500.000 Jahre zurück
Von Helke Sander ©
Vorbemerkung
In meinem Buch Die Entstehung der Geschlechterhierarchie (2017, Verlag Zukunft und Gesellschaft) vertrete ich die These, dass der Tausch (ohne Regulierung der Sexualität) und nicht die Arbeitsteilung am Anfang des sozialen Zusammenlebens der Geschlechter stand. Danach schrieb ich noch einige Texte zu dem Thema.
Dies ist der letzte, den ich dazu verfassen möchte. Mögen sich andere mit noch offenbleibenden Fragen befassen.
Literaturhinweise gebe ich hier nur sporadisch. Eine ausführliche Literaturliste findet sich im Buch.
Zeitrechnungen
Stellen wir uns vor, unsere Zeitrechnung begänne nicht im Jahre Null christlicher Zeit oder im Jahr Null, als Mohammed von Mekka nach Medina wanderte oder im Jahr der nach jüdischer Zeitordnung angenommenen Schöpfung vor 5781 Jahren – alles ernstgemeinte Zumutungen, die weltweit durch die tägliche Anwendung gutgeheißen werden. Diese von verschiedenen Herrschern gesetzten Anfänge legitimieren noch heute Gesellschaften, die schon damals patriarchalisch organisiert waren, Frauen unterdrückten, Sklaven hielten und Kriege führten. Mit mehr Berechtigung könnten wir das Jahr Null mit der Zeit vor 500.000 Jahren beginnen lassen, was ungefähr die Zeit beschreiben dürfte, als das Tier nicht mehr Tier war, sondern zu einer neuen Spezies, zum Menschen wurde ohne Rückkehrmöglichkeit in eine frühere tierische Existenz.
Eine solche Zeitbestimmung würde uns nicht mehr mit erst kürzlich entstandenen patriarchalen Religionen konfrontieren, sondern das Gefühl wachhalten, Angehörige einer sehr, sehr langen Geschichte zu sein, in denen viele Arten, die sich mit uns entwickelten, Pech hatten und auf der Strecke blieben. Wir könnten verstehen, dass der Gewinn, ein Mensch zu werden, immer auch Verluste mit sich brachte.
Aus dem ziemlich selbstständig handelnden Säugetier wurden Menschen, die auf jeder Stufe der Weiterentwicklung auch Teile ihrer früheren tierischen Autonomie verloren. Das geht so bis heute, wo wir als Einzelne in der globalisierten Welt nur noch ein paar geschrumpfte Überreste davon besitzen. Vielleicht spielen deshalb die Fragen nach Identität heute eine so große Rolle.
Ich habe in anderen Veröffentlichungen schon versucht, dieser Frage - wann wurde das Tier zum Menschen - nachzugehen (1*) und habe dies hauptsächlich anhand der Erfindung/ Entdeckung des Tauschs von unterschiedlichen Produkten erörtert, die von selbstständigen Frauen und Männern herangeschafft wurden und ein soziales Leben anstelle des noch instinkthaften begründeten.
Ich bin dabei meinem Interesse gefolgt, herauszufinden, wann und warum die weltweite Unterdrückung von Frauen begonnen hat, weil die Anfänge der Zusammenarbeit, auf die ich hier eingehe, eine solche Unterdrückung keineswegs erwarten lassen.
Mir kam es darauf an, die Gründe für diese neuartige Zusammenarbeit herauszufinden und sie auch zeitlich zu bestimmen. So bin ich auf die Zeit vor ca. 500.000 Jahren gekommen, also die Spätzeit von homo erectus. Die Zahlen können mit weiteren Forschungen sicher noch nach oben oder unten korrigiert werden, aber sie geben jedenfalls einen einigermaßen verlässlichen Beleg für diese grundsätzliche Veränderung, die zeigt, dass wir es jetzt nicht mehr mit Tieren zu tun haben, sondern mit einer vollkommen neuen Spezies.
Die werdenden Menschen entwickelten auf diesem Weg vom Affen weg verschiedene körperliche Veränderungen, wie u.a. die Zweibeinigkeit, das Schwitzen, den Fellverlust, Veränderungen im Kiefer, Umstellung der Nahrung zum Allesfresser, Vergrößerung des Beckens bei den Frauen, längere Schwangerschaft im Vergleich zu den Affen, größeres und schwereres, aber unfertigeres Kind bei der Geburt, nachwachsendes Hirn beim Kind, längere Abhängigkeit von der Mutter, vermutlich beginnende Sprachfähigkeit.
