Fembio Specials Frauen aus Russland Vera Figner
Fembio Special: Frauen aus Russland
Vera Figner
geboren am 7. Juli 1852 in Christoforowka, Provinz Kasan
gestorben am 15. Juni 1942 in Moskau
russische Revolutionärin und Schriftstellerin
170. Geburtstag am 7. Juli 2022
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Zwanzig Jahre verbrachte die russische Revolutionärin Vera Figner in Einzelhaft – eine Zeit, weit länger und furchtbarer als das, was wir heute als „lebenslänglich“ kennen. Ihr heroisches Leben begann 1852 unter zaristischem Terror und endete 90 Jahre später unter dem Terror Stalins mitten im Zweiten Weltkrieg.
Figners Familie gehörte zum kleinen Landadel. Terror übte auch der Vater aus:
... wir fürchteten ihn mehr als das Feuer; sein kalter, durchdringender Blick genügte, um uns das Blut in den Adern gerinnen zu lassen.
Nach einem Medizinstudium in der Schweiz schloss Vera sich 1876 mit ihren Schwestern der revolutionären Organisation „Land und Freiheit“ an, die gegen die Gewaltherrschaft des Zaren und für die Verteilung des Landes und die Demokratie kämpfte.
Sie betrachtete sich als im Kriege mit einer Regierung, die sie als ungesetzlich, ungerecht und unmenschlich ansah ... Es ist im Grunde dieselbe Haltung ... wie die Gandhis gegenüber der englischen Regierung ... Der Unterschied .. liegt darin, dass die Zarenregierung ihren Gegnern jede andere Äußerungsmöglichkeit nahm als den Terror.
(Anna Siemsen)
Am 1. März 1881 gelingt das Attentat auf den Zaren; aber die meisten RevolutionärInnen werden gefasst und nach kurzem Prozess hingerichtet. Figner bemüht sich noch drei Jahre lang, die Organisation wieder zu sammeln, wird aber 1884 von einem Genossen verraten, wenig später zum Tode verurteilt und gegen ihren Willen zu lebenslanger Haft in der berüchtigten Schlüsselburg „begnadigt“, in der schon andere RevolutionärInnen lebendig begraben sind:
Nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur, die Farben, Töne, alles war für uns verschwunden. An Stelle dessen blieb ein düsteres Grabgewölbe, ... wo eine unheilverkündende Stille und eine Atmosphäre von Gewalt, Wahnsinn und Tod herrschte.
1906 darf Figner in die Schweiz emigrieren und engagiert sich von dort aus für politische Gefangene:
Auf viel Erfolg hoffte ich in jener Epoche zaristischer Reaktion nicht, aber es war mir unmöglich, um diese Not [in sibirischen Gefängnissen] zu wissen und abseits zu stehen.
Diese Äußerung ist typisch für Figners moralische Sensibilität und Konsequenz.
1916 kehrt sie nach Petersburg zurück und erlebt 1917 den Beginn der Revolution mit. Sie wird Vorsitzende des Komitees zur Hilfeleistung für politische Sträflinge und Verbannte, denn:
Der grundlegende Faktor meines Lebens war Schlüsselburg.
Mit dieser Feststellung enden ihre Erinnerungen, die sie 1928 unter dem Titel Nacht über Russland veröffentlichte.
(Text von 1991)
Verfasserin: Luise F. Pusch
Literatur & Quellen
Figner, Vera. 1985 (1928). Nacht über Rußland: Lebenserinnerungen einer russischen Revolutionärin. Von der Verf. durchges. u. autorisierte Übers. aus d. Russ. 1. u. 2. Teil von Lilly Hirschfeld. 3. Teil von Reinhold von Walter. Mit dokumentarischen Abbildungen. Reinbek b. Hamburg. rororo TB 5974.
Goldsmith, Margaret L. 1976 [1935]. Seven Women Against the World. Westport, CN. Hyperion.
http://de.wikipedia.org/wiki/Vera_Figner
Rindlisbacher, Stephan. 2014. Leben für die Sache. Vera Figner, Vera Zasulic und das radikale Milieu im späten Zarenreich (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 80). Wiesbaden 2014. ISBN 978-3-447-10098-4.
Schmieding, Walther. 1981. Aufstand der Töchter: Russische Revolutionärinnen im 19. Jahrhundert. Berlin. Ullstein.
Siemsen, Anna. 1943. Der Weg ins Freie. Zürich. Büchergilde Gutenberg.
Wilson, Katharina M. 1991. An Encyclopedia of Continental Women Writers. 2 Bde. New York: London. Garland.
www.shsu.edu/~his_ncp/Vnarod.html
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