Fembio Specials Frauen aus Hannover Niki de Saint Phalle Lena Vandrey: Niki de St-Phalle Oder Der Doppel-Skorpion. Eine Anekdotenbiographie (2011)
Fembio Special: Frauen aus Hannover
Lena Vandrey: Niki de St-Phalle Oder Der Doppel-Skorpion. Eine Anekdotenbiographie (2011)
Vorbemerkung der FemBio-Redaktion:
Diese und drei weitere “Anekdotenbiographien” (zu Christa Reinig, Wittig sowie dem Lesbenpaar Barney & Brooks) hat Lena Vandrey FemBio zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Wir finden diesen sehr persönlichen Bericht einer Freundin Niki de Saint Phalles aufregend und informativ, hätten aber schon dies und jenes ändern wollen. Redaktionelle Bearbeitung war aber nicht erwünscht. Mit anderen Worten: Die Rechte und die Verantwortung für diesen Text liegen allein bei Lena Vandrey.
••••••••••••••• Eines Tages besaßen wir ein Ministerium für Frauen-Rechte, das es vormals unter anderem Namen schon gegeben hatte, als das Ministerium der „Weiblichen Condition“, ergo der „Situation“ der Frauen. Mit dem Wort „Rechte“ wurde diese Instanz dem Ministerium für Menschenrechte angeglichen, wohl weil Menschen-Rechte Männer-Rechte sind, „les Droits de l’Homme“, und nicht „de la Femme“, als kleiner Olympe de Gouges-Effekt. Eine nachfolgende Regierung liquidierte diese Instanz und erklärte sie für unnötig, da Frauen-Rechte in den Männer-Rechten enthalten wären. Weg damit und alle getane Arbeit ins Gully. Aber vorerst befinden wir uns in dieser gloriosen Epoche, in den Zeiten des Ruhmes.
Die Ministerin hat die Idee, eine Stiftung zu initiieren, die F o n d a t i o n C a m i l l e . Gemeint ist die geniale Bildhauerin Camille Claudel. Der Familienname wird nicht genannt, weil die Claudels, Mutter und Bruder, verantwortlich sind für die Zwangsinternierung der Tochter und Schwester über vierzig Jahre. Darüber hinaus ist es Usus, eine Künstlerin nur bei ihrem Vornamen zu nennen, als Sonderprädikat, als Distinktion. Eine Aloïse, eine Marlene, eine Marylin, aber keinen Pablo. Göttinnen haben keinen Familien-Namen.
Es kommt zu einer Einladung für ein Mittagessen im Ministerium selbst, welches ich immer das Museum nannte, als einen Ort und Hort der Aufbewahrung von Fürchterlichkeiten. Am Eingang werde ich von einem Pulk goldüberhängter Nubier empfangen, welche mit dem Eifer der Zeloten mir bedeuten, dass ich hier nicht erwünscht bin und nicht auf ihrer Liste stehe. Nirgendwo eine Frau! Ich bitte darum, die Hohe-Priesterin zu rufen, und siehe da, sie erscheint und schreibt meinen Namen ganz oben auf die Liste. Dann setzen wir uns zu Tisch, zwölf Künstlerinnen gediegenster Sorte, und speisen, was im schönen Frankreich immer das Wichtigste ist. Die Nubier bedienen uns, halb-bockig, halb-zickig, und ihre Goldketten klirren leise über unseren Gläsern.
