Fembio Specials Europäische Jüdinnen Tina Blau
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Tina Blau
(Regine Leopoldine Blau [Geburtsname]; Tina Blau-Lang [Ehename])
geboren am 15. November 1845 in Wien
gestorben am 31. Oktober 1916 in Wien
österreichische Landschaftsmalerin
205. Todestag am 31. Oktober 2021
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
»Tante Tina hatte immer betont, dass sie als Künstler [sic], und nicht als malende Frau beurteilt werden wolle«, erinnert sich ihr Großneffe Walter Taussig in seiner Rede anlässlich der Eröffnung der Tina Blau-Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien im Sommer 1996. Und erinnert sich auch an die Besuche in dem gemütlich eingerichteten Atelier seiner Tante, das mit den Möbeln, Teppichen, Vasen mit Blumen und Gräsern, Erinnerungsfotos, den eng gehängten, schön gerahmten Bildern eher einem Salon oder Wohnzimmer als einem Arbeitsraum gleicht. Ein Riesennetz, in dem zwei aus Fetzen gefertigte Spinnen sitzen, eine große und eine kleine, füllt originell und dekorativ eine der Zimmerecken aus.
So ungewöhnlich wie das Atelier ist auch das Auftreten der Malerin. Nicht sehr groß, hat sie eine Vorliebe für riesige, mit Fältelungen verzierte Hüte. Und sie konstruiert sich aus dem Gestell eines Kinderwagens und einem Weidenkorb ihr »Malwagerl«, in dem eine Staffelei – auch für große Leinwände geeignet – fest montiert ist und in dem Pinsel, Farben, Palette und Sonstiges ihren Platz finden. Damit zieht Blau durch den Prater, entweder um zu malen oder ein im Atelier gefertigtes Gemälde zu überprüfen. Das Wagerl bietet ihr die Unabhängigkeit und Ungestörtheit, die Blau so schätzt. Ihrer Zeit voraus, setzt sie sich in einer von Männern geprägten Welt durch und geht abseits von Modeerscheinungen unbeirrt ihren Weg.
Schon früh fühlt sich Blau zum Zeichnen hingezogen und zeigt Interesse an Landschaft und Natur. Der Vater fördert ihr Talent – für die damalige Zeit ungewöhnlich – und verschafft ihr den ersten Privatunterricht. Der aus Prag stammende jüdische Arzt Simon Blau hatte in seiner Jugend selber mit einer Künstlerkarriere geliebäugelt und war daher über die Neigung seiner Tochter sehr erfreut. Mit 22 Jahren stellt sie das erste Mal im Österreichischen Kunstverein aus, ein Jahr später ist sie bei der Eröffnungsausstellung des Wiener Künstlerhauses dabei.
Der erste Verkauf eines Gemäldes ermöglicht Blau die Reise zur Ersten Internationalen Ausstellung in München. Begeistert lernt sie die zeitgenössische Kunst Frankreichs – Realismus, Schule von Barbizon – kennen. Durch das Empfehlungsschreiben eines befreundeten Malers findet sie Aufnahme in die Münchner Kunstszene; Blau genießt den regen Kontakt zu KollegInnen und die intensiven Gespräche über künstlerische Fragen. Der Verkauf eines weiteren Bildes ermöglicht ihr die Verlängerung ihres Aufenthalts. Sie entschließt sich, Schülerin von Wilhelm Lindenschmit d. J. zu werden und schreibt sich in der »Kunstschule für Mädchen« ein.
Nach dem Ausbruch einer Cholera-Epidemie rufen die besorgten Eltern Tina Blau nach Wien zurück. Es entsteht eine enge Freundschaft zu dem Maler Emil Jakob Schindler; gemeinsam reisen sie 1873 nach Szolnok in die ungarische Tiefebene. Zwei Jahre später finanziert Blau durch den Verkauf eines Bildes ihren Wunsch, nach Holland zu reisen. Schindler schließt sich ihr an. Auf dieser Reise entstehen Landschaftsfotografien und zahlreiche Ölskizzen auf Holz, die später im Wiener Atelier als Vorlagen für großformatige Gemälde dienen. Jede Reise bringt neue Eindrücke und verändert die Farbpalette Blaus. Besonders augenfällig wird dies auf ihren Italienreisen, die sie nach Venedig, Rom und Neapel führen. Ohne das südliche Licht hätte sie die hellen und strahlenden Farben vielleicht nie entdeckt.
Im Frühjahr 1876 erhalten Blau und Schindler gemeinsam die Einladung, im Kunstpavillon der ehemaligen Weltausstellung ein freigewordenes Atelier zu mieten. Schindler, der sich gerne in den Vordergrund drängt, tritt als offizieller Mieter auf, verweigert ihr dann aber, einen der beiden Räume als eigenes Atelier zu nutzen. Dieser Affront führt zu einem vorübergehenden Bruch der Freundschaft, und Blau bleibt enttäuscht in dem alten, ehemals gemeinsamen Atelier.
Ein Jahr später zieht sie nach einer Versöhnung doch noch in das Prateratelier, offiziell als Schindlers »Schülerin«, da eine Untervermietung nicht gestattet ist. Vehement wehrt sich Blau allerdings zeitlebens gegen ein Lehrer-Schülerin-Verhältnis mit Schindler. Sie bezeichnet ihn als Freund und sieht sich mit ihm auf Augenhöhe. Nachweislich hat Blau viele Neuerungen in der Malauffassung lange vor Schindler entwickelt.
Nach Schindlers Heirat mit der Sängerin Anna Bergen (sie werden übrigens die Eltern von Alma Mahler-Werfel) wird Tina Blau 1879 endlich alleinige Herrscherin über das Atelier in ihrem geliebten Prater. Die folgenden Jahre bis 1890 gelten als ihre erfolgreichsten und besten.
Anfang der 1880er Jahre entsteht ihr bekanntestes Werk: Frühling im Prater. Ungewöhnlich und neu an diesem großformatigen Bild von fast zwei mal drei Metern ist der Verzicht auf Licht- und Schattenzonen. Die durch einen unmittelbaren, starken Lichteinfall hervorgerufene, einheitliche Helligkeit verstörte anfangs die Betrachter. Das Gemälde galt als nicht hängbar, da es »ein Loch in die Ausstellungswand reiße« (bemängelte die Jury des Wiener Künstlerhauses, in dem 1882 die Erste Internationale Kunstausstellung stattfand). Glücklicherweise setzte sich Hans Makart durch und der französische Minister der Schönen Künste, Antonin Proust, wählte Blaus Gemälde für den Pariser Salon im nächsten Jahr aus. Dort erhielt das Bild eine »Mention honorable«. Erworben von der kaiserlichen Gemäldegalerie, ist es heute in der Österreichischen Galerie im Oberen Belvedere zu bewundern.
Ende 1884 heiratet Tina Blau den Münchner Pferde- und Schlachtenmaler Heinrich Lang, den sie schon während ihres ersten Aufenthalts in der bayerischen Metropole kennenlernte. Zwei Monate vor der Hochzeit war Blau vom Judentum zum Protestantismus konvertiert (»Mischehen« waren zu dieser Zeit verboten). Bei dieser Gelegenheit ließ sie auch den Vornamen Tina offiziell in ihre Papiere aufnehmen, ihre Geburtsnamen waren ursprünglich Regina Leopoldine.
Blau ist sehr aktiv; keine Weltausstellung in diesem Jahrzehnt ohne ihre Bilder, die zahlreiche Auszeichnungen erringen. Ihre erste Einzelausstellung mit 60 Werken, die vom Münchner Kunstverein organisiert wird, wandert durch fünf weitere Großstädte. Seit 1889 leitet sie den Stilleben- und Landschaftskurs an der Damenakademie. Die Sommer verbringt das Paar immer in Wien. Blau hat ihr Prateratelier nie aufgegeben.
1891 stirbt ihr Mann überraschend, drei Jahre später kehrt sie endgültig nach Wien zurück. Auch hier engagiert sie sich in der neugegründeten »Kunstschule für Frauen und Mädchen«. Trotz einer zunehmenden Schwerhörigkeit behält sie die Lehrtätigkeit bis zum Jahr vor ihrem Tod bei.
Sie gilt als »große alte Dame der Wiener Malerei« (Natter/Jesina, S. 130). Mit Rosa Mayreder und besonders Marie von Ebner-Eschenbach verbinden sie intensive Freundschaften. Nach wie vor ist Blau viel auf Reisen, vorzugsweise in Holland und Istrien.
Im Alter von fast 71 Jahren stirbt Blau in Wien an Herzversagen. 1930 benennt die Stadt Wien im 14. Bezirk einen kleinen Weg nach ihr. Während der Naziherrschaft wird Tina Blau wegen ihrer jüdischen Abstammung diffamiert, man entfernt ihre Bilder aus den Museen und benennt den Weg um. Heute gelten ihre Werke als zeitlos modern, sind sehr geschätzt und erzielen auf Auktionen gute Preise. Auch die kleine Gasse trägt inzwischen wieder Tina Blaus Namen.
Verfasserin: Adriane von Hoop
Zitate
In ihrer Wohnung hatte sie [Tina Blau] eine riesige, zusammenfaltbare Gummi-Badewanne, die sie auch auf alle ihre Reisen mitnahm …
Zweifellos war Tante Tina in der Zeitperiode, die ich erlebte, bereits eine sehr berühmte Frau. Trotzdem war sie immer ganz unglücklich, wenn sie ein Bild verkