Ein Vorschlag gegen die Vermännlichung der Sprache
von Ursula Müller
Noch heute erinnere ich mich an die Rede der scheidenden Direktors des Amerika-Hauses in Hannover in den 90er Jahren, in der dieser die Schwierigkeiten eines Ausländers beim Erlernen der deutschen Sprache thematisierte und dabei vor allem auf das grammatische Geschlecht einging. Es sei, so meinte er, wirklich schwer einzusehen, warum es der Feminismus, die Männlichkeit und das Weib heiße. Heute will mir scheinen, haben solche Probleme auch Inländerinnen und Inländer - ohne Migrationshintergrund.
Was fällt bei folgendem Satz auf: „Wenn man durch die Stadt mit seinen ... Einwohnern streift,...“ (gehört am 4.7. 2010 im NDR Feature nach 11.05 h)
Nein, ich meine weder das „man“ noch die „Einwohner“, es muss natürlich heißen: „mit ihren Einwohnern“ (besser natürlich noch: mit ihren Einwohnerinnen und Einwohnern), schließlich ist die Stadt grammatikalisch weiblich. Hier geht es nicht um political correctness, sondern um sprachliche Korrektheit.
Zugegeben, das Phänomen ist nicht neu. Mitte der 80er Jahre hatte ich, damals Frauenbeauftragte von Hannover, moniert, dass eine offizielle Broschüre der Stadt den Titel trug „Ansprechpartner Stadt“. Feministinnen, deren Sprachbewusstsein in jenen Jahren sehr ausgeprägt war, schlossen sich meiner Forderung nach Änderung des Titels vehement an und waren glücklich, dass sie in diesem Fall in der Grammatik eine starke Bundesgenossin hatten. Sie konnte auch nichts bewirken. Der damalige Leiter des Presseamts weigerte sich standhaft. Eine Stadt als Ansprechpartnerin sei für die Bevölkerung nicht zumutbar. Wie so oft setzte sich ein Mann gegen zahlreiche Frauen durch und die Grammatik war auch „nur“ weiblichen Geschlechts. Seine Ablehnung fanden wir um so unverständlicher, als das Bauamt, nicht gerade von weiblichen Beschäftigten dominiert und gewiss keine Brutstätte eines radikalen Feminismus, seit Jahren und ohne die geringsten Probleme bei der Bevölkerung oder gar den Bauarbeitern seine großen Tafeln an Baustellen mit „Bauherrin: Landeshauptstadt Hannover“ beschriftete.
Es ist aber nicht nur die Stadt, der ihre Weiblichkeit teilweise abgesprochen wird, auch andere nicht-personenbezogenen Begriffe erleiden ein ähnliches Schicksal:
• „Auch die EU-Kommission, die sich über die Jahre als treuer Unterstützer der Gentech-Industrie bewies, hat kein demokratisches Rezept für fehlende Akzeptanz.“ (gelesen in: Gentech in der Defensive, taz vom 30.7.2010, Autor: Wolfgang Löhr)
• „Auch im Mineralreich gibt es Beispiele dafür, wie sich Materie in seinem physikalischen Zustand und seiner sichtbaren Form verändern kann.“ (gelesen in: Gregg Braden: Das Erwachen der neuen Erde Die Zeitenwende hat bereits begonnen! Hans-Nietsch-Verlag, 1999, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Olaf Baumunk, Bearbeitung und Lektorat Ulrich Arndt)
• „Jede Zeit zeigt sich in seinen Gebäuden.“ (gehört in der NDR-Sendung „Zwischen HH und Haiti“ am 20.6.2010)
Besonders schockierend empfand ich ein Beispiel, auf das mich die feministische Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch aufmerksam machte:
• „In allen Fällen (...) hat die Sprache seinen Dienst verweigert, denn sie hätte dazu dienen müssen (...) den Gedanken hinter Wittgensteins Genusfehler geschlechtsneutral zu halten.“ (so stand es 2009 in der Hausarbeit von Stephanie M. zum Thema: Wittgenstein und das generische Maskulinum)
Geschockt war ich, weil sich die Autorin philosophisch mit dem generischen Maskulinum beschäftigt und es dann selbst auf die Sprache anwendet.
Gefühlt scheint diese Tendenz der Vermännlichung in der Sprache im Steigen begriffen. Bei Büchern werden solche Fehler von LektorInnen überlesen, bei Radiosendungen vermutlich von den zuständigen Vorgesetzten überhört.
Was geht hier ab? Warum sträubt sich bei einigen Menschen offenbar etwas dagegen, Begriffe, die nichts mit Personen zu tun haben, ihrem Genus, also dem grammatikalischen Geschlecht, entsprechend zu verwenden? Ich möchte nicht laienhaft nun tiefenpsychologische Deutungen mit sexueller Konnotation wagen, etwa im Sinne von: Ein Ding wird unbewusst mit Männlichem assoziiert. Ebenso wenig möchte ich ein Horrorszenarium skizzieren von einer zukünftigen Sprachreform, bei der mit abstrakten, weiblichen Begriffen Schluss gemacht wird. Vielmehr frage ich mich, wie eine Gegenstrategie aussehen könnte. Wie wäre es mit einer Umkehrung der Verhältnisse wie in den folgenden, von mir geschriebenen Sätzen?
• Der Staat wird künftig mehr Personal einsetzen, um ihre Steuern von den Reichen einzutreiben. • Der Industrie- und Handelskammertag fordert ihre Mitglieder auf, bei der nächsten Tarifrunde im Interesse des sozialen Friedens von den im vergangenen Jahr erzielten Gewinne den Beschäftigten eine deutliche Lohnerhöhung zu zahlen. • Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat beschlossen, mit ihren Mitgliedsorganisationen aus Branchen, in denen umweltschädliche Produkte hergestellt werden, Stufenpläne zur Umwandlung entsprechender Unternehmen zu entwickeln.
Vielleicht würden dann – so wie ich im umgekehrten Fall – Menschen darüber stolpern, die Sätze zwei-, dreimal lesen und sich die Inhalte einprägen. Das ist zu optimistisch von mir gedacht? Probieren wir's doch einfach mal aus!
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