Um diese neuen Merkmale auszubilden, brauchten unsere Vormenschen einige Millionen Jahre. Was aber konstant blieb und sich sehr lange nicht änderte, war die Tatsache, dass jede und jeder wie bei den Tieren noch selber für sich und das Essen sorgte – bei zunächst hauptsächlich vegetarischer roher Kost war das auch kaum anders möglich.
Wenn diese sensationelle Neuigkeit: werdende Menschen beginnen zu kooperieren, überhaupt bei Evolutionsforschern unter die Lupe genommen wird, dann ist das nahezu immer verknüpft mit weitgehend unbelegten Behauptungen über Kinderaufzucht und Sex.
Um davon einige Vorstellungen zu geben, werde ich in dem Abschnitt EXKURS mit dem neuesten Buch in diesem Metier beginnen, das während des Schreibens an diesem Text erschienen ist, um noch einmal meine These zu verdeutlichen, dass Sex bei der beginnenden Kooperation der Geschlechter keine Rolle spielte, sondern erst mehrere Jahrhunderttausende später im Neolithikum ein politischer Faktor wurde.
Vom Tier zum Menschen
Wie bei den Tieren lebten unsere Vorfahren in kleinen Gruppen, in denen es eine ständige Fluktuation geben konnte. Da die vorhandenen Vormenschengruppen nicht nur als Gruppe klein, sondern auch in der Gesamtheit nicht zahlreich waren, wissen wir nicht genau, ob die Individuen, die die Gruppen verließen, überhaupt immer eine neue finden konnten. Jedenfalls liegt es nahe, was auch genetisch heute nachgewiesen werden kann, dass herumstreifende Vormenschenarten sich mit anderen ähnlichen Arten paaren konnten, sollten sie sich überhaupt getroffen haben. Neandertaler und Homo sapiens setzten das später fort. So konnte es hellhäutige Neandertalerbabies geben oder dunkelhäutige homo sapiens-Kinder oder ein Gemisch aus beiden, was sich bei uns heute in Europa noch mit 2 % Genanteil Neandertaler nachweisen lässt.
Aber allein auf Trebe zu sein, konnte auch heißen, keinerlei Nachwuchs zu zeugen und als Art völlig zu verschwinden. (Die Evolutionsbiologin Hrdy schreibt in ihrem Buch „Mutter Natur“ auf S. 26, dass es in Afrika vor ca. 100.000 Jahren nicht mehr als 10.000 fortpflanzungsfähige Erwachsene gab). Ähnliches wird von der Neandertalerbevölkerung in Europa behauptet, d.h. es gab etwa so viele Menschen, wie in Corona-Zeiten an einem sonnigen Sonntag bei lockdown light im Schlosspark von Berlin spazieren gehen. Andere Zahlen, z.B. von finnischen Forschern, liegen etwas höher.
Es mussten jedenfalls viele günstige Umstände zusammenkommen, um überhaupt zu überleben und es bis heute zu schaffen.
Wir wissen nicht genau, wie diese Vormenschen lebten, können aber doch einiges vermuten. Bei diesen Vermutungen gibt es gewaltige Unterschiede in der Literatur, je nachdem, ob sie von Männern oder Frauen geäußert werden.
Bei dem weltberühmten Biologen E.O Wilson kommt das Wort Frau praktisch nicht vor, ebenso wenig bei Harari – beide Bestsellerautoren.
Sarah B..Hrdy und Gerda Lerner ziehen die sich verändernde Biologie von Frauen und Männern in Betracht. Allerdings kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Sie befassen sich auch hauptsächlich mit dem Neolithikum, darum gehe ich auf diese Autorinnen hier nicht weiter ein, da mich in erster Linie die Anfänge des Menschseins interessieren.
EXKURS
Gerade ist das Buch „Die Wahrheit über Eva“ von C. v. Schaik und Kai Michel bei Rowohlt erschienen und hat schon vor dem Auslieferungstermin ein größeres Presse-Echo bekommen, u.a. im Spiegel 48/2020.
Ich werde auf einige Behauptungen aus dem Kapitel 3 „Wie wir Menschen wurden“ eingehen und sie am Ende meinen Überlegungen gegenüberstellen.
