Fembio Specials Exilantinnen (1933-1945) Therese Giehse Personenartikel: Giehse, Therese. Lexikon Theater (2004)
Fembio Special: Exilantinnen (1933-1945)
Personenartikel: Giehse, Therese. Lexikon Theater (2004)
Giehse, Therese, geb. 6.3.1898 in München, gest. 3.3.1975 ebenda. Schauspielerin. Aufgewachsen in einer jüdischen Kaufmannsfamilie. 1918-1920 Schauspielunterricht in München; ab 1920/21 jeweils für eine Saison in Siegen, Gleiwitz, Landshut, an der Bayerischen Landesbühne und am Schauspielhaus München. 1926-1933 Engagement an den Münchner Kammerspielen bei Otto Falckenberg, wo sie sich als großartige Menschenbildnerin profilierte. Rollen in Falckenberg-Inszenierungen u.a.: Gräfin Geschwitz in Wedekinds ›Lulu‹ (1928); Königin in Shakespeares ›Hamlet‹ (1930); Marthe in Goethes ›Urfaust‹ (1931); Gina in Ibsens ›Die Wildente‹ (1932); Frau John in Hauptmanns ›Die Ratten‹ (1932). Rollen in Inszenierungen von Richard Révy u.a.: Emmy in Shaws ›Der Arzt am Scheideweg‹ (1927, mit Alexander Moissi); Aase in Ibsens ›Peer Gynt‹ (1928, mit Hans Schweikart in der Titelrolle); Mutter Wolffen in Hauptmanns ›Der Biberpelz‹ (1928) und Frau Peters in ›Vor Sonnenuntergang‹ (1932). In der Uraufführung von Heinrich Manns ›Das gastliche Haus‹ übernahm sie die Rolle der Schieberin (1927, R. Erwin Piscator). Unter Schweikarts Regie spielte sie die Celia Peachum in Brecht/Weills ›Die Dreigroschenoper‹ (1929, bei den Endproben lernte sie Bertolt Brecht persönlich kennen). Rollen hatte sie auch in mehreren Inszenierungen von Julius Gellner; außerdem viele Possen- und Lustspielrollen.
Am 1.1.1933 eröffnete sie zusammen mit Erika Mann in München das antifaschistische Kabarett »Pfeffermühle«; im März Flucht aus München in die Schweiz; am 30.9.1933 Neueröffnung der »Pfeffermühle« in Zürich; 1934-1936 Europa-Tournee. Von 1937 an war sie am Schauspielhaus Zürich engagiert, wo man sie wieder als Marthe, Frau John und als Mutter Wolffen sah. Die Giehse, eine Meisterin ihres Handwerks, übernahm bis zu zwölf Rollen pro Saison, darunter: Titelrolle in Shaws ›Frau Warrens Gewerbe‹ (1938; R. Wolfgang Heinz); das Hohe Alter in Raimunds ›Der Bauer als Millionär‹ (1940, R. Leopold Lindtberg); Amme in Shakespeares ›Romeo und Julia‹ (1941, R. Max Ophüls); Ella Rentheim in Ibsens ›John Gabriel Borkman‹ (1941, R. Karl Paryla); Frau Gabor in Wedekinds ›Frühlings Erwachen‹ (1942, R. Lindtberg); Amanda Wingfield in Williams' ›Die Glasmenagerie‹ (1947, R. Kurt Horwitz); Titelrolle in Gorkis ›Wassa Schelesnowa‹ (DE 1947, R. Claude Maritz). Rollen in Inszenierungen von Leonard Stekkel u.a: Marina in Tschechows ›Onkel Wanja‹ (1941); Mutter in García Lorcas ›Bluthochzeit‹ (DE 1944); Titelrolle in Giraudoux' ›Die Irre von Chaillot‹ (DE 1946). Unter der Regie von Oskar Wälterlin u.a.: Jokaste in Sophokles' ›König Ödipus‹ (1938); Mrs. Gibbs in Wilders ›Unsere kleine Stadt‹ (1939) und Mrs. Antrobus in ›Wir sind noch einmal davongekommen‹ (DE 1944); Amy in Eliots ›Familienfeier‹ (DE 1945).
Wichtige Rollen hatte sie in den Zürcher Brecht-Uraufführungen (die Giehse war selbst eine Verfechterin des Sozialismus): Titelrolle in ›Mutter Courage und ihre Kinder‹ (UA 1941, R. Lindtberg; auch 1945); Mi Tzü in ›Der gute Mensch von Sezuan‹ (1943, R. Steckel); Schmuggleremma in ›Herr Puntila und sein Knecht Matti‹ (1948, R. Brecht). Von 1949 bis 1952 spielte sie an Brechts Berliner Ensemble. Hier sah man sie wieder als Gorkis ›Wassa Schelesnowa‹ (1949, R. Berthold Viertel), als Mutter Wolffen/Frau Fielitz in Hauptmanns ›Der Biberpelz‹/›Der rote Hahn‹ (1950, R. Egon Monk) sowie als Marthe Rull in Kleists ›Der zerbrochne Krug‹ (1952 in einer eigenen Inszenierung).
