Fembio Specials Frauen aus Hannover Vicki Baum
Fembio Special: Frauen aus Hannover
Vicki Baum
(Hedwig Baum [eigentlicher Name]; Hedwig Lert [Ehename]; Vicki Prels [Ehename]; Vicki Prels-Baum; Frau Lorl [Pseudonym]; auch andere Schreibweisen (Vicky, Wicki …))
geboren am 24. Januar 1888 in Wien
gestorben am 29. August 1960 in Hollywood / Los Angeles
österreichisch-deutsch-US-amerikanische Schriftstellerin, Harfenistin
135. Geburtstag am 24. Januar 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Einführung
In ihren Memoiren Es war alles ganz anders (1962) bezeichnet sich Vicki Baum selbstironisch als “erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte”. Die Erfolgsschriftstellerin des Weimarer Ullstein-Verlages (später bei Doubleday in den USA) war sich der hohen Qualität ihres Handwerks bewußt, aber auch enttäuscht, dass einige ihrer Werke nicht auch als “höhere Literatur” gewürdigt wurden. Die weltbekannte Autorin von Menschen im Hotel (1932 mit Garbo und anderen Stars als Grand Hotel verfilmt), kam trotz Dutzender weiterer Romane über ihren frühen Ruhm zu Lebzeiten kaum hinaus und wurde lange als Autorin von Trivialliteratur abgetan oder ignoriert. Mit dem Aufkommen neuerer Forschung und erneutem Interesse an der Kultur der Weimarer Republik wie an der Literatur von Frauen wird diese Einschätzung revidiert. Ihre literarische Laufbahn ist ein faszinierendes Beispiel für die Interaktion zwischen Literatur, Marketing und Rezeption (K 44). Darüber hinaus bietet Baums Leben und Schaffen in drei verschiedenen Ländern ein Vorbild für Energie, Zähigkeit, Durchhaltekraft und hartnäckigen Drang zur Selbständigkeit.
(Die folgende Skizze stützt sich weitgehend auf die hervorragende neue Biographie von Nicole Nottelmann, Die Karrieren der Vicki Baum. Eine Biographie. Köln: Kiepenhauer & Witsch, 2007 [=N], sowie auf den Artikel von Lynda King in der DLB [=K] und den Essay von Katharina von Ankum. Alle sind unten als Quellen angegeben.)
Wiener Kindheit und Jugend
Baum war das einzige Kind einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Wien. Ihre Kindheit war geprägt durch die Krankheit ihrer depressiven Mutter und die Tyrannei ihres exzentrischen, hypochondrischen Vaters. Die Mutter, Mathilde Donath, kam aus einer wohlhabenden Familie und schloß mit 21 eine Konvenienzehe mit dem Kaufmann Hermann Baum. Sie litt u.a. an der Zeitkrankheit “Hysterie” und verbrachte mehrere Monate in der Privatklinik Inzersdorf (wo auch “Anna O.” [Bertha Pappenheim] interniert wurde). Als Kind sehnte sich Vicki nach der Liebe ihrer nervösen, oft abwesenden und narzisstischen Mutter und fühlte sich isoliert und in der Schule als Aussenseiterin. Der Vater wollte lieber einen Jungen – der hätte “Viktor” heissen sollen – und erzog seine Tochter mit Härte: Sie durfte nicht weinen und bekam keine Süssigkeiten, wurde aber für hervorragende Leistungen und gutes Benehmen mit Geld belohnt. Diese Lektion behielt sie und war zeitlebens stark motiviert, Geld zu verdienen. “Nur Anpassung und Leistung zahlten sich in barer Münze aus.” Später, in ihren subjektiv gefärbten Memoiren, zeigte sie sich für die strenge Erziehung dankbar: sie hätte ihren Charakter gestärkt. Und die traumatischen Kindheits- und Jugenderlebnisse seien auch eine wichtige Quelle ihrer späteren Kreativität.