S.83: „Seit etwa zwei Millionen Jahren gelang es den Vertretern des homo erectus, Fleisch zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Speiseplans zu machen“. (Keine Quellenangabe)i
Das „wesentlich“ ist eine kühne Behauptung für die Zeit vor 2 Millionen Jahren. Mit den Jagdtechniken war es noch nicht weit her. Wenn, wurden kleinere Tiere von Männern wie Frauen gejagt und mussten normalerweise zeitaufwändig roh zerkaut werden (mache wurden auch zerkleinert oder weichgeklopft - auch mit viel Zeitaufwand verbunden.) und es wurde Aas gefressen, sofern man der Konkurrenz durch Löwen, Hyänen, Geier und anderes Getier entkam, die durchaus auch Appetit auf homo erectus haben konnten. Hier und da mag es schon natürlich entstandenes Feuer gegeben haben, das zum Kochen verwendet werden konnte, und das hat mit Sicherheit den Fleischkonsum bekömmlicher gemacht, aber das kann man nicht als Regel für diese Zeit voraussetzen. Die erste gesicherte von Menschen benutzte Feuerstelle, die in Israel gefunden wurde, hat ein Alter von ca. 780.000 Jahren. Pflanzliche Nahrung blieb wichtig, aber allmählich entwickelten sich die Hominiden zu Allesfressern.
S.84: Die Interaktion der Geschlechter führen die Autoren hauptsächlich auf die Nutzung neuer geographischer Räume durch Klimaveränderungen zurück, was zur Kooperation gezwungen haben soll.
Diese Klimaveränderungen spielten sicher eine Rolle, aber auf die biologischen Veränderungen und die Folgen für die Nahrungssuche gehen die Autoren hier nicht ein.
S.85/86 Hier ziehen die Autoren Paviane als Beweis heran, wie mehrere Männchen gemeinschaftlich und zur Verteidigung der Kinder Großkatzen angreifen und übertragen das auf andere Primaten, u.a. männliche Schimpansen, die „ohnehin durch starke Freundschaftsbande miteinander verbunden sind“.
Auch das ist eine sehr fragwürdige Behauptung, weil gerade von Schimpansen bei anderen Forschern immer wieder berichtet wird, dass sie sich äußerst aggressiv gegenüber anderen Männchen verhalten, und aus Filmaufnahmen ist bekannt, wie Schimpansenmütter ihre Kleinkinder vor Männchen schützen. Generell scheint es bei Säugetieren üblicher, dass Weibchen kommunikativer zusammenleben als Männchen, die eher Einzelgänger sind und friedliche Gemeinsamkeiten erst lernen müssen. Viele der zahlreichen Behauptungen der Autoren stützen sich aber immer wieder auf die Freundschaftsbande unter Männchen.
(Am 23. 10. 2020 hörte ich einen kleinen Beitrag von Anneke Meyer in der Reihe „Forschung aktuell“ des Deutschlandfunks. Sie berichtet, dass alte Schimpansenmänner miteinander Freundschaften schließen können, während junge eher aggressiv auf einander reagieren.)
S. 88: Hier gehen die Autoren von in der Savanne lebenden großen Gruppen aus, die die enorme Zahl von ca. 1000 Mitgliedern umfassen sollen, was die Macht der Alphamännchen beschränkt und auch rangniederen Männchen erlaubt, Nachkommen zu zeugen, Klein-kindern zu helfen und die Nahrung mit ihnen zu teilen.
Leider fehlen hier und im folgenden Zitat auch Quellenangaben:
„Bricht nun aber in den großen Gruppen das Alpha-Monopol zusammen, wie es einst bei unseren Vorfahren der Fall gewesen ist, kann ein Männchen eine Freundin haben, die es im Gegenzug für eine bessere Chance, ein Baby zu zeugen, fortan unterstützt. Und natürlich helfen sie damit auch dem Nachwuchs. Primatologen nennen solche sozialen Arrangements, die für beide Seiten Nutzen bringen, Freundschaften, weil das gesamte Paarungssystem promiskuitiv bleibt und sich nicht immer eins-zu-eins-Paarbindungen entwickeln. Obwohl Weibchen in der Regel einen einzigen Freund haben, können einzelne Männchen mehrere Weibchen aushalten, schon allein, weil die meisten Gruppen einen Überschuss an Weibchen aufweisen. Diese Freundschaften erwiesen sich als die Basis, aus der heraus sich die die Paarbeziehungen, die wir bei modernen Menschen sehen, allmählich entwickelten“.
Wichtig ist hier die Bemerkung, dass die Beziehungen promiskuitiv blieben, was auch meiner Erkenntnis entspricht. Allerdings teile ich nicht die Überlegung einer Verbindung zwischen Versorgung und Sexualität. Wie die Männchen es fertigbringen sollen, mehrere Weibchen und eigene (!) Kinder mit Nahrung zu versorgen und auch noch zu wissen, dass sie die Erzeuger sind, erklären die Autoren uns leider nicht, ebenso wenig, wieso daraus Paarbeziehungen entstehen sollten, die schon moderne Verhältnisse wie Ehefrau im Eigenheim fürs Wochenende und kinderlose Sekretärin für die Woche vorweg zu nehmen scheinen.
Ein weiteres Zitat möchte ich nicht unterschlagen, weil es ein paar richtige Beobachtungen mit männlicher Ideologie paart und zu falschen Schlüssen führt:
Auf S.89 unten beschreiben die Autoren die Abende der Horde im Schutz von Dornenhecken:
„Freunde konnten mit ihren Partnern Essen teilen. Später entwickelten sich solche Plätze zu Ausgangsbasen, an denen eine Gruppe einige Tage oder Wochen blieb, bis sie weiterziehen musste, weil die Nahrung vor Ort knapp wurde. Dieses Arrangement, bei dem Männchen und Weibchen tagsüber zumindest partiell getrennte Wege gingen, entwickelte sich später zu dem, was heute in der Anthropologie als sexuelle Arbeitsteilung bezeichnet wird. .......Im Ursprung aber war diese Arbeitsteilung mit ziemlicher Sicherheit ein Nebenprodukt der simplen Tatsache, dass Männchen gewöhnlich mit ihren Kumpanen unterwegs waren und Weibchen ebenso zusammenblieben, um ihre eigenen ökologischen Bedürfnisse zu erfüllen.“
Diese eigenen „ökologischen“ Bedürfnisse der Frauen habe ich in meinem Buch eingehend erörtert.
Etwas später gehen die Verfasser durchaus darauf ein, dass die Nahrungsbeschaffung ein Problem war. Hier kommen nun die Mütter ins Spiel: Die Verlangsamung der Kinderreproduktion aufgrund längerer Stillzeiten konnte zum Aussterben der Gruppe führen. Um den Mangel aufzuheben, hörten die Mütter auf, sich allein um die Kinder zu kümmern.
„Ist Unterstützung da, können die Kinder schneller abgestillt werden und die Mutter bekommt rascher wieder ein neues Baby.“
Außer anderen Frauen, Töchtern, Tanten treten nun die Väter auf den Plan und werden fürsorglich, um das Aussterben zu verhindern. So kompliziert konnte homo erectus immerhin schon denken, obwohl er noch nichts von seiner evtl. Vaterschaft wusste. Cooperative Breeding nennen das Anthropologen, „gemeinsame Jungenaufzucht“ .
„Auch Männer waren immer bei der Ernährung und Erziehung der Kinder dabei.“
S.92 „Das ist also vermutlich der Punkt in unserer Evolutionsgeschichte gewesen, an dem sich die bereits bestehenden Freundschaften in sexuell engere Paarbeziehungen verwandelten. ..... Das Weibchen erlaubt dem Männchen, sich mit ihr zu paaren, wenn auch nicht ausschließlich, im Gegenzug kümmert sich das Männchen um das Weibchen, wann immer es kann, auch wenn die Kinder nicht unbedingt seine eigenen sind.“
Wir sprechen hier immer noch vom homo erectus, dessen Lebenszeit vor ca. 2 Millionen Jahren anfing, sich etwa bis zum Auftauchen der Neandertaler erstreckte und sich in den unterschiedlichsten Weltgegenden abspielte. Im Lauf der Zeit machte er viele körperliche Veränderungen durch.
Immerhin befassen sich die Autoren überhaupt mit der Biologie und mit den durch sie aufgeworfenen Problemen. Immerhin stellen sie fest, dass promiskuitives Verhalten bei beiden Geschlechtern normal war, aber unweigerlich führt die zunehmende Zusammenarbeit bei ihnen wie bei nahezu allen anderen Evolutionstheoretikern zur sogenannten Familie, sogar zu „romantischer Liebe“ (S.96), die aus gegenseitiger Versorgung und Sexualpartnerschaft besteht. Damit diese sexuelle Arbeitsteilung hieb- und stichfest wird, müssen allerdings noch ein paar weitere Voraussetzungen erfüllt sein:
Unabdingbar für die frühe Zusammenarbeit der Geschlechter sind nach den Autoren Freundschaftsbande unter Männern, die offenbar schon vor Millionen Jahren mehr als heute für Kinder, nicht einmal unbedingt die eigenen Kinder, sorgten. Sie teilten mit Weibchen, die sie begehrten, die Nahrung (S.102), obwohl an anderer Stelle steht, dass Frauen ihr eigenes Essen sammeln, mit ihren Männern sogar teilen und wirtschaftlich so autonom sind wie Männer. Das letztere ist richtig, darauf wird aber nicht eingegangen. Gleichzeitig sorgen aber Männer an anderer Stelle (S.100) wiederum für zwei Drittel der Kalorien der Gemeinschaft.
