Fünf Tage Mediengau: Der Mädchen- und Frauenmord von Winnenden
von Brigitta Huhnke
Erster Teil
Mädchen- und Frauenmörder Tim Kretschmer hält tagelang deutsche Medien auf Trab. In der Realschule von Winnenden hatte er am 11. März acht Mädchen und drei Lehrerinnen sowie einen Jungen mit deutsch-kosovarischem Hintergrund gezielt mit Kopfschüssen hingerichtet, sieben weitere Mädchen ebenfalls gezielt angeschossen, auf der Flucht drei Menschen wahllos getötet. Umgehend entwickelte sich ein Hype, - die Direktorin der Schule spricht bald vom „medialen Belagerungszustand“ - in dem sich vieles entlädt, nur nicht die Suche nach gesellschaftlichen Kontexten einer solchen Tat. Vielmehr wird in diesen Zeiten des Zusammenbruchs patriarchaler Märchenwelten (Krieg gegen den Terror, Börse, Autoindustrie, Schiesser – Feinripp, Märklin- Eisenbahn) mit diesem Fall des Mörders Kretschmer über Tage hinweg ein männlicher Held inszeniert – wenn auch ein negativer. Dafür wird von den Medien, aber ebenso seitens der Politik die Realität des gezielten Mädchen- und Frauenmordes systematisch annihiliert, mit allen Mitteln verleugnet. Die jungen Männer, die in den ersten Tagen nach dem 11. März nun ähnliche Taten ankündigen oder gar schon versucht haben, diese zu begehen, werden euphemistisch „Trittbrettfahrer“ genannt.
Die größte Opfergruppe ist bereits in den ersten Rundfunknachrichten des 11. März sofort unsichtbar gemacht: Schülerinnen werden „Schüler“. Statt der Bevölkerung Möglichkeiten zu eröffnen, sich in Nachdenklichkeit und Trauer mit dem ausgelöschten Leben besonders der Mädchen, der Lehrerinnen und des Jungen auseinanderzusetzen, beherrschte in den Stunden und Tagen danach das Geschwätz über den Mörder den öffentlichen Diskurs. Lediglich mit Beileidskitsch waren Bundespräsident und Bundeskanzlerin zur Stelle. Letztere erklärte im hohlen Pathos: „Es ist ein Tag der Trauer für ganz Deutschland“. Kaum war der erste Tag vergangen, wurde die Öffentlichkeit mit niedlichen Kinderaufnahmen des Täters konfrontiert. Während wenig über die drei ermordeten Lehrerinnen bekannt ist, die sich dem Täter entgegengestellt und so wahrscheinlich noch Schlimmeres verhindert haben, dürfen Familienangehörige des Täters nur drei Tage später, am 14.3., bei „Bild“ erzählen: ohne Unrechtsbewusstsein vom lieben Jungen, der noch wenige Wochen zuvor friedlich mit der Katze auf Omas Teppich gespielt hat. Das Ganze findet in einem Berichtsumfeld statt, das tagtäglich, seit Jahrzehnten, in widerwärtigster Weise die Würde von Frauen verletzt, völlig unbehelligt Frauenkörper darbietet. Unvorstellbar, welches zusätzliche Leid den Familien durch die Berichterstattung dieser Tage zugefügt worden ist.
Die „Bild am Sonntag“ macht am 15. 3. mit der Schlagzeile „Der Sonntag der Trauer“ auf. Um die dicken Lettern herum sind kleine Bilder der Ermordeten angeordnet, mit Vornamen und Altersangabe. Das letzte Bild in dieser Galerie zeigt unten rechts, in gleicher Bildgröße, den Exekutor (!). Anders als bei seinen Opfern ist sein Bild mit einem Zusatz versehen: „Tim K. (+17), der Täter. Wir trauern auch um seine verlorene Seele“. Im Inneren des Blattes folgen sechs Seiten dünne Geschichtchen über 15 der Opfer, gefolgt von fünf Seiten nochmals ausführlichster Anteilnahme für den Täter, mit lebensgroßem Kopfbild, freundlich lächelnd und erneut mit anmutigen Kinderfotos. Der Anwalt des Vaters Jörg Kretschmer darf rechtliche Schritte gegen einen Arzt androhen. Bei der Nachrichtenillustrierte „Der Spiegel“ 12/2009) erwirbt der Frauenmörder für sich allein Titelhöhe: Ganzfoto in Freizeitgeste, freundlich, nett, sympathisch, die Hände in den Taschen, - er wirkt fast schon ein bisschen verwegen. Schlagzeile: „Wenn Kinder zu Killern werden“. Den realen siebzehnjährigen Frauenmörder präsentieren diese beiden meinungsführenden Medien nach nur vier Tagen wie ein fast schuldunfähiges Kind.
Die Sonntagszeitung der „FAZ“ titelt „Winnenden: Der Schock dauert an. Merkel fordert mehr Wachsamkeit. Weiter Rätselraten über Amokläufer. Erstes Opfer beerdigt.“ Insgesamt geht die allgemeine Mediensaga jetzt so: Papas guter Junge, ein „Bildungsverlierer“, der so einsam war, weshalb er ein paar Gewaltvideos und „Pornobilder“ konsumiert hat, den die böse Welt, - unter anderem eine mobbende Lehrerin und selbstbewusste Mädchen – und dann irgendwie das „Unerklärliche“ zur Tat getrieben haben. Am 16.3. dann bricht der Hype fast jäh ab, der mediale Tross ist weiter gezogen: zum Prozess nach Amstetten. Die „Bild am Sonntag“ hatte bereits zwei ganze Seiten über den “Inzest-Vater“. Der Moderator im „DLF“- Morgenmagazin des 16.3. überschlägt sich beim Jagen der neuen Sau durchs mediale Dorf, immer wieder, mindestens sechs Mal, kommentiert er kurzatmig: „unfassbar“. Der kriminelle Frauenhasser, Vergewaltiger und Folterer Josef Fritzl, zudem wegen Mordes angeklagt, ist für diesen Redakteur ganz im Jargon des Boulevard oder eines B-Movie lediglich das „Monster von Amstetten“. In den DLF- Nachrichten um 12 Uhr gerät die Hauptaussage des ersten Satzes recht verharmlosend: „Im österreichischen St. Pölten hat der Prozess wegen des Inzestfalls von Amstetten begonnen.“ Dann werden zwar weitere Verbrechen aufgelistet. Doch hängen bleibt „Inzestfall“. Tatsache aber ist: Hier wurde eine junge Frau über zweieinhalb Jahrzehnte hinweg gefoltert und gefangen gehalten, unter anderem mehr als 3000 Mal vergewaltigt, mindesten drei der Kinder ebenfalls eingesperrt und schwer misshandelt, ein Kind starb. Doch in den „DLF“ Nachrichten bleibt „Inzestfall“ die Schlagzeile auch in den nächsten Stunden.
