Fembio Specials Heilige, Kirchenfrauen, Märtyrerinnen, Mystikerinnen, Wohltäterinnen Luise Hensel "Luise Hensel: Die Annalen ihres Lebens" von Rüdiger Krüger
Fembio Special: Heilige, Kirchenfrauen, Märtyrerinnen, Mystikerinnen, Wohltäterinnen
"Luise Hensel: Die Annalen ihres Lebens" von Rüdiger Krüger
1794 Am 6. Juli Geburt von Wilhelm Hensel als Sohn des evangelischen Geistlichen Johann Jakob Ludwig und seiner Frau Louise Johanne in Trebbin.
1796 Umzug der Hensels nach Linum bei Fehrbellin in der Mark Brandenburg, wo dem Vater eine wesentlich besser dotierte Pfarrstelle angeboten wurde.
1798 Am 30. März Geburt der Luise (Aloysia) Maria Hensel, als viertes Kind nach Wilhelm, Ludwig und Karoline. Die Kinder und besonders Luise sind geprägt durch die pietistisch-empfindsame Atmosphäre des Elternhauses. Am 23. April Taufe.
1802 Am 11. September Geburt der Schwester Wilhelmine (Minna) Hensel, die später mit Luise gemeinsam religiöse Lieder veröffentlichte und als Dichterin evangelischer Kirchenlieder hervortrat.
1805 Am 14. November Geburt der Fanny Caecilia Mendelssohn in Hamburg als Tochter des Bankiers Abraham Mendelssohn (1776–1835) und seiner Frau Lea, geborene Salomon (1777–1842).
1809 Am 3. Februar Geburt des Bruders Felix Mendelssohn ebenfalls in Hamburg.
1810 Nach dem Tod des Vaters (1809) zieht die Familie Hensel nach Berlin. Luise besucht kurzzeitig die Realschule, muss aber bald schon den Unterhalt der Familie durch Handarbeiten mit bestreiten, da die Pension des Vaters nicht im vollem Umfang und nur unregelmäßig ausbezahlt wird – die Pensionskasse ist durch die Franzosen beschlagnahmt.
1811ff. Luise Hensel schreibt antinapoleonische Kriegs- und Freiheitslieder, Naturlieder und erste religiöse Lieder. Ihre Mutter führt trotz aller Entbehrungen ein offenes Haus:
„Die gute liebenswürdige Pastorswitwe Hensel, Mutter Wilhelm Hensel’s und seiner Schwestern Luise und Minna, bewohnte ein Häuschen in Schöneberg. Dorthin ging ich jeden Morgen mit meinen Kindern. Mein Essen wurde mit dem der Familie zugleich bereitet. Mir war zu Muth, als könnte ich nur dort schreiben. Das Zimmer lag hoch und freundlich; die Wipfel der Bäume säuselten, reine Lüfte wehten mit Düften vom botanischen Garten her. Luise und Minna kamen oft an meinen Schreibtisch und freuten sich meiner Arbeit. Mittags gingen wir in das Zimmer der Pastorin, wo uns unser einfaches Mahl einladend entgegendampfte. Gegen Abend ging es in ein Wäldchen, welches mir Luise Hensel als den liebsten Spaziergang unsers Freundes Adalbert von Chamisso bezeichnete.“ [Helmina von Chézy, Unvergessenes]
1815ff. Luise Hensel verkehrt auf Vermittlung ihres mittlerweile als Maler und Porträtist zu einigem Ansehen gelangten Bruders Wilhelm in den Salons im Hause des Verlegers, Kriminalrates und Kriminalschriftstellers Julius Eduard Hitzig, wo unter anderen E.T.A. Hoffmann, Chamisso und la Motte Fouqué verkehrten, und im Hause des preußischen Staatsrats Friedrich von Stae- gemann. Hier lernt sie neben anderen die Brüder Gerlach, Ludwig Berger, Friedrich Förster, Graf Gneisenau, Wilhelm Müller, Friedrich von Bülow, Amalie von Helvig und Generalfeldmarschall Gneisenau kennen. Mit der Tochter des Hauses, Hedwig von Staegemann, verband sie eine lebenslange Freundschaft. In Ludwig von Gerlach suchte sie ihren 1808 verstorbenen Bruder Ludwig wieder zu finden, sie war mehrere Jahre in ihn verliebt und erst ihre Konversion zum Katholizismus beendete diese Liaison; Ludwig Berger, der Komponist und Klavierlehrer Fanny und Felix Mendelssohns, hielt erfolglos um ihre Hand an; Wilhelm Müller, ein enger Freund des Bruders Wilhelm Hensel, warb ebenfalls erfolglos um sie – wobei nicht sicher ist, ob sie von seiner Liebe zu ihr wusste – und setzte ihr im Gedichtzyklus der „Schönen Müllerin“ ein durch die spätere Vertonung Schuberts berühmtes Denkmal.
