Fembio Specials Frauenbeziehungen Christa Reinig Lena Vandrey: Christa Reinig oder Der Kopf-Stand. Eine Anekdotenbiographie (2011)
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Lena Vandrey: Christa Reinig oder Der Kopf-Stand. Eine Anekdotenbiographie (2011)
Vorbemerkung der FemBio-Redaktion:
Diese und drei weitere “Anekdotenbiographien” (zu Niki de Saint-Phalle, Monique Wittig sowie dem Lesbenpaar Barney & Brooks) hat Lena Vandrey FemBio zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Wir finden diesen sehr persönlichen Bericht einer Freundin Christa Reinigs aufregend und informativ, hätten aber schon dies und jenes ändern wollen. Redaktionelle Bearbeitung war aber nicht erwünscht. Mit anderen Worten: Die Rechte und die Verantwortung für diesen Text liegen allein bei Lena Vandrey.
••••••••••••••
Christa Reinig lernte ich im Winter 1982 kennen in den Orten der „Frauenoffensive“, München, eines Verlages, der seines Namens noch durchaus würdig war, nämlich durch und wegen Christas Gegenwart. Sie sagte: Und jetzt musst du ganz alleine auf deinen Berghof wieder zurück? Und Tränen rollten über ihre Wangen. Christa kultivierte eine Art von Flirt mit sich selbst, und wollte sich als „Böse“ sehen. Ich fand, dass sie den Kopf einer Heiligen hatte. Nur stand es nicht zum Besten mit diesem Kopf. Sie hatte sich das Genick gebrochen. In einem Bremer Meditationszentrum mit buddhistischem Ansatz war sie eine Wendeltreppe hinuntergeflogen, welche gerade gewaschen oder eingewachst war. Was hatte der radikalste Kopf der Frauenbewegung dort zu suchen? Im Spital stellte sich heraus, dass sie eine Halskrause brauchte, eine sogenannte Minerva. Es gab aber keine in ihrer Größe, und niemand kam auf die Idee, in Kinderspitälern nachzufragen oder handwerklich mit Schere und Faden eine Minerva für Christa zurechtzuschneidern.
Ich will vor allem vom Besuch der Christa mit ihrer Gefährtin Pauli berichten, und fragte sie: Wie wäre es gewesen, wenn du „nicht“ diesen Unfall gehabt hättest? Ihre Antwort war klar und eindeutig: Ich wäre ermordet worden, so wie ich war. Aufmüpfig, frech, sarkastisch. Der Unfall war meine Rettung. Unsere Begegnung fand im Oktober statt. Es regnete unaufhörlich und wir hatten keinen Strom. Das Haus war düster. Wir saßen bei Kerzen, Kaminfeuer und Petroleumlampen. Unsere Körperlichkeit, unser Aussehen verschwand im Schatten und verlor seine Wichtigkeit und „das“ war wichtig. Pauli sagte: Ich bin Bayer. Christa sagte: Ich bin Preuße. Im Widerspruch dazu fand sie die Gedanken der französischen Psychoanalytikerin Luce Irigaray sehr verführend: Alles Denken von Frauen ist rund. Frauen sollen nicht stehen, denn das ist phallisch. In Frankreich traf dieser Unfug schon immer auf ein Echo: Nur eine liegende Frau ist schön, und am allerschönsten ist eine nähende Frau; eine, die im Liegen näht oder beim Nähen liegt ! Pauli erzählte unflätige Witze und war wohl die erste Frauen-Witzlerin der Geschichte, selbst wenn moralisierende Feministinnen das gar nicht mochten und sie deshalb absonderten. Wir nicht! Dieses Lachen bleibt uns als gute Erinnerung! Pauli, Christas Schutzengel.
(Christa Reinig über Pauli an Lena Vandrey, 26.6.1983. Klicken Sie auf die Faksimiles, um sie zu vergrößern.) Wir haben mehrfach versucht, uns zu trennen, sagte Christa. Aber es geht nicht. Wir haben nur die Wahl zwischen zwei Höllen, und diese hier ist doch die bessere!
Ein paar Ausflüge wollten wir mit ihnen machen, und nahmen sie mit zu unseren Freundinnen. Und dort hieß es : Aber Madame, was ist Ihnen denn passiert ? Setzen Sie sich bitte, hier auf den besten Sessel, erzählen Sie uns! Möchten Sie etwas essen, trinken, alles ist für Sie da! Christa war begeistert und auch erschüttert.