(Nach Hrdy sind es Frauen, die 60 % der Nahrung herbeischaffen, was ebenso wenig beweisbar ist).
Außerdem teilen alle Gruppen mit anderen Gemeinschaften dieselbe Sprache, was es den einzelnen leicht macht, in eine andere Gruppe zu wechseln, in Krisensituationen oder um zu heiraten (S.100).
Hier wäre es schön zu erfahren, von welcher Zeit hier eigentlich die Rede ist. Wann die die Sprachfähigkeit entstand, ist nach wie vor umstritten und die Vermutungen reichen von der Zeit vor etwa 500.000 bis zu der vor 100.000 Jahren. Und wie man aus Papua-Neuguinea z.B. weiß, hatte praktisch jedes Dorf lange Zeit noch seine eigene Sprache und konnte die der anderen nicht verstehen (was dort die sehr viel später noch nachprüfbaren Heiratssitten beeinflusste und die in andere Dörfer verheirateten Frauen zu Übersetzerinnen machte. Auch heute noch hat diese Gegend viele Sprachen, und im wenig besiedelten Australien soll es vor der Übernahme der Weißen über 600 gegeben haben).
Ein ganz wichtiger Beitrag zur sexuellen Arbeitsteilung, die praktisch von den Männern initiiert und vorangetrieben wurde, war nach den Autoren die Tatsache, dass Mutterliebe keine Selbstverständlichkeit war. Die Kinder mussten geradezu vor den Müttern geschützt werden (S.96). Es soll nahezu unmöglich gewesen sein, dass eine Mutter ihr Kind alleine großziehen konnte. Deshalb entwickelte sie ein feines Gespür für mögliche Hilfe, die nicht nur von Tanten, sondern eben von Männern kam.
Dass schon Affenmütter sich um verwaiste Kinder kümmern, ist bekannt. Dass sie sie vor aggressiven Männchen schützten, ebenso und dass sie ihre Intelligenz entwickeln mussten, um bei Fellverlust andere Hilfsmittel zu erfinden, auch.
Das soll an Argumenten genügen, um das heillose Dilemma aufzuzeigen, das immer wieder in der Forschung entsteht, um den immer wieder behaupteten Zusammenhang von Versorgung und sexuellem Zusammenleben = Ehe zu belegen.
Diesen Zusammenhang habe ich bestritten, eine Erkenntnis, die bei mir allmählich seit Ende der siebziger Jahre gewachsen ist und in diesem Jahrtausend mit Belegen untermauert werden konnte, wobei ich das Gebiet aus eigenem Interesse und nebenbei seit 1968 erkundet habe.
SEX in der Geschichte
In Affenzeiten und noch lange danach hatten die Geschlechter hauptsächlich über Sex miteinander zu tun, von dem wir nicht wissen, ob er irgendwelche angenehmen Gefühle hervorrief oder einfach ein instinkthaftes Verhaltensmuster der Begegnung war, über das noch nicht nachgedacht werden konnte. Schimpansenmännchen haben ein eher aggressives Sexualverhalten, die Frauen zeigen nicht ihre Lust, aber ihre Empfängnisbereitschaft durch das geschwollene und gefärbte Hinterteil, Bonobos haben ein ausgesprochen vielfältiges, LGBTQ-affines Sexualverhalten, und es scheint ihnen zu gefallen. Wir wissen auch wenig darüber, ob die Schimpansen und Bonobos sich im Lauf der 5-Millionen Jahre ebenfalls noch stark verändert haben und Vergleiche mit der Entwicklung der Menschen immer gezogen werden können.
(Sexuelle Vielfalt kennzeichnet auch den Schleimpilz, Physarum polycepharum. Er soll das einzige Lebewesen sein, das sich nicht nur ohne Hirn intelligent benehmen kann, sondern dem auch wissenschaftlich 13 Geschlechter zugeordnet werden können. ZEIT 4.9.92).
Die Gruppen verteidigten sich gemeinsam oder liefen gemeinsam weg, sie lebten hauptsächlich vegetarisch, was bedeutete, dauernd nach Futter suchen zu müssen. Da blieb wenig Zeit und Raum für die ständig von Evolutionsbiologen behauptete Zusammenarbeit der Geschlechter schon in der frühen, aber bei ihnen immer zeitlich ungenau bleibenden Vorzeit, die vor allem immer darauf hinausläuft, dass Frauen fast von Anfang an auf „das Haus“ und die Männer auf die Regelung der größeren Angelegenheiten programmiert wurden und so jegliches Aufbegehren bis heute mit Naturgesetzen begründet wird.
