Helke Sander an die Tagesschau in Sachen Ukraine und Russland
4. Mai 2014
Sehr geehrte Damen und Herren von der Tagesschau, um von den immer gewalttätigeren Männermassen, die nun täglich gezeigt werden, abzulenken und zu zeigen, dass es vermutlich sehr viele Menschen in der Ukraine und in Russland gibt, die weniger oder gar nicht fanatisch die Auseinandersetzungen führen, möchte ich Ihnen vorschlagen, nur noch einheimische Frauen zu Wort kommen zu lassen, die die Folgen von Gewalttätigkeiten kennen, die für bestehende Widersprüche evtl. friedliche Lösungsvorschläge haben und die mit der Geschichte argumentieren können.
Gegen die nationalistischen Ausfälle helfen vielleicht mal ein paar Hinweise, wie viele Völker schon ihre Spuren in der Ukraine gelassen haben außer den Ukrainern selbst, den Russen, den Polen, den Tataren, nicht zuletzt den Goten, den Sarmaten, den Skythen u.v. a.m.
Die immer wieder gezeigten Schlägereien und Schießereien zwischen Männern, die sich plötzlich für Politik interessieren, tragen meiner Meinung nach nicht dazu bei, irgendwelche Konflikte sachlich darzustellen. Der Einfluss der Tagesschau ist groß genug, um auch andere Sender in aller Welt dazu zu bringen, selber deeskalierend zu wirken, in dem Sie laufend Gespräche mit Frauen führen, damit man überhaupt mal mitbekommt, dass es sie in der Ukraine tatsächlich auch gibt.
Das bringt mit Sicherheit mehr, als Truppen an den Grenzen zu sammeln, die Bundeswehr und Politiker mit Beobachtern in die Ukraine zu schicken und sich Lösungen ausgerechnet von den USA zu versprechen.
Mit freundlichen Grüßen gez. Helke Sander
--------------- Nachtrag von Luise F. Pusch am 5. Mai: Ich schließe mich der Bitte bzw. Aufforderung von Helke Sander mit Nachdruck an. In der 3sat-Kulturzeit von heute wurde Helke Sanders Forderung, wie mir schien, bereits berücksichtigt: Es wurden Frauen aus der Ost-Ukraine und aus Kiew interviewt, und es gab ein ausführliches Porträt und Interview mit der ukrainischen Schriftstellerin Oksana Sabuschko. Weiter so!
------------ Ergänzung von Helke Sander am 6. Mai:
Zeigt lieber "Problemlösen mit Frauen" als "Action mit Männern"!
Vor drei Tagen habe ich meinen Leserbrief an die Redaktion der Tagesschau aus Verärgerung über die Berichterstattung und ihre Bebilderung sehr spontan geschrieben. Er ist unter diesem Link zu finden, der auch auf Facebook verbreitet wird: [url=https://www.fembio.org/biographie.php/frau/frauen/helke-sander-an-die-tagesschau-in-sachen-ukraine-und-russland/]https://www.fembio.org/biographie.php/frau/frauen/helke-sander-an-die-tagesschau-in-sachen-ukraine-und-russland/[/url]
Es waren die so ähnlichen Bilder prügelnder Männer, die die Nachrichten über ein italienisches Fußballspiel und die Ereignisse in der Ukraine fast ununterscheidbar machten. Dabei fiel mir auf, dass die Berichte über die Ukraine, in denen vor Monaten noch Frauen auf dem Maidan vorkamen, die demokratische Verhältnisse in ihrem Land einforderten und mit der Korruption Schluss machen wollten, mehr und mehr ersetzt wurden durch Bilder von sich zunächst streitenden, später prügelnden und jetzt Waffen gebrauchenden Männern. Die Frauen wurden fast vollkommen zum Verschwinden gebracht. Auf der „offizielleren“ Seite wurde das gespiegelt mit immer höherrangigen Politikern, die ebenfalls mehrheitlich Männer sind und die bei ihren z.T. ehrlichen Bemühungen um Deeskalation offenbar nicht mehr in der Lage sind, das Einfachste zu sehen: nämlich das Verschwinden der Frauen.
Mein Vorschlag, genau in den Medien, die sich „Deeskalation“ auf ihr Programm geschrieben haben, als aktiven Beitrag dazu nur noch diese, um friedliche Konfliktlösung bemühten Frauen zu zeigen, war der Tagesschau bisher noch keine Antwort wert.
Vermutlich wird über diesen Vorschlag gelacht und er wird als zu naiv empfunden.
Das hängt mit einem tief verwurzelten aber fast unbewussten Verständnis zur Bildproduktion zusammen, die kurz gesagt darauf hinausläuft, dass Handlung zu zeigen immer interessanter ist als keine Handlung zu zeigen, sondern statt dessen z.B. Köpfe, die argumentieren. Darum werden die Bildstrecken, in denen Männer sich prügeln oder aufeinander schießen, auch wenn sie nicht unterscheidbar für die Zuschauer sind und niemand weiß, wer zu wem gehört oder wer was vertritt, auf jeden Fall Vorrang haben vor z.B. einer Frau, die damit argumentiert, dass ein großer Prozentsatz der Bevölkerung sowieso nicht dem einen oder dem anderen Lager zuzuordnen ist, weil sie sich seit Generationen schon untereinander vermischen, mal diese, mal jene Sprache sprechen und die tatsächlich vorhandenen Konflikte bisher noch immer irgendwie gemeistert haben.
Es gibt keine Notwendigkeit für die Tagesschau und andere Medien, sich nicht ausschließlich auf eine vernünftige Argumentation der Nichtkämpfenden einzulassen außer der Angst, für langweilig gehalten zu werden und den Job zu verlieren. Die Medien sind immer stolz darauf, „Ereignisse“ original zu zeigen. Und es gibt genügend Kriegsberichterstatter, die dafür ihr Leben lassen, ohne zur Erkenntis beizutragen. Die Presse könnte bei der Analyse der Geschehnisse durchaus gewalttätige Auseinandersetzungen erwähnen, sie müssen aber nicht gezeigt werden. Das sollte Schule machen. Wenn wir wochenlang Kommentare hören würden, die von denen kommen, die sowohl bildlich wie argumentativ jetzt nicht mehr in Erscheinung treten, würde die Vernunft wahrscheinlich wieder eine Chance bekommen. Damit würde die Presse ihre Eigenständigkeit beweisen und – das glaube ich - wirklich selbst zur Entspannung beitragen.
Helke Sander (C) 6.5.14
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6 Kommentare
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14.05.2014 um 14:44 Uhr RAin Dagmar Schön
Auch her Claus Kleber ist mir kürzlich öfter durch seinen ausgesprochen kriegstreiberischen Tonfall aufgefallen, wenn er neue ‘Nachrichten’ aus der Ukraine in der Heute-Sendung ankündigte.
Sind die Jungs wirklich so unbewusst, dass sie nicht merken, was sie tun oder ist es Absicht?
07.05.2014 um 16:59 Uhr anne
keine/r schreibt oder symbolisiert, dass frauen die besseren menschen wären, aber sie tun etwas, wie z.b. der aufruf! darauf ist noch kein mann gekommen!
die meisten frauen verabscheuen gewalt und kriege , denn gerade sie zählen mit zu den ersten opfern von kriegslüsternheit und von der strategie sexualisierter männer-gewalt als kriegsmasche. und insb. frauen waren/sind in der friedensbewegung sehr aktiv. frauen haben auch in bewaffneten konflikten geschichte geschrieben, häufiger als opfer denn als täterinnen. in europa der 70er jahre gab es eine friedensbewegung, die eine frauenfriedensbewegung war : Zitiert: Inzwischen ist die Rolle der Frauen für Frieden und Entwicklung anerkannt – vor allem in den Weltkonferenzen der UN. Die Weltfrauenkonferenz in Peking und die Aktionsplattform der vierten UN-Weltfrauenkonferenz sowie das Abschlussdokument der UN-Sondersitzung Peking + 5 unterstützen zu Recht die Notwendigkeit, Frauen an der Lösung von bewaffneten Konflikten zu beteiligen. Denn weder im Kongo noch in Burundi, weder in Sierra Leone oder Salvador, weder in Ost-Timor noch in Korea durften Frauen mitentscheiden. Selbst in Europa ist das nicht anders - wenn man an den Kosovo, den Balkan insgesamt oder an Belfast denkt. Die “Friedensfrauen” waren immer nur marginalisierte Streiterinnen für den Frieden, weil die Mehrheit der Soldaten Männer waren und sind. Dabei werden in bewaffneten Konflikten eher Zivilisten als Soldaten getötet.(kein krieg ohne frauen - ohne frauen kein frieden) frauenfriedensbewegung i.d. BRD / http://www.1000peacewomen.org/deu/friedensfrauen.php
07.05.2014 um 15:12 Uhr anne
wunderbar und danke für diesen so wichtigen aufruf und die deutlichen worte!!