Abends erzählte sie uns ihre Situation in München. Auf der Straße wurde ihr zugeschrien: Man hat vergessen, dich zu vergasen! Der Hitler muss her für dich! Drecksau, Krüppel, Judensau ! Ins Gully mit dir, du Schandfleck!
Das ist mein tägliches Leben, sagte Christa, wenn ich mich auf die Straße wage, um in der Bibliothek ein Buch zu entleihen.
Fritz J. Raddatz hatte geschrieben: Christa Reinig sieht aus wie ein Gnom und schreibt wie ein Gnom. Das gefiel einer Berliner Kultursenatorin gar nicht, und sie ließ Reinig einen großen Preis verleihen als Ausgleich für diese Beleidigung.
Eines Tages gibt es den Mauer-Bau. Christa befindet sich in West-Berlin und will wieder nach Osten. Der Vopo sagt zu ihr: Sind Sie wahnsinnig ? In ein paar Stunden sind wir abgeriegelt. Es ist alles zu Ende, gehen Sie, gehen Sie! Christa sagt, dass sie eine Katze in ihrer Wohnung hat und zurück muss. Deretwegen.
An helleren Tagen zeigte ich Christa und Pauli meine Amazonen-Bilder, eine Extra-Ausstellung für sie in unserem großen steinernen Hof. Und ich zeigte ihr meine Jugendtexte. Die Novellen fand sie durchaus gut, vor allem die schlimmsten. Aber über die Gedichte sagte sie, dass sie keinen Rhythmus hätten, was mir geholfen hatte, sie zu vergessen. Ich zeigte ihr auch ein neueres Bild, eine Art von Kindfrau oder Puppe, und sie sagte: Weißt du denn nicht, dass alle Künstlerinnen und Künstler mit faulen Eiern beworfen und mit Regenschirmen verprügelt wurden, weil sie gerade „das“ verändern wollten, was du da gemacht hast? Dieses scheußliche akademische Knie? Ach Christa, und ich war gerade so stolz auf dieses Knie! Weg mit dieser Warze! Einfach darüber fahren, sagte sie.
Christa Reinig war meine einzige Lehrmeisterin in einer einzigen Stunde, die für immer gilt. Das Problem in der Kunst ist die Wartung, sagte sie. Kunst ist Ordnung. Also die Wartung der Ordnung der Wiederholung der Kunst.
Die Menschen sind gar nicht so schlecht, aber ihre Götter sind schrecklich, sagte sie. Das ist ein Satz nach draußen. Bei uns aber sagte sie : Ich mag das nicht mit diesen ewigen Menschen, das menschelt mir zu sehr. Die „Leute“, darum geht es. Für Leute gibt es keinen männlichen Singular, es ist eine bessere Form. Und es ist wahr, dass „die Leute“, im Französischen „les gens“, weiblich dekliniert werden.
Christa Reinig an Lena Vandrey, 23.11.1984. Klicken Sie auf die Faksimiles, um sie zu vergrößern.
Ich bin in die „Frauenoffensive“ hineinengagiert worden und bedauere es. Die Bugsiererinnen bedauern es inzwischen auch. Der Verlag kann nichts für mich tun. Ich bin eine Art von Schriftstellerin für Schriftstellerinnen geworden, das ist nicht Ziel und Zweck, und wenn sie mich anbeten als ihre große Dichterin, so ist das nicht einmal in München um die Ecke wahr. Die schönen Frauen sind nicht für mich, sagte sie. Eine grausame Wahrheit. Und Pauli saß daneben. Christa hatte den Roman „Entmannung“ geschrieben, die Verwandlung eines Mannes in eine Frau. Sie war zu ihrer Zeit aller Zeit voraus. Und wie steht es mit der Verwandlung einer Frau in einen Mann? frage ich. Womöglich, um der Vergewaltigung zu entgehen, sagt sie. Aber in dieserart Sachen möchte ich mich nicht mehr einmischen. Was tobt denn in der Nacht auf unserem Dachboden herum, fragt sie. Das sind die Ratten, sage ich; und wenn du Schlangen siehst, so sind sie wegen der Ratten da. Alles ist Vernunft, sagt sie, praktische Ordnung.
Dieser Text wäre am besten „à la Reinig“, „à la Gertrude Stein“ geschrieben. Klein, ohne Interpunktion, einfach nur wie gesprochen. Nach dieser gemeinsamen schönen Zeit fuhren Christa und Pauli zurück. Vorher hatte sich eine riesige Otter in ihren Motor begeben. Christa schrieb einen Text für mein Buch Paradigmen und einen Brief: „Du bist ein deutscher Dichter, ob du es nun willst oder nicht“. Dichter, nicht Dichterin. (Christa Reinig an Lena Vandrey, 23.11.1984. Klicken Sie auf das Faksimiles, um es zu vergrößern.)
Aber dann geschah es, dass sie sich von der „Frauenoffensive“ trennte und somit von „allen“ Feministinnen. Sie ließ Verena Stefan mit einem Blumenstrauß auf der Treppe stehen, antwortete nicht mehr auf Post oder sandte sie zurück.
Christa Reinig kehrte zu den Schwulen zurück, in den Verlag der „Eremiten“, und bekam von Fritz J. Raddatz eine ganze Seite in der „Zeit“ für ihr Buch „Nobody“, von dem gleichen, der sie einen Gnom genannt hatte, als Belohnung für ihren Kopf-Stand.
Christa Reinig war harsch, barsch, rigoros. Die „Eremiten“ hatten ihr gute Bücher gemacht, und es ist nicht zu vergessen, dass sie mit Homos in der DDR in konspirativen Verstecken überlebte. Die erste Jugend packt uns immer am Schopfe, am Kopfe. Wir wollen nicht vergleichen, denn vergleichen ist schon richten, sagte sie. Die „Frauenoffensive“ hätte Christa Reinig nicht von „Luchterhand“ abwerben sollen, wohl wissend, dass sie ihr nichts zu bieten hatte. Und feministisch ist nicht gleich lesbisch, und die Schwulen sind Rattenfänger, sagte sie.
Christa steht vor ihrem Tisch und tippt. So schaut sie von oben auf ihre Maschine. Auf dem Tisch ist ein Schild aus Plexiglas: Ich will versuchen, ein guter Kamerad zu sein. Goethe. Sie auch hat es versucht, aber mit ihresgleichen konnte sie es nicht. Goethe auch nicht. Es gab wohl keine ihresgleichen. Ich halte Christa Reinig, nach wie vor, für eine der besten Erscheinungen des weiblichen Denkens und eben deshalb ausgeklammert. Wir können ein Genie bewundern, wir brauchen es nicht zu lieben, sagte sie. Wer ist gemeint? Wahrscheinlich sie selbst. Ihr Axiom hieß, dass Frauen nur Orte bewohnen sollen, die sie auch verteidigen könnten. Also zehn Quadratmeter? Ich zeigte ihr unsere Mauer-Sammlung und erklärte ihr, dass wir uns nach unseren Boxerhündinnen richteten: der Feind kann zwar herein, aber er kann nicht mehr wieder hinaus. Kein Boxer lässt einen Fremdkörper wieder gehen. Und bewaffnet sind wir auch.
Christa Reinig zog „das schwule Hemd“ dem „feministischen Rock“ vor. Die Opposition ist apart. Sie sagt ja nichts von einer „lesbischen Hose“. Ich habe das Frau-Sein-Wollen entdeckt, und verstanden, dass ich nur eine Lesbe war, ein Niemand, ein Nobody. Ich habe das Patriarchat angegriffen, um zu verstehen, dass es Frauen sind, die mich daran hindern. Nicht die Söhne sind das Problem, sondern die Sohnesmütter. Sie sprach mehr über ihre Homo-Freunde als über Freundinnen, welche als Feministinnen nur noch Feindinnen waren. Wir sind immer nur betrogen durch die eigenen Leute, sagte sie. Das Gesetz können auch Lesben nicht ändern. Die körperliche Schönheit ist die erste Quelle aller Verkennungen; wir sollten alle hässlich sein, das wäre ein Schutz und wir wären wahr. Was ist denn weibliche Homosexualität? Ein Gerede, ein Gequassel, Verletzungen mit spitzer Zunge, Missachtung der anderen, Häme, Missgunst! Neid, Rivalität, Competition, Eifersucht, oder auch eine widerliche Anbetung anstatt loyaler Freundschaft.
Wie siehst du dich, Christa? Als Lesbe oder als Feministin? Weder noch. Als politische Frau. Eine politische Frau ist also keine Lesbe und keine Feministin!? Nein! Die weibliche Misogynie ist mein Thema, sagt sie. Es könnte sein, dass wir Männer verändern, aber Frauen „nie“. Auch in einem Matriarchat nicht. Die Dinge bleiben sich ja gleich: Liebe, Husten und Armut sind nicht zu übersehen. Das ist die lesbische Misere. Erst bellt die Künstlerin, dann bettelt sie. An beidem verliert sie die Stimme. Alle Welt trägt einen hypochondrischen Gürtel, der das große Übel verhindern soll und nichts nützt. Das „Ich“, verblendet und geblendet, verschwindet geschwind. Was suchtest du bei Buddha? Eine Puppe, was sonst ? Etwas zum Spielen! Es gibt das Über-Ich, das Unter-Ich, das Neben-Ich und das Gegen-Ich, sagt sie. Die Herkunft ist die Norm, und Lesben können sich nur über das Gegen-Ich davon befreien. Gegen ihren Willen geboren und genauso gestorben. Buddha ist ein riesiges Gehirn und wir sind seine Gedanken. Im Wasser gibt es keine Wurzeln. Von der Vernunft sind keine Überraschungen zu erwarten. Die Rechten schummeln, die Linken betrügen. Pionierinnen sind immer verspätet, sagt sie. Die Frau ist der Jude des Mannes. Die Geburt ist eine schwarze Ankunft, ein Griff an die Kehle, sagt sie. Die Wirklichkeit ist unwirklich und die Unwirklichkeit ist wirklich. Begabung ist Un-Ordnung, sagt sie. Widersprich mir nicht, ich tue es genügend selbst. Mit den Jahren verlesbischen wir uns bis zur Unkenntlichkeit, und das ist richtig so.
Sehr zum Lachen war das Ganze nicht. Du meinst also, Christa, dass Unsereins eine Geschichte besitzt. Ja, nur müsst ihr wissen, dass jede große Persönlichkeit einen Bruch hat, einen Riss, der das Gesamtbild auseinanderreißt und verhindert. Deshalb kommt unsere Kunstgeschichte auch nicht voran. Das ist der Zwiespalt zwischen Glauben und Denken, das Glauben ist bedeutend bequemer. Die Kritik ist leicht, die Kunst ist schwer. Bei aller Kritik für den feministischen Rock wusste Reinig wohl, dass ihre Bücher bei der „Offensive“ Juwelen reinen Denkens waren, und dass sie sich nur unter der Obhut dieses Rockes derart ausdrücken konnte. Die „Eremiten“ hätten wohl nicht gerne gelesen, dass Napoleon eine Frau war, und dass die Höhlenmalerei von Frauen geschaffen wurde. Frauen saßen in den Grotten und erfanden die Sprache. Habt ihr jemals Frauen zusammen gesehen, die schweigen? Und von wem ist der Dekor eines Hauses? Von wem die Religion? Sie sind aufgestanden und haben ihre Tier-Gottheiten an die Wände gemalt, das ist doch naheliegend?
Über den Unterschied zwischen dem schwulen Hemd und dem feministischen Rock gibt es eine aufklärende Anekdote: Ich sandte an Luise F. Pusch mein Buch Über allen Verstand. Sie fand es sehr gut. Voller Zorn und Witz, schrieb sie. Die „Eremiten“ sagten dazu, es sei nichts anderes als ein unkontrollierter Wutausbruch. Weil Wutausbrüche kontrolliert sein müssen? Die Kontrolle ist Reinigs Büchern bei den „Eremiten“ anzumerken, als eine ganz unnötige Tragödie. Was in der Geschichte fehlt, ist die lesbische Hose, die wir alle tragen. Sie wurde von den Literaturen vergessen.
Und dann wurde es Abend, und die Zeit, diese Verzerrung des Wesens, tat an uns ihre grausame Pflicht. Wir haben gut zusammen gelebt. Andere Leute würden es ein Seminar genannt haben. So vornehm waren wir nicht. Zum Abschied gab es ein letztes Wort: Ein Genie als Frau geboren ist für die Menschheit verloren! Das ist von Stendhal, rief Christa. Lass fahren dahin, sagte Pauli und nahm das Steuer in die Hände. Und so entschwanden sie mit der Otter in ihrem Motor über die Straßen Europas. Zwei Ritterinnen ohne Furcht und Tadel. Vom Fenster heraus rief Reinig noch: Eine Lesbe ist der Wurm in der Furche, das Käuzige in der Einfalt! Das ist, was bleibt : die Selbst-Ironie !