Eines Tages aber kam es nun wirklich zur Zusammenarbeit der Geschlechter. Diese Erfindung oder Entdeckung war der Punkt of no return und löste erst langsam, dann immer schneller die bisherige Selbstversorgung ab. Damit beginnt endgültig die Menschheits- und endet die Tiergeschichte.
Die körperlichen Veränderungen haben Probleme geschaffen, die jedes Geschlecht für sich selbst zu lösen hatte. Jeder Entwicklung ging ein Problem voraus, (wie z.B. der erwähnte Fellverlust für die Frauen, weil sich die Kinder nicht mehr festhalten konnten) das gelöst werden musste – und dabei neue, meist lange unerkannt bleibende Probleme schuf. Die vielen biologischen Veränderungen lassen zumindest bei Frauen eher die Neigung entstehen, nicht viel herumzurennen. Darum ist verständlich, warum Frauen die Fähigkeiten ausbildeten, die besonderen Merkmale eines Ortes im Nahbereich zu erfassen, während Männer, unbelastet von Kindern, das weitere Umfeld erkundeten. Dadurch bedingt, begannen sich die Tätigkeiten von Männern und Frauen zu unterscheiden. Das konnte sich je nach geographischer Lage langsamer oder schneller entwickeln und sich möglicherweise auch lange gar nicht unterscheiden. Es ist nicht nur das bekannte Mädchen aus Peru, das jagen konnte, auch Frauen konnten ein paar Jahrhunderttausende früher Würmer sammeln und mit den gleichen selbst hergestellten Steinwerkzeugen kleinere Tiere und Insekten jagen und und taten das auch.
Eine Zusammenarbeit der Geschlechter brauchte viele Voraussetzungen, bevor es überhaupt dazu kommen konnte und nahm zu unterschiedlichen Zeiten recht unterschiedliche Formen an.
Es brauchte eine Anpassung an die beschriebenen biologischen Veränderungen, differenziertere Werkzeuge, vermutlich die mehr oder weniger regelmäßige Nutzung von natürlich entstandenem Feuer (zu lernen, es selber zu entzünden, dauerte weitere Jahrhunderttausende, und es gab vereinzelte Feuer-Fundstellen schon früher), einen möglichen bzw. wiederkehrenden Überschuss der jeweils von Frauen und Männern gefundenen verschiedenartigen Produkte, die Entwicklung intelligenter Jagdwaffen wie z.B. die der Schöninger Speere vor ca. 300.000 Jahren, mit der sich große Tiere erlegen ließen, was auf der Gemeinschaftsarbeit von Männern beruhte, die auch erst mal erfunden werden musste. Dennoch ist es kein kontinuierlicher Prozess. Nicht alle kannten Feuer, nicht alle konnten es schon mitnehmen, nicht alle hatten weit entwickelte Waffen, und das Wissen konnte bei ungünstigen Umständen auch wieder verloren gehen.
Die Sensation dieses Prozesses, Nahrung zu tauschen, der sich sicherlich mit viel trial and error über lange Zeit hingezogen haben dürfte, bevor er sich bei den Hominiden automatisierte, ist vielleicht vorstellbar, wenn ich ein zugegeben grobes Beispiel nehme: Stellen Sie sich eine Katze vor, die von ihrem vollen Futternapf zurücktritt und dem Kater daneben den Napf hinschiebt, damit er sich bedient. So ein Verhalten scheint unmöglich und ist es auch. Auch unsere Vorfahren dachten lange nicht daran, einander etwas abzugeben. Bei häufiger Nahrungsknappheit werden sie sich eher um das Futter gestritten und es für sich selber gehortet haben. Dieser Gedanke, dass eine andere Verhaltensweise überhaupt möglich ist, musste erstmal gedacht werden können. Möglicherweise flackerte sogar der alten Lucy vor über 3 Millionen Jahren schon eine Ahnung davon ins Hirn, die aber noch nicht umzusetzen war. An einer solchen vorgestellten gegenseitigen Hilfe ist erstmal nichts natürlich.
Allerdings lassen schon Affen in freier Wildbahn ab und zu etwas übrig, hauptsächlich dann, wenn es sich um das Aas großer Tiere handelt, gelegentlich kommt es auch in den Zoos vor, wo die Affen regelmäßig gefüttert werden und bei freilebenden Bonobos ist Freigebigkeit öfter zu beobachten.