Als Gast spielte sie weiterhin am Schauspielhaus Zürich. Seit 1949 auch wieder Auftritte an den Münchner Kammerspielen, u.a. in ihrer Paraderolle als Mutter Courage (1950 in einer Inszenierung des Autors). Brecht schrieb darüber in seinem Modellbuch:
»In der Münchener Aufführung nach dem Berliner Modell zeigte die Giehse, die die Rolle der Courage während des Weltkriegs in Zürich kreiert hatte, wie ein großer Schauspieler das Arrangement und theatralische Material einer Modellaufführung zur Ausgestaltung einer eigenen und unverwechselbaren Figur benutzen kann. Sie erfand dabei immerzu schöne Änderungen, die auch für das Modell Bereicherungen darstellen.«
Die Rolle der Courage spielte sie 1958 auch in Frankfurt und 1960/61 noch einmal in Zürich. Seit ihrer Rückkehr nach München sah man sie in wichtigen Rollen an den Kammerspielen, u.a. wieder als Mutter Wolffen (1949), Frau John (1952) und Marthe Rull (1953). In Zürich spielte sie bei der Uraufführung von Max Frischs ›Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie‹ die Kupplerin Celestina (1953, R. Wälterlin). Glanzrollen hatte sie in den Zürcher Dürrenmatt-Uraufführungen: Gemüsefrau in ›Es steht geschrieben‹ (1947, R. Horwitz); Claire Zachanassian in ›Der Besuch der alten Dame‹ (1956, R. Waelterlin); Ottilie in ›Frank V.‹ (1959, R. Waelterlin); Mathilde von Zahnd in ›Die Physiker‹ (1962, R. Horwitz); Frau Nomsen in ›Der Meteor‹ (1966, R. Lindtberg); dieselben Rollen übernahm sie auch in München (meist unter der Regie von Schweikart). In Stücken von Ostrowski: Mursawjetzkaja in ›Wölfe und Schafe‹ (1951, Zürich; 1964, München); Raissa in ›Der Wald‹ (1956, München); Glafira in ›Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste‹ (1963, Zürich). An den Münchner Kammerspielen sah man sie außerdem in den Stücken des jungen Martin Sperr: als Martha in ›Landshuter Erzählungen‹ (UA 1967) und als Barbara in ›Jagdszenen aus Niederbayern‹ (1969). Aus Sympathie für Peter Stein und sein Kollektiv-Theater spielte sie bei der Neueröffnung der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer die Titelrolle in GorkiBrechts ›Die Mutter‹ (1970). Vielgerühmt wurden ihre Münchner Brecht-Abende (1966, 1968 und 1971; Gastspiele in Hamburg und am Berliner Ensemble).
Filme u.a.: ›Die letzte Chance‹ (1945); ›Kinder, Mütter und ein General‹ (1955); ›Mädchen in Uniform‹ (1958); ›Sturm im Wasserglas‹ (1960); ›Julien‹ (1973, R. Louis Malle). Im Fernsehen sah man sie u.a. in Egon Monks Gorki-Verfilmung ›Wassa Schelesnowa‹ (1963), in Kroetz' ›Weitere Aussichten‹ (1974, R. der Autor) und – ihre letzte Rolle – als Frau Perez in Brechts ›Die Gewehre der Frau Carrar‹ (1975, R. Monk, gesendet am Tag ihres Todes).
Benjamin Henrichs schrieb über Therese Giehse:
»Sie hat die Schreckensweiber gespielt und die tapferen Mütter, die Kröten und die Buddhas. Sie ist eine intellektuelle Volksschauspielerin, eine sachliche Hedonistin. Das Brechtische und das Bayerische, die Lust an der Bosheit und die Liebe zur Vernunft: das ist die Giehse-Dialektik. (...) Nie fielen dieser Schauspielerin Haltungen ein, die Mitleid erbetteln, die fürs Lesebuch taugten. (...) Deshalb ist das Theater der Giehse Theater ohne Wehleidigkeit.« (›SZ‹, 3./4.3.1973)
[Personenartikel: Giehse, Therese. Lexikon Theater (2004), S. 1174 (vgl. LexTheat. Bd. 1, S. 219 ff.) (c) Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München http://www.digitale-bibliothek.de/band64.htm]
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