Fembio Specials Künstlerinnen - Eine Ausstellung von Almut Nitzsche Paula Modersohn-Becker Senta Trömel-Plötz: "Mein Besuch bei Paula Modersohn-Becker und Clara Westhoff-Rilke" (2008)
Fembio Special: Künstlerinnen - Eine Ausstellung von Almut Nitzsche
Senta Trömel-Plötz: "Mein Besuch bei Paula Modersohn-Becker und Clara Westhoff-Rilke" (2008)
Mein Besuch bei Paula Modersohn-Becker und Clara Westhoff-Rilke
von Senta Trömel-Plötz
(2008)
Eine letzte Rose noch im kleinen Vorgarten vor ihrem gelben Haus in Worpswede – überall sonst in den Gärten ist der Herbst schon zu Ende. Es ist die Zeit zwischen Herbst und Winter.
Eingang im großen neuen Anbau an das Modersohn-Haus, das Paula Modersohn-Becker Museum - Korrektur: es heißt offiziell Museum am Modersohn-Haus. Der Kommerz im Eingangsbereich – was wird nicht alles verkauft an Reproduktionen von allen Worpsweder Malern, vielleicht allen Malern der Jahrhundertwende – dort ist der Geschmack des Volkes, des Touristenvolkes jetzt schon angekommen. Der neue Teil des Museums am Modersohn-Haus ist jedenfalls anderen vorbehalten, hauptsächlich Männern, ganze Räume voll von ihnen. Ruhm während ihrer Lebenszeit, Ruhm nach ihrem Tod, ihre Wichtigkeit immer noch hergestellt durch die große Raumblase des Museums.
Dagegen: In der Ecke, über einen fast dunklen Gang an den Toiletten vorbei, komme ich zu den kleinen Räumen, in denen Paula Modersohn-Becker lebte, ihr Kind zur Welt brachte und starb. Auch dieser kleine Teil wird ihr noch abgesprochen, denn “Modersohn-Haus” bedeutet nicht - wie ich es verstand, mir wünschte – Modersohn-Becker-Haus, sondern genau wie der Name schon sagt: Otto Modersohn-Haus, das Haus – so werde ich informiert – “das von 1898 –1921 Otto Modersohn gehörte,” es enthält “die Werke dieses bedeutenden Malers inmitten der Gegenstände, die dieser täglich um sich hatte, die seinem Wesen entsprachen und die Zeugen seines Schicksal waren” etc etc etc – der gleiche unerträgliche verkitschte Stil wie er auf der visuellen Ebene manchen seiner Bilder eigen ist.
Es wiegt dann in diesem ganzen Kontext von maskulinem Besitzertum und Künstlertum der eine Satz über Paula Modersohn-Becker nicht mehr, mit ihrem Tagebuch, ihrem frühen Ende. Und gar “Gedenkstätte für die große Malerin” oder “Hommage” ist unglaubwürdig, denn schon sind wir wieder bei den Männern, diesmal ihren Kollegen, die nicht vergessen werden dürfen, dem sog. “Freundeskreis.”
Der Gegensatz auch heute noch: Anmaßung versus Bescheidenheit, heute, wo sich die Bewertung ihrer aller Kunst längst umkehrte, wo Mackensen, Modersohn, Vogeler, am Ende, Hötger unwichtig wenn nicht unbekannt sind, ihre Kunst gutes Mittelmaß. Oder wird Paula Modersohn-Becker gerade in Worpswede ihre Größe immer noch abgesprochen und muss frau an einen anderen Ort gehen, sagen wir Bremen, um zu sehen, dass sie zu ihrem Recht kommt? Dort hat sie ein Haus in der Böttcherstraße, endlich ein Museum, das wirklich Paula Modersohn-Becker Museum heißt. Beim Eintreten fällt mein Blick schon auf ein Bild von ihr, ich kann aufatmen. Im ersten Saal werde ich begrüßt von ihren Bildern, der ganze Saal gehört ihr. Wenigstens das. Obwohl sie auch dort Paula ist – aus unqualifiziertem männlichen Museumsmitarbeitermund.
Paulapaulapaula, Fridafridafrida, Claraclaraclara.
Wie groß muss eine Künstlerin sein, wie lange muss sie tot sein, wieviel müssen ihre Bilder kosten, dass sie respektvoll mit ihrem Namen benannt wird, wie Pablo und Otto und Heinrich und Hans und Diego?
In Worpswede ist Paula Modersohn-Becker auch noch in der Großen Kunstschau vertreten. Ich stehe vor ihren Bildern in einem Nebenraum und lese: ”Durch die Schulung an alten und neuen Meistern sowie an der französischen Avantgarde gelingt es der Malerin in nur einem Jahrzehnt zur Wegbereiterin des deutschen Expressionismus zu werden.”
“Durch die Schulung”? “an alten und neuen Meistern”? – alle alten und neuen Meister? “an der französischen Avantgarde”? – die ganze französiche Avantgarde? nicht: “durch ihre hohe künstlerische Begabung” nicht: “durch ihre eigene Kraft, ihre außergewöhnliche Motivation und enorme Konzentration auf ihre Kunst, da sie zu keiner staatlichen Akademie zugelassen wurde” nicht: “durch ihre Leidenschaft für ihre Kunst und ihre eigenwillige Verpflichtung für ihre Kunst” nicht: “durch ihre herausragende Kreativität und einzigartige Produktivität, durch ihr Arbeitsethos” nicht: “durch ihr hohes künstlerisches Engagement, mit dem sie bei ihrer Malerei blieb - entgegen allen gesellschaftlichen Widerständen und negativen Beurteilungen, entgegen allen sog. ‘Ratschlägen’ der sog. Freunde, die sie bewegen wollten, bei ihrem Ehemann zu bleiben.”
Und schon gar nicht: “durch ihre Genialität”.
“gelingt es ihr” -
gelingt es mit Glück? gelingt es durch Zufall?
“gelingt es ihr”?
nicht: “hinterließ sie uns ein Oeuvre von 700 Gemälden und 1000 Zeichnungen”
“gelingt es ihr zur Wegbereiterin des deutschen Expressionismus zu werden.” -
Wie schön wäre diese Sicht für Paula Modersohn-Becker zu ihren Lebzeiten gewesen. Aber das hat sie nicht angestrebt und nicht anstreben können. Und so ist es ihr auch nicht “gelungen.”
Korrekt ist: Sie nahm Themen des deutschen Expressionismus vorweg und wird deshalb heute als Wegbereiterin des deutschen Expressionismus gesehen. Sie schuf etwas ganz Neues, Großes, was von der damaligen Kunstkritik und den selbsterkorenen Kunstexperten nicht gesehen werden konnte. Aus diesem Grunde war sie nicht anerkannt, wurde verhöhnt, wurde übersehen – sie hatte keine einzige Einzelausstellung während ihrer Lebenszeit.
Mein Besuch in Worpswede und Fischerhude – ich wollte Paula Modersohn-Becker und Clara Westhoff-Rilke näherkommen; fast gehen sie selbst an den Orten, wo sie lebten, wieder unter - vor lauter Männern, die die Häuser besaßen und besitzen und besetzen. Ganz wie damals.
Was bleibt?
Mein Besuch bei Clara Westhoff-Rilke
Ich suche Clara Westhoff-Rilkes Haus auf. Es ist kein Museum. Es ist Privatbesitz, in ein Café verwandelt, und es ist geschlossen. Die Cafe-Zeiten beginnen erst um 14 Uhr. Ich muss bei meinem nächsten Europa-Besuch wiederkommen.
Clara Westhoff-Rilkes Haus heißt hier der Einfachheit halber Rilke-Café, offiziell Rilke-Haus. Rilke hat nie dort gewohnt; Rilke hat es nicht einmal gesehen – er siedelte 1919 von München in die Schweiz über und kehrte nicht mehr nach Deutschland zurück. Clara Westhoff-Rilke baute das Haus von 1917 – 1919 und lebte dort von 1919 bis zu ihrem Tod 1954.
Trotzdem ist es das Rilke-Haus und das bedeutet Rainer Maria Rilke und eben nicht Clara Westhoff-Rilke. Sein Hausspruch soll es laut Café-Broschüre zieren – ich sah ihn nicht, wollte ihn nicht sehen, es genügt mir der Abdruck in der Broschüre: Er wimmelt von ichichich. Seine Büste leuchtet weiß im Vordergrund auf dem alten Foto des Ateliers, im Hintergrund eine Figur in Schwarz, kaum erkennbar die Künstlerin.
“Das alte Rilke-Haus” “Rilke-Café”
Sie ist und bleibt die Ehefrau von Rilke; ihr eigenes Haus, in dem sie 35 Jahre lebte und arbeitete, kann nicht Westhoff-Haus sein, muss Rilke-Haus heißen. Rilke, den sie im April 1901 heiratete und der sich im Jahr darauf absetzte, am 26. August 1902.
“But he feeds on us, like all of them.” Aber er nährt sich von uns, wie alle Männer. Adrienne Rich sieht in ihrem Gedicht Paula Becker to Clara Westhoff Otto Modersohn und Rainer Maria Rilke als Parasiten, die sich schmarotzend vollsaugen an den Frauen, von Frauen leben. “But he feeds on us.” (The Dream of a Common Language: Poems 1974 –1977, S. 43)
Wenigstens wird Clara Westhoff-Rilke in der Broschüre als Malerin und Bildhauerin bezeichnet, nicht zu vergessen natürlich auch als Schülerin von Auguste Rodin. Über ihr Werk kein Satz. Sie soll aber Zuhörern aus Briefen und Büchern RMRs vorgetragen haben. Kein Satz über ihre Kunst. Aber: ”Clara(!) galt als eine sehr beeindruckende, soziale und liebe Person, ‘die man nicht vergisst’.” Clara, Clara, Clara.
Eine liebe Person PERSON eine liebe Person eine soziale Person eine liebe Person
But he feeds on us, like all of them. His whole life, his art is protected by women. Which of us could say that? Which of us, Clara, hasn’t had to take that leap out beyond our being women to save our work? or is it to save ourselves? Marriage is lonelier than solitude.
Aber er lebt von uns wie sie alle. Sein ganzes Leben, seine Kunst wird von Frauen beschützt. Wer von uns könnte das sagen? Wer von uns, Clara, musste nicht diesen Sprung machen hinaus, über unser Frausein hinaus um unsere Arbeit zu retten? oder ist es um uns selbst zu retten? Die Ehe ist einsamer als Einsamkeit.
Die Einsamkeit von Paula Modersohn-Becker in der Ehe. Die Einsamkeit von Clara Westhoff-Rilke in der Ehe.
Nur grad
Das Licht
Einer Kerze
Möchte ich In meinen Händen halten,
Mich retten
Aus dieser Verlassenheit
Die tief in meinem Herzen
Lastet.
Und sich verdoppelt
Mit jedem meiner Schritte.
Alle gehen
An mir vorüber.
Ihr geht
Euch zu folgen
Vermag ich nicht.
Feuervögel
Queren den Himmel.
Luisa Famos
Am ehesten finde ich die beiden Frauen, die beiden Künstlerinnen, im Haus am Schluh in Worpswede, Martha Vogelers Haus, das sie mit ihren drei Töchtern bewohnte, nachdem sie 1920 ihren Mann, Heinrich Vogeler, und den Barkenhoff verließ. Ein Haus ohne Männer, ohne Männersprüche.
Hier drückt mir die Urenkelin von Martha Vogeler, Daniela Platz, bei meiner Ankunft ihr wertvolles Exemplar von Marina Sauers Biographie über Clara Westhoff-Rilke in die Hand, hier sitze ich dem zauberhaften weißen Mädchen, dem Mädchen mit Perlenkette von Paula Modersohn-Becker gegenüber. Hier wohnt noch ein Mann, Hans Herman Rief, Kunsthistoriker und Archivar, der Clara Westhoff-Rilke kannte. Er kam als junger, gerade fertiger Student ins Haus am Schluh und konnte sich nicht mehr trennen – doch nicht ganz männerleer das Haus. Hier ist ein Kräutergarten wie vor 100 Jahren, wo Martha Vogeler ihre Pflanzen mit Namen rief, Möbel von damals, Bilder von damals, Bücher, eine Weberei, mit der sich Martha Vogeler ernährte, die schönen reetgedeckten Gebäude mit den tief heruntergezogenen Dächern, die alten Bäume, Kastanien, eine Atmosphäre, die Stille, Achtsamkeit, geistiges Leben begünstigt.
Hier lerne ich Martha Vogeler kennen, auch Heinrich Vogeler. Es ist ruhig. Hier bin ich den drei Frauen, die sich gut kannten, nahe. Über Martha Vogeler und ihr Haus im Schluh finde ich Clara Westhoff-Rilke und Paula Modersohn-Becker.
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