Fembio Specials Frauen aus Lateinamerika Virginia Gutiérrez de Pineda
Fembio Special: Frauen aus Lateinamerika
Virginia Gutiérrez de Pineda
geboren am 4. November 1921 in Socorro, Kolumbien
gestorben am 2. September 1999 in Kolumbien
kolumbianische Familien- und Kulturforscherin
25. Todestag am 2. September 2024
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Virginia Gutiérrez de Pineda war eine der bedeutendsten SozialwissenschaftlerInnen Kolumbiens. Zu ihren Errungenschaften gehörten: (i) die Erforschung der bis in die 1940er Jahre von der Wissenschaft ignorierten Indios, (ii) ein bis heute einzigartiges Werk über deren traditionelle Medizin, (iii) eine Typologisierung der kolumbianischen Familie nach geografischen und historischen Aspekten zu einer Zeit, in der man von einem Familien-Prototyp ausging, der sich durch die kulturell festgelegten Rollen von Mann und Frau ergab, (iv) sie reformierte die Professur von einer reinen Lehr- hin zu einer wissensbildenden Institution.
Gutiérrez' Bücher waren wissenschaftliche Pionierarbeiten bei der Erforschung der kolumbianischen Gesellschaft. Die Familie war ihr Lieblingsthema; es machte sie auch berühmt. Sie lehnte sich gegen die konservativen Normen auf und beschritt einen für die damalige Zeit wenig damenhaften Weg. Für ihre Arbeit begab sie sich, nur mit einem Rucksack ausgestattet, zu den Indios im tropischen Regenwald oder in die gefährlichen Slums zu den Ärmsten.
Virginia Gutiérrez entstammte einer katholischen LandbesitzerInnenfamilie und wuchs mit elf Geschwistern behütet in der Provinz auf. Aus Neugierde entwendete sie heimlich Bücher aus der väterlichen Bibliothek, denn Politik und Philosophie gehörten damals nicht zum Lernstoff für Mädchen. Statt zu spielen beschäftigte sich das in sich gekehrte, wissensdurstige und alles beobachtende Mädchen lieber mit dem Sozialverhalten von Insekten.
Als junge Frau zog sie, unterstützt von ihren Eltern und mit einem Stipendium ausgestattet, in die lebendige Hauptstadt Bogotá, um das Abitur zu machen. Zu einer Zeit, in der Frauen das Haus nur zum Heiraten verließen, schwamm sie gegen den Strom. Da sich die hochbegabte Virginia nicht entscheiden konnte, studierte sie auf Empfehlung ihrer Schuldirektorin Sozialwissenschaften. Als Frau war sie an der Universität eine Exotin. Damals gab es für Frauen keine Freundschaften mit dem anderen Geschlecht; der Kontakt zu Männern beschränkte sich auf Ehemänner, Brüder und Väter. Durch ihre standhafte, nachdenkliche Art und ihren hohen Intellekt errang Virginia Gutiérrez bald die Anerkennung und Achtung ihrer Kommilitonen und Professoren. Während des Studiums lernte sie auch ihren späteren Ehemann und Vater ihrer vier Kinder, den Ethnologen Roberto Pineda Giraldo, kennen.
1944 machte sie als Absolventin des ersten Studiengangs der Ethnologie ihren Abschluss. Da ihr Institut aufgrund politischen Umschwungs geschlossen wurde, kümmerte sich Gutiérrez zunächst um die Erziehung ihrer Kinder. Die zielstrebige Frau konnte ihre Füße nicht lange still halten. Von 1953 bis 1954 arbeitete sie dank eines Stipendiums an der Universität von Kalifornien in Berkeley und ab 1956 wieder in Kolumbien, wo sie auch den Doktortitel erlangte. Sie hielt Vorträge im In- und Ausland und vor internationalen Organisationen, z.B. der Weltgesundheitsorganisation oder den Vereinten Nationen. Ende der 1970-er Jahre ging sie offiziell in Rente. Doch sie arbeitete weiter als freie Beraterin für öffentliche Institutionen und gab sich leidenschaftlich ihrer Forschung hin.
Virginia Gutiérrez wurde für ihre rationale und analytische Arbeit mehrfach mit Ehrenmedaillen und Wissenschaftspreisen ausgezeichnet sowie zur Ehrenprofessorin ernannt. 1967 kürte man sie in Kolumbien zur Frau des Jahres. 1984 wurde ihr zu Ehren an der Universität de los Andes in Bogotá das Forschungsjahr der Familie zelebriert.
Verfasserin: Julia Gabrysch
Literatur & Quellen
Einige Veröffentlichungen von Virginia Gutiérrez de Pineda:
1961, La medicina popular en Colombia: razones de su arraigo
1962, La familia en Colombia: estudio antropológico
1963, La familia en Colombia: trasfondo histórico
1968, Familia y cultura en Colombia
1973, Tradicionalismo y familia en Colombia: trasfondo familiar del menor con problema civil
1975, Estructura, función y cambio de la familia en Colombia
1978, El gamín, su albergue social y su familia
1985, Medicina tradicional en Colombia (Band 1: Magia, Religión y Curanderismo / Band 2: El triple legado)
Literatur
Barragán, Carlos Andrés, 2001, Virginia Gutiérrez de Pineda, Observadora silenciosa, maestra apasionada, Colciencias, Bogota, D.C
Herrera, Martha, Low, Carlos, 1987, Virginia Gutiérrez de Pineda: una vida de pasión, investigación y docencia, en: Boletín Cultural y Bibliográfico, Banco de la República, Volumen XXIV, Número 10.
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