Helke Sander: Wichtige und unwichtige Tote.
Im Jahr 2023 wurden in der BRD laut Auskunft BMI 360 Frauen und Mädchen ermordet.
Im gleichen Jahr gab es 938 versuchte und vollendete Morde (also abzüglich der 360) an Mädchen und Frauen.
Im Bereich der Sexualstraftaten waren in der BRD 2023 insgesamt 52.330 Frauen und Mädchen betroffen. Die überwiegende Anzahl der Tatverdächtigen bei den Fällen mit mindestens einem weiblichen Opfer ist männlich. Und männlich umfasst hier alle Schichten der Bevölkerung.
Als Sexualstraftaten zählen: Zwangsheiraten, Genitalverstümmelungen (6.2.2025 im DLF: 230 Millionen weltweit), Vergewaltigungen, sexuelle Belästigungen sowie alle möglichen schwerwiegenden körperlichen Verletzungen. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind offenbar noch nicht in dieser Kategorie enthalten.
Neu dazu gekommen ist digitale Gewalt.
Als Beispiel für Frauenmorde sei hier noch die Türkei genannt. Die Zahl für das Jahr 2023 wird mit 315 getöteten Frauen und Mädchen angegeben. Dazu kommen noch 248 verdächtige Todesfälle. Als verdächtig gelten Fälle, in denen Frauen aus dem Balkon oder Fenster stürzen oder ohne bekannten Grund angeblich Selbstmord begehen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) am 12. Oktober 2017 ratifiziert. Das Übereinkommen trat am 1. Februar 2018 in Kraft (BGBI 2017 II, S. 1026). Mit Inkrafttreten des Übereinkommens verpflichtet sich Deutschland auf allen staatlichen Ebenen alles dafür zu tun, die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten und Gewalt zu verhindern. Die Türkei, die in Istanbul dies Übereinkommen 2014 mit begründet hatte, hat es 2021 verlassen.
Man kann für alle Länder auf unserem Planeten ähnlich erschreckende Zahlen ermitteln. Die Taten gegen Frauen und Mädchen werden mit dem Wort „häusliche Gewalt“ bezeichnet, was den Eindruck erweckt, als sei diese Gewalt gewissermaßen naturgegeben und nicht zu ändern und keinesfalls zu vergleichen mit rechtsradikalen und antisemitischen Untaten. Trotz Frauenbewegung und verschiedenen Erleichterungen leben wir nach wie vor in einer patriarchalisch bestimmten Gesellschaft und in diesem Sumpf kann man fündig werden für die gemeinsamen Wurzeln dieser Gewalt.
Zum Vergleich: Bis Dezember 2020 anerkannte die Bundesregierung 113 getötete Personen als Opfer von rechtsextrem bzw. antisemitisch motivierten Tötungsdelikten und zwar seit 1990 (Wikipedia).
Verschiedene Institutionen kommen zu höheren Zahlen, allerdings erreichen sie nie die Opferzahlen an getöteten Frauen und Mädchen, bei denen diese Zahl in ca. einem halben Jahr erreicht wird und nicht in 35 Jahren.
Das ist traurig genug, und die vielen staatlichen und privaten Initiativen, die dieses Übel verhindern wollen und entsprechende Einrichtungen geschaffen haben, entstanden zurecht. Daran soll kein Zweifel aufkommen. Aber diese staatlichen Hilfsmaßnahmen gelten nur bedingt für Frauen und Mädchen.
Dennoch bleibt eine ungeheure zahlenmäßige Diskrepanz zwischen diesen Gruppen. Dass die Zahlen der getöteten Frauen und Mädchen seit Jahren überhaupt öffentlich werden, ist hauptsächlich einzelnen Frauengruppen zu verdanken und besonders der Professorin Dr. Kristina Wolff über change.org.
Auch hier gibt es gewaltige Unterschiede. Bei den Sexualdelikten handelt es sich immer um körperliche Angriffe.
Bei den rechtsextremen und antisemitischen Straftaten, die auch hauptsächlich von Männern verübt werden, verzeichnet die Polizei bis zum 30. November 2024 mindestens 33.963 Delikte im Bereich »politisch motivierter Kriminalität - rechts«. Diese Delikte enthalten Gewalt gegen Personen, (1.1336), Propagandadelikte (21.311), Volksverhetzung (5.095) und Sachbeschädigungen.
Im Prinzip kann man diese beiden Kategorien - Sexualstraftaten und rechtsradikale und antisemitische Delikte - nicht miteinander vergleichen, weil sich die Sexualstraftaten immer gegen Personen richten.
Es gibt also Straftaten, die als rechtsradikal und antisemitisch bezeichnet werden und solche, die „häusliche Gewalt“ genannt werden und all die staatlichen und privaten Zuwendungen und Maßnahmen nicht erhalten, obwohl die Opfer im Lauf der Jahre in die Tausende gehen, nicht zu reden von den Opferzahlen in anderen Ländern.
Bei den Protesten gegen Rechtsradikale und Antisemitismus gehen Zehn- bis Hunderttausende – Frauen und Männer - auf die Straße, bei den Frauenmorden nur wenige Männer.
Und noch einmal: An den Frauenmorden sind Männer aller Schichten und Nationen beteiligt.
Das muss endlich mal zur Kenntnis genommen werden, weil gleiche Ursachen für alle Gewalttaten entdeckt werden können.
Auf jeden Fall gehört der Begriff „häusliche Gewalt“ als irreführend abgeschafft und für das erste mit „Männergewalt“ ersetzt. Relativ neu sind die Überlegungen in der Presse, dass die Kategorisierungen als rechtsradikal und antisemitisch oft nicht zu stimmen scheinen, wenn man die letzten Gewalttaten in Magdeburg oder Aschaffenburg analysiert. Es gibt eine neue Kategorie: Irre männliche Gewalttäter.
Allerdings ist das so neu auch nicht, wie z.B. die Morde 2020 in Hanau zeigen. Der Täter erschoss 9 zufällige Menschen mit Migrationshintergrund, dann seine Mutter und sich selbst.
Oder in Halle. Der Täter wollte in die Synagoge eindringen, als das nicht gelang, erschoss er eine vor ihm gehende Passantin und dann einen Kunden im Imbissladen. Die letzten Taten werden auch rassistisch und antisemitisch genannt, sie sind aber auch krank und zeigen Ähnlichkeiten mit den Frauenmorden: verübt von psychisch kranken Tätern.
Um nicht als rassistisch zu gelten, wird bei Frauenmorden oft verschwiegen, dass es z.B. in Deutschland und Österreich eine proportional größere Zahl von muslimisch geprägten Männern als Täter gibt. Frauen in diesen Gemeinschaften weltweit haben faktisch nicht die gleichen Rechte, obwohl in Deutschland und Österreich natürlich auch für sie das Grundgesetz gilt. Die Rolle der Religion und der Erziehung wird bei diesen Taten meist nicht untersucht. Statt dessen gibt es Anweisungen über die erlaubten Messerlängen.
Helke Sander © 2025
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