Doch zurück zum Mediengau von Winnenden: Wie konnte diese „Verrätselung“ des Mädchen- und Frauenmordes in nur fünf Tagen so völlig reibungslos und ohne jegliche Gegenöffentlichkeit im „normalen“ Mediensystem geschehen?
Zum Wesen eines humanistischen Journalismus sollten Empathie und eine daraus erwachsende Obsession gehören, d. h. der Drang, gesellschaftlichen Hintergründen der jeweiligen Ereignisse mit den Mitteln der Recherche auf die Spur zu kommen. In diesem Fall des mordenden Jungmannes wurde jedoch nicht einmal das Naheliegendste in den Zusammenhang gebracht: der in der Mitte der Gesellschaft schwelende, aber hingenommene bzw. täglich forcierte Frauenhass. Keiner der berichtenden Journalisten_innen wurde offensichtlich stutzig, als der zuständige Staatsanwalt Siegfried Mahler bei der ersten Pressekonferenz am 11.3. bekannt gab, auf dem Computer des Täters seien Gewaltspiele und „Pornobilder“ gefunden worden, aber das alles sei normal und nicht weiter ungewöhnlich. Eine gut ausgebildete Journalistin hätte reflexartig den Staatsanwalt sofort nach Art der Bilder, genauer Anzahl und den Webadressen dementsprechender Seiten befragt. Im Zuge der Recherche, also unter Befragung von Expertinnen – und keinesfalls mit journalistischem Meinen und Dafürhalten - hätte dann anhand des konkreten „Pornobilder“-Materials herausgearbeitet werden können, was daran so normal ist. Stattdessen übernahmen viele Zeitungen und Rundfunkanstalten das dort Vorgetragene ungeprüft. „Spiegel Online“, ebenfalls einer der wichtigsten Themensetzer im neoliberalen Mediendiskurs, fasste es am 12.3. so zusammen:
„Auf seinem Computer, der in seinem Zimmer stand, fanden die Ermittler ein paar wenige Pornobilder und Gewaltspiele – ‚wie es viele Jugendliche haben’, so Chef-Ermittler Mahler. Alles nichts Außergewöhnliches für einen Menschen in seinem Alter. Seit drei Jahren betrieb Tim Krafttraining, weil er gern ‚dickere Arme’ gehabt hätte. Auch das nichts Außergewöhnliches“.
Nichts deutet in diesen Zeilen auf Recherche oder auch nur Skepsis hin. Dennoch wurden diese Zeilen unzählige Male im Mediensystem plagiiert, z.B. sogar von [url=http://www.nachrichten.t-online]http://www.nachrichten.t-online[/url] vollständig übernommen, oder leicht umgeschrieben, wie z.B. im Provinzblatt „Der Prignitzer“, auf dessen Website fast wortgetreu abgeschrieben steht: „Auch Pornobilder wurden auf Tims Computer entdeckt, aber das alles, so der Tenor von Polizei und Staatsanwaltschaft, sei für einen Jugendlichen nichts völlig Ungewöhnliches.“ Die „Welt“ menschelte den Staatsanwalt wiedergebend auf Welt.de: „Er sei ein zurückhaltender Mensch. ‚Er wurde durchweg als freundlich beschrieben. Und er war interessiert an einem Mädchen aus der Nachbarschaft. Aber eine feste Freundschaft hat nicht stattgefunden’, sagte Siegfried Mahler von der Staatsanwaltschaft. Auf dem Computer seien auch Pornobilder gefunden wurden. ‚Allerdings nicht in einem Umfang, der besorgniserregend wäre.’“
Vier weitere Tage musste die Leserin und Hörerin noch warten, bis sie Konkreteres erfuhr, um sich besser vorstellen zu können, was für den Herrn Staatsanwalt so normal ist, was ein „paar wenige Pornobilder und Gewaltspiele“ für ihn bedeuten: 200 „Pornobilder“, von denen 120 Frauen in „Bondage“, gezeigt würden. „Bondage“ entstammt dem Freierjargon einschlägiger Websites und Internetforen zum Austausch über sadistische Pornografie und Vergewaltigung (z.B. von drogensüchtigen Frauen) in freier Wildbahn, beispielsweise nachts auf Parkplätzen. Auf Fotos bzw. Filmen dieser Art ist in der Regel Folgendes zu sehen: in harmloser Variante „nur“ gefesselte und malträtierte Frauen, in der Steigerung werden sie dann bei „Bondage“ noch geschlagen, gewürgt, gepeitscht, vergewaltigt, und im Thrill, noch eine Stufe weiter, urinieren, ejakulieren Herrenmenschen oft noch auf ihre Opfer und vieles mehr. Alles normal also. Und ähnlich wie bei deutschen Staatsanwaltschaften sitzen an den Nachrichtenschleusen dieses Landes fast ausschließlich Männer, für die Normalität ebenfalls kein Thema ist.
Um das Strukturelle im öffentlichen Umgang mit einem solchen Kapitalverbrechen zumindest in Ansätzen erkennen zu können, soll gezeigt werden, warum sich in diesen ersten Stunden und Tagen nach den Morden diese Art der Themensetzung im Mainstream des Mediensystems, das inter-media agenda-setting, entwickeln konnte, anhand der Nachrichtenentscheidungen sowie einiger typischer journalistischer Inszenierungsstrategien zur Abwehr des hier real erfolgten, gezielten Mädchen- und Frauenmordes. Am Rande, im Ansatz, wird ebenfalls die agenda-building Dimension berücksichtigt, womit das Zusammenspiel von Medien und Politik gemeint ist.
Aufschluss gibt zunächst der Fokus auf das Zusammenspiel der drei wichtigsten, in der journalistischen Praxis angewandten Nachrichtenentscheidungen: Sensation, Prominenz, Negativismus.
