Formel 1
Formel 1
von Helke Sander
Eigentlich mache ich mir schon lange darüber Gedanken, auf welche Weise man die Autoraser, die es oft auch auf der Berliner Kantstraße treiben, von einer ungefährlicheren Fahrweise überzeugen könnte.
Offenbar fühlen sich die Jungs beim Rasen außerordentlich männlich, potent und unwiderstehlich. Sie haben prominente Vorbilder: Allein heute, am 1.7.21, könnte man auf verschiedenen Sendern mit Wiederholungen 45 (!) Beiträge über Motorsport im Fernsehen sehen. Die Programm-Macher teilen also wohl diese Liebe zur Raserei, wenn sie von Stars der Autofirmen in Szene gesetzt wird. Tote und Verletzte gehen offenbar ausschließlich auf das Konto von Möchtegern-Profis, denn Formel-1-Fahrer sind ja inzwischen „Piloten“. Diese Piloten feiern ihre Siege und Botschaften mit großen Flaschen, aus denen sie den Champagner ejakulieren lassen.
Offenbar ist der Sinn der Übung, sich als potenten Mann zu zeigen, und das Auto ist das Mittel dazu.
Nun ist es aber so, dass Frauen, denen diese Potenz vorgeführt wird, mit einer solchen Raserei nichts anfangen können. Sexuell können sie ihr schon gar nichts abgewinnen. Das ist mir schon vor Jahrzehnten aufgefallen, und ich habe über „Rammler und Raser“ auch mal einen Film machen wollen, der allerdings trotz geplanter und zugesagter Starbesetzung keinen Erfolg bei der Finanzierung hatte.
Ich habe diesbezüglich auch mal an die Verkehrspolizei geschrieben, um einen kleinen Hinweis zu geben, mit welchen Mitteln evtl. die tägliche Straßenraserei (das gilt auch für Radfahrer) zu bremsen wäre: Mit Aufklärung darüber, dass der beste Beweis dafür, ein schlechter Liebhaber zu sein, der Wunsch ist, schnell und immer schneller zu sein – Garantie für Versagen. Die Polizei schaut leider selber Formel 1.
Heute tritt die Türkei aus der Istanbul-Konvention aus. Diese Konvention verpflichtet Staaten, Frauen und Mädchen vor männlicher Gewalt zu schützen.
Die vielen Femizide schon in diesem Jahr werden nicht öffentlich mit entsprechend zahlreichen täglichen Fernsehsendungen angeprangert. Noch nie sind etwa Fußballspieler auf den Gedanken gekommen, gegen Femizide zu knien.
Femizide finden keinen Weg ins Fernsehen, denn da läuft immerzu Formel 1.
© Helke Sander 1.7.21
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