Fembio Specials Frauen aus Dresden Paula Modersohn-Becker Lexikoneinträge zu Paula Modersohn-Becker
Fembio Special: Frauen aus Dresden
Lexikoneinträge zu Paula Modersohn-Becker
Eintrag im Killy-Literaturlexikon (1993)
Modersohn-Becker, Paula, geb. Becker, * 8.2.1876 Dresden, † 20.11.1907 Worpswede; Grabstätte: ebd. – Malerin; Verfasserin autobiographischer Schriften. Den ersten Zeichen- u. Malunterricht in England 1892 setzte M. in Bremen fort. Dort besuchte sie auch 1893-1895 das Lehrerinnenseminar. Prägend wurden für M. der Unterricht bei Fritz Mackensen in Worpswede (1898/99) u. ihre zahlreichen Parisaufenthalte. 1901 heiratete sie Otto Modersohn. Die Briefe und Tagebuchblätter von M. wurden erstmals 1917 von der Kestner-Gesellschaft Hannover veröffentlicht. Diese Selbstzeugnisse einer Malerin um die Jahrhundertwende sind Dokumente alltägl. Begebenheiten u. Überlegungen; sie verzichten auf bewußte literar. Gestaltung u. begleiten in schlichter, überzeugender Weise M.s Leben. Die Briefe an die Familie, an Otto Modersohn u. auch die Tagebuchblätter berichten von Begegnungen (U. a. mit Fritz Mackensen, Clara Westhoff, Ernst Nolde), künstlerischen Eindrücken, wie M.s Entdeckung von Cézanne 1900 bei dem Pariser Kunsthändler Ambroise Vollard, u. Stimmungen. Immer wieder verteidigt M. ihre Konzentration auf die Arbeit gegen den Vorwurf des Egoismus, der sie als Künstlerin im besonderen trifft. Zwischen Edvard Munch u. dem dt. Expressionismus fand M. ihre künstlerische Position, geprägt durch die Worpsweder Künstlergruppe, von der sie sich jedoch weitgehend entfernte, u. die Pariser Kunst ihrer Gegenwart. Mit »wenigen Worten, die mehr sagen« auszukommen war ihr Wunsch an die Malerei, der sich auch in den Briefen u. Tagebuchblättern zeigt: Es gibt keine wortgewaltigen Enthüllungen, keine kunsttheoret. Exkurse u., trotz ihrer Bekanntschaft mit Rilke, kaum lyr. Versuche. Vielmehr gelangte sie als Brief- u. Tagebuchschreibende zu immer größerer Wortkargheit. »Im ganzen geschah alles in unerhörter Einsamkeit«, bekundet ihre Schwester Herma.
WEITERE WERKE: P. M.-B., Briefe u. Tagebuchbl. Hg. Sophie Dorothea Gallwitz. Hann. 1917. Auch u. d. T. ›Briefe u. Tagebuchbl.‹ v. P. M.-B. 12. Aufl., Bln. o. J. – P. M.-B. in Briefen u. Tagebüchern. Hg. Günter Busch u. Liselotte v. Reinken. Ffm. 1979.
LITERATUR: Heinrich Wigand Petzet: P. M.-B. Ffm. 1976. – Christa Murken-Altrogge: P. M.-B. Leben u. Werk. Köln 1980. – Liselotte v. Reinken: P. M.-B. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten. Reinb. 1983.