Normalerweise hat die Nachrichtenentscheidung „Sensation“ im Mediensystem eine hohe Bedeutung, gerade in diesen Zeiten neoliberaler Gier auf ständig vermeintlich Neues. 18 von 19 der Opfer in der Realschule von Winnenden sind weiblich (wovon sechs überlebten) und der ermordete Junge hat sogar einen migrantischen Hintergrund (einige der Mädchen ebenfalls). Damit hätten wir eigentlich einen absoluten Superlativ für die Themensetzung und Recherche. Doch das allein reicht noch nicht, um in der patriarchalen Medienpraxis ein Ereignis in den Stand journalistischer Aufmerksamkeit zu befördern. Ebenso muss die Nachrichtenentscheidung „Prominenz“ zur Anwendung kommen können. Was meint: Der gesellschaftliche Status eines Menschen ist entscheidend. Hohen Status aber haben Frauen, vor allem Frauen und ihre realen weiblichen Lebenswelten jedoch in aller Regel nicht. Wäre dies so, müsste der real existierenden männlichen Gewalt gegen Frauen tagtäglich die Seite eins jeder Zeitung und jedes Aufmachers in Nachrichtensendungen vorbehalten sein, erfahren doch, - konservativen Schätzungen zur Folge - , mindestens ein Drittel der auf diesem Planeten lebenden Frauen männliche Gewalt, - von täglichen „normalen“ patriarchalen Sexualpraktiken, Massenvergewaltigungen, gezielter Vernichtung von Frauen und Kindern in Kriegen, struktureller Gewalt in der Arbeitswelt mal ganz abgesehen. Begeht ein einzelner Mann jedoch in spektakulärer Weise ein Verbrechen, in dem Frauen zu Opfern werden, dann wird das zur Sensation, allerdings im Deutungskontext der Dämonologie, mit subtiler bis offener negativer Heldenverehrung.
Nur wenige Tage vor der Mordorgie hatte das Familienministerium, gezielt zum 8. März, eine Untersuchung zur Gewalt gegen Frauen veröffentlicht: „Die Ergebnisse der Untersuchung sind erschreckend und müssen uns alle wachrütteln“, erklärt die Bundesministerin Ursula von der Leyen dazu in der Pressemitteilung. „Gewalt gegen Frauen ist kein Problem am Rande unserer Gesellschaft, sondern findet in allen Schichten mitten unter uns statt. Für viele Frauen sind Schläge, Tritte und Beschimpfungen zu einem entsetzlichen Alltag geworden Wir müssen alles tun, um diese Gewalt zu verhindern und abzuwehren.“ Eigentlich wäre damit auch die dritte wichtige Nachrichtenentscheidung erfüllt: der „Negativismus“. Eigentlich! Doch in Redaktionsstuben gilt ebenso das Gebot „news is what’s different“. Da aber alltägliche Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen keine Sensation im Sinne von „different“ sind, sondern strukturelle Bedingung des weltweit stärksten asymmetrischen Machtkonflikts aller Gesellschaften ist, beherrschte diese Studie der Familienministerin auch nicht die Schlagzeilen, keine Sondersendungen, keine Hintergründe, keine Brennpunkte in der ARD, keine Sonderbeilagen der Zeitungen. Zum Frauentag räumte beispielsweise die Frankfurter Rundschau, die früher einmal die wöchentliche Seite „Frau und Gesellschaft“ hatte, die erste Seite fast komplett für das Antlitz des Esoterik-Führers Dalai Lama frei. Und nicht nur das: Im Blatt wird mit einem vierseitigen Bericht über und Interview mit „Seiner Heiligkeit“ nachgelegt, in Heldenanbetung und mit Heiligenbildchen, eines davon strahlenumflort, ohne auch nur ein einziges Wort über die Frauenverachtung in dessen Sekte zu verlieren. Selbst zu Zeiten der FR- Frauenseite wurde Frauen – geschweige denn einer einzigen – nie auch nur entfernt so viel Raum allein in einer Ausgabe geboten , nicht einmal anlässlich der Weltfrauenkonferenzen, den bislang größten Menschenrechtskonferenzen aller Zeiten. Allerdings soll nicht verschwiegen werden: auf S. 16 finden sich „5 Tipps für niedrige Frauenlöhne“, die sollen witzig gemeint sein und wirken doch so schal, so krachledern. Gerade gelungene Ironie erfordert Denkhöhe, etwa der Art, wie sie früher auf den FR- Seiten „Frau und Gesellschaft“ einmal zu finden war.
Erstaunliches passierte jedoch zum 8. März bei der taz, dem seit Jahren wichtigsten Blatt des Postfeminismus. Dort kann sich trotz allem eine altmodische feministische Redakteurin halten. Die kam für den Frauentag 2009 auf die Idee, den an der Universität Hannover lehrenden Sozialpsychologen Rolf Pohl zum gesellschaftlichen Schaden männlicher Gewalt zu befragen. Dessen wissenschaftlichen Erkenntnisse sind für Frauen niederschmetternd: Mehr als achtzig Prozent der Männer haben Angst vor Frauen und versuchen diese Angst mit vielfältigsten Formen der Abwehr, bis hin zur offenen Gewalt gegen Frauen, in die Flucht zu schlagen. In die Abwehr des Weiblichen werden Jungen schon im frühen Kindesalter eingeübt, es sei denn sie haben anti-patriarchale Väter. Mit seiner wissenschaftlichen Untersuchung „Feindbild Frau“ (2004), hat Pohl, unter Rehabilitierung des Libidokonzepts, die bisher umfassendste psychoanalytische Arbeit zur Genese von Frauenhass und männlicher Gewalt im deutschen Sprachraum erstellt. Eine von Pohls Schlussfolgerungen der Studie: „Prinzipiell ist daher in der ambivalenten bis feindseligen Einstellung des Mannes zu seinen weiblichen Sexualobjekten die Idee der Vernichtung des Objekts und seiner Surrogate unbewußt immer enthalten...Eine der Hauptquellen für Frauenhaß wäre dann der Haß auf das eigene (sexuelle) Begehren, für das die Frau verantwortlich gemacht und deshalb bestraft wird."
Selbst wenn wir gutmütig sogar den halbwegs seriösen Medien lediglich Faulheit bei der Recherche unterstellen: In diesem Fall, bei funktionstüchtigem Kurzeitgedächtnis sowie journalistischem Biss und Drang zur Wahrheit, hätten ein paar Mausklicks genügt, um dieses und dann auch weiteres Hintergrundmaterial studieren zu können. Doch solche Sensationen (Gewaltstudie das Leid von Frauen betreffend und umfassendste deutsche Untersuchung zur psychischen Verfasstheit des Mannes) bei relativer Prominenz (Familienministerin, Hochschullehrer) und in jedem Fall „Negativismus“ (in den Auswirkungen durch unzählige weitere Fakten, unter anderem viele UN-Studien belegt) reichen, anders als sonst üblich, in diesem Fall nicht als Themenaufgeber, gerade weil damit lediglich „normale“ Verhältnisse beschrieben werden, also auch wie in diesem konkreten Fall des Massenmordes: Gewalt gegen Frauen, Vernichtungsphantasien in Gewaltvideos und in Internet-Pornografie. Statt Aufklärung über diese Zusammenhänge sauste uns in den ersten fünf Tagen ein Orkan der Geschwätzigkeit über das angeblich „Unfassbare“ um die Ohren. Diese konzentriert sich aber nicht nur vollständig und höchst ambivalent auf den Täter sondern betreibt außerdem, zumindest die gesellschaftlichen Kontexte betreffend, Schuldabwehr, die wiederum unbedingt notwendig zu sein scheint, um patriarchale Identitäten nicht zu gefährden. Die wichtigsten journalistischen Strategien der Abwehr, die dabei erkennbar werden sind: die Verleugnung bzw. Annihilation der Opfer sowie das Mittel der Themen –Verschiebung, unter Anrufung der Schicksalsgemeinschaft („Es ist ein Tag der Trauer für ganz Deutschland“), bei erkennbarer Tendenz der mehr oder minder latenten Täter-Opfer-Uminszenierung.
Das Haupt-Mantra dafür gab gleich am Tag der Tat die Politik vor: „Schicksal“ und „Unfassbarkeit“. So sind die Morde von Winnenden für Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) sofort, noch am gleichen Tag, eine „grauenvolle und in keiner Form erklärbare Tat“. In „keiner Form“? Der Verweis auf unbekannte, dunkle Mächte ist als Diskursstrategie keineswegs ungewöhnlich, sondern gehört zum Wesen neoliberaler Diskurse, deren „heilsgeschichtliche“ Dimension sowie zunehmende mediale Gewalttätigkeit der Philosoph Jacques Derrida bereits Anfang der neunziger Jahre herausgearbeitet hat. Mittlerweile werden wir in allen Politikfeldern mit dem „Unerklärlichen“, dem „Unvorhergesehenen“, der vorgeblichen „Alternativlosigkeit“ (TINA) beschwichtigt, kurzum: Die Verweigerung vor der Geschichte sowie vor empirisch nachvollziehbaren Kontexten der Gegenwart gehört mittlerweile zur Struktur öffentlicher Diskurse, zugunsten einer immer stärkeren Steuerung von Projektionen. Rambo-Machenschaften an den Börsen, Kriminalität von Konzernmanagern, besonders kriminelle Machenschaften in Betrieben, die früher in Demokratien verstaatlich waren (Bahn, Post, Energie) werden ent-kontextualisiert, mit Unschuldsbehauptungen wie „unfassbar“ und „unerklärlich“ nachträglich gerechtfertigt, allenfalls werden „Exzesse“ (Merkel) eingeräumt. Die auch hier ausnahmslos männlichen Täter bleiben in der Regel straffrei: Regelrecht ausgesteuert im hegemonialen Diskurs sind mittlerweile Vorstellungen von „Demokratie“ und „Gesellschaft“, sowie Lebenspraxen der (weiblich konnotierten) „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“. Die wenigen gesellschaftskritischen Analysen operieren noch immer oft hilflos mit dem für die achtziger Jahre von Susan Strange geprägten Begriff „Casinokapitalismus“. Diesen hat die Volkswirtschaftlerin jedoch selbst in den neunziger Jahren als zur Erklärung des ökonomischen Treibens nach 1989 für untauglich befunden. Das gegenwärtige Gebaren, insbesondere auch die Abwehr von Schuld und Verantwortung, erklären die ebenfalls international bekannte Wissenschaftlerin Jean Comaroff und ihr Ehemann John mit der Metapher der „okkulten Praktiken“ - sehr nützlich für die Analyse von Ökonomie, Kultur und Gewalt im Neoliberalismus. In der Tat wird der Schicksalsdiskurs ganz wesentlich auch durch den realen Esoterikboom im Mediensystem forciert. Insofern können die Praktiken der nach ihrer „Wahrheit“ suchenden Journalisten durchaus z. T. mit der Denkhöhe von Handleserinnen und Astrologen verglichen werden, deren „psychic reading rooms“ wiederum weltweit florieren, im Virtuellen des Privatfernsehens, im Internet aber auch real in vielen Städten.
Noch am 13.3. fragte sich Innenminister Wolfgang Schäuble im Deutschlandfunk: „wie kann das passieren, dass ein Mensch so etwas Unfassliches begeht?“ Schäuble ist selbstverständlich weiterhin für Waffenbesitz in privater Hand. 40 Millionen Waffen sind in diesem Land im Umlauf, davon mindestens 7 Millionen im Privatbesitz. Warum? Wie viele Frauen halten in diesem Land Waffen im Tresor oder Nachtkästchen für ihre Töchter bereit? Warum darf ein Waffennarr wie Vater Jörg Kretschmer, dessen Sohn schließlich zur mordenden Kampfmaschine gegen Mädchen und Frauen wird, unbehelligt Erziehungsberechtigter für zwei Kinder sein? Fragen, die nicht gestellt wurden.
Immer schriller und krawallartiger wird in den Stunden und Tagen danach das „Unfassbare“ angerufen, immer auch mit Aufbietung und Verschwendung öffentlich-rechtlicher Gebühren. Im Kontext der ARD Sendung Plasberg war es „die Bluttat, die niemand versteht“ (12.3.).
Den mit Abstand unglaublichsten Medienkommentar am Tag danach, der im Netz zu finden war, lieferte Jakob Augstein jr., auf seiner neu erworbenen Medienspielwiese „Freitag“. Auf der Website seines „gelaunchten“ Projekts, „chatten“ und „bloggen“ seit Anfang Februar überwiegend Männer was das Zeug hält. Hier bittet Augstein jr. am 12.3. um 16:13 in seinen ganz persönlichen „psychic reading room“: „Bemerkenswert ist, dass wir offenbar nicht hinnehmen können, dass solche Dinge geschehen und wir sie nicht vorhersagen und nicht verhindern und nicht ändern können. Uns fehlt inzwischen die Fähigkeit zum Sich-Fügen, die vermutlich den Menschen der Vergangenheit das Überleben überhaupt erst ermöglicht hat. ….Es gibt im Menschen einen Restbereich des Nicht-Erforschbaren. Einen freien Willen. Ein Leid. Einen Charakter. Einen Schmerz. Egal. Am Ende ist das die Freiheit. Und das Risiko. Das lässt sich nur ausschalten zu Kosten, die wir nicht zu tragen bereit sein sollten. Und wenn es dann geschieht - sollten wir schweigen, so weit wir das können.“
Während Augstein noch dumpf über das Dunkle im Menschen, also das „Nicht-Erforschbare“ und das „hinnehmen können“ (der Mädchen- und Frauenmorde?) für den Stammtisch seiner Neujünger im Netz schwadroniert, konnten wir nur wenig später und in der Folge solche Phantasmen bis in die Wortwahl hinein als „Deutung“ im Deutschlandfunk hören, von mindestens einem der für diesen Sender bekannten Kämpfer gegen „Political Correctness“, der seit Jahren das „Gutmenschentum“ diffamiert.
Bereits am Tag der Morde an Mädchen und Frauen, lieferte der „DLF“ Material zur Themenverschiebung fürs intermediale Hokuspokus: Jungen seien Bildungsverlierer. Das nahmen in kürzester Zeit begierig nicht nur „Bild“ und „Spiegel Online“ sondern viele Zeitungen und Schwatzsendungen auf. Die „Frankfurter Rundschau“ kommentierte noch am 13.3., ergriffen von diesem Gedanken: „Jungen sind die neuen Bildungsverlierer. Nicht allein, aber auch, weil sie sich schlechter anpassen als Mädchen und ihnen jedes Aufbegehren leicht als Unverschämtheit und totale Leistungsverweigerung oder gar Inkompetenz ausgelegt wird. Auf sie hat die Schule ihr strenges Auge gerichtet. In ihrem Schatten können Schüler Mitschüler gnadenlos mobben, können sich Opfer zurückziehen bis zur totalen Isolation. Im schlimmsten Fall lernen wir sie später kennen. Als Mörder in den Medien.“ (Fr 13.3.) Also, tragen Mädchen und Lehrerinnen vielleicht nicht doch auch ein bisschen Mitschuld?
Die „Süddeutsche Zeitung“ sekundiert: „In der gesamten Schulkultur muss sich die Achtung vor dem Anderen niederschlagen. Und Jugendliche brauchen die Gewissheit, dass sich jemand tatsächlich für sie interessiert - für sie als Person, nicht als Fall. Sie fühlen sich schnell zurückgewiesen, gedemütigt, missachtet. Jedem genügend Anerkennung zu geben, unabhängig von Noten, Kleidung oder Zahl der Freunde, ist eine Aufgabe, die im Alltag zu schnell in den Hintergrund gerät“. Und der Reutlinger General Anzeiger vermeldet den Wunsch: Es bleibt eine Chance: Nicht nur Eltern und Lehrer - wir alle müssen nun darüber reden, wie wir für jene Jungen neue Orientierung stiften können, die sich in unserer Mitte als Verlorene empfinden“.
Im Krawallsender RTL hatte der Psychologe Alfred Gebert einen Auftritt, den er auf seiner Website, wo er jeden Medienauftritt eitel auflistet, als „gelungen“ beurteilt. Auf die Frage nach einer Erklärung für die vielen weiblichen Opfer gab der Fachmann für wirtschaftspsychologische Themen Einblick in seine Deutungskompetenz: „Jungs werfen sich blitzschnell untern Tisch, während Frauen zur Salzsäule erstarren und nicht wissen, was sie machen sollen.” Eine junge Freundin kommentierte diese Aussage lakonisch: Wahrscheinlich sei der kosovarische Junge nicht so fit im Spiel von Gewaltvideos gewesen, wo das blitzschnelle Sich-Abducken vor dem Feind eingeübt wird.
Nie jedoch werden wir das wirklich Unfassbare erfahren: Was in den jungen Mädchen vorging, als sie in ihren letzten Sekunden dem Killer mit Angst in die Augen gestarrt haben.
Noch einmal: In diesen ersten Tagen sind nicht die ermordeten Mädchen Hauptthema, wird nicht die alltägliche Gewalt gegen Frauen kontextualisiert. Auch Fragen danach, beispielsweise wie Mädchen und Frauen vor einer „normalen“ männlichen „Kultur“ künftig geschützt werden können, vor Jungen und Männern, die sich Erektionshilfen von Images mit gedemütigten, vergewaltigten, gefolterten Mädchen und Frauen holen.
Blätter und Talkshows konsultierten in diesen Tagen auch gern die schnelle Meinung anderer „Experten“. In der "taz“ vom 13.3. erklärte ein Psychologe ganz allgemein: „Wir haben bei den Tätern zwar eine Überrepräsentation psychischer Krankheiten entdeckt. Doch selbst die Kombination aus sozialem Konflikt und psychischer Krankheit kann einen Amok nicht erklären. Sprich: Wir sind in der Amokforschung ebenso wenig weitergekommen wie allgemein mit der Erklärung von Tötungsdelikten“. Wir sind somit jetzt also bei der Themenverschiebung „Krankheit“ angelangt.
Für den „Kölner Stadtanzeiger“ gibt es nur eine Erklärung: „Tim K. war ein depressiver Waffennarr“. Das „Hamburger Abendblatt“ brilliert ebenfalls am 13.3 auf Seite 1, mit folgender Überschrift: „Amokläufer war in der Psychotherapie“. Was sagt uns die Information „Psychotherapie“ – in der der Mörder Kretschmer im Übrigen nicht war, in der Pressekonferenz des Vortages war lediglich von psychiatrischer Behandlung die Rede gewesen. Doch ganz offensichtlich war dieser leitende Reporter des dem Springerkonzerns gehörenden „Hamburger Abendblatt“ damit überfordert, den Unterschied zwischen psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung zu begreifen. Im Übrigen: wegen Depressionen begeben sich überwiegend Frauen in psychotherapeutische Behandlung, eine große Zahl von ihnen hat massive männliche Gewalt erlebt. Depressive richten in der Regel ihre Aggressionen gegen sich, somatisieren, geraten in starkes Grübeln, manche bringen sich um.
