Fembio Specials Europäische Jüdinnen Vicki Baum Erika und Klaus Mann über die Schriftstellerin Vicki Baum (1939)
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Erika und Klaus Mann über die Schriftstellerin Vicki Baum (1939)
Am günstigsten vielleicht haben es jene getroffen, deren Talent dem Film Möglichkeiten bot. Wer am Stillen Ozean sitzen, seinen eigenen Arbeiten nachgehen und dabei den Goldgruben Hollywoods nahe sein darf, hat allen Grund, ziemlich vergnügt zu sein.
Die Schriftstellerin Vicki Baum ist – alles in allem – ziemlich vergnügt. Das hat viele einleuchtende Gründe, der Aufenthalt in ihrem schönen Haus überm Meer ist nur einer von ihnen.
Frau Baum war einer der populärsten Autoren des vorhitlerschen Deutschland. Ihre gutgeschriebenen, ungeheuer lebendigen, immer packenden, immer überzeugenden, manchmal ergreifenden Bücher erfreuten sich enormer Auflageziffern. Man hat sie Unterhaltungsschriftstellerin genannt, ohne ihr damit gerecht zu werden. Unterhaltend zu sein, ist kein Fehler, und Vicki Baum weiß so viel von der Welt, sie kennt so gut die Menschen, sie begreift so genau und so warmherzig ihre Schicksale und die Beziehungen, die sie miteinander knüpfen, daß jede ihrer Arbeiten genug Wahrheit, genug schönes, belustigendes, trauriges, erregendes Leben enthält, um mehr zu sein als nur unterhaltend. Sie ist eine zähe und leidenschaftliche Arbeiterin. Vicki Baum stellt große Ansprüche an sich, befaßt sich gründlichst mit den Dingen, um die es ihr gerade geht. Als sie am berühmtesten ihrer Romane, an der Geschichte von den Menschen im Hotel, schrieb, diente sie wochenlang in einem großen Berliner Hotel als Stubenmädchen. Das Leben der Angestellten hinter den Kulissen der Marmortreppen und Luxusappartements wollte sie aus eigener Anschauung kennenlernen, ehe sie uns davon erzählte. Der Erfolg ihrer Bücher mag zu Teilen darauf beruhen, daß jeder Leser, jede Studentin, jeder Arzt, jeder Turnlehrer, jeder Bankier, jedes Ladenmädchen spürt: so ist es, genau so sieht es aus, mein Leben, dies ist sein getreuer Spiegel, in ihm sind alle meine Gedanken und Gefühle, meine ganze innere und äußere Existenz viel besser und klarer zu erkennen als in der Wirklichkeit, die mich verwirrt.
Vicki Baum lebt in Hollywood seit vielen Jahren. Sie gehört zu jenen, denen das zerrissene und materiell gefährdete Deutschland schon vor Hitler unheimlich geworden war und die fortgingen, ehe man sie fortschickte. Ihre Beziehung zu den movies ist eine lockere. Grand Hotel ist auf deutsch und englisch ein großer Filmerfolg gewesen (nachdem es als Stück über alle deutschen Bühnen gegangen war), aber fast jedes ihrer Bücher wäre möglich für den Film, denn jedes hat den exakten und wirkungsvollen Aufbau und die Vielfalt an lebendigen Figuren, die der epischen Wirkung die dramatische hinzufügt.
Mit ihrem Gatten, dem Dirigenten Lehrt, und ihren beiden Söhnen bewohnt sie das reizendste Haus in den Hügeln. Sie ist ganz zur Amerikanerin geworden in diesen Jahren, und obwohl sie primär immer noch deutsch schreibt, legt sie den größten Wert darauf, wirklich und definitiv, nicht äußerlich oder vorläufig, dieser Nation anzugehören, wie sie es übrigens seit kurzem recte und de facto tut. Der Tag, an dem sie citizen der Vereinigten Staaten wurde, gehört zu den besten ihres Lebens, hat sie uns erzählt.
Englisch spricht sie ausgezeichnet; wir haben den Vortrag gehört, mit dem sie im Winter 37/38 ihre coast to coast Tour gemacht hat. Sein Thema war: Don't be afraid! Frau Baum erschien auf dem Podium und schlotterte vor Angst in beängstigendem Grade mit den Knien; das war ein Scherz, natürlich, und er führte sie gleich in medias res. Sie hat eine eindringliche, dabei leichte Art zu sprechen, ihre Wirkung ist gleichzeitig sicher und bescheiden. Mit dieser Sicherheit, so erklärte sie, habe es freilich seine Bewandtnis. Niemand sei unsicherer, niemand verschreckter und kleinmütiger gewesen in seiner Jugend als sie, Vicki Baum. Von vornherein sei sie davon überzeugt gewesen, ihr müsse alles mißlingen, nie werde sie auf dieser Welt etwas Menschenwürdiges zustandebringen, nie im Leben etwas erreichen. Bis eines Tages, wie eine Offenbarung, das Don't be afraid! an sie ergangen sei. Nur ihrer plötzlichen und eisernen Entschlossenheit, sich nun nicht mehr zu fürchten, sondern im Gegenteil an sich und ihren Stern zu glauben, habe sie ihre Erfolge zu verdanken. Uns fällt ein, daß Vicki Baum persönlich, als wir ihr vor geraumer Zeit in Berlin zuerst begegneten, nicht halb so gut aussah, nicht annähernd so attraktiv, elegant und einnehmend wie heute. Damals ist sie also wohl noch ein wenig afraid gewesen. Ihr schlichtes, aber einleuchtendes Leitmotiv wendet sie vom Persönlichen ins Algemeine, Soziale und Politische. Don't be afraid!, auch dann nicht, wenn die Diktatoren rasseln. Amerika ist groß, stark und mächtig, sich zu ängstigen hat es also nicht den geringsten Anlaß. Und die Zukunft wird heller sein, als die Gegenwart es ist, wenn wir ihr, statt uns vor ihr zu fürchten, mutigen und vertrauensvollen Herzens entgegenschauen.
Das Publikum war begeistert, nicht nur, weil alles, was Frau Baum sagte, so erfrischend und ermutigend war, sondern weil sie selbst, heiter, gewandt und überzeugend, einen so guten Beweis für die Richtigkeit dessen abgab, was sie vorbrachte.
In unseren unruhevollen und beschatteten Tagen und nun gar innerhalb der gefährdeten Menschengruppen, mit denen dieses Buch sich befaßt, ist es eher selten und sehr wohltuend, jemandem zu begegnen, dem es vorzüglich geht, der sich offenbar wohlfühlt in seiner Haut, der, wenn dies Wort, das auf die condition humaine freilich niemals recht zutrifft, einmal erlaubt sein soll, »glücklich« ist. Glücklich ist unsere Freundin Vicki Baum über ihre beiden wohlgeratenen Söhne. Die nettaussehenden, völlig amerikanisierten Burschen (Deutsch sprechen sie nur noch gebrochen!) sind nicht nur helle und gescheite Köpfe, sie leisten auch im Sport Hervorragendes. Der eine fährt Ski wie ein Schweizer professional, der andere hat vom Turnierreiten und Wettspringen schon die verschiedensten Preise und Medaillen mit nach Hause gebracht.
Am Abend, wenn im Hause die Freunde sich treffen, geht es angenehm und unterhaltend her. Frau Baum erzählt von dem großen Erlebnis ihrer Bali-Reise, das sich in Liebe und Tod auf Bali so eindrucksvoll kristallisiert hat. Viele schöne und geheimnisvolle Gegenstände hat sie von dort mitgebracht, auch einen Film führt sie vor (die Söhne des Hauses bewähren sich als gewandte movie-Techniker), in dem die braunen Knaben von Bali die anmutigsten und wildesten, fremdartigsten und verzücktesten Tänze aufführen.
(Mann, Erika; Mann, Klaus (1939): Escape to life. Deutsche Kultur im Exil. München. Edition Spangenberg, 1991. ISBN 3-89409-055-3, S. 305–308)
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