Vermutlich hat eines Tages ein sattes Individuum etwas übrig gelassen von dem, was es noch hatte und zugesehen, wie ein anderes sich des Stücks bemächtigte. Vermutlich überwog auch lange Zeit das gegenseitige Misstrauen. Aber langsam begann sich so eine Möglichkeit, etwas abzugeben und dafür etwas zu bekommen, festzusetzen. Damit war es aber noch nicht umgesetzt und automatisiert. Als es dazu kam, entstanden gewissermaßen parallel die strengen Regeln, die erfunden wurden, um den Tausch abzusichern. Zu diesen Regeln waren die Menschen erst in dieser von mir angenommenen Zeit vor etwa 500.000 Jahren intellektuell langsam in der Lage. Alle Regeln und Beschwörungen, die im Lauf der nächsten Jahrhunderttausende erfunden und den örtlichen Gegebenheiten angepasst wurden, hatten ausschließlich die Aufgabe, die gegenseitige Versorgung sicherzustellen und hatten praktisch bis zum Neolithikum und tatsächlicher Arbeitsteilung nichts mit Sex zu tun. Es hätte keinen Sinn gemacht. Man kann ohne Sex auskommen aber nicht ohne Essen. In der Evolutionsgeschichtsforschung wird aber diese beginnende Zusammenarbeit immer automatisch mit Heiratssitten, Frauentausch und Regeln für die Sexualität zusammen gedacht.
Weltweit entstanden langsam Ordnungsprinzipien, die festlegten, welche Gruppe oder welcher einzelne Mensch bestimmten anderen Gruppen oder einzelnen Menschen was abzugeben hatten. Die Protagonisten konnten auch Sex miteinander oder mit anderen haben, ohne dass dies mit ökonomischen Angelegenheiten verknüpft wurde. Wenn man mal von dieser Seite die Vorgeschichte betrachtet, bekommt die Entstehung einer Zusammenarbeit zwischen den Geschlechtern endlich Sinn und geht konform mit dem, was an geistiger Entwicklung gleichzeitig entwickelt werden konnte.
Sex war etwas, was passierte wie essen, scheißen, schlafen und war nicht in die Ökonomie eingebunden. Die ständige Gleichsetzung von Arbeitsteilung und Sex in der herkömmlichen Evolutionsforschung kommt vermutlich hauptsächlich daher, dass die lange Zeit vorwiegend männlich geprägte Forschung gar nicht auf den Gedanken kommen konnte, dass diese neuen Regeln zwischen autonomen Individuen entstanden, Handelspartnern, die sich gegenseitig etwas anzubieten hatten, was die anderen nicht hatten. Und diese sich mehr und mehr differenzierenden Tätigkeiten von Männern und Frauen kamen durch die schon geschilderten biologischen Veränderungen und deren praktische Konsequenzen zustande.
Alles, was in der Evolution mit Heiratssitten, patrilokalen oder matrilokalen Bräuchen usw. definiert wird und automatisch das Sexualverhalten einschließt und mit heutiger Ehe assoziiert wird, hatte nach meiner Erkenntnis sehr lange rein gar nichts mit einer Regulierung der Sexualität zu tun. Es beruhte ausschließlich auf dem Handel zwischen selbständigen Produzenten, die sich gegenseitig mit Dingen versorgen konnten, die durch die sich differenzierende Lebensweise der Geschlechter möglich wurden und abgesichert werden mussten. Es musste von beiden Seiten die Möglichkeit bestehen, Nahrung über den Eigenbedarf hinaus zum Tausch anzubieten
Es ging allein darum:
Gibst du mir das Filet, kriegst du meine Knolle.
War das gesichert und je nach Geographie unterschiedlich geregelt, blieb sexuell gewissermaßen ungeregelt alles beim Alten.
Hierzu eine kleine Anekdote. Annemarie Tröger (1939-2013 Mit-Initiatorin der beiden ersten Frauenuniversitäten in Berlin) arbeitete in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Entwicklungshelferin in Afrika.
Die Organisation veranstaltete über Jahre für die Dorf-Männer Kurse zur Landwirtschaft. Sie mussten daran teilnehmen, um bestimmte Vorteile zu erhalten. Aber die Kurse waren fruchtlos. Die Männer waren faul und dachten nicht daran, das Gelernte anzuwenden.
Bis irgendwann mal jemand darauf kam, dass sie das falsche Geschlecht unterrichtet hatten, denn die Landwirtschaft war ausschließlich Sache der Frauen.
Erst kommt das Fressen, dann die Moral
Warum ist es so wichtig, darauf zu bestehen, dass am Anfang der Zusammenarbeit selbstst ändige Individuen standen, die mit ihren Mitteln aushandeln mussten, auf welche Weise Nahrung geteilt bzw. getauscht werden konnte?