Die Harfenistin
Baums Mutter wollte verhindern, dass ihre Tochter wie sie selbst ein abhängiges Leben führen mußte, und schickte Vicki in die Vorbereitungskurse am Konservatorium für das Fach Harfe; sie sollte Berufsmusikerin werden. 1907 debütierte Vicki als Harfenistin im Concertverein (dem Vorgängerorchester der heutigen Wiener Symphoniker); sie war die einzige Frau unter 80 Männern. Die junge Musikerin trat bald mindestens einmal die Woche als Solistin auf; 1911 wurde sie von Bruno Walter eingeladen, in seiner Münchner Uraufführung von Mahlers Lied von der Erde mitzuwirken.
Inzwischen war ihre Mutter an Krebs erkrankt, und Vicki mußte sie zwischen ihren Proben und Auftritten pflegen, denn der ängstliche Vater war vor der Krankheit zu Mutter und Schwester geflohen. Mathilde wollte schließlich nicht mehr kämpfen und starb am 31. März 1908. Nach diesem schweren Erlebnis hatte Vicki oft Angst, selbst die Kontrolle zu verlieren und Selbstmord begehen zu wollen. Nach aussen hin aber lebte sie von da an “Stärke, Lebenswillen und Tüchtigkeit, kurzum das ‘Trotz allem’, ihre ganz private ‘Religion’, der sie zeit ihres Lebens anhing.” (N 40)
Zwei Ehen nacheinander
Während dieser Zeit lernte sie den Schriftsteller Max Prels kennen, den sie 1909 heiratete und für den sie Schreibaufgaben übernahm, wenn er seine Termine überzog. Die Harfenistin entdeckte, dass sie unter Zeitdruck gut schreiben konnte. Bei einem Preisausschreiben für die Münchener Satirezeitschrift Licht und Schatten gewann sie den ersten Preis; unter den Preisrichtern waren Thomas Mann und Ludwig Thoma.
1911 war die Ehe im Grunde vorbei (Scheidung 1913). Vicki lernte den Musiker Richard Lert (getauft Löw) kennen—seine Schwestern waren ihre Harfenschülerinnen. Lert, damals zweiter Kapellmeister in Darmstadt, lud sie zum Probespiel in seinem Orchester ein; sie spielte so bravourös, dass sie sofort einen Dreijahres-Vertrag angeboten bekam. 1914 ging sie nach Darmstadt, wo sie sich nun eine eigene Wohnung leisten konnte, und begann mit ihrem zweiten Roman, Eingang zur Bühne (den ersten, Frühe Schatten, hatte sie hauptsächlich als Selbsttherapie nach der Krankheit ihrer Mutter geschrieben).
1916 heiratete sie Lert und zog mit ihm nach Kiel, wo er als Operndirektor seine erste leitende Stelle hatte. Ein Angebot von Bruno Walter, als Harfenistin nach München zu gehen, lehnte sie ab: sie wollte die harte Arbeit ihres anspruchsvollen Berufs aufgeben und Mutter werden. Sohn Wolfgang wurde dann im Winter 1917 zur Zeit der schwersten Kriegsentbehrungen geboren. Aber Vicki Baum war trotzdem glücklich: Wie ihre späteren weiblichen Romanfiguren “fand sie sich” im Gebären, nicht im Geschlechtsakt. Ihr zweiter Sohn Johannes Peter Lert wurde am 14.1.1921 in Hannover geboren.