bei dieser gelegenheit, generell wünsche ich mir auch f.d. medium fernsehen eine andere medien-/kultur , die heute rein zu unterhaltungszwecken für das begierige publikum vollgespickt ist von extremer darstellung an brutalitäten, gewalt-verherrlichung, sexismus, sex, vergewaltigungen, jagd auf frauen .. ich wünsche mir mehr öffentliche kritik an dieser inszenierten modernen gewaltkultur, die sich in wahrheit als `männerkultur` herausstellt, ein zugeständnis an sensationslust und finanzielle erfolge? ist es nicht ein zeichen von übler verrohung, abstumpfung , wenn wir für das medium FS sogar eine kindersicherung brauchen?
Herlinde Koelbl (fotografin) zeigt in ihrer foto-ausstellung Targets , wie soldaten das töten üben - erschreckend dabei finde ich, wie frauen bewusst zur zielscheibe des tötens dargestellt werden. `der feind hat viele gesichter` - in frankreich zeigt sie die `zielscheibe` frauen-torso mit dem schriftzug `das ist deine mutter`... http://www.zeit.de/gesellschaft/2014-04/fs-herlinde-koebl-soldaten/seite-10
06.05.2014 um 22:24 Uhr Hannes
Ich unterstütze den Antrag prinzipiell auch und finde die Idee der deeskalierenden Medienberichte hervorragend!
Trotzdem möchte ich anmerken, dass der Brief grenzwertig an der Sicht dran ist, dass Frauen die besseren Menschen sind und “die Frauen” keine Gewalt und keinen Krieg wollen. Ich kann mir gut vorstellen, dass im Hintergrund auch viele Frauen ihre Männer zu Gewalt und Eskalation aufrufen und dahingehend unterstützen. Auch Frauen sind vor der Propaganda von USA, Ukraine oder Russland nicht gefeit.
mfg.
Hannes Berghammer
06.05.2014 um 16:24 Uhr Rosemarie Schneider-Mohamed
Auch ich möchte mich dem Aufruf/der Bitte von Helke Sander anschließen und mitteilen:
Ich will betroffene Frauen hören und sehen.
Die Alten, die Kranken, die Kinder, die Wehrlosen.
Ihre Stimme kann noch wachrütteln.
Mehr und besser, als die ständig immer-gleichen und abstumpfenden Gewaltszenen.
Die sich gegenseitig abschlachtenden
Opfer von Kriegstreiberei, auch sie sollten besser
auf den Rat ihrer Frauen und Ältesten hören.
Rosi S.M.
06.05.2014 um 08:19 Uhr Felix Sachs
Liebe Helke Sander, liebe Luise F. Pusch
Dieser Forderung schliesse ich mich uneingeschränkt an. Die gegenwärtige Kriegsberichterstattung heizt nur die Konflikte noch an, die bis zum militärischen Eingreifen der Nato - und Russlands? - führen könnten. Daran können nur die Rüstungsfirmen interessiert sein. Da braucht es seitens der Nachrichtenredaktionen dringend ein Umdenken. Wenn Ihr Schreiben bereits eine Wirkung zeitigt, dann umso besser: es soll viele andere ermutigen, es Ihnen gleichzutun!
Herzliche Grüsse aus der Schweiz!
Felix Sachs