[...]
1816 Im September lernt Luise Hensel im Staegemannschen Salon den Romantiker Clemens Brentano kennen, der ebenso heftig wie erfolglos um sie wirbt – er macht ihr schon an Weihnachten einen Heiratsantrag. Gegen den zwanzig Jahre Älteren, bereits zweimal Verheirateten hat insbesondere Luise Hensels Mutter einiges einzuwenden. Die beiden wird jedoch eine lebenslange Freundschaft verbinden. Brentanos Gedichte an Luise Hensel geben ein Zeugnis dieser großen Liebe und engen Künstlerfreundschaft. Manche der Gedichte Brentanos aus dieser Zeit dürften eigentlich von Luise Hensel stammen und/oder durch sie angeregt bzw. beinflusst sein.
„Diese Lieder haben zuerst die Rinde über meinem Herzen gebrochen, durch sie bin ich in Tränen erflossen, und so sind sie mir in ihrer Wahrheit und Einfalt das Heiligste geworden, was mir im Leben aus menschlichen Quellen zuströmt.“ [Clemens Brentano am 3. Dezember 1817 an seinen Bruder Christian]
„Brentano ist ‚an Leib und Seele liebestrunken‘, wie er schreibt. Luise selbst ist seinen Heiratswünschen gegenüber zunächst nicht abgeneigt. Wie es um die Erotik der Beziehung bestellt ist, lässt sich kaum ausmachen. Große Teile des Briefwechsels mit Brentano hat Luise Hensel vernichtet. Interpretationen, die Hensels Standhaftigkeit als ‚Braut Christi‘ betonen, darf man mit Skepsis begegnen, zumal keine Geringere als Brentanos Schwester Bettina von einem Konkubinat spricht. Bettina weiß viel, sie erfindet allerdings auch manches.
Die Umwelt mischt sich in die Beziehung ein. Brentanos Freunde raten dem Dichter ab von dem ‚verdrehten Ding‘. Auf Luisens Seite ist es insbesondere ihre Mutter, deren Widerstand bis zum offenen Haß geht. Letztlich scheitert Brentanos Heiratsantrag. Er ist schwer getroffen. „Fahr hin in deiner Heiligkeit, du Törin, du Wahnsinnige!“ schreibt er ihr. Luise drängt ihn, nach Dülmen zu fahren und sich der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick zu widmen. Sechs Jahre verbringt er bei ihr, macht Aufzeichnungen von Visionen, nimmt Abdrücke von Blutungen und versucht dabei, auch über Emmerick als Medium Luisens Zuneigung zu gewinnen oder wieder zu gewinnen. Das war vielleicht sein vorrangiges Ziel. Der Dichter, dessen Name allein schon programmatisch für romantische Lyrik oder für Romantik überhaupt steht, widmet sich in seiner künftigen Textproduktion mehr und mehr einem mystischen Erbauungs-Katholizismus. Einen nicht geringen Anteil an diesem Weg hat Luise Hensel. Sie hat den Lauf einer literarischen Strömung mit bestimmt, wenn auch freilich indirekt.“ [Rüdiger Schneider, Bottrop 1988]
Im Dezember stirbt Luise Hensels jüngere Schwester Karoline Rochs wenige Wochen nach der Geburt ihres zweiten Kindes in Stettin. Luise kommt dem Wunsch ihrer Schwester nach, den kleinen Rudolf in ihre Obhut zu nehmen.