Hannover 1919 – (Feb) 1924: Schreiben, Tanzen und Hungern
Vicki Baum schreibt über ihre Zeit in Hannover: “Es waren gute Jahre, trotz der täglichen, ja stündlichen Geldentwertung und der Wiederkehr von Hunger und Kälte in verstärkter Form.” (B 328) Die Stadt fand sie zwar “häßlich und unsympathisch” (B327), zugleich aber als Zentrum der Avantgarde in Kunst, Musik, Tanz und Literatur ungeheuer anregend. “Kunst und Leben gingen, so kam es mir vor, zum erstenmal Hand in Hand, die Kunst war nicht mehr ein bloßer Schmuck des Lebens, sondern dessen unmittelbarer Ausdruck. Kubismus, Futurismus, Expressionismus…, so waren wir, so war unsere Welt…. Wir lebten in einer neuen Dimension, wir, auch ich und meine Freunde.” (B 329)
1919 hatte Richard Lert eine Stelle am Preußischen Hoftheater in Hannover angenommen und machte bald Furore mit seinen modernen Aufführungen der Opern von Händel, die er “wiederentdeckt” hatte und in Deutschland einführte. Vicki begann nun “offiziell” ihre Karriere als Schriftstellerin, indem sie einen Vertrag mit dem Ullstein-Verlag für Eingang zur Bühne und drei weitere Romane unterschrieb. Mit 12.000 Mark plus Tantiemen war sie wieder selbständig und trug sogar den Hauptteil zum Familienunterhalt bei. Tagsüber war sie Hausfrau und Mutter und Richards wichtigste musikalische Beraterin. Abends, wenn er in der Oper war und der Kleine schlief, hatte Vicki Zeit für sich und schrieb. Baum beschreibt die Zeit in Hannover als persönlichen Durchbruch: “In den ersten Jahren nach dem Krieg hatte ich das Gefühl, in ein anderes Land gekommen zu sein, wo ich zu Hause und glücklich war. Ich hatte mich selbst gefunden; wahrscheinlich war es nichts anderes, als daß ich endlich … ein erwachsener Mensch geworden war…. [Z]ugleich fühlte ich mich durch ein ungekanntes Freiheitsgefühl beschwingt, konnte fliegen, konnte tanzen.” (B 326)
Schon die frühen Werke zeigen ihre charakteristischen Stärken: “die genaue Kenntnis eines Milieus, … einfühlsame Figurenzeichnungen, die geschickte Konstruktion sowie das sichere Gespür für Melodramatik” (N 69). Eingang zur Bühne erschien 1920 und war ein grosser Erfolg, zuerst als Fortsetzungsroman in der Vossischen Zeitung (Auflage 80.000 Exemplare), dann in der Reihe der Gelben Ullsteinbücher für eine Mark. In den nächsten acht Jahren wurden 146.000 Exemplare verkauft. Auf ähnliche Weise erreichten Baums weitere Romane das neue Massenpublikum der Weimarer Republik, das vor allem Unterhaltung suchte: Mit raffiniertem Cross-Marketing warb der Ullstein-Verlag für seine Bücher durch Fortsetzungsveröffentlichungen und Rezensionen in seinen eigenen vielen Organen (z. B. in der Berliner Illustrirten Zeitung, die eine Auflage von etwa einer Million Exemplaren pro Woche hatte). Der Verlag war begeistert von seiner neuen Autorin, deren zweiter Roman Die Tänze der Ina Raffay (1921) auch ein Bestseller wurde, und versuchte, sie mit einem Exklusivvertrag an sich zu binden.
Zunächst zögerte sie: Sie wollte frei sein, anderweitig zu veröffentlichen, eine radikal unabhängige Künstlerin zu sein. Zwei Seiten ihres Charakters lagen miteinander im Streit: die bürgerliche, nach Sicherheit strebende, familienorientierte Seite gegen die freiheitsliebende nomadenhafte: “Doch stehen meine Nestbauinstinkte … im offenen Widerspruch zu meinen durchaus entgegengesetzten Trieben, frei und unabhängig zu sein, ohne Bürde und Ballast, eine Nomadin, eine Zigeunerin.” (B 330-31)
Obgleich Baum ungern etwas von sich preisgab und dies für “Selbstbeschau” (N 68) hielt, tat sie es in ihren Büchern doch, die oft in abgewandelter Form ihre eigenen Erlebnisse und Konflikte behandeln. (N 68) Gerade das macht die früheren Romane heute so interessant, z.B. erfahren wir etwas über ihre Liebeskonflikte und Eheproblematik, die Höhen und Tiefen der KünstlerInnenexistenz, wie Baum sie sieht. Und in Ina Raffay beschreibt sie sogar ihr eigenes Verhalten Jahrzehnte später: Ina Raffay stirbt wie Vicki Baum an Krebs, ohne dem Ehemann je etwas von ihrer Krankheit verraten zu haben.