Noch einige Tage vor der Abfahrt hatte Christa Reinig sehr darüber gelacht, dass die Anführerin der Pariser Bewegung gehirnkrank war; und sie mochte auf ein paar Sachen gerne schimpfen. Es tat ihr gut, das kleingeschriebene „frau“ zu veräppeln ; „man“ ist ein Neutrum und alle Welt hat Recht darauf, sagte sie. Warum gerade Frauen den Frauen dieses Neutrum wegnehmen wollen und sie verdammen, dieses Pidgin und Petit-Nègre zu benutzen, sofort zu zeigen, welches Ungeistes Kind sie sind und wie reduziert, wie kastriert sprachlich gesehen, und vor allem unübersetzbar außer in Zeichensprachen? Und diese Mehrzahl? Und diese „in“ und „inninnen“ ! Pauli ist nicht meine „Lieblingin“, sie ist mein Liebling, sagte Christa wütend. Und wir sind hier Gäste, nicht Gästinnen! Wir haben ein Gästezimmer, keine Gästinnen-Zimmerin! Diejenigen, die diesen Unfug leben wollen, sollen es tun, aber bedauerlich ist es für jene, die sie in die Sache hineinziehen. Es wird dreißig Jahre dauern, sagte die winzige Prophetin, bis Frauen es wagen werden, sich ihr Neutrum wieder anzueignen. „Ich“ werde „nie“ so schreiben; die Idee der Rundheit für alles Weibliche gefällt mir insofern, als das Warm-Liegen die Leber regeneriert. Mehr ist das nicht! Und Frauen, Frauen? Wieso und warum bilden sich „Frauen-Frauen“, also Lesben, denn ein, dass sie auserwählt sind, Frauen zu befreien? Danach erzählte sie von der Neolithischen Revolution und anderen matriarchalischen Geschichten aus der Vorgeschichte und aus Ost-Berlin. Dann wurde zu Bett gegangen unter Vermeidung der kleingeschriebenen „frau“ und mit dem Neutrum „man“ unter die amazonische Achsel geklemmt.
Über das gefährlich-gemeine „man“ wurde in den Siebzigerjahren mehr diskutiert als über die Atombombe. Christa hatte Verena Stefan vorgeschlagen, das Pronomen „wir“ an seiner Stelle zu benutzen. Nein, „wir“ ist noch gefährlicher, glattweg faschistisch! Also was? „Ich, Ich“ !! Die Sonne scheint. „Man“ möchte ein wenig spazieren gehen. Nein! „frau“ möchte nach draußen. Und „wir“ ? Auf keinen Fall, das ist nazi-suspekt. Dementsprechend gehe „ich“ ein wenig an die Luft. Und „du“ ? „Ich“ gehe auch. „Ich“ und „ich“ gehen den Feldweg entlang. Christa wirft über die Schulter noch einen Satz: Man könnte es sich einfacher machen. Man kann aber nicht. Es gibt nur zwei Geschlechter, das dritte ist in Filigran vorhanden, es heißt „man-weib“. Die einzig politisch korrekte Form, denn die Angehörigen der Zitadelle von Lesbos hießen „Mannweiber“. Und was heißt „woman“ ? Woman will go out, femme veut rester dedans, frau bleibt zu Hause, mujer quiere comer … Nur weiter so, sagt Reinig. Wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre es nie zu einem Gedicht gekommen. Es lebe die Ignoranz, jedenfalls für …
Jeden Abend gab es eine Art von Konferenz. Die Referentin war Reinig, und Pauli hieb mit Witzen dorthinein, um die Maschine wieder in Lauf zu bringen; die Rede-Maschine, die nichts anderes ist, sagte Christa, als ein Auslauf von Tränen und Schweiß, und das Lachen gehört auch dazu; nichts anderes als Ausscheidungen sind das.
Die Frauenbewegung, sagte sie, ist ein Zweig des bankrotten Humanismus, sie wird die ganze Welt erreichen, aber nicht so, wie ihr es euch denkt. Vormals waren wir untereinander befreundet und wohlgesonnen. Etwas Anerkennung von Seiten der Homos kam hinzu. Ziemlich schmalgeschneidert, aber doch. Auch vernünftige Heteros hatten nichts gegen uns, da wir auf eine diskrete Art von jedweder Existenz Abstand genommen hatten. Wenn Wanzen und Läuse nicht beißen, sagte sie, hat niemand etwas dagegen. Aber jetzt ist es eine politische Sache, und gebissen wird in alle Richtungen. Zur Zeit, wo wir uns verstecken mussten, in Ost-Deutschland, hatten wir Sympathisanten. Heute haben wir Feindinnen. Ich darf nicht mehr reden, wie ich will. Überall sitzen Zensorinnen, Besserwisserei ist Kultur!