1816/17 Luise Hensel schreibt ihr berühmtestes Lied, das Abendgebet „Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe meine Augen zu.“ In der Folge entstehen – vor allem bis in die Mitte der 1820er Jahre – ihre bis heute bekannten religiösen Lieder.
1817 Luise Hensel ist Erzieherin im Haus von Werthers, des spanischen Gesandten am preußischen Hof.
1818 In Försters „Sängerfahrt“ erscheinen erste Lieder Luise Hensels – allerdings noch unter dem Pseudonym Ludwiga.
Luise Hensel tritt am 7. Dezember in der Berliner St. Hedwigs-Kirche bei Propst Taube zum Katholizismus über. Ihre Neigung zum Katholizismus sowie die intensive Verbindung zwischen dem romantischen Autor und der jungen Dichterin werden unter anderem als Ursache für Clemens Brentanos Rückwendung zum Katholizismus gewertet, wobei wir nie genau wissen können, wie hier Ursache und Wirkung verteilt sind ...
„Ich muss in diesem Augenblick denken und fühlen, und es ist mir, als wär’s wahrhaftig so, nämlich als wäre meine Brust ein Badezuber und Deine Füße stünden badend und plätschernd in meinem Herzen, und Du sagst: endlich krieg ich warme Füße.“ [Clemens Brentano an Luise Hensel]
„Einer Ansicht der Protestanten, daß Cl. Brentano auf meine Rückkehr zur Kirche Einfluß gehabt, muß ich auch hier entgegentreten. Ich war schon katholischer als er, als ich ihn kennen lernte, sonst würde er vielleicht nicht vergebens gesucht haben, mich der Kirche fern zu halten. Darüber mal mehr.“ [Luise Hensel an Schlüter am „Allerseelen=Morgen“ 1868]
1819 Luise Hensel geht als Gesellschafterin der Fürstin Salm nach Münster; dort Bekanntschaft mit dem „Gallitzin“-Kreis. Hier lernt sie auch die Familie Diepenbrock kennen; Apollonia von Diepenbrock ist ihre beste Freundin „Appel“, zu deren Bruder Melchior, dem späteren Fürstbischof von Breslau, hält sie lebenslang innige Beziehungen. Der Münsteraner Bernhard Heinrich Overbeck ist ihr erster „Seelenführer“.
Im Münsterland wie auch später im Rheinland hat sie vielfältige Begegnungen mit führenden Köpfen des Katholizismus, mit welchen sie zum Teil langjährige Kontakte pflegt.
1819ff. Luise Hensel besucht in den kommenden Jahren mehrfach die stigmatisierte Augustinerinnen-Nonne Katharina Emmerick in Dülmen; dort stetes Zusammentreffen mit Clemens Brentano, der schon seit 1818 – auch auf ihr Anraten – für einige Jahre nach Dülmen zieht und die Visionen der Nonne aufzeichnet und später literarisch umgestaltet veröffentlicht.
1819–21 Luise Hensel lebt mit der Familie der Fürstin Salm in Düsseldorf.
1820 Luise Hensel legt vor dem Jesuitenpater Heinrich Wüsten, ihrem zweiten „Seelenführer“, das Gelübde der Ehelosigkeit ab. Ihren größten Wunsch, als Nonne in einem Kloster zu wirken, wird sie jedoch aus einem Bündel von Gründen nie verwirklichen können. V.a. auch die Versorgung ihres Pflegesohns Rudolf Rochs steht lange diesem Wunsch entgegen.