Die Tänze der Ina Raffay hatte den neuen Ausdruckstanz zum Gegenstand, mit dem die große Tänzerin Mary Wigman in Hannover gerade gewaltiges Aufsehen erregte. Und obgleich Baum Mary Wigman erst nach Erscheinen des Romans kennenlernte, hätte die berühmte Tänzerin für Ina Raffay Patin stehen können. Baum bewunderte Wigman, die “frühe Feministin,” die es als Frau zum ersten Mal so kraftvoll wagte, “in expressiven Gesten … ihr Seelenleben zur Schau zu stellen….” (N 82-3). “Mary Wigmans Gesicht war mir ein Erlebnis – die hohen Backenknochen, der große Mund, die hohe, klare Stirn, das Getriebene im Ausdruck, diese Trance, in der sie ihre Tanzideen empfing und gestaltete….Ich hing mit meinem ganzen Wesen an ihr. Das waren die Tänze, von denen ich einst geträumt hatte.” (B 326-7).
Der neue Tanz gehörte zu Vickis wichtigsten Erlebnissen in Hannover. “Was mir Gustav Mahler, Wagner, Ibsen … in den Jahren des Erwachens bedeutet hatten, das bedeuteten mir jetzt Mary Wigman und ihr Kreis mit der neuen Tanzkunst…” (B 326). Sie nahm selber Unterricht im Ausdruckstanz -– wie sie sagt, über zehn Jahre lang – und beschreibt ihren ersten Nachmittag im Tanzkurs: als sie “zum Schluß improvisieren durfte, ausdrücken, was [sie] wollte, war [ihr] zumute, als hätte [sie] erst an diesem Nachmittag zu leben begonnen.” (B 330)
Vicki freundete sich mit einigen der schwulen Tänzer an, wie sie auch später immer wieder eine besonders enge Beziehung zu schwulen Männern hatte. “Ich bin mir nie ganz darüber klargeworden, was ich ihnen bedeute, doch haben viele meiner nettesten, treuesten, großzügigsten und amüsantesten Freunde zu den Bewohnern dieses geschlechtlichen Niemandslandes gehört.” (B 327)
Es war in der “neuen Dimension” der Kunststadt Hannover, wo Vicki die beiden Bücher schrieb, die sie für ihre besten hielt (B 329), den Roman über die menschliche Einsamkeit Ulle der Zwerg, und die Novellensammlung Die andern Tage. Keins der Bücher bot sie dem Ullstein-Verlag an, da sie sie als anspruchsvollere Literatur betrachtete.
Baum mußte aber auch viel Zeit auf den täglichen Existenzkampf verwenden. “Der größte Teil meiner Zeit verging mit der Jagd auf Lebensmittel.” (B 332). Als sie in den Revolutionstagen mit ihren zwei Jungen und dem Sack für erworbene Lebensmittel unterwegs war, geriet sie sogar in die Schußlinie einiger Heckenschützen. (B 333)
Mannheim 1924-25
Die Familie zog 1924 nach Mannheim, wo Richard Lert Generalmusikdirektor wurde. Doch Vicki gefiel die Stadt nicht. “Nach dem guten frischen Wind, der in Hannover so aufpeitschend durch Kunst- und Theaterleben fuhr, und dem alles durchdringenden Gefühl, dort in meiner Zeit zu Hause zu sein, war mir in Mannheim, als würde ich in eine stehengebliebene Vergangenheit zurückversetzt, in die alte Bourgeoiswelt, der ich vor langem entflohen war.” (B 339). Als Richard auch Schwierigkeiten mit seinen Leuten bekam und weg wollte, besann sie sich wieder auf das Angebot von Ullstein, in Berlin für den Verlag zu arbeiten.
Berlin 1926–1931: Die “glücklichsten, interessantesten und fruchtbarsten Jahre … meines Lebens.” (B 353)
In Berlin arbeitete Vicki als Redakteurin und Autorin exklusiv für Ullstein, ab 1929 der größte Verlag in Europa. Richard Lert folgte ihr erst zwei Jahre später nach Berlin, zunächst als Gastdirigent, dann als Erster Kapellmeister an der Staatsoper. Baum schrieb und redigierte Rezensionen, Artikel und Erzählungen für die diversen Organe des Verlags, wie Die Dame, Uhu und die Berliner Illustrirte Zeitung (BiZ). Zwischen 1926 und 1932 erschienen fünf ihrer Romane zuerst als Folgeveröffentlichungen in der BiZ. Dadurch erhöhte sich die Auflage der Zeitung auf fast zwei Millionen und Baum wurde zum Star des Hauses. Sie fühlte sich in Berlin und bei Ullstein „wie auf dem Nabel der Welt“ (B 367), und half, sowohl durch ihre Person wie durch ihre schriftstellerische Tätigkeit, das Lebensgefühl der zwanziger Jahre zu prägen. Als Erfolgsautorin und Mutter zugleich, als selbständige Frau, die sich modern und modisch kleidete und Sport trieb (sie nahm Boxunterricht)—war Vicki Baum eine gelungene Verkörperung der „Neuen Frau“ der Weimarer Zeit und wurde auch als solche von Ullstein vermarktet.
Baums Roman stud. chem Helene Willfüer (1928) erzählt im Stil der damals weit verbreiteten Neuen Sachlichkeit die Geschichte einer jungen Studentin, die ungewollt schwanger wird und vergeblich versucht, eine Abtreibung zu bekommen; trotz „lediger Mutterschaft“ wird sie später eine anerkannte Chemikerin und entwickelt ein Verjüngungs-Wundermittel. Baums Darstellung einer starken, unabhängigen “Neuen Frau” wird relativiert durch melodramatische Elemente und eine traditionelle Liebesgeschichte. Es war aber vielleicht gerade diese Mischung, die das Buch so ungeheuer erfolgreich werden ließ. Die Folgeveröffentlichung in der BiZ erhöhte deren Auflage um 200 000. Der Roman wurde 1929 mit Olga Tschechowa als Helene verfilmt. Baum selbst wurde zur Berühmtheit in Deutschland und erschien, wie die heutigen Superstars, sogar in Anzeigen, wie der in der BiZ, wo sie ihre Alpina-Uhr lobt, da ihr hilft „trotz aller Arbeit, immer Herrin meiner Zeit zu bleiben.“ (Anzeige abgedruckt in King 42).
Mit Menschen im Hotel: Ein Kolportageroman mit Hintergründen (1929) wurde Vicki Baum auch international berühmt. Das Buch wurde 1930 in Berlin und als Grand Hotel auch auf dem Broadway auf die Bühne gebracht und dann, starbesetzt (Greta Garbo, John und Lionel Barrymore, Joan Crawford), 1932 von MGM verfilmt. Der Roman wurde auch in England und den USA sofort zum Bestseller—bis 1936 wurde er in mindestens 16 Sprachen übersetzt—und begründete eine neue Gattung, den Hotelroman. Das Hotel, für Baum Symbol der modernen Gesellschaft, ist Mittelpunkt des Geschehens, wo verschiedene Charaktere aus unterschiedlichen Klassen und Gruppen aufeinandertreffen, miteinander agieren und dann wieder auseinandergehen (King 47-8). Das Leben in Baums Großstadt ist schnell und aufregend, doch unpersönlich und zersplittert.
Amerika 1931-1960: New York, Hollywood, Weltreisen
Als Grand Hotel ein Broadway-Hit wurde, reiste Vicki Baum nach Amerika, um an der Werbekampagne ihres New Yorker Verlags Doubleday teilzunehmen. Auch dort wurde sie als Star gefeiert, reiste durch das Land und kam nach einer mehrwöchigen Publicity-Tour in Hollywood an, wo sie einen langfristigen Vertrag als Filmbuchautorin angeboten bekam. Sie ging kurz nach Deutschland zurück, beschloß aber, dauerhaft in den USA zu bleiben. Die politischen Entwicklungen in Deutschland beunruhigten sie, sie war aber auch durchaus von Amerika angetan und wollte ihre Söhne dort großziehen.
Obwohl Vicki Baum New York liebte, ließ sich die Familie 1932 in Kalifornien in der Nähe von Los Angeles nieder und baute sich 1933 in Pacific Palisades ein Haus (das später Whoopi Goldberg bewohnte). Richard Lert wurde Dirigent des Pasadena City Orchesters. Vicki arbeitete bis 1949 für die Filmindustrie, hatte aber als Drehbuchautorin nicht den erwarteten Erfolg. Sie schrieb auch Artikel für Zeitschriften und publizierte weiterhin Romane, die in beiden Ländern veröffentlicht wurden. Am Anfang schrieb sie ihre Romane noch auf Deutsch; als das NS-Regime 1935 ihre Bücher in Deutschland verbot, erschienen sie bei dem Amsterdamer Exilverlag Querido. Ab 1941 begann sie dann auf Englisch zu schreiben, da ihr die englischen Übersetzungen ihrer Bücher nicht gefielen. Baum, die 1938 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft bekam, wurde mehr und mehr als amerikanische Schriftstellerin deutscher Herkunft angesehen. Wie Marlene Dietrich hat sie auch EmigrantInnen aus Hitler-Deutschland geholfen (N257).
In ihren weiteren Büchern wiederholte Baum weitgehend die zwei Muster, die sich für stud. chem Helene Willfüer und Menschen im Hotel bewährt hatten: entweder ist eine Protagonistin der Mittelpunkt, oder eine Gruppe von Menschen, die während einer begrenzten Zeit miteinander zu tun haben (K 51-52). Dabei versuchte sie, durch genaue Detailschilderung und historische Einbettung, ihren Romanen Gewicht zu verleihen. Und um zu recherchieren, reiste sie fast um die ganze Welt, zum Beispiel nach Ägypten oder nach Bali (für den 1937 erschienenen Liebe und Tod auf Bali). In Hotel Berlin ‘43 (1944) setzte sie sich mit dem Nationalsozialismus auseinander und versuchte zu zeigen, daß die Deutschen nicht alle Nazis waren und daß viele auch zu den Opfern des Regimes gehörten. Nach dem Krieg fuhr sie wieder nach Europa, wollte aber keine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland oder Österreich, obwohl ihr das Amerika der McCarthy-Ära immer weniger zusagte. 1949 reiste sie nach Frankreich, Italien, Morokko und in die Schweiz mit dem zwanzig Jahre jüngeren, schwulen Carl Ostertag, in den sie eine Zeitlang verliebt war (N 326).
Vicki Baum lebte dauernd in dem Konflikt, entweder auf die Schnelle etwas Populäres zu produzieren, um Geld zu verdienen, oder ein literarisch anspruchsvolleres Werk zu schreiben und als dessen Autorin ernstgenommen zu werden. Ihre Versuche in diese Richtung, wie The Weeping Wood (1943) oder The Mustard Seed (1953), wurden aber kaum als solche anerkannt, so stark war Baum als populäre Melodramatikerin gebrandmarkt. Nicht nur solche Enttäuschungen, auch ihre angegriffene Gesundheit machten ihr das Schreiben in späteren Jahren immer schwerer. Am schlimmsten war eine schleichende Leukämie, die sie von ihrer Familie bis zuletzt verbarg und der sie am 29. Juni 1960 erlag.
(Text von 2009)
Verfasserin: Joey Horsley
Erika und Klaus Mann über die Schriftstellerin Vicki Baum (1939)
Zitate
What I like about Hollywood is that one can get along by knowing two words of English—SWELL and LOUSY.
(Vicki Baum, Quelle: Creative Quotations from Vicki Baum (1888-1960), siehe unter Links)
Frau Baum war einer der populärsten Autoren des vorhitlerschen Deutschland. Ihre gutgeschriebenen, ungeheuer lebendigen, immer packenden, immer überzeugenden, manchmal ergreifenden Bücher erfreuten sich enormer Auflageziffern. Man hat sie Unterhaltungsschriftstellerin genannt, ohne ihr damit gerecht zu werden. Unterhaltend zu sein, ist kein Fehler, und Vicki Baum weiß so viel von der Welt, sie kennt so gut die Menschen, sie begreift so genau und so warmherzig ihre Schicksale und die Beziehungen, die sie miteinander knüpfen, daß jede ihrer Arbeiten genug Wahrheit, genug schönes, belustigendes, trauriges, erregendes Leben enthält, um mehr zu sein als nur unterhaltend.