Wir können aber mit Sicherheit von folgendem ausgehen: durch diesen Massenmord ist ein großer Teil von Mädchen und Frauen "getriggert" worden, d.h. die eigenen Gewalterfahrungen werden im Erleben reaktiviert. Das aber ist überhaupt kein Thema. In den Rundfunkmedien war am 13.3. der Hype „Depression“ jedoch schon durch einen anderen überlagert: Bereits am 12. hatte sich der „DLF“ in die Kombination „Täter war in psychiatrischer Behandlung und kündigte Pläne im Internet an“ verbissen und hatte diese wortreich über Stunden verbreitet, in einer Ausführlichkeit, die wir sonst nur aus der Berichterstattung zum 11. September, über Hurrikans, Wahl des US-Präsidenten etc. kennen. So wurde um 15 Uhr am 12.3. Folgendes verlesen „Der Amokläufer von Winnenden hat seine Tat offenbar im Internet angekündigt. Baden-Württembergs Innenminister Rech sagte in Waiblingen, der Täter habe in der Nacht zu Mittwoch mit einem Jugendlichen aus Bayern in einem Chatroom kommuniziert und dabei erklärt, er werde seine frühere Schule aufsuchen. Wörtlich hieß es: „Ich meine es ernst. Ich habe Waffen hier. Merkt Euch nur den Namen des Ortes: Winnenden“. Der andere Jugendliche habe die Ankündigung nicht ernst genommen und seinen Vater erst nach dem Amoklauf informiert, berichtete Rech. Seinen Angaben zufolge war der Täter im Umgang mit Schusswaffen geübt. Er sei im Übrigen wegen Depressionen zeitweise in stationärer Behandlung gewesen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart teilte mit, er habe sich mit Gewaltspielen beschäftigt - so wie viele Jugendliche in diesem Alter. Der Amokschütze hatte gestern insgesamt 15 Menschen getötet, darunter neun Schüler. Anschließend erschoss er sich.“ Mehrfach lief diese Nachricht. Keine Recherche, kein einziger Hinweis auf die Opfer. Am nächsten Tag wird ein Wissenschaftsredakteur des Senders, der für seine seriösen Recherchen bekannt ist, berichten, was er in seiner Freizeit innerhalb von 5 Minuten herausgefunden hat: die Angaben der Behörden, den angeblichen Abschiedsbrief betreffend, können unmöglich stimmen. Doch eine Klarstellung in den "DLF"- Nachrichten, unseriös gearbeitet zu haben, erfolgte nicht. Am 13.3 um 6 Uhr war lediglich verschämt zu hören: „Der Amokläufer von Winnenden hat seine Tat offenbar doch nicht im Internet angekündigt. Polizei und Staatsanwaltschaft erklärten, es gebe daran inzwischen erhebliche Zweifel“.
An Wochenende wandten sich dann viele Medien dem Vater des Mörders zu, der sehr entrüstet und offensichtlich exklusiv der Nachrichtenpostille Focus kundgetan haben soll, sein Sohn sei nicht in psychologischer Behandlung gewesen. Das erregte wiederum ordentlich Aufsehen, erlangte im „Deutschlandfunk“ Nachrichtenstatus, noch am 14.3 war in den 22 Uhr Nachrichten zu hören: „Nach dem Amoklauf von Winnenden hat Bundesinnenminister Schäuble vor übereilten Gesetzes-Initiativen gewarnt. Er sei nicht der Meinung, dass man kurz nach einem solchen Ereignis wissen könne, welche Schritte nötig seien, um derartige Taten in Zukunft zu verhindern, sagte Schäuble der ‚Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung’. - Bei dem Amoklauf am vergangenen Mittwoch hatte ein 17-Jähriger 15 Menschen erschossen und sich schließlich selbst das Leben genommen. Das Motiv ist weiter unklar. Die Eltern des Täters bestritten unterdessen, dass ihr Sohn psychotherapeutisch behandelt wurde. Die Ermittler hatten zuvor von mehreren Besuchen in einer Spezialklinik gesprochen.“
Am 15.3. gibt die „BamS“ dem Anwalt der Eltern Kretschmer ausführlich Raum: „Die Eltern fragen nach dem Warum – und finden keine Antwort“ und wenig später: “Wir bleiben dabei: Es hat keine psychotherapeutische Behandlung gegeben. Wir erwägen strafrechtliche Schritte gegen den Arzt einzuleiten. Er hat seine Schweigepflicht gebrochen. Ebenso falsch ist, dass es im Keller des Hauses einen Schießstand gegeben hat.“ Bis zum 16.3. gab es keine einzige öffentliche Beleidsbekundung gegenüber den Familien der Ermordeten.
Eine der wenigen Sendungen, die überhaupt die durch Staatsanwalt und Medien inszenierte Normalität von Pornografie auf Rechnern von jungen Männern und Kindern etwas hinterfragte, war das ARD-Magazin „Monitor“. Am 12.3. zeigte "Monitor" z.B. wie auf der Netzseite „SchülerVz“, betrieben vom Medienkonzern Holtzbrinck, die junge Kundschaft tagtäglich mit Links zur pornografischen Seiten und anderen Gewaltvideos versorgt wird, ebenso mit Links zur antisemitischen Hetze oder auch solchen, die Rezepturen zur Drogenherstellung anbieten.
Das systematische Anfixen von Jugendlichen mit Images, in denen die Würde von Frauen massiv verletzt wird, geschieht auch ganz offen in der Werbung. Die US-Journalistin Alex Leo hat für einen Artikel in der "Huffington Post" (12.12.08) einige Werbeanzeigen großer Konzerne analysiert, die 2007 und 2008 weltweit zu sehen waren: unter anderem Fesselspiele von zwei Frauen für Remy Martin, die berüchtigte Vergewaltigungsszene von Dolce & Gabbana, zwei sehr junge Mädchen, die halbnackt in einer sexuellen Szene für Nikon posieren. Das mit Abstand widerlichste Beispiel stammt jedoch aus deutschen Landen: eine BMW-Reklame für Gebrauchtwagen, die der Autorin im Sommer 2008 auffiel. Zu sehen ist das liegende, aufreizend geschminkte Gesicht eines kleinen Mädchens, von Locken umgeben, allenfalls 11, 12 Jahre alt scheint es. Sie posiert mit laszivem aufreizendem Blick. Unten rechts prangt das BMW-Logo, links im Bild die Schriftzeile: "You know you're not the first." Alex Leo kommentiert diese implizite Aufforderung: „‚Sie ist es gewohnt, deshalb kannst du mit ihr machen, was du willst’“. Der BMW-Käufer kann so seinen ultimativen Machtphantasien freien Lauf lassen: „Eine Jungefrau, die zu nichts nein sagen würde“, schreibt Leo, „die wie das Auto einfach in deinen Gebrauch übergehen kann.“
Ende des ersten Teils. Mehr über heutige Gewalt-Pornografie im zweiten Teil; klicken Sie unten auf den Link ("S. 2" oder den Titel "Am Ende angekommen"...)