Worum geht es? Die „Fondation Camille“ braucht eine Präsidentin. Und wer anderes könnte es sein als NIKI DE ST-PHALLE ? Ich sitze neben Ruth Franken, berühmt durch ihre Scheren-Bilder und das Beauvoir-Tryptikum für Nairobi, und Ruth sagt: „Niki ist ein Doppel-Skorpion! N i e wird sie etwas tun für andere! Das ist ihr Credo! Und darüber hinaus ist sie unerreichbar!“ Ich sage: „Der Stier, der ich bin, ist das genaue Gegenüber des Skorpions. Lasst es mich doch versuchen! Und erreichen kann ich sie!“ „Unmöglich“, sagt Ruth. „Doch“, sage ich, „denn meine Jugendfreundin Marie Chaix lebt mit Nikis früherem Ehefreund Harry Matthews!“ Nach allgemeiner Abstimmung bekam ich die Aufgabe zugestanden, als Botschafterin in das Land der Doppel-Skorpione vorzudringen. Beim Abschied sagte Ruth Franken: „Merci für Deine Worte! Das ist ganz unüblich hier. Diese Seltenheit werde ich bewahren, viel Glück für Dich!“ Und so geschah es, dass ich Marie Chaix bat, welche Harry Matthews beauftragte, und eines Tages rief Niki de St-Phalle an und sagte : „Wann wollt Ihr kommen?“ „Gleich jetzt!“ sagte ich. Und so war es. Wir vereinigten in einem schönen Korb provenzalische Gewächse, Kräuter, Gemüse und Blumen, zusätzlich etwas von unserem guten Landwein und köstliche Brote und Kuchen aus Minas Hand. Und wir fuhren auf der zementfarbenen Wagenbahn von der tiefen Provence in das tiefe Frankreich, ungestört. Es war fast niemend dabei; und kamen so in die Nähe von Fontainebleau zu einem schönen und bescheidenen Dorf-Haus, in einen Garten voll von Skulpturen, diesen Nanas, an deren Kunstharz-Dämpfen die Künstlerin sich die Lungen verdorben hatte. Niki empfing uns und richtete uns in ihrem eigenen Schlafzimmer ein. Auf Stühlen und Sesseln saßen die Puppen von Eva Aeppli. Danach gab es eine Sitzung bei Tisch mit einer Flasche Rosé-Rothschild-Champagner und einer L a c h b ü c h s e . In dieser Büchse lachte auf das Hysterischste ein undefinierbares Wesen und Mit-Lachen war unumgänglich. Über die Lach-Therapie hat sich St-Phalle sehr oft im Radio geäußert. Dieserart Lachen bringt auch zum Weinen und beides eliminiert Toxine. Die zwanzig Jahre Remission der schlimmen Krankheit von den Nana-Gedämpfen sind dem täglichen Lachen zu verdanken. Jedoch musste sie es über diese Technik veranstalten, weil sie fand, dass es sonst nicht viel zu lachen gab. Dann hatten wir ein gutes Essen und einen sanften Schlaf in einem behüteten Haus, wo die Meisterin wie eine Fee über uns alle wachte.
Vorher hatten wir ein wenig über diese Präsidentschaft gesprochen. St-Phalle glaubte nicht an derartige Sachen. „Künstlerinnen sind gleichwertig wie Künstler und schon lange emanzipiert! Ihr wollt nicht mich, sondern meinen Namen! Und diesen gibt es, weil ich ihn mir ganz alleine erkämpft habe!“ Sie sagte zu mir: „Stier/Waage! Ha, ha! Immer für die anderen, nicht wahr? Nahein, nein! D u sollst nur für D i c h tun! Das ist das einzig Richtige für andere!“ Öffentlich sagte sie auch: „Das Kind ist der Phallus der Frau“. Und ich fragte: „Die Tochter auch?“ Und sie sagte: „Gerade die Tochter! Der Phallus der Frau ist die Tochter-Wieder-geburt! Väter und Söhne gibt es gar nicht!“ „Und wenn ich nun keine Tochter habe?“ „Du hast tausende von Amazonen als Töchter!“ „So phallisch möchte ich gar nicht sein!“ sage ich. „Das ist unumgänglich“, sagt sie strenge. „Wir müssen die Männer mit ihren eigenen Waffen bekämpfen!“ Es ging hoch her. Sie nahm ein Medikament, um zuzunehmen, welches fürs Abnehmen gedacht war und gab mir davon. „Es ist doch langweilig, nur für sich selbst zu tun“, sage ich. „Gar nicht,“ sagt sie, „es ist bezaubernd, es ist Verzauberung! Du schiebst dich vor dich her wie dein eigenes Kind, welches niemals stirbt. Egozentrismus ist eine Form der Unsterblichkeit!“
Nach zwei schönen Nächten nahmen wir Abschied. „Ich werde Dir schreiben“, sagte sie. Als Geschenke bekamen wir ihre signierten Kataloge und fuhren versonnen von dannen.
©Ziemlich schnell kamen zwei Briefe von ihr. Ein kurzer per Sie und ein langer per Du. Im Du-Brief stand, dass ich immer in Nähe des Objektes sein soll und anderer Rat von der Älteren an die Jüngere. Im Sie-Brief stand etwas Erstaunliches: Niki de St-Phalle lehnte die Präsidentschaft für die „Fondation Camille“ ab, aber sie machte ein Angebot: „Wenn das Ministerium ihre Idee unterstützen würde, nämlich mit mir in die Psychiatrie-Asyle zu gehen, um zu versuchen, die dort gefangenen Frauen über K u n s t zu befreien, so würde sie es tun. Sie würde ihre Zeit und ihre Kraft d a f ü r einsetzen, ohne jedwede materielle Forderung“. Diese Fee, liebe Ruth Franken, war besser als ihr Ruf.
Im Ministerium für Frauen-Rechte wurden darüber nur die Achseln gezuckt und ein wenig gelächelt. Nein, sie wollten den Namen des Stars und nicht den wirkenden Menschen. St-Phalle sagte uns über ihren Weltruhm: „Das ist nichts! Ich habe kein eigenes Museum und keine Stiftung. Siebenhundert unverkaufte Werke belasten mich. Und weder Frankreich, noch Amerika, noch die Schweiz, diese drei Länder, von denen ich partizipiere, haben die mindeste Absicht, etwas Derartiges zu schaffen!“
Hannover und Nizza haben Donationen akzeptiert, aber von „Museum“ ist doch wohl nicht die Rede. So sind die Dinge, und viel zu viele St-Phalle-Skulpturen befinden sich glattweg im Trödel. Zu billig, um die großen Sammler zu interessieren. Gewiss, es bleibt ein verstreutes Museum in Zaubergärten und Tarot-Schlössern, und es bleibt die Idee, für Psy-Asylantinnen etwas Maßgebliches zu tun. Papier, Karton und Stifte und Farbe hätten wir selbst besorgt.
Das Frauenrechtsministerium ist verschwunden, und ich hätte heute den Eindruck, dass ich Niki de St-Phalle mit Unsinn konfrontiert habe, wenn es nicht doch zu einer Idee gekommen wäre: Sie wollte in unserer Kreisstadt Nîmes eine Kirche aller Konfessionen bauen. Sie für den Part der Teufel, ich für die Engel. Und wiederum wurde das fleißige Genium gehindert, von der K u l t u r , von den geizigen Bürgermeistern und von orthodoxen Religiosen.
Sie sagte, sie habe den Frieden gefunden in Neu-Mexiko, und darüber wurde gelacht.
Ich füge zwei Bilder hinzu, die ich für sie gemalt hatte. Das ist der freundlich-fröhliche Frieden der Zeit der Illusionen.
Niki de St-Phalle war eine helläugige, hellhaarige, schmale Figur von äußerster Akuratesse. Jede Geste, jeder Schritt waren exakt, und großzügig war sie obendrein. Ihr Axiom „Handle für dich selbst – denn erst dann kannst du für andere tun!“ hat Maß und Wert.
Wir bedauern, dass ihr Genie den „Frauen-Rechten“ nicht zusagte und wissen, dass ihr das posthume Lob nichts bedeutet. Die Nanas haben die Lungen gekostet. Es bleibt das Lachen und die Anerkennung des Doppelskorpions. Zart und zäh. Es bleibt …die Anekdotenbiographie.
©Lena Vandrey.
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