(Mann, Erika; Mann, Klaus (1939): Escape to life. Deutsche Kultur im Exil. München. Edition Spangenberg, 1991. ISBN 3-89409-055-3, S. 305. Den gesamten Absatz über Vicki Baum aus diesem Buch erreichen Sie über den Link direkt unter dem Text der Biografie.)
Links
Creative Quotations from Vicki Baum (1888-1960). Zitate (englisch).
Online verfügbar unter http://www.creativequotations.com/one/951.htm, zuletzt geprüft am 11.01.2018.
Vicki Baum: Den Markt im Auge. In: Der Spiegel 50/1950. Humorvoller Artikel über Vicki Baums Romane.
Online verfügbar unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44451333.html, zuletzt geprüft am 11.01.2018.
Berlin.de: Gedenktafel Vicki Baum.
Online verfügbar unter http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/bezirk/gedenktafeln/baum.html, zuletzt geprüft am 11.01.2018.
Blumesberger, Susanne: Baum Vicki, eigentl. Hedwig Baum. Biografie und Werkangaben. biografiA. biografische datenbank und lexikon österreichischer frauen.
Online verfügbar unter http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/baum.htm, zuletzt geprüft am 11.01.2018.
Deutsche Nationalbibliothek: Baum, Vicki, 1888-1960. Literatur und Medien.
Online verfügbar unter http://dispatch.opac.d-nb.de/DB=4.1/REL?PPN=118653830, zuletzt geprüft am 11.01.2018.
Internet Movie Database: Vicki Baum. Filme nach Drehbüchern von Vicki Baum.
Online verfügbar unter http://www.imdb.com/name/nm0062139/, zuletzt geprüft am 11.01.2018.
Schmid, Sigrid: Schriftstellerinnen im Exil – Zuständig fürs Überleben. Vicki (Hedwig) Baum (1888-1960). Biografie und Links.
Online verfügbar unter http://www.literaturepochen.at/exil/lecturepage5038_5.html, zuletzt geprüft am 11.01.2018.
Literatur & Quellen
Werke (Auswahl deutschsprachiger Ausgaben)
Baum, Vicki (1920): Eingang zur Bühne. Roman. München. Heyne, 1980 (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 5157). ISBN 3-453-00533-3. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1980): Kristall im Lehm. Roman. (=The Mustard Seed). München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe). ISBN 3-453-00136-2. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1983): Cahuchu. Strom der Tränen. Roman. (=The weeping Wood/Kautschuk). Gekürzte Ausgabe. Übersetzt von Fritz und Li Zielesch. München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe). ISBN 3-453-00280-6. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1983): Clarinda. Roman. (=Headless angel/Kopfloser Engel). München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 5235). ISBN 3-453-00595-3. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1983): Flut und Flamme. Roman. (=Written on water/Blood on the sea). Köln /// München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 536). ISBN 3-453-00059-5. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1983): Hell in Frauensee. Roman. München. Droemersche Verlagsanstalt Knaur (Knaur, 1018). ISBN 3-426-01018-6. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1983): Stud. chem. Helene Willfüer. Roman. München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 35). ISBN 3-453-00006-4. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1984): Schicksalsflug. Roman. (=Flight of Fate). München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 6372). ISBN 3-453-01931-8. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1984): Vor Rehen wird gewarnt. Roman. (=Danger from deer). München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 5660). ISBN 3-453-01105-8. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1985): Die Strandwache. Novellen. München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, Nr. 6615). ISBN 3-453-02209-2. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1985): Hotel Berlin. Roman. (=Hier stand ein Hotel/Berlin Hotel). München. Heyne (Heyne-Bücher, 5194). ISBN 3-453-00580-5. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1985): Kein Platz für Tränen. Roman. (=Die Tänze der Ina Raffay). München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 6494). ISBN 3-453-02069-3. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1985): Schloßtheater. Erzählungen. München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 6543). ISBN 3-453-02125-8. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1986): Der grosse Ausverkauf. Roman. München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 6709). ISBN 3-453-02313-7. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1986): Es begann an Bord. Roman. (=The Ship and the shore/Die fremde Nacht/Die Strandwache). München. Heyne. ISBN 3-453-00016-1. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1987): Die grosse Pause. Roman. München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 6795). ISBN 3-453-02406-0. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1988): Die goldenen Schuhe. Roman einer Primaballerina. (=Theme for Ballet/Ballerina). München. Heyne (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 7622). ISBN 3-453-00778-6. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (Marion alive/Marion lebt): Marion. Roman. Ins Deutsche übersetzt von Fritz und Li Zielesch. München. Heyne, 1989 (Heyne-Bücher : 01, Allgemeine Reihe, 643). ISBN 3-453-00091-9. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1990): Leben ohne Geheimnis. Roman. Frankfurt/M , Berlin. Ullstein (Ullstein, 22352). ISBN 3-548-22352-4. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1990): Rendezvous in Paris. Roman. (=Men never know). Frankfurt/M , Berlin. Ullstein (Ullstein, 40097 : Ullstein-Grossdruck). ISBN 3-548-40097-3. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1996): Zwischenfall in Lohwinckel. Roman. Köln. Kiepenheuer & Witsch (KiWi Paperback, 417). ISBN 3-462-02539-2. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1999): Die Karriere der Doris Hart. Roman. Königswinter. Habel. ISBN 3-87179-357-4. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (2000): Kopfloser Engel. Eine Liebe in Mexiko. Roman. (=Headless angel/Clarinda). Köln. Kiepenheuer & Witsch (KiWi Paperback, 606). ISBN 3-462-02940-1. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (2002): Menschen im Hotel. Gelesen von Charles Brauer. 4 Audio-CDs. München. Ullstein-Hörverlag. ISBN 3-550-09060-9. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (2006): Barbara Rudnik liest Menschen im Hotel von Vicki Baum. Gekürzte Lesung. Regie: Bernadette Joos. 4 Audio-CDs. Köln. Random House Audio (Starke Stimmen, 3). ISBN 3-86604-189-6. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (2006): Pariser Platz 13. Eine Komödie aus dem Schönheitssalon und andere Texte über Kosmetik, Alter und Mode. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Julia Bertschik. Grambin, Berlin. AvivA. ISBN 978-3-932338-27-4. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (2007): Hotel Shanghai. Roman. Köln. Kiepenheuer & Witsch (KiWi Paperback, 993b). ISBN 978-3-462-03900-9. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (2007): Liebe und Tod auf Bali. Roman. (=Tale of Bali/A Tale from Bali). Köln. Kiepenheuer & Witsch (KiWi Paperback, 992). ISBN 978-3-462-03799-9. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (2007): Marjan Shaki liest Die goldenen Schuhe von Vicki Baum. 6 Audio-CDs. Köln. Random House Audio (Hörbuch-Edition Woman voices, 6). ISBN 978-3-86604-518-7. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (2007): Menschen im Hotel. Roman. Köln. Kiepenheuer & Witsch (KiWi Paperback, 991). ISBN 978-3-462-03798-2. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Quellen
Ankum, Katharina von (1998): Essay. Rückblick auf eine Realistin. In: Ankum, Katharina von (Hg.): Apropos Vicki Baum. Frankfurt am Main. Neue Kritik (Apropos, 13). ISBN 3-8015-0322-4. S. 7–47. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Baum, Vicki (1962): Es war alles ganz anders. Erinnerungen. Berlin. Ullstein. (=B). (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
King, Lynda J. (1988): Best-sellers by design. Vicki Baum and the House of Ullstein. Detroit. Wayne State University Press. ISBN 0-8143-2000-7. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
King, Lynda J. (1989): Vicki Baum. In: Hardin, James Neal; Daviau, Donald G. (Hg.): Austrian fiction writers after 1914. Detroit, New York, Fort Lauderdale, London. Gale Research (A Brucculi Clark Layman book, 85). ISBN 0-8103-4563-3. S. 40–54. (=K) (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Nottelmann, Nicole (2002): Strategien des Erfolgs. Narratologische Analysen exemplarischer Romane Vicki Baums. Würzburg. Königshausen & Neumann (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft, 405). ISBN 3-8260-2305-6. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Nottelmann, Nicole (2007): Die Karrieren der Vicki Baum. Eine Biographie. Köln. Kiepenheuer & Witsch. ISBN 9783462037661. (=N) (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
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