[Geese, Sabine. In: Autoren- und Werklexikon: Modersohn-Becker, Paula. Killy Literaturlexikon, S. 13431 (vgl. Killy Bd. 8, S. 177 ff.) http://www.digitale-bibliothek.de/band9.htm]
Eintrag im Lexikon der Kunst (1994)
Modersohn-Becker, Paula, deutsche Malerin, Zeichnerin und Graphikerin, * 8.2.1876 Dresden-Friedrichstadt, † 20.11.1907 Worpswede; seit 1888 mit der Familie in Bremen, 1892 Reise nach England, ab Oktober Zeichenunterricht an der School of Arts in London, 1893-95 Ausbildung zur Volksschullehrerin am Lehrerinnenseminar Janson in Bremen, Zeichenunterricht bei B. Wiegandt, 1896 Zeichenunterricht an der Malschule des »Vereins Berliner Künstlerinnen« bei E. F. Hausmann, C. Stöving und L. Dettmann, 1897 in der Porträtklasse von J. Bauck, im Sommer erstmals in Worpswede, Unterricht bei F. Mackensen, lernt O. Modersohn kennen. Oktober/November Reisen nach Dresden, Berlin und Wien. 1898 wieder in Berlin, setzt Kunstschulbesuch fort, besucht M. Klinger in Leipzig, Reise nach Norwegen, beschäftigt sich intensiv mit dem Werk von J. P. Jacobsen. Herbst 1898 siedelt sie nach Worpswede über, Freundschaft mit C. Westhoff, lernt R. M. Rilke kennen, weiterhin Unterricht bei Mackensen. Lernt 1899 C. Vinnen kennen, begegnet C. Hauptmann in Berlin, reist in die Schweiz. Ihre erste Ausst. in der Bremer Kunsthalle wird von A. Fitger total verrissen. Januar bis Juni 1900 erster Aufenthalt in Paris, besucht die Acad. Colarossi und die École des Beaux-Arts, lernt die Werke Cézannes in der Gal. Vollard kennen. Heiratet im Mai 1901 O. Modersohn in Worpswede, Hochzeitsreise zu C. Hauptmann nach Schreiberhau, besucht G. Hauptmann in Agnetendorf. Februar/März 1903 das zweite Mal in Paris, Kurse an der Acad. Colarossi, trifft A. Rodin. Februar bis April 1905 das dritte Mal in Paris, Aktkurs an der Acad. Julian, seit E. Februar 1906 vierter Paris-Aufenthalt, Anatomiekurs an der École des Beaux-Arts, begegnet A. Maillol. Im November gemeinsame Ausst. mit O. Modersohn in der Bremer Kunsthalle. Seit Frühjahr 1907 wieder in Worpswede, stirbt sie wenige Tage nach der Geburt ihrer Tochter. Eine Gesamtausst. ihres Werkes gab es 1908 in Worpswede. In der Aktion »Entartete Kunst« wurden 70 ihrer Werke beschlagnahmt. Ihre kurze Schaffenszeit ist durch die beiden Pole Worpswede und Paris bestimmt. Ihr künstler. Werk wird durch ihre Briefe und Selbstzeugnisse und die Aussagen aus ihrer künstler. Umgebung vielfach erhellt. Sie vermag sich recht bald vom Vorbild ihres Lehrers Mackensen zu lösen. Über den Naturalismus gelangt sie zum Zeichen, zur »Rune«. Ihre Bilder sind Zeichen ihrer Menschlichkeit – in ihrer Einfachheit ist das Geheimnisvolle verborgen – Ausdruck ihrer eigentl. künstler. Botschaft. Der streng komponierte Bildaufbau entsteht aus analytisch gebildeten Formen. Es ist der Klang von Farbe und Form, der sich ganz zu einer Aussage verbindet. Sie erstrebte eine »universale Ordnung der Dinge«, in die der Mensch schicksalhaft eingebunden ist. Sie fühlte eine starke Beziehung zur frühen Antike und zur Gotik. Das Innere des Menschen, seine seel. Gestimmtheit, nahmen an Bedeutung für sie zu. Für das Stilleben gewann Cézanne für sie an Bedeutung; seit 1903 eine stark vereinfachte Komposition, worin auch der Einfluß P. Gauguins und É. Bernards erkennbar wird. 1905 bes. intensives Aktstud. in Paris, das zu den großen Aktbildern führt, in denen mit sparsamsten Mitteln komplizierteste Figurenbildungen in geschlossenem Umriß entstehen. Das »Porträt Werner Sombart« (1906, Bremen, Kunsthalle) ist Ausdruck ihres konsequenten Weges, das Wesentliche des menschl. Gesichts zu erfassen. Figurenkompositionen in der Landschaft atmen betonte Einfachheit. Das Thema »Mutter und Kind« zieht sich seit den Zeichnungen von 1897/98 machtvoll durch ihr Werk (Stillende Mutter, 1902/03, Hannover, Landesgal.). Selbstbildnisse gehören ebenso zu ihrem Werk (Selbstbildnis mit Kamelienzweig, 1907, Essen, Mus. Folkwang).