„Ihre Andacht, ihr Gebet, ihre Reue, ihre Freude wurde zum Liede. Der nach ihrer Anschauung bestehende Conflikt zwischen der Wahl eines irdischen Bräutigams, der von ihr geliebt, um sie warb, und der Wahl des himmlischen erzeugte ihr Seelenstimmungen, die nach den trübsten Schmerzen oft aufleuchteten wie die Morgenröthe eines entzückenden Hochzeitstages. Und dann sproßten wie bräutliche Blumen ihre zartesten Lieder hervor, wie: „Die Wahl des Liebsten“ („Es warten dein zwei Freier“) oder „Ich liebe einen Königssohn“ u.a. Aber auch selbst ihr Kummer um irdische Noth wurde zum religiösen Liede. Daher bedingte ihre religiöse Entwickelung sowohl die Productivität an Liedern wie den Reichthum oder die Armuth des Inhalts. Ihre reichste Periode ist die von ihrem 16. Lebensjahre bis zum 22. Dahin gehören auch ihre werthvollsten und bekanntesten Lieder, wie: „Müde bin ich, geh zur Ruh“ und „Immer muß ich wieder lesen.“ Während dieser 6 Jahre ist mehr als die Hälfte der Lieder in der Schlüter’schen Sammlung entstanden. Es war die Zeit ihrer größten religiösen Selbständigkeit, die auch noch einige Jahre, nachdem sie katholisch geworden, fortdauerte. In Düsseldorf ergab sie sich der Seelenführung eines Exjesuiten [P.W.]; seitdem wurde sie im religiösen Leben von Jahr zu Jahr unselbständiger, und wenn auch vielseitige freundschaftliche Beziehungen dem inneren geistigen Leben noch lange Vorschub leisteten, so erlag ihr Geist doch schließlich, wie die von Schlüter veröffentlichten Briefe leider constatiren, der ganzen Aeußerlichkeit der vaticanischen Gehorsamstheorie. In dem Maße, in welchem dies geschehen, vertrocknete die Quelle ihrer unsterblichen Lieder.“ [ Josef Hubert Reinkens: Hensel, Luise; ADB]
1821 Luise Hensel geht als Hauslehrerin zur Gräfin Stolberg nach Sondermühlen und Brauna, von dort aus besucht sie die Familie Ludwig Tiecks in Dresden.
1822 Fanny Mendelssohn lernt anlässlich eines Ausstellungsbesuchs mit ihren Eltern den Maler Wilhelm Hensel in dessen Atelier kennen, sie war dem Bruder Luise Hensels im Jahr zuvor erstmals begegnet. Die zarte Liebesbeziehung zwischen Wilhelm Hensel und der noch sehr jungen Fanny Mendelssohn ist nicht ungetrübt, denn Lea Mendelssohn – die Mutter – sieht die Verbindung mit dem zwar begabten, aber (noch) relativ mittellosen Künstler äußerst kritisch.
1823 Luise Hensel zieht bis 1825/26 nach Wiedenbrück, um ihrem Pflegesohn Rudolf Rochs in den bekannt guten Schulen und vor allem dem dortigen (katholischen) Gymnasium eine gute Bildung zukommen zu lassen. In Wiedenbrück lernt sie Kaplan Bernhard Hensing kennen und schätzen, der ihren Pflegesohn Rudolf Rochs nach ihrem Wegzug bei sich aufnimmt. Hensing wird 1846 Pfarrer im benachbarten Langenberg.
„Mir hat dieß Städtchen, das flache aber freundliche Umgebungen, und was viel wichtiger ist, viel fromme, sittliche Einwohner und sehr gute Priester hat, von denen ich schon einige kannte, recht gut gefallen [...]“ [Luise Hensel an ihren Bruder Wilhelm am 26. April 1823]
Am 20. Juli reist Wilhelm Hensel für fünf Jahre – finanziert durch die preußische Akademie der Künste – nach Rom. Er nimmt selbst gemalte Bilder der Familie Mendelssohn und der geliebten Fanny mit.
1824 In der Nacht vom 19. auf den 20. März exhumiert Luise Hensel gemeinsam mit Vikar Niesing und Kupferschmied Meiners die sechs Wochen zuvor verstorbene Anna Katharina Emmerick auf dem Dülmener Friedhof.