••••••• Hier noch ein wichtiges Interview mit Douglas Kellner, dem Autor von Guys and Guns Amok, zum Thema Waffen, Männlichkeiten und School Shootings.
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6 Kommentare
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26.02.2010 um 04:44 Uhr Alex
Sorry, aber der Artikel “strotzt nicht nur voll frauenrechtlicher Betroffenheit”, wie eine Kommentatorin schon schrieb, sondern ist schlicht und einfach falsch.
Auf den Bondage Fotos waren Männer zu sehen, die gefesselt waren…wie erklären sie sich das? Es würde zumindest nicht Schaden Ihren Artikel dahingehend zu ändern, um nicht völlig ubglaubwürdig zu erscheinen.
Ansonsten ist mir auch aufgefallen, dass sie grundsätzlich kein gutes Haar an Männern lassen.
Vielleicht haben sie ja mal negative Erfahrungen mit Männern gemacht, aber ihr Männerhass ist schon pathologisch und nicht mehr normal, sie sollten (und das ist ernstgemeint) sich in eine Therapie begeben…
Trotz alles finde ich ihre Seite mit dem Frauen Biographien sehr gut.
Liebe Grüße
Alexandra
10.09.2009 um 17:12 Uhr Amy
Danke für die hervorragende berichterstattung!
Pardon, wer sich ca. 2oo porNofilme, u.a. mit widerwärtigen bondage-szenen, in denen frauen auf unglaubliche weise dargestellt/missbraucht werden, und div. gewaltspiele anschaut sowie gefallen daran findet, dem unterstelle ich `frauenverachtung` und `frauenhass`. Da konnte der mädchen-und frauenmörder noch so gut versuchen, sein wahres gesicht hinter einer maske von `freundlichkeit` zu verbergen.
Die herstellung, den gebrauch und handel mit derartigen porno-filmen zu verharmlosen, ist in meinen augen ein weiteres frauenverachtendes verbrechen, das somit von der zahlreichen männlichen kundschaft ideell unterstützt wird.
Lt. Prof. Klaus Mathiak (neurobiologe und verhaltenspsychologe) - leiter eines forschungsprojekts, das die wirkung von gewaltmedien auf das gehirn und auf das verhalten des menschen erforscht - wirken filme, in denen sexuelle gewalt dargestellt wird , eindeutig verstärkend. Alles, was häufig wiederholt wird - der tennisaufschlag, das spielen eines instruments, vokabelnbüffeln -, verändert das gehirn. Der pornografische blick ist ein erlernter
blick. Wenn pronografie zum bestandteil des alltags wird, verändert sich nicht nur die sexualität eines menschen, sondern sein ganzes wesen. Gerade kinder lernen durch zuschauen und nachahmen.” (Quelle: Voll porno, stern 2oo7)
Der letzte amoklauf aufgrund von frauenhass fand am 4. august 2oo9 in einem fitnessStudio/bridgeville/usa statt. Der frauenmörder kannte seine opfer und führte im internet tagebuch: “.... ich sehe gut aus, kleide mich gut, aber 3o mio frauen wollten in den letzten 18-25 jahren nichts mit mir zu tun haben…” Drei frauen wurden gezielt getötet und 1o weitere schwer verletzt.
21.04.2009 um 13:14 Uhr Mari
Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Frauenhass eine Rolle gespielt hat. “Der Standard” aus Österreich zitiert den Polizeibericht etwas besser als deutsche Medien, so berichtet er: “Die vorläufige Opferbilanz am Abend: 16 Menschen sind tot: drei Lehrerinnen, drei Passanten, neun Schüler - unter ihnen auffallend viele Mädchen, was die Spekulationen anheizte, Tim K. könnte aus Verletztheit, weil er sich zurückgewiesen fühlte, getötet haben. Die hohe Anzahl von Mädchen könnte aber auch mit der Sitzordnung in den Klassen zusammenhängen, so die Polizei.” Ich schließe mich dieser Interpretation an. Demnach riss der Täter die Tür des Klassenzimmers auf, zielte und schoss auf die Schüler der ersten Reihen, die der Tür und damit ihm am nächsten waren und zog weiter zum nächsten Klassenzimmer. Die Mädchen saßen vorn, in den Klassen waren zumeist Lehrerinnen tätig, daher die vielen weiblichen Toten.
Das war auch ganz einfach zu recherchieren. Offensichtlich gibt es in den Medien daher einen Konsens, das Frauenhass sehr wahrscheinlich keine Rolle gespielt hat. Offensichtlich haben die doch nicht so schlecht recherchiert.
Dazu äußern Sie sich aber natürlich nicht, denn damit wäre der Aufhänger Ihres Artikels zunichte.
Ich finde es auch nicht in Ordnung, wie sie den Tod des Jungen hinwegwischen, als wäre er, sehr salopp gesagt, nur Kollateralschaden im Kampf des Täters gegen die Mädchen. Hier zeigen sich die zynischen Auswirkungen Ihrer Weltsicht ist.
14.04.2009 um 14:30 Uhr Alexander
Sie schreiben: “Mit seiner wissenschaftlichen Untersuchung „Feindbild Frau“ (2004), hat Pohl, unter Rehabilitierung des Libidokonzepts, die bisher umfassendste psychoanalytische Arbeit zur Genese von Frauenhass und männlicher Gewalt im deutschen Sprachraum erstellt” und beklagen anschließend: “Selbst wenn wir gutmütig sogar den halbwegs seriösen Medien lediglich Faulheit bei der Recherche unterstellen: In diesem Fall [...] hätten ein paar Mausklicks genügt, um dieses und dann auch weiteres Hintergrundmaterial studieren zu können.”