C. Stoermer, P. M.-B., Kat. ihrer Werke, Gemälde, Studien, Zeichnungen, Radierungen, Worpswede 1913; S. D. Gallwitz (Hg.), P. M.-B. Briefe u. Tagebuchbll, Ho. 1917; C. E. Uphoff, P. M., Lei. 1919; G. Pauli, P. M.-B., Lei 1919 (Be. 19343 vermehrt); G. Biermann, P. M., Lei., Be. 1927; K. Tegtmeier, P. M., Be. 1927; R. Hetsch, P. M.-B. Ein Buch der Freundschaft, Be. 1932; G. Busch, P. M.-B. Handzeichnungen, Bremen 1949; O. Stelzer, P. M.-B., Be. 1958; H. Seiler, P. M.-B., Mü. 1959; W. Augustiny, P. M.-B., Gütersloh 1960; G. Busch, P. M.-B. Aus dem Skizzenbuch, Mü. 1960; C. G. Heise, P. M.-B. Mutter u. Kind, St. 1961; W. Werner, P. M.-B. OEuvreverz. der Graphik, Bremen 19722; P. M.-B. zum 100. Geburtstag, Kat., Wuppertal 1976, Bremen 1976; P. M.-B. Zeichnungen, Pastelle, Bildentwürfe, Kat., Hg. 1976; H. W. Petzet, Das Bildnis des Dichters. R. M. Rilke, P. M.-B. Eine Begegnung, Ffm. 1976; Ch. Murken-Altrogge, P. M.-B. Kinderbildnisse, Mü., Zü. 19782; D. Erlay, Wucht von Stein – u. nicht von Rosen. Am Grab der P. M.-B. in Worpswede, Worpswede 1979; G. Busch, L. v. Reinken (Hg.), P. M.-B. in Briefen u. Tagebüchern, Ffm. 19803 (mit Lit.); Ch. Murken-Altrogge, P. M.-B. Leben u. Werk, Kö. 1980; G. Busch, P. M.-B. – Malerin, Zeichnerin, Ffm. 1981; G. Gerkens, P. M.-B. Die Landschaften, Kat., Bremen 1982; B. Jahn (Einf), P. M.-B., Briefe u. Aufzeichnungen, Lei., Weimar 1983; M. Steenfatt, Ich, Paula. Die Lebensgesch. der P. M.-B., Weinheim, Ba. 1985; A. Röver, W. Werner, P. M.-B. Das Frühwerk, Kat., Worpswede 1985; G. Claußnitzer, P. M.-B., Dr. 1986; B. Uhde-Stahl, P. M.-B., St., Zü. 1989; Ch. Murken-Altrogge, P. M.-B., Kö. 1991. [Lexikon der Kunst: Modersohn-Becker. Lexikon der Kunst, S. 21551 (vgl. LdK Bd. 4, S. 794 ff.) (c) E. A. Seemann http://www.digitale-bibliothek.de/band43.htm]
Eintrag in Kindlers Malereilexikon
Modersohn-Becker, Paula * 8.2.1876 in Dresden † 20.11.1907 in Worpswede bei Bremen
Nicht einmal zehn Jahre währte die künstlerische Entwicklung Paula Beckers, Tochter eines Eisenbahningenieurs. 1888 siedelte die Familie nach Bremen über. Nach dem Besuch der London School of Arts 1892 und der Berliner Kunstschule 1896-97 kam Paula 1897 nach Worpswede. In das Heide- und Moordorf hatten sich die Maler Fritz Mackensen (1866-1953), Hans Am Ende (1864-1918), Fritz Overbeck (1869-1909), Otto Modersohn (1865-1943) und Heinrich Vogeler (1872-1942) aus Protest gegen die Akademien und die Zivilisation der Großstädte zurückgezogen, um in der Abgeschiedenheit im Einklang mit der Natur zu leben und die bäuerliche Welt zum Gegenstand ihrer Malerei zu machen. Paula Becker war 1898-99 Schülerin Mackensens. Sie lebte in der 1889 gegründeten Künstlerkolonie, der seit 1900 eine Zeitlang auch Rainer Maria Rilke angehörte. Sie malte zunächst Motive aus der norddeutschen Landschaft mit Birken, Moor und Heide, Bäuerinnen und Kindern im Stile der Worpsweder Schule. Aber diese Stimmungsmalerei befriedigte sie auf die Dauer nicht. 