Reinigs Idol war Frankreichs unglückliche Königin Marie-Antoinette. Als ich für Christa den Text Walkyre und Puppe schrieb, hieß ihre Antwort : Du hast sie erfasst ! Marie-Antoinette wurde verfemt und verleumdet, weil sie Frauen liebte und sie großzügig beschenkte. Ihr Verdienst war, die Essensordnung verändert zu haben. Die Herren aßen vormals alleine, und die Damen durften von den abgenagten Knochen sich noch etwas nehmen, alleine auch und unter sich. Die neue Nahrungsverteilung, ein Herr, eine Dame, nebeneinander, führte Eiweiß in das Gehirn der Frauen-Leute und brachte eine neue Gesprächskultur herbei : es wurde möglich, mit einem Bonmot die fehlenden körperlichen Kräfte zu ersetzen. So Reinig; und dass ihr „das“ gefiel, wollen wir gerne glauben. Sie sprach von Hammelkeulen und Fleisch für das Gehirn der Frauen, war selbst aber Vegetarierin. Nicht aus ideologischen Gründen, sagte sie. Sie war überhaupt „die“ große Ideologin unserer Zeit und hätte in einem großen Verlag diese Zeit in ihren Griff bekommen können. Wer hat sich ausgedacht, wie die Lage ist, wenn es keine Männer auf der Erde mehr gäbe? „Sie“! Und wer hat „Entmannung“ geschrieben ? „Sie“! Aber für die Feministinnen war das alles zu hoch, zu schwere Kost. Das bringt keine Groupies, keine Fans daher, sagte sie. Diese Bewunderung von Leuten, die keinen Satz verstehen und eben deshalb bewundern, ist hassenswert ; es ist die gröbste Beleidigung. Wenn die Feministinnen meine Lehre verstünden, wäre es zu Ende mit der Idolatrie. Fürchtet euch vor dem Zudienen, eure Göttinnen sind dümmer als ihr!
Alle Schriftsteller würden dich um deine Stoffe beneiden, sagte sie. Aber Schriftstellerinnen auch? fragte ich. Aber nicht doch ! Wen meinst du denn ? „Dich“ meinte ich! Sie hatte eine Art zu sagen: Dies musst du tun, jenes musst du tun. Das kam von keiner Überheblichkeit, sondern von dem tiefen Wunsch, dass wir etwas in die Wege leiten würden, was sie nicht konnte.
(Klicken Sie auf die Faksimiles, um sie zu vergrößern.)
Zur Zeit dieses Besuches bei uns war mir schon klar, dass Reinig es in der Frauenbewegung nicht mehr lange aushalten würde, wie jeder große Geist. Der Abschied war ein Abschied von all dem Besprochenen, und schließlich auch von all dem Versprochenen. Sie schrieb einen schönen Text über meine Bilder und wollte ein Honorar dafür. Davon konnte nicht die Rede sein; der Frauenverlag „Zeichen und Spuren“ dachte nicht im Traum daran, diese Leistung zu bezahlen. Alles umsonst !
Ich fand diese zwei Frauen-Frauen sehr beeindruckend. Die Wahrheit wohnte in Christa Reinig als unbequeme Mieterin in unbequemer Wohnung. Und wer liest sie heute noch ? Und wer hat sie jemals gelesen ? Diese Schärfe, dieses Akkurate, diese Unbestechlichkeit können nur Leute verführen, die das Zeug dazu haben, sich nicht verführen zu lassen. War sie eine Freundin? Aber nein! In einer Auswahl von Bildern für sie nahm sie das Portrait des Teufels und schrieb später, das sei kein Ölgemälde, sondern eine Kreidezeichnung. Die Wartung ist alles, hieß ihr wichtigster Satz. „Man kann ein Genie bewundern, man braucht es nicht zu lieben“: aber wenn wir es nun trotzdem tun? In Memoriam der Klügsten des 20. Jahrhunderts, mit den Tränen des 21., für Christa Reinig, ein Licht-Arsenal.
Dieser kleine harmlose Bericht über eine gar nicht Harmlose enthält die Forderung nach Biographien und Übersetzungen der Dichterin, und die Frage, warum dies nicht längst geschehen ist. Die Unterzeichnende hat es versucht in Frankreich. Die Übersetzerin Annick Yaiche hat „die himmlische und die irdische Geometrie“ in französischer Fassung geliefert. Wir sind aber alle auf die Nase gefallen, und eine berühmte deutsche Verlegerin in Paris hat über diese „Zumutung“ nur gelacht. Wer hat Angst vor Christa Reinig ?
Die beste Art, sich mit ihr zu unterhalten, war, wenn sie auf unserem steinernen Balkon stand, die Beine leicht gespreizt, (Kordhosen, weißes Hemd, blauer Pullover) und die Hände in den Taschen, auf mich „von oben herab“ blicken konnte. Ich stand neben der Küchentür, die ich wie einen Flügel hin- und herbewegte, in Verlegenheit, denn ich war schüchtern und wusste nicht, welche Haltung nun angebracht war. War ich sehr schwärmerisch devot, so sah es aus, als ob ich die Kranke verhätschelte, auf ihren Zustand taktlose Rücksicht nahm; benahm ich mich trockener, so war auch das nicht recht, von wegen des allzu sichtbaren Gebrechens. Zusätzlich hatte ich etwas Angst vor ihr, denn sie schoss scharfe Pfeile. Ich sollte es doch machen wie sie, und Fotos meiner Bilder in Alben kleben, und mit diesen Alben sechs Monate durch Deutschland reisen, von Galerie zu Galerie. Und ich sollte die berühmte Soundso fragen, die da den berühmten Dingsbums kennt, und die würde … und der würde … ach, von Realität keine Spur! Die Berühmten tummeln sich untereinander und verachten jene, die da an die Türen pochen, allein des Pochens wegen, was ja zu denken gibt, dass sie es nötig haben, und solche Leute gehören nicht dazu.
Die Lage war heikel, Christas Wohlwollen ein wenig sadistisch, und ich lenkte auf wirkliche Probleme ab: Christa, das Bild meiner Mutter im Wohnzimmer verfolgt mich; sie schaut mich an und ist mir hinterher, wo ich gehe und stehe. Häng’ es ab und sperr’ es ein! war die Antwort. Christa, die Bibliothek über unserem Bett macht mir Angst; sie wird umfallen und uns mit den Büchern erschlagen; begraben unter Büchern werden wir dort liegen. Dann wirf die Schmeiße doch weg, schmeiß’ den Wurf auf den Müll ! Sogar ein Wortspiel … Welche Dichter findest du bedeutend? Die drei, vier besten Gedichte der deutschen Sprache sind von Gottfried Benn. Mehr gibt es nicht. Und Handke ? Vom Fußke gilt allein das „Wunschlose Unglück“.Sonst nichts. Von Bernhard die “Verstörung“. Den Rest kannst du lassen. Das war alles über Literatur.
Christa sammelte Kataloge. Christa „stand“ beim Schreiben. Christa sprach kurz und bündig, gab Antworten wie in einem Interview. Alles war druckreifes, gutes Deutsch. Wir hätten Christas Bücher auf den Tisch legen sollen, ein Tongerät anstellen und sie befragen über ihre Texte und Thesen. Nicht dass die Lust dazu gefehlt hätte, aber dieses Projekt, zwar schmeichelhaft, erschien uns zu grob und ausbeuterisch. Wir hätten heute dieses Tonband, eine Exegese der Reinig-Texte und nicht die Deutung der Privat-Person, wie hier und hiermit versucht.
Lange habe ich geforscht, welches Wort Christa wirklich definiert, welches ihr Titel wäre. Das Wort heißt sachlich. Aber im großen Spleen der amazonischen Unwirklichkeit, gemeint als Mut von einer Hellseherin der Anfänge. Was ich mir alles zusammengeschrieben habe, schreibt sie. Wir hätten gerne noch viel mehr. Abschließen wollen wir mit einem Bonmot: „Femi-Mist-Muss“ sagte sie.
Ich hoffe, dass meine Darstellung nicht zu denken gibt, Christa Reinig sei eine Anti-Feministin gewesen, eine misogyne Lesbe. Nichts dergleichen. Sie hatte ihr Herz in der Bewegung versenkt, aber den klaren Kopf behalten, um dieses Herz nicht versinken zu lassen. Ein Genickbruch bedeutet schließlich nichts anderes, als aufzuhören zu nicken.