„Ich hatte nach den Stigmata ihrer Hände sehen wollen; auch einige Reliquien hatte ich bei mir, womit ich ihre rechte Hand berühren wollte, um zu sehen, ob die Verheißung, daß dieselbe auch nach dem Tode noch so wie im Leben, Heiligtümer unterscheiden würde, sich schon jetzt erfüllen sollte.“ [...] „Ich habe ihre Stirn geküßt und die Haut ganz fest gefunden, ihr liebes Haupt aufgehoben und die Bleiplatte mit ihrem Namen, welche Cl. Brentano hatte durch Meiners machen lassen, darunter gelegt. Darauf mußte ich selbst dem Totengräber helfen, die geliebte Hülle wieder einzugraben, da der Morgen nahte. Wir hatten die schmerzlich liebe Arbeit zwischen 1 bis 2 Uhr begonnen. Die Selige wolle bitten für mich arme Sünderin. Luise M. Hensel“ [Luise Hensel im Tagebuch und im Kurzbericht zu einer eigenhändigen Zeichnung]
1825f. Luise Hensel versieht mit Apollonia Diepenbrock und Pauline Felgenbaum – wohl auch durch Vermittlung von Clemens Brentano – kurzfristig den Aufbau und die Leitung des Bürgerhospitals in Koblenz. Im Juli 1826 übernehmen die „Barmherzigen Schwestern vom Hl. Carl Borromäus“ die Klinik.
1826 Sie arbeitet als Lehrerin in Marienberg.
1827–33 Luise Hensel wird Lehrerin in St. Leonhard in Aachen. Die Jahre in Aachen bedeuten für sie eine Zeit der Ruhe, frei von Geldsorgen, mit einer äußerst zufrieden stellenden Tätigkeit. Mit vielen ihrer Schülerinnen ist sie lebenslang befreundet ,und viele von ihnen haben sich durch ihren Hang zum klösterlichen Leben angezogen gefühlt und sind in ihre karitativen Fußstapfen getreten: Anna von Lomnessen war lange Zeit Oberin des Klosters vom heiligen Herz („Sacré Cœur“) in Warendorf, Clara Fey gründete die „Schwestern vom armen Kinde Jesu“ in Aachen, Franziska Schervier die „Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus“, Pauline von Mallinckrodt wurde Gründerin der Paderborner Blindenschule und der heute weltweit agierenden „Schwestern der christlichen Liebe“. „Unter den zahlreichen Laien, die im Hause Fey
verkehrten, hat Luise Hensel entscheidende Impulse für die später so ausgedehnte Caritasarbeit beigetragen.“ [Erwin Gatz: Kirche und Krankenpflege im 19. Jahrhundert] Luise Hensel wurde in ihrem Leben unter dem Gelübde der Jungfräulichkeit mehrfach durch Heiratsanträge herausragender Persönlichkeiten in ein familiäres Leben gelockt, was sie durch die strikt ablehnende Haltung ihrer männlichen, geistlichen „Seelenführer“ stets in schwerste religiöse Konflikte brachte; in Aachen hielt der spätere Leibarzt von Papst Pius IX., Clemens August Alerts, um ihre Hand an.
1828 Im Oktober kehrt Wilhelm Hensel von Rom zurück. Fanny ist verändert, denn sie hat sich in den vergangenen Jahren zu einer 22-jährigen selbstbewussten jungen Dame entwickelt.
„Du bist gut in Sinn und Gemüt. [...] Aber du kannst noch besser werden! Du musst dich mehr zusammennehmen, mehr sammeln, du musst dich ernster und emsiger zu deinem eigentlichen Beruf, zum einzigen Beruf eines Mädchens, zur Hausfrau bilden.“ [Abraham Mendelssohn-Bartholdy zum 23. Geburtstag Fannys]
1829 Am 3. Oktober heiratet Fanny Mendelssohn Wilhelm Hensel. Zu ihrer eigenen Hochzeit komponiert sie sich zwei Präludien für Orgel.