Erst vor diesem Hintergrund kann man verstehen, dass es noch weit bis ins Neolithikum hinein gesellschaftliche Strukturen gab, die nachweisen lassen, dass die Frauen darin eine bestimmende Rolle hatten bzw. diese Strukturen weitgehend prägten. Das wurde auf unterschiedliche Weise von den schon erwähnten S. Hrdy, Gerda Lerner, Marija Gimbutas, Heide Göttner-Abendroth, Doris Wolf, Kirsten Armbruster und vielen anderen bewiesen, die sich hauptsächlich mit diesen Zeiträumen befassen.
Das war aber auch die Zeit, als die geistige Entwicklung und der Erfindungsgeist es möglich gemacht hatten, dass größere Menschengruppen zusammenleben und ernährt werden konnten. Die Erfindung der Tierzucht, mehrheitlich inzwischen ein Tätigkeitsfeld der Männer, brachte plötzlich mehr Erträge als das, was Frauen beisteuern konnten, und so verlagerte sich unabsichtlich die Bedeutung von vorher Jahrhunderttausende währenden egalitären Verhältnissen auf die Vorherrschaft der Männer, als man von Arbeit sprechen konnte, die bald auch Hierarchisierungen nach sich zog. Darauf will ich hier nicht weiter eingehen, weil ich es in meinem Buch ausführlich beschrieben habe. Historisch gesehen sind diese 3-4000 Jahre patriarchaler Durchsetzung nicht viel. Aber sie prägen uns heute noch, obwohl technisch gesehen die Vorherrschaft heute nicht mehr ans Geschlecht gebunden ist und daher eigentlich unnötig.
Dass dies nicht so ist, hängt wiederum mit einer Tatsache zusammen, die ich etwas ausführlicher im Buch behandelt habe: Jede neue Entwicklung, die Fortschritt und gewisse Erleichterungen brachte, hatte mindestens eine Kehrseite, die oft erst sehr viel später erkannt wurde und erst sehr viel später mit Wucht das Erreichte zerstören oder umformen konnte. Jede neue Entwicklung gab etwas von der früheren Autonomie an die Gruppe ab und schränkte das „tierische“ selbständige Herumschweifen ein. Diese nicht behandelten „Überhänge“, Folgen des Erfindungsreichtums, führten sehr viel später zu immer weitgehender sozialer Kontrolle, die immer mehr Bereiche einzog, anfangs wahrscheinlich mit der Zustimmung der Betroffenen. Das geht so ohne Unterbrechung von Anfang an bis heute und ist vermutlich der Grund dafür, dass die Lebenszeit von homo sapiens sich bald dem Ende zuneigen wird.
Die Kreativität von homo sapiens hat zu bald 10 Milliarden Menschen geführt, aber die damit zusammenhängenden Probleme vermutlich unlösbar gemacht.
Um dem gegenzusteuern wurden viele Dinge erfunden als Ordnungsprinzipen, nicht zuletzt erfanden die Menschen die Götter, um zur Bewältigung der vielen Probleme eine transzendente Macht zu schaffen, der zu gehorchen war.
Aber alles fing einfach an: 2 Geschlechter, 2 ebenbürtige Produzenten.
Wenigstens dieses Wissen kann heute den Frauen helfen, einzusehen, dass sie einen Großteil der bisherigen Menschheitsgeschichte mit den Männern im Großen und Ganzen ein egalitäres Leben führten, angefangen vor ca. 6 Millionen Jahren bis vor ca. 4.000 Jahren, als sich mit der zunehmenden Zahl der Menschheit auch die Probleme häuften und Lösungen gefunden wurden, die immer mehr Ausgrenzungen ermöglichten und erzwangen – bis heute.
Darum würde eine neue Zeitrechnung das Bewusstsein zum besseren Verständnis führen. Die Unklarheit, mit der die Vorgeschichte normalerweise erklärt wird, wirft Frauen immer wieder zurück auf die Fake News, dass sie zu Recht das zweite Geschlecht sind, es immer waren und letztlich auch bleiben werden mit einigen Erleichterungen und Gebietsabtretungen von Männern.
Selbst wenn das zum Allgemeinwissen würde, blieben viele Fragen offen, die auf Geheimnisse der Vorgeschichte hindeuten. Es gibt neben den Evolutionsforschern noch andere, die sich bemühen, auf unerklärliche Phänomene in der Zeit hinzuweisen, die sie nur mit der Einwirkung von Außerirdischen in der Vor-und-Frühzeit erklären können. Woher kommen Engel? Von anderen Sternen?
Es bleibt spannend.
1)* siehe auch: „Der erste Gau“.
Keine Kommentare
Nächster Eintrag: Helke Sander Über die Evolutionskapitel von Schaik/Michels “Wahrheit über Eva”
Vorheriger Eintrag: Klatschen am Fenster reicht nicht