Professor Pohls vorgeblichen Erklärungen (was Sie “Rehabilitierung” nennen, ist in meinen Augen die Wiederbelebung eines Kadavers) sind unwissenschaftlich und obskurantistisch.
Während seine soziologischen Untersuchungen (vA sein klarer Blick auf soziale Geschlechterhierarchisierung) überzeugend begründet und von großem kritischen Wert sind, lassen sich Professor Pohls freud’sche Irrlichtereien im Zeitalter empirischer Psychologie nicht mehr ernst nehmen.
Da gibt es nichts zu “studieren”.
Wer behauptet, ‘der Mann’ (also [fast] jeder Mann) habe “[p]rinzipiell” (also notwendig, grundsätzlich oder immer) eine “ambivalente bis feindselige Einstellung [...] zu seinen weiblichen Sexualobjekten” entlarvt vermittels pseudowissenschaftlich verbrämter Sprache von ‘Prinzipien’ und ‘Objkten’, seine überkommene Methode. Und dass “die Idee der Vernichtung des Objekts und seiner Surrogate unbewußt immer enthalten” sei, ist (wie überraschend!) eine ebenso kritikimmune wie okkultistische Behauptung.
Bestimmt stellt für viele Degenerierte “der Haß auf das eigene (sexuelle) Begehren, für das die Frau verantwortlich gemacht und deshalb bestraft wird” den Quell ihres Frauenhasses dar. Aber diese Erklärung an eine (methodologisch zweifelhafte) Behauptung über ‘den Mann im Prinzip’ anzuschließen, erscheint mir bestenfalls lächerlich übertrieben.
Bei allem Respekt (jedoch nicht vor Derrida): Vergessen wir die Psychoanalyse!
Davon abgesehen, finde ich Ihre Darstellung der Hintergründe, sowie Ihre Kritik an Berichterstattung und öffentlicher Verarbeitung (besser wäre wohl ‘Verleugnung’) sehr überzeugend und lehrreich.
Vielen Dank, Frau Dr Huhnke, für diesen vortrefflichen Essay!
19.03.2009 um 10:40 Uhr Katja Finkenhagen
Es ist doch völlig gleichgültig, ob der Täter nun Mädchen/Frauen oder Jungs mit deutsch-kosovarischem Hintergrund, wie sie so schön berichten, getötet hat. Die Opfer sind allesamt MENSCHEN, die nun tot sind; nichts kann sie zurückbringen. Auch nicht ihre Analyse, die nur so vor frauenrechtlicher Betroffenheit strotzt. Die tatsächlichen Beweggründe des Mörders werden niemals ans Tageslicht kommen, da er sie mit ins Grab genommen hat ohne einen Abschiedsbreif zu hinterlassen. Ganz offensichtlich war er ein einsamer gestörter Mensch; seine Eltern haben auf voller Linie versagt und ihm durch die nachlässige Lagerung von Waffen diese Tat ermöglicht. Sicherlich hatte er Probleme sich dem weiblichen Geschlecht zu nähern. Ich bedauere den Tod der unschuldigen Opfer und der Angehörige zutiefst. Man sollte deren Schicksal nicht schreierisch in den Medien behandeln - aus Rücksichtnahme den Überlebenden gegenüber. Ich empfinde eine tiefe Abneigung gegen den Täter und traurig, dass er in den Medien als “Opfer seiner Umwelt” dargestellt wird. Anscheinend war er ein verwöhnter Junge aus wohlhabendem Hause, der alles hatte und doch nichts. Ich denke täglich an die unschuldigen Mädchen, den Jungen und die anderen Getöteten, die mitten aus dem Leben gerissen wurden. Dabei spielt hier keine Rolle, ob sie nun weiblich oder männlich waren. Es ist eine Tragödie, die diese kleine Stadt für immer verändert hat.
18.03.2009 um 12:38 Uhr Anne
Vielen Dank für Ihren Artikel. Er hat mir aus der Seele gesprochen. Manchmal halte ich mich selbst für verrückt, weil in den Medien und durch deren unkritische Konsumenten alles auf den Kopf gestellt wird: Ungerechte Entlohnung ist “Wirtschaft”, Lobbyismus ist “Politik” und die Herabwürdigung der Frau ist “sexuelle Befreiung” - und wer dagegen aufbegehrt ist “Gutmensch”, “Spießer”, “Feministin” und Schlimmeres. Die Gesellschaft hat ihren Verstand verloren und ich bin wirklich froh darüber, in der Masse von Sinnlosnachrichten, Falschmeldungen, Vereinfachungen und Diffamierungen ab und zu Lichtblicke wie Ihren Artikel zu finden, der mich darin bestärkt, weiter für Menschlichkeit einzutreten.
Mir war nicht bewusst, dass es sich bei dem Großteil der Opfer um Mädchen handelt. Es erschreckt mich immer wieder, wie leicht man durch Massenmedien zu führen ist. Meiner Meinung und Erfahrung nach liegt das Problem jedoch nicht allein oder vorrangig beim männlichen Geschlecht, auch wenn ich dem Grundtenor des Artikels uneingeschränkt zustimme. Viele Frauen sind auf die eine oder andere Art gerne käuflich. Pornos werden nicht ausschließlich mit willenlos gemachten Mädchen und Frauen produziert, auch nicht im Bereich “Bondage/ SM”. Im Gegenteil, viele Mädchen und Frauen sehen das als Ausdruck ihrer “freien” Sexualität. Ich selbst war lange Zeit in diversen (Social) Communitys unterwegs. Die Gesellschaft, die Medien, die Stars und die Werbung leben uns vor, dass die Frau in erster Linie sexy sein muss und das findet seinen Niederschlag u.a. bei den weiblichen Profilen. Jeder Mensch braucht Bestätigung, junge Frauen z.B. in Form vieler Verehrer, die die eingestellten Bilder loben. Dass dieses Frauenbild sich ingesamt zum Negativen für alle Frauen auswirkt, sehen die meisten nicht. In der “Anonymität” des Internets lebt sich’s recht ungeniert. Für Männer und Frauen.
Wie gesagt bin ich daher sehr sehr froh, dass Sie die “Einzeltat” in ein gesamtgesellschaftliches Bild gerückt haben.
Alles Gute wünscht
Anne / 26 Jahre / Berlin