„Frau Mendelssohn ist eine erstklassige Pianistin. Sie ist keine oberflächliche Musikerin; sie hat die Wissenschaft gründlich studiert, und sie schreibt mit der Freiheit eines Meisters. Ihre Lieder zeichnen sich aus durch Zärtlichkeit, Wärme und Originalität, einige, die ich hörte, waren exquisit.“ [ John Thompson, in: The Harmonion of March]
Clemens Brentano gibt die von ihm überarbeiteten und teilweise heftig geänderten Lieder Luise Hensels ohne deren Einwilligung an Melchior von Diepenbrock zur Veröffentlichung in dessen „Geistlichem Blumenstrauß aus spanischen und deutschen Dichtergärten“; hier erscheinen 40 Lieder Luise Hensels.
1830 Am 16. Juni wird der einzige Sohn von Fanny und Wilhelm Hensel, Sebastian Ludwig Felix (gest. 1898), geboren. Die Ehe mit Wilhelm Hensel, der Fanny in ihren künstlerischen Ambitionen bestärkt, ja sie durch Texte für ihr Schaffen und durch Vignetten und Illustrationen zu ihren Kompositionen nach besten Kräften unterstützt, hilft Fanny Hensel, sich von ihrem übermächtigen Bruder künstlerisch zu emanzipieren.
1833–38 Luise Hensel zieht nach Berlin, zunächst zu ihrer Mutter, dann für rund drei Jahre in die Familie ihres Bruders Wilhelm. Sie führt den Haushalt und übernimmt die Erziehung Sebastians, der seine Tante zeitlebens sehr schätzen wird. Gleichzeitig pflegt sie ihre Mutter bis zu deren Tod 1835.
1834 Die im Haushalt entlastete Fanny Hensel widmet sich intensiv der Musik. Komposition vieler Lieder, Klavierstücke, der Ouvertüre C-Dur und des Streichquartetts Es-Dur.
1838–42 Luise Hensel siedelt nach Köln über zu einer Freundin. Während dieser Zeit Reisen und – z.T. längere – Aufenthalte zur Privat- oder Familienpflege Kranker in München, den Niederlanden, Koblenz, auf Stift Neuburg am Neckar auf Einladung von Sophie Charlotte Schlosser, in Brauweiler und Frankfurt.
1840/41 Wieder für einige Monate in Berlin beim Bruder Wilhelm Hensel.
1842 Clemens Brentano stirbt am 28. Juni in Aschaffenburg. Bis heute ist nicht klar feststellbar, inwieweit Brentano Luise Hensel beeinflusst, gesteuert, ihr lyrisches Werk und ihre karitativen Bestrebungen unterstützt und gefördert hat. Einseitig wird häufig der Anteil des großen Romantikers Brentano überbetont. Hier könnte sicher eine unvoreingenommene Erforschung der Wirkung der Frauen in Brentanos Leben auf sein Schaffen und ihres Anteils an seinem Werk neue Blickweisen eröffnen ...
1842–49 Luise Hensel ist auf Wunsch Wilhelm Bartmanns – Vorstandsmitglied des Kölner Dombauvereins – Erzieherin und „Pflegemutter“ seiner Nichte und Neffen (Vollwaisen) in Köln. Bartmann hatte sie über das von ihr gegründete „Armenkränzchen“ kennen gelernt, in dem sie breite karitative Tätigkeiten entfaltete.
1847 Luise Hensels Schwägerin Fanny Hensel-Mendelssohn stirbt mit 41 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Ein halbes Jahr später stirbt auch Felix Mendelssohn, mit 38 Jahren, wohl ebenfalls nach einem Schlaganfall.
1848 Wilhelm Hensel, ehemaliger Jägeroffizier, übernimmt in den 1848er-Wirren als Kommandierender das „Berliner Künstler-Corps“. Das Freicorps unterstützt die royalistische Seite. Auch in der folgenden Reaktionszeit bleibt Wilhelm Hensel auf Seiten der preußischen Royalisten politisch aktiv. Luise Hensel schreibt in Köln eines ihrer wenigen überlieferten politischen Gedichte:
O des Unsinns! O der Schande!
Wie‘s aus allen Sümpfen steigt!
Wehe! wehe jedem Lande,
Das die ekle Brut gesäugt!
Weh! schon rasen durch die Lande
Mord und Lüge, Raub und Neid,
Denn gelöst sind alle Bande
Und ein Spott nur Treu und Eid.
Und schon schwanken alte Throne;
Denn die Faust gilt nun statt Recht.
Den Gesalbten in der Krone
Höhnt der übermüth‘ge Knecht.
Und mein Volk läßt sich bethören,
Eilt zu jeder Schenke hin,
Wo der Hölle Weisheit lehren
Buben mit dem Flaum am Kinn.
Und schon recken blut‘ge Hände
Selbst nach des Altares Hort –
Herr der Kirche! komm und wende
Solchen Gräu‘l vom heil‘gen Ort!
„Daß Sie und H. Stork, den ich freundlichst grüße, einige Lieder zurückgewiesen haben, finde ich ganz recht und ich habe ja auch darum gebeten, ich wundere mich nur, daß sie nicht mehrere heimgeschickt haben. Was das Lied „1848“ betrifft, so bitte ich aber, dasselbe dem Anhange einzuverleiben, da derselbe ja allerlei bringt; mir liegt daran, meine Gesinnung unverhohlen auszusprechen.“ [Luise Hensel im Brief aus Wiedenbrück an Schlüter vom 11. November 1868, als dieser einige Gedichte, auch „1848“, nicht in die von ihm veranstaltete Ausgabe ihrer Gedichte aufnehmen will]
1850 Wir finden Luise Hensel für mehrere Monate auf der Rheininsel Nonnenwerth bei Bonn; ihre Pläne, auf der Insel ein Frauenkloster zu gründen, lassen sich nicht verwirklichen. Sie schließt nun endgültig mit dem Wunsch ab, eine Kongregation zu gründen oder in ein Kloster einzutreten.
1850–72 Luise Hensel zieht zu Gertrud Schwenger – der Tochter des früheren Bürgermeisters, mit der sie seit ihrem ersten Aufenthalt 1823ff befreundet ist – nach Wiedenbrück. Nach ihren rastlosen Jahren, in welchen sie sich vor allem karitativen Aufgaben der Pflege alter Menschen und der Erziehung mittelloser Mädchen widmete (u.a. in Berlin, Bonn, Köln, Langenberg, Münster, Koblenz, Aachen, Düsseldorf, Dülmen, Bocholt, Aschaffenburg und Regensburg) ist Wiedenbrück die Heimstatt ihres Alters, ihr „Refugium“. Von hier aus besucht sie fast in jedem Frühjahr Pfarrer Hensing für einige Wochen in Langenberg und reist in Erfüllung karitativer Aufgaben sowie als gern gehörte Beraterin für Aktionen der Wohlfahrtspflege durch das ganze Deutsche Reich. Auch in Wiedenbrück entfaltet sie eine breite karitative Tätigkeit, unter anderem mit dem befreundeten Gerichtsrat und Zentrums-Abgeordneten Alfred Hüffer, der mit einer Schwester Pauline von Mallinckrodts verheiratet war. Sie leitet den Paramentenverein und pflegt nachbarschaftliche Bekanntschaften; sie leitet Mädchen in Handarbeiten an und unterrichtet sie wohl auch schulisch; sie näht und restauriert Kirchengewänder und -fahnen; sie pflegt Arme und Bedürftige; sie gründet im 1870/71er Krieg gegen Frankreich einen Frauenverein, der u.a. Verbandsmaterial fürs Lazarett herstellt ...
Ein reichhaltiger Briefwechsel aus dieser Zeit – v.a. mit Christoph Bernhard Schlüter in Münster – gibt beredtes Zeugnis ihrer Gedanken, Sorgen und Lebensumstände dieser Jahre.
„Ich habe die Kirche gegenüber, kann viel allein sein und billig leben. Das ist viel und ich bin des Wechsels so müde.“ [Luise Hensel an Apollonia Diepenbrock 1853]
1857 „Gedichte von Luise und Wilhelmine Hensel, zum Besten der Elisabeth-Stiftung in Pankow“, herausgegeben von H. Kletke, Berlin 1857. Das Bändchen enthält 33 Lieder von Luise Hensel.
1861 Am 26. November stirbt Wilhelm Hensel, fast 15 Jahre nach seiner geliebten Fanny. Luise Hensel besucht ihren Neffen Sebastian Hensel in Großbarthen bei Königsberg, um den Nachlass seines Vaters, die zahllosen Arbeiten des Malers und Porträtisten, zu ordnen. Sie ist bis 1868 jährlich in Berlin und auf Gut Großbarthen.
„Schön wie er gelebt, so starb er. Eine menschenfreundliche Handlung wurde die unmittelbare Ursache seines Todes. Ein Kind aufraffend, das in Gefahr war, von einem Omnibus überfahren zu werden, verletzte er sich selbst am Knie; von da ab lag er danieder.“ [Theodor Fontane, in: Wanderungen durch die Mark Brandenburg]
1869 Erstausgabe ihrer Lieder unter dem Titel: „Lieder von Luise M. Hensel, herausgegeben von Prof. Dr. C. Schlüter, Paderborn [Schöningh] 1869“. Mit dem blinden Christoph Bernhard Schlüter verbindet Luise Hensel eine langjährige Freundschaft seit den 1830ern, die einen interessanten Briefwechsel hervorgebracht hat [...]:
„Ich eile, Ihnen rücksichtlich des Titels noch ein paar Worte zu sagen. Ich meine, wir wären schon bei der Besprechung im Frühjahr darüber einig gewesen, daß der Titel bloß heißen soll: „Lieder von Luise Hensel, herausgegeben von Prof. Dr. Schlüter“ Das ist wohl genug, meine ich, nur möchte ich in keinem Falle gesagt haben, Gedichte. Ich kann diese Benennung nicht leiden, und sie paßt für meine Lieder einmal gar nicht.“ [Wiedenbrück, 4. / 11. (17.) Dezember 1868]
1871 Am 27. Juni stirbt ihre engste Vertraute, Freundin und Hauswirtin Gertrud Schwenger nach längerer Krankheit und Leidenszeit, in der sie von Luise Hensel aufopferungsvoll gepflegt wurde. Die Verwandtschaft lässt Luise Hensel noch etwas über ein Jahr in dem Haus wohnen: „Sie werden durch unsere Freundin Jenny Veltmann schon erfahren haben, daß Gott unsere gute Gertrud Schwenger am 27. Juni (auch Clemens Br. Todestag) zu sich genommen hat. Ich konnteIhnen in den letzten Tagen vor, und den ersten Tagen nach ihrem Heimgang unmöglich schreiben.“ [Wiedenbrück 3. Juli 1871]
1872 Luise Hensel wohnt nach dem Tod ihrer Hauswirtin in Wiedenbrück knapp eineinhalb Jahre bei den Barmherzigen Schwestern in Ahlen.
1874 Ihre frühere Schülerin Pauline von Mallinckrodt, die ihr Leben ganz dem Caritas-Gedanken unterworfen hat, nimmt Luise Hensel in den Paderborner Westfalenhof – Kloster der Töchter der christlichen Liebe – auf. Dort stürzt sie am 15. September 1874 unglücklich und zieht sich einen Hüftgelenkbruch zu, sie verliert ihre Gehfähigkeit fast vollständig.
1876 Am 18. Dezember stirbt Luise Hensel in Paderborn; nachdem sie in einem Brautkleid aufgebahrt war, wird sie in einem einfachen Sarg am 20. Dezember auf dem Ostfriedhof beerdigt.
1892 Hoch betagt stirbt die Lieblingsschwester Wilhelmine (Minna) Hensel – sie war im Alter Vorsteherin des evangelischen Elisabethstifts in Rankow.
(Auszug aus
Rüdiger Krüger. 2018. “Zur Situation der katholischen Kirche im preußischen Wiedenbrück im Spiegel des Lebens der Luise Hensel und ihrer Briefe an Christoph Bernhard Schlüter”, in: Johannes Meier. Hg. Der Kreis Wiedenbrück in seinen ersten Jahrzehnten: Strukturen und Personen. Veröffentlichungen aus dem Kreisarvhiv Gütersloh 15. Bielefeld. Verlag für Regionalgeschichte. S. 119-164.
Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.)
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