Herr Grube, kommen Sie zum Bahnhof Schnega!
von Helke Sander
„Schnega Bahnhof“, wie sich der Ortsteil nennt, besteht aus einem Bahnhof und ein paar Häusern in Niedersachsen. Man erreicht ihn von Uelzen aus mit dem Regionalzug nach Magdeburg oder Halle oder umgekehrt von Stendal Richtung Uelzen, und benutzt wird er hauptsächlich von Altmark -und Wendland-BesucherInnen und ein paar Einheimischen. Vor dem Krieg hieß die Strecke Amerikalinie, weil AuswanderInnen aus dem Osten sie auf dem Weg nach Bremerhaven und weiter nach Übersee benutzten.
Der Bahnhof auf der sonst eingleisigen Strecke besteht aus zwei Gleisen in der Mitte und zwei Bahnsteigen an den Seiten. Auf den ersten Blick sieht man diesem Ensemble nicht an, was es an Problemen birgt und an Gefühlen auslösen kann. Im Lauf der Jahre haben sie allerdings allein mich zu mehreren Briefen an den früheren Chef Herrn Mehdorn und den jetzigen, Herrn Grube, angeregt - allerdings, ohne dass ich jemals eine Antwort gekriegt hätte. Das erinnert an die Geschichte eines finnischen Bauern, der seinem Kumpel erzählte, dass er seit längerer Zeit mit dem Kaiser von China korrespondiere, der habe aber noch nicht geantwortet.
Was ist da also los, wo doch eigentlich gar nichts los ist, sondern es nur die beiden Gleise in der Mitte und zwei Bahnsteige an den Seiten gibt?
Um das zu in aller Deutlichkeit zu erfahren, wäre es am eindrücklichsten, wenn jemand zum ersten Mal diesen Bahnhof benutzen wollte, zwar die Abfahrtszeit des Zuges kennt, aber noch keine Fahrkarte hat. Je nachdem, von wo man kommt, ob aus der Altmark oder dem Wendland, wird man entweder auf Bahnsteig 1 oder auf Bahnsteig 2 landen. Zu beiden Möglichkeiten führen jeweils verschiedene Straßen.
Nehmen wir an, Sie landen auf Bahnsteig 1 und wollen nach Uelzen fahren, die Fahrkarte kaufen und sich vergewissern, ob Sie auf dem richtigen Bahnsteig stehen. Normalerweise ist das ja kein Problem. Steht man auf dem falschen Bahnsteig, dann geht man eben zum nächsten. Nicht aber hier.
Sie gucken nach rechts und links und hinten und vorne, sehen aber weder einen Fahrkartenautomaten noch einen Fahrplan, der wenigstens die Frage des Bahnsteigs beantworten könnte.
Ca. hundert Meter vom Eingang/Ausgang, am Ende des Bahnsteigs, sehen Sie einen Unterstand mit Glaswänden. Sie gehen wahrscheinlich hin, um vielleicht dahinter doch einen Automaten zu entdecken, obwohl es eigentlich unwahrscheinlich ist, da die Wände ja aus Glas sind, an das sich nur Gestrüpp lehnt. Also kein Automat, aber immerhin ein offizieller Fahrplan an der Glaswand, der Ihnen sagt, dass Sie auf der richtigen Seite stehen.
Sie wollen aber bezahlen. Auf der anderen Seite, also auf Bahnsteig 2, sehen Sie einen Automaten. Der steht neben dem Wetterhäuschen, das, anders bei Ihnen auf 1, gleich neben dem Zugang zum Bahnsteig angebracht ist und nicht erst nach 100 Metern.
Aber wie kommen Sie bloß dahin?
Wenn Sie jünger wären und kein Gepäck hätten, würden Sie wahrscheinlich verbotener Weise vom Bahnsteig springen, über die Gleise laufen und sich auf der anderen Seite wieder 1 m hoch schwingen und, wie Sie vielleicht später erfahren, wird das auch häufig so gemacht, obwohl es lebensgefährlich ist. Aber Sie sind dafür leider nicht mehr gelenkig genug.
Sie schauen sich also ratlos um, gehen zurück zum Eingang, verlassen das Bahnhofsgelände, schauen sich um nach irgendwelchen Hinweisen oder Tafeln, aber es gibt gar nichts außer einem verwitterten Schild, das ihnen sagt, dass es sich hier um einen rauchfreien Bahnhof handelt.
Ca. 40 Meter vom Bahnsteig weg geht rechts eine kleine Straße ab, vorbei an einem Hinweis auf ein – geschlossenes - Büchercafé. Aber sollen Sie dieser Straße ins Ungefähre folgen? Am Ende der Straße nach ca. 100 Metern können sie einen Metallzaun ausmachen. Offenbar eine Sackgasse. Dass dieser Weg später einen kleinen Knick macht und zu einem Autotunnel führt, der die Gleise unterquert und der Zaun zu einem Geländer gehört, können Sie nicht sehen. Wenn Sie sehr viel Glück haben, was aber eher unwahrscheinlich ist, treffen Sie vielleicht eine Einheimische, die Ihnen sagen kann, dass Sie, wenn Sie dieser Straße folgen, tatsächlich nach ca. 300 m Fußmarsch Gleis 2 erreichen können. Und sie wird Ihnen vielleicht noch erzählen, dass hier jahrelang nur frühmorgens ein Zug auf Gleis 1 hielt und alle anderen auf Gleis 2. Seit Kurzem halten aber wieder 7 Züge auf Gleis 1 und Ortsunkundige verpassen regelmäßig ihre Verbindungen, weil sie den Weg hin und zurück zum Automaten, also knapp 600 Meter mit Gepäck/ Kinderwagen/ Rollator usw. nicht mehr rechtzeitig schaffen.
Man muss eben früher aufstehen, um die Züge zu kriegen, wie die Sachsen-AnhalterInnen schon richtig erkannt haben.
Darum, Herr Grube, überzeugen Sie sich selbst vom unglaublichen Service der Bahn. Besuchen Sie den Bahnhof Schnega. Bringen Sie ein paar Koffer mit. Stellen Sie sich auf Bahnsteig 1, stellen Sie fest, dass Sie Ihre Freifahrkarte vergessen haben. Sie werden sich nicht der Demütigung aussetzen wollen, sich bei nächster Gelegenheit aus dem Zug hinaus werfen zu lassen, weil Sie nicht erkannt werden. Sie werden sich also korrekt verhalten und die verdammte Fahrkarte am Automaten kaufen wollen. Sie schaffen den Weg zum Automaten. Sie können ihn sogar bedienen. Sie müssen 60 Euro bezahlen, weil Sie ja noch weiter wollen als bis nach Uelzen, Sie geben einen 50-Euro-Schein in den Geldeinzug des Automaten. Der nimmt ihn nicht an. Auch den Zwanziger nicht. Sie versuchen es dreimal, bevor sie auf dem Automaten den Hinweis finden, dass er nur Scheine bis 10 Euro annimmt. Sie haben leider nicht so kleine Scheine. Die Zeit wird knapp. Eigentlich hätte der Zug schon längst da sein müssen, aber zu Ihrem Glück hat er Verspätung.
© Helke Sander, Februar 2014
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1 Kommentar
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19.02.2014 um 17:26 Uhr Jacqueline Brösicke
Haha, das ist super und schon mal einen Ausflug wert. Könnte glatt eine touristische Attraktion werden ;o)