst durch ein anderes Bekenntnis von diesem Glauben abgefallen. Christen und Juden müßten einfach wieder Muslime werden, dann sei die Verständigung kein Problem.
Anders als selbst die – aufgrund gesellschaftlicher Kontrolle und abnehmender Gläubigenschar – weitgehend zivilisierte katholische Kirche kennt der Islam, obwohl nicht annähernd so zentralisiert, keinen legitimen Glaubensstreit. Wer als Mullah die Macht dazu hat, redet in solchen Fällen von „Ketzern“ und „Abtrünnigen“. Und haut mal eben zur Glaubensrettung eine Fatwah raus. Stellt sich damit, wie Eberhard Seidel-Pielen meint, „die Frage, wieviel Mut zum Konservativen (die deutsche Gesellschaft) bei der Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft“ aufbringt? Oder ist Mut auch in diesem Fall mangelndes Bewußtsein vom Risiko und nicht unbedingt rational oder gar vernünftig?
Was würde es „multikulturell“ helfen, wenn der Satz, Islam und Demokratie seien miteinander nicht vereinbar, nur deshalb Berechtigung hat, weil gilt: Religiöser und demokratischer Staat geht nicht? Mohammed Arkouns Urteil ist gut begründet: „Anders als die europäischen Gesellschaften hat der Islam kein intellektuelles Terrain vorbereitet, um die religiöse Sphäre verlassen zu können.“ Also geht es nicht um „Mut zum Konservativen“, sondern um die Verteidigung dessen, was „Multikulturalität“ im besten Sinne ist, gegen das, was am Islam nicht konservativ ist, sondern reaktionär.
Zum Beispiel die Stellung der Frau in islamisch geprägten Gesellschaften/Staaten. Tansu Ciller hin oder her – Frauenemanzipation ist dem Islam ein Fremdwort. Und obwohl es nicht gerne gehört wird: Das Kopftuch ist dafür ein schönes Beispiel. Es signalisiert die Rückkehr der alten Welt in die neue.
Denn das Kopftuch war auch in Deutschland lange Zeit Teil des Stolzes und der Würde der Frauen – und Zeichen der Zuständigkeit für Kinder, Küche, Kirche. Auch in Deutschland war die kopftuchtragende Frau in der Familie „stark“ und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Auch damals wollten viele Frauen ihre Stellung in der Gesellschaft nicht verändern. Heute wissen wir es, wenn schon nicht besser, so doch anders: Sie wollten durchaus, es hat nur gedauert, bis sie sich einigermaßen durchsetzen konnten. Bis hin zur freien Ehegattenwahl – 1997 in Duisburgs Moscheen gänzlich unbekannt.
Gleichberechtigung gilt hierzulande für alle. Für Männer wie Frauen. Der Koran ist da nicht ganz so demokratisch. Ihm sind die Frauen ausdrücklich gleichwertig. Ein „nur“ liegt auf der Zunge.
Die Quotierung etwa gilt als Beitrag zur Emanzipation der Frau. Ein Blick in die Ausländerbeiräte wirkt ernüchternd. „Die Hälfte der Menschheit“ islamischen Glaubens ist von der Mitwirkung ausgeschlossen. „Wenn sich eine Gesellschaft damit begnügt, daß von beiden Geschlechtern nur eines die Errungenschaft des Jahrhunderts erwerben kann, dann bleibt die Gesellschaft zu mehr als der Hälfte schwach.“ (Atatürk)
Kultur der Menschenrechte
Die liberale bis linke Öffentlichkeit neigt bei Verletzung von Menschenrechten und Menschenwürde zum Ruf nach dem Staat, nach seinen Möglichkeiten zu verbieten und vorzuschreiben. Das kann der Weisheit letzter Schluß nicht sein. Es gibt andere Wege, länger und anstrengender. Die christliche Kirche hat sich – weitgehend – überlebt, weil die Menschen von ihr keine sinnvolle Botschaft mehr zu erfahren mein(t)en. Die Emanzipation von der Religion bedarf also nicht des staatlichen „Segens“.
Die Duisburger Umfrage unter Moscheebesuchern aus 1993 hat in diesem Sinne ergeben, daß die rechtliche Gleichstellung der MigrantInnen es islamisch-extremistischen Vereinigungen erheblich erschweren würde, religiöse Bedürfnisse politisch für sich zu nutzen. Was aber die geschilderten Probleme des „nichtislamistischen Islam“ nicht löst.
Selbstverständlich soll niemandem die Möglichkeit genommen werden, an wen oder was auch immer zu glauben und dazu zu beten. Es kommt darauf an, die Religionen zu zivilisieren, ihnen die Mitwirkung an der Weiterentwicklung einer säkularen, demokratischen und humanen Gesellschaft abzuverlangen, die mit den hohen Ansprüchen einer sich auf die Menschenrechte berufenden Kultur vereinbar ist.
Dazu gehört, daß alle Religionsgemeinschaften, die sich diesem Anspruch stellen, ihre Räume nach den allgemein und gleich geltenden Gesetzen erhalten. Und dazu gehört auch, daß die christlichen Kirchen ihre Privilegien abgeben (müssen). Dabei ist das geringste Problem, ob die Kirchenglocken bimmeln oder der Muezzin ruft – einmal in der Woche oder fünfmal am Tag. Obwohl das ziemlich überflüssig ist. Aber vor allem sollten sich die Religiösen gemeinsam mit anderen um die Gleichstellung aller Menschen bemühen.
Ein wichtiger Beitrag dazu wäre, daß die in diesem Land lebenden AusländerInnen gleichberechtigte PartnerInnen des gesellschaftlichen und – durch Einbürgerung auch per zweiter Staatsangehörigkeit – des politischen Dialogs werden.
Richard Kelber
Richard Kelber, ehemaliger grüner Stadtrat, hat den Koran nicht gelesen. Aber er hat auch die Bibel nicht studiert und trotzdem bis zum 20. Lebensjahr daran geglaubt. Er bezieht sich in seiner Argumentation auf die Worte und Taten der muslimischen Religionsmänner.
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