Es ist fatal, dass die Hellseherinnen der Menschheit mit ihrem Produkt zusammenleben müssen. Stellt euch doch Fabrikanten von Klosetts und Bauchbadewannen vor, ewig umzingelt von diesen Gegenständen. Genau das ist es! Wer die Theorie zur Praxis machen will, erreicht das Gegenteil, sagt sie. Wörter, Wörter, Wörter … Ich habe nichts gesagt und behaupte alles. Behaupten! Das ist das Wort der Wörter für unsere Heldin Christa Reinig. Die Hellseherin überlässt dem Klosett den Platz, damit wir uns darauf setzen können. Das war ihre maßgebliche Meinung, schließlich und endlich, obwohl es kein Ende gibt und keines geben kann. Ist der Glaube das bessere Denken oder das Denken der bessere Glaube ? Spitzfindigkeiten, sagte sie, dieser ewige philosophische Tratsch.
Ihr Lieblingsbild war das linksstehende: Eine junge Frau erklimmt einen Hochstrommast und fällt verbrannt hinunter. Du musst es nur umdrehen, und dann siehst du, wie sie tanzt und an einem Seil einen Ball schwingt. Ein geborenes Titelblatt. (Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrößern.) Es ist alles nur Zwang und Angst, sagte sie, aber diese da, die hat es überwunden. Fürchtet euch vor der Eitelkeit, die wirkliche Intelligenz ist unbegrenzte Demut.
Bei Tisch erwähnte ich einmal den Satz einer feministischen Filmerin: die Vagina sei für den Penis da und für sonst nichts. Reinigs Antwort will ich lieber nicht wiedergeben. Sie erzählte ein Beispiel: Die Anti-Faschisten sind gezwungen, sich nur mit Faschisten zu befassen, die Feministinnen befassen sich nur mit Männern. Welch ein grausames Schicksal! Die Freudsche Frage: Was will das Weib ? muss anders formuliert werden: Was wollen Frauen von Männern? Denn was Männer von Frauen wollen, das wissen wir ja. Und jetzt kommt das Schlimmste: Was wollen Frauen von Frauen ? Und was von Lesben? Was soll dieser Unsinn auf tausenden von Seiten, wo sich Lesben ausbreiten über die unglücklichen Ehen ihrer prinzipiellen Feindinnen ?
Diese Kardinalfrage ist immer noch nicht beantwortet und wird es niemals sein können, solange die Kollaboration dauern wird, solange der Feminismus auf eine vertrackte Art Lesben zwingt, sich mit Heteras zu befassen, ihnen zuzudienen, sie „besser“ zu finden als sich selbst. Die Lesbe als Kapo für die Normalität von Sklavinnen. Ist das nicht zum Spucken? sagte Christa Reinig. Welche Feministin wird den Mut haben, diese Axiome wenigstens ab abstracto anzuerkennen? Eine, die nichts zu verlieren hat. Eine wie Christa Reinig.
Ich denke, dass der Personenkult eine schlechte Sache ist, nicht so sehr für die Ausübenden, sondern vor allem für die Empfangenden. Anbetung ist etwas Schreckliches. Freundschaft muss kritisch sein können. Nur dort findet sich eine Gleich-Berechtigung inmitten aller Unterschiede und nur daraus kann ein Dialog entstehen zu Gunsten einer gerechten Beziehung zwischen weiblichen Menschen, sagte sie.
Zum Abschluss: die Pornografie, die Obszönität kommt allein vom Tode her. Nur der Tod ist obszön und hat alles im Gepäck. Würden wir ewig leben können, gäbe es diesen Horror nicht. Die Zerstörung liegt in der Kürze des Gegebenen.
Elektra, sagte sie. Das ist sie da, auf dem Hochstrommast, und sie schwingt eine Kugel. Das ist die himmlische, und die irdische Geometrie, das bin ich.
Alle, so gut wie alle großen Werke der menschlichen Schrift sind von Männern gedacht und gemacht. So gut wie alle meinen sie es schlecht mit den Frauen, und daran wird die Neutrumsversetzung ins Weibliche nichts ändern können. Alle sind misogyne Krüppel, außer Hamsun und Stendhal. Zu nennen ist auch Gogol, welcher sagte: Über Frauen schreiben? Das darf man doch nicht !
Wo ist das weibliche Genie? wurde Reinig einmal gefragt. Sie antwortete: Es wird kommen, anstatt zu sagen: Es sitzt vor dir ! Die Bescheidenheit ist eine gute Sache, sagte sie, aber die Anmaßung wäre die bessere.
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.