1900 reiste sie nach Paris, wo sie Bilder von Millet und den bretonischen Bauernmalern Cottet und Simon kennenlernte. Stärker aber wirkten die Gemälde Vincent van Goghs, den sie zu einem ihrer Vorbilder erkor. Sie suchte die »Einfachheit der großen Form«. Wichtiger als die Landschaftsmalerei erschien ihr die Darstellung des schlichten Menschen: »Menschen malen geht über die Landschaft.« 1901 heiratete sie Otto Modersohn. Von Worpswede fuhr sie noch dreimal nach Paris. Von der Gauguin-Ausstellung im Salon d'Automne 1905 empfing sie entscheidende Eindrücke. Die großen Flächen, mit denen Gauguin seine Bilder komponierte, und die reinen Farben, die er zum Leuchten brachte, kamen ihren künstlerischen Vorstellungen entgegen und bestärkten ihren Willen zur großen Form. Schon sehr früh erkannte sie auch die Größe Paul Cézannes. In Worpswede entstanden nun Stilleben mit Früchten und Blumen, Brot und Krügen. Erdhaft, körnig, dicht und fest in der Malweise, begann eine neue Phase. Die Armenhäuslerin mit Glasflasche (Bremen) von 1906 zeigt, daß sich Paula Modersohn-Becker auf dem Wege zur kargen, strengen, fast monumentalen Form befand. Der Impressionismus ist hier überwunden. Diese Art der Menschendarstellung war nach der Jahrhundertwende etwas Neues; doch entscheidender ist die Stärke der Empfindung, die Kraft der Einfühlung in das Wesen der alten Frau. Ungewöhnlich in jener Zeit sind auch die Selbstbildnisse: Kühn in der Auffassung und vereinfacht in der konturierten Form, stellen sie keine Porträts im Sinne der Repräsentation dar, sondern – wie das Bild Die Malerin mit Kamelienzweig in seiner streng frontalen Haltung – ergreifende Bekenntnisse einer großen Künstlerin. Paula Modersohn-Beckers Weg wurde jäh abgebrochen: 1907 starb sie kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes. Rilke schrieb auf die Frühverstorbene das Requiem »Für eine Freundin« im Jahre 1908: »Denn das verstandest du: die vollen Früchte. / Die legtest du auf Schalen vor dich hin / und wogst mit Farben ihre Schwere auf. / Und so wie Früchte sahst du auch die Fraun / und sahst die Kinder so, von innen her / getrieben in die Formen ihres Daseins.« Ihr unvollendetes OEuvre steht allein in der Zeit, es hat nichts mit dem norddeutschen Expressionismus der »Brücke«-Maler gemeinsam. Bei dem Bildersturm der Nationalsozialisten gegen die sogenannte Entartete Kunst im Jahre 1937 wurden 70 Bilder und Zeichnungen der Malerin aus den Museen entfernt und verschleudert oder vernichtet. Durch die Ausstellung »Les sources du XXe siècle«, die der Europarat im Jahre 1961 in Paris veranstaltete, wurde die historische und künstlerische Bedeutung Paula Modersohn-Beckers wieder allgemein erkannt.
[Künstlerlexikon: Modersohn-Becker, Paula. Kindlers Malereilexikon, S. 6589 (vgl. KML Bd. 4, S. 436 ff.) http://www.digitale-bibliothek.de/band22.htm ]
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