Fembio Specials Frauenbeziehungen Monique Wittig Lena Vandrey: Monique Wittig oder Die Krabbe im Sand - Eine Anekdotenbiographie (2011)
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Lena Vandrey: Monique Wittig oder Die Krabbe im Sand - Eine Anekdotenbiographie (2011)
Vorbemerkung der FemBio-Redaktion:
Diese und drei weitere “Anekdotenbiographien” (zu Christa Reinig, Niki de Saint-Phalle sowie dem Lesbenpaar Barney & Brooks) hat Lena Vandrey FemBio zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Wir finden diesen sehr persönlichen Bericht einer engen Freundin Wittigs aufregend und informativ, hätten aber schon dies und jenes glätten, erklären, ordnen oder mildern wollen. Redaktionelle Bearbeitung war aber nicht erwünscht. Mit anderen Worten: Die Rechte und die Verantwortung für diesen Text liegen allein bei Lena Vandrey.
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••••••••••••••• Wittig, wie sie sich selbst später nennen sollte, kam 1935 im Elsass auf die Welt. In „Dannemarie“, ein Wort, welches „von Anne und Marie“ bedeutet. In diesem Ort sind alle Häuser bunt: grün, gelb, ocker, rot, blau, schwarz, weiß und sogar lila. Nach dieser Farbenpracht geht es in Richtung Frankreich hinüber, und alles wird zement-farben und grau. Der schöne „Sundgau“ liegt hinter uns: Sundgau bedeutet „Süden“.
Aus einer Arbeiter-Familie stammend, hat sie über ihre Eltern nur Gutes verlauten lassen, ganz im Widerspruch zu ihrem Kampf gegen das Patriarchat. Das kleine Mädchen wollte sich nur wie ein Junge kleiden, und ihre Mutter, Maria Wittig, schimpfte die Verkäufer aus, wenn sie ihrer Tochter nicht erlauben wollten, Krawatten zu tragen. Als Wittig schon berühmt war, wurde ihr Vater von seinen Fabrik-Kollegen ihretwegen angegriffen und sagte: Meine Tochter ist ein Genie und ihr seid dumm! Das war zu der Zeit des Corps lesbien, eines erschütternden Buches über die Körperlichkeit, welches Wittig mit ihrer Karriere bezahlen sollte. Denn der Verleger, Robert Laffont, wollte sie für eine „Frauen-Reihe“ engagieren und gab nach der Lektüre auf. Das sei eine Chirurgie-Lektion, eine gnadenlose Metzgerei, meinte er. Wittig, als eine neue Erzebeth Bathory, die da Bäuche aufschlitzte, um zu erfahren, wie eine Frau von innen aussieht? Wittig hatte Sympathien für Bathory, nicht wegen der Morde, sondern weil es derzeiten lesbische Vorbilder gar nicht gab. Wittig hat in ihren einigen Büchern etwas bewirkt und gewagt: Der Opoponax ist eine Geschichte, die sich des Neutrums „o n“ bedient. Dieses „o n“ kommt genauso sicher von „homme“, wie „man“ von „Mann“, und „Mensch“ von „männisch“. Das beste Buch über die Kindheit, sagte Marguerite Duras, und meinte die Nicht-Geschlechtsdifferenzierung damit: ein Kind ist ein Kind ist ein Kind ist ein Kind. Der berühmte Medicis-Preis wurde Wittig für dieses erste Werk zugestanden.
Es folgen die Guérillères, eine Frauen-Epopöe unter dem eindeutigen Einfluss des „Langen Marsches“ des Diktators Mao, die „s i e“- Geschichte. Wittig befand sich in einer maoistischen Zelle zusammen mit Männern, welche sie bedrängten. Sie solle doch, nach dem langen Weg der Frauen, die gutgewordenen Männer wieder erscheinen lassen. Und da jedes wirkliche Genie beeinflussbar ist, und je intelligenter, desto mehr, schrieb die Dichterin ein unerhörtes Ende: da kommen weißgekleidete Männer mit weißen Flügeln angeflogen und alles wird wieder gut.
