Fembio Specials Künstlerinnen - Eine Ausstellung von Almut Nitzsche Helene Schjerfbeck Eintrag in Kindlers Malereilexikon
Fembio Special: Künstlerinnen - Eine Ausstellung von Almut Nitzsche
Eintrag in Kindlers Malereilexikon
Schjerfbeck, Helena (Helene) * 10.7.1862 in Helsinki † 23.1.1946 in Saltsjöbaden bei Stockholm
In der oft so urwüchsig derben finnischen Kunst ist die Malerei Helena Schjerfbecks mit dem Ausdruck geistiger Verfeinerung und Verschwiegenheit, die ihre eigenartige Atmosphäre bildet, eine seltene Erscheinung. Erst spät wurde diese Kunst in ihrer scheuen Zurückhaltung gerecht gewürdigt: 1917 machte eine Ausstellung in Helsinki ihren Namen in breiteren Kreisen bekannt, und 20 Jahre danach wurde sie außerhalb ihres Vaterlandes durch eine viel beachtete Ausstellung in Stockholm entdeckt. Dabei hatte sie schon während der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts Werke geschaffen, die als talentvolle Leistungen der damaligen französischen Schule einige Beachtung fanden und später in die Museen von Helsinki und Åbo kamen.
Helena Schjerfbeck stammte aus einer alten schwedischen Familie, die 1788 nach Finnland übergesiedelt war. Schon früh zeigte sie künstlerische Anlagen. Mit 16 Jahren trat sie in die Malschule des französisch geschulten Adolf von Becker ein. Sie setzte ihre Ausbildung 1880-82 in Paris unter Bonnat und Gérôme fort. 1883-84, 1886 und 1889 weilte sie wiederum in Paris; sie verbrachte den Winter 1883-84 in Pont- Aven in der Bretagne und lebte 1887-88 und 1889-90 in der internationalen Künstlerkolonie zu St. Ives in Cornwall. Sie reiste 1889 zum ersten Mal nach Italien, 1892 nach St. Petersburg, 1894 verbrachte sie einige Monate in Florenz, Fiesole und Siena. Damit endete ihr Reiseleben, wenn man von Sommeraufenthalten in Norwegen absieht. Als sie 1902 die finnische Hauptstadt verließ, geriet sie fast völlig in Vergessenheit. Über 40 Jahre verbrachte sie in einigen finnischen Kleinstädten, bis sie 1944 nach Schweden übersiedelte.
Helena Schjerfbeck entwickelte früh die graugetönte Valeurmalerei des französischen Naturalismus zu hoher Vollendung. Vor allem wurde Albert Edelfelt ihr Vorbild in historischen Kompositionen wie Wilhelm von Schwerins Tod (Åbo) von 1886 oder in Genrebildern und Interieurs wie Die Bäckerei (Vasa) von 1887, Rekonvaleszent von 1888 und Frau am Ofen (Stockholm) von 1893. Schon diesen frühen Bildern liegt indessen ein strukturelles Gerüst zugrunde, das ihr möglich machte, diese Motive während ihrer letzten 20 Jahre in ihrem neuen synthetischen Stile zu wiederholen. Anregungen erhielt sie während ihrer französischen Zeit nicht nur von den naturalistischen Salonmalern, sondern auch von Degas, von Impressionisten wie Sisley und Pissarro, und von Puvis de Chavannes. In späteren Jahren interessierte sie sich besonders für El Greco, wofür die Greco-Paraphrase Meine weltliche Madonna (Oslo) von 1944 beredtes Zeugnis ablegt.
Kurz nach 1900 leitete sie mit Arbeiten wie Das alte Herrenhaus (Åbo) von 1901, Das Mädchen am Zaun (Helsinki), das zwischen 1897 und 1902 entstand, Die Näherin (Helsinki) von 1903 und Die Großmutter (Stockholm) von 1905 ihre neue vereinfachte, stilstrenge Malerei ein. Die Figuren stehen in markanter Größe und mit kräftig geschwungenem oder eckigem Kontur vor einem wenig detaillierten, oft neutralen Hintergrund. Leise schwingen Gefühle der Wehmut, der Einsamkeit, der kontemplativen Stille mit. In ihren Blumen- und Fruchtstücken schimmert das einfache Motiv in mattleuchtenden, samtweichen Abstufungen einer sparsamen, aber feinsinnig verteilten Farbigkeit. Hinter dieser Fassade der Verborgenheit steckt jedoch ein Temperament, das bisweilen fast eruptiv hervorbricht, so in einigen der letzten Selbstbildnisse wie Die Malerin mit schwarzem Munde (Stockholm) von 1944. Diese rücksichtslos entschleiernden Selbstdarstellungen zeugen von einer immer suchenden und angstvoll fragenden Seele.
(Eintrag in: Bazin, Germain (1985): Kindlers Malerei-Lexikon. In 15 Bänden. Neuausgabe von Kindlers Malerei-Lexikon in 6 Bänden. München: Kindler; Lingen. Bd. 5, S. 242 ff.)
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