Das dritte Buch, „Le corps lesbien“ schrieb sie bei mir auf dem Berghof. Wieder diese Angst, nicht politisch korrekt zu sein; ich sehe sie kommen, mit einem Vorschlag: auf einer Seite, einen Text von Sappho, auf der anderen den ihren: ich sehe diese Szene, als ob es gestern wäre, und sehe mich sehr zornig darüber. Ich sage: D a s machst du nicht und niemals! Du brauchst keine Krücke und Sappho ist keine! Deine Investigation in unsere Tiefen ist deinen alleinigen Visionen verpflichtet! Warum musst du anbeten? Weder Gott noch Göttin, weder Herr noch Herrin, sage ich. Du Freigeistige, sieh dich um! Und eines Tages bekam ich die Druckfahnen des Buches und dort steht: Direkt von Vandrey oder indirekt von ihr. Was hochanständig war, denn so war sie. Inzwischen hatte sie einen Text verfasst, den ich als die Guérillères in negativ empfand. Der letzte Satz hieß: Nein, Lesben sind keine Frauen! Es gab darüber einen fürchterlichen Klamauk. Die FB-MLF teilte sich in Kompartimente: die einen, die Lesben und deshalb keine Frauen waren, und andere als Frauen keine Lesben. Eine Tragödie, die bis zu Prozessen ging, und wo die „Frauen“ den „Lesben“ allerhand Sachen in ihre Berufsbüros sandten. Wittig saß in Kalifornien und wurde eine Guru-Instanz für den neugegründeten FLR, „Front Lesbien Radical“. Und dort wurde von Übersee entschieden, welche nun radikal-lesbisch ist, und welche nicht.
Dann verging eine lange Zeit, bis Wittig wieder nach Paris kam. Und sie dachte, dass diese grausame Stadt ihr eine Ehrenbrücke bauen würde, denn sie kam mit einem neuen Buch Vergil, nein , einem Theaterstück über Quichotte und Panza in der Gestalt von zwei Mädchen, und einer Ausgabe der Zeitschrift „Vlasta“ von Suzette Triton, mit vielen guten Texten und meinen Illustrationen. Vergil, nein ist eine Höllenbewanderung. Die Hauptperson heißt Wittig und ihr Führer (oder Führerin?) heißt Manabastar; „man is a bastard“? Es gab keinen Anklang für diese drei guten Sachen. Paris ist ein schwieriges Pflaster. Und nachtragend immer. Zu guter Letzt – Wittig war schon längst in der Queer-Bewegung zuhause – schrieb sie ein Buch über La pensée straight. Das Konzept ist einfach: „alle Welt“ ist durch die Heterosexualität unterdrückt. Das mag in der Theorie ja wahr sein, aber in der Praxis mag ich den „unterdrückten“ Mann nicht als Genossen. Wittig hatte früher gesagt und geschrieben: Ich will keine Anbetung, ich will Freundschaft! Die Freundschaft blieb aber wegen der Anbetung irgendwo liegen.
Wittig galt als große Göttin, als Theoretikerin, und die Dichterin blieb auf der Strecke.
Eines meiner Bilder für sie heißt Wittika Ingrimm, blanche colère du déferlement – Der weiße Zorn kommt als Lawine. Wir lieben alle Frauen und alle sollen schreiben, sagte sie, schrieb sie. Und eines Tages merzte sie das Wort „F r a u“ aus ihren Texten und Briefen aus. Wittig stellt die Frage, ohne sie zu nennen, der weiblichen Misogynie und des Selbsthassens mehr als irgendeine andere Autorin. Sie war wie eine Krabbe im Sand, ein u n m ö g l i c h e s Genie, welches über alle Etappen hinaus versucht hat, zu leben. Ihre politische Situation hat sie daran gehindert. Sie war körperlich sehr klein. Du weißt nicht, was das ist, du Riesin, sagte sie.
Als sie die Gruppe der „Gouines Rouges“ gegründet hatte, saßen wir alle auf dem Fußboden um sie herum. Welches ist das Zeichen unserer Unterdrückung? fragte sie. Nun redet doch! Schweigen, bis ich sagte: Das Zeichen unserer Unterdrückung ist dieses Schweigen selbst! Das Tragische an der Geschichte dieser Dichterin ist, dass keine sie mehr als solche kennt. Nur die Theoretikerin der Queer-Bewegung existiert noch am Rande. Die deutschen Übersetzungen ihrer Bücher mit meinen Covers sind verschwunden.
Monique Wittig starb in einer Ambulanz in Tucson, Arizona. Ihre Asche kam nach Paris auf den Berühmten-Friedhof-Père Lachaise. Eine Andacht wurde in der „Société des Gens de Lettres“ abgehalten. Meine Bilder für sie wurden projiziert. Mein Text über sie wurde nicht gelesen; zu kritisch, zwar richtig, aber zu hart.
Und dann kam der Sand über die Krabbe und bedeckte das ganze Werk.
Opoponax, die neutrale Kindheit. Eine Utopie, denn Kindheit ist nicht neutral. Les Guérillères, die Utopie des Langen Marsches von Frauen. Am Ende wieder die Männer. Le corps lesbien, ein Meisterwerk über den Körper und seine schreckliche Natur. Eine Utopie. Vergil, nein, eine Höllenbesichtigung. Ebenfalls eine Utopie. Die Dichterin ist von Paris / La Politique ermordet worden. So hieß ihr letztes Buch.
Die bunten Häuser von Dannemarie bleiben als Souvenir. Dieses Wort heißt buchstäblich „Unterkommen“, „von unten kommen“. Wie die Krabbe im Sand.
Aber wie haben wir uns eigentlich kennengelernt? Das war so: Die Zeitung „L’Idiot International“ brachte einen Aufruf für die Bewegung der Frauen, unterschrieben von den Schwestern Wittig, Monique und Gille. Gleich habe ich geantwortet, mit Feuer und Flamme, aber einer kleinen Bemerkung als Frage: Sind wir wirklich ausersehen und ausgestattet, um Frauen zu befreien? Als auserkorene Front-Soldatinnen? Wie steht es mit uns selbst, mit u n s e r e r Emanzipation? Wäre eine Lesben-Bewegung nicht die richtigere Indikation? Mit einem Wort: wie steht es denn mit „U n s e r e i n s“? Mit unserem Leben und Denken? Daraufhin kommt ein Telegramm: „Werden heute Abend bei Dir sein. Monique Wittig.“
In der Tat. Es kamen zwei Revolutionärinnen, sangen Lieder: Wir, die Frauen! sagten: Wir lieben alle Frauen! Alle Frauen müssen schreiben! und hatten eine Liste dabei. Sie sammelten Unterschriften für das Abtreibungs-Manifest. Wie kommt es, dass meine Unterschrift völlig vergessen wurde? Dass von diesem Manifest überhaupt nicht mehr die Rede war? Weil auf diesem Berghof ohne Strom und Telefon, abends bei Kerzenlicht, auf konspirative Weise, im Ansatz die Lesben-Bewegung auf die Welt kam? Für Wittig war es auf jeden Fall so.
Später dachte ich: Sind sie denn blind? Sie haben nichts gesehen hier, die Bilder an den Wänden nicht bemerkt! Ich werde ihnen eine Malerei schaffen, die sie sehend und hellsehend macht. Und das tat ich. Der Anklang war sofortig und fabelhaft. Wittig schrieb Poeme und Essays über meine Bilder und stellte mich der Pariser Avant-Garde vor: „Lena Vandrey hat mir meine Welt sichtbar gemacht!“ Für sie waren diese Arbeiten große politische Kunst von einmaliger, instinktiver Sicherheit. Auch erkannte sie den Galgenhumor, die Selbstironie und verstand wohl, was es bedeutet, wenn zwei ihrer Guérillères sich gleichzeitig umschlingen und auf die Füße treten. Es kam zu gekreuzten Werken, zu absoluter Solidarität. Über die Kontinente hinweg, diese vielen, vielen Briefe.
Wittig verlangte, dass ich die deutschen Übertragungen ihrer Bücher nachlese, und dass die Covers mit meinen Bildern bestückt würden, und trug maßgeblich dazu bei, dass ich in Deutschland bekannt wurde. Meinerseits war ich etwas wie eine Body-and-Soul-Guardy, immer auf ihrer Seite, was sich im Angesicht so vieler Unverschämtheiten als nötig erwies.
Wenn die Bewegung stirbt, dann sterbe ich, sagte sie. Ich nannte sie Wittika. Sie nannte sich später Theophane, das heißt Gottesanbeterin, und meint ein weibliches Insekt, welches sein Männchen gnadenlos auffrisst. Dieses Wesen ist die Amazone unter den Tieren. Aus „ihren tausend Augen“ schaut Sappho zu. Als Dichterin in Erwartung weiterer Gesänge.
Das nenne ich Anekdotenbiographie. Die gemeinsam erlebten Dinge des Lebens in die Frauen-Geschichte hineinzubringen. Als Anekdote, die zur Kultur wird.
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Zu den Dokumenten:
- Erzebeth Bathory habe ich als Boxerin gemalt, und Wittig schrieb darüber. - Augusta Malfrat bedeutet die große Übeltäterin, ganz positiv gemeint. - Wittika Ingrimm, ist Wittigs Portrait, das erste in unserer Bewegung als Darstellung einer lebenden Person durch eine lebende Person. - Alienor Hachemite, die Figur mit der Fröschin und den Säulen voll von Schrift wäscht die Wäsche der Tauben an den Brunnen Ägyptens. - Die Reise der Marina Malbec nach Ikarien zeigt Wittika Wittig, welche eine Afrikanerin in die Freiheit trägt. - Zwei Wehrhafte unter dem Vulva-Logo auf ihren schwarzen Kühen unterwegs. - Monique-Wittig-Foto aus den glühenden und gloriosen Zeiten, Selbstportrait 1969. - Eine Brief-Seite über ihren Namen: „Theophane ist ein Name für alle Welt. Wittika aber ist der Name, den Du mir gegeben hast. Ich trage ihn, wenn es mir gut geht.“
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Monique Wittig Französische Schriftstellerin, Politikerin Initiatorin der Frauen-Bewegung MLF und der Lesben-Bewegung FLR Prix Medicis 1969 Dannemarie/Alsace *1935 Tucson/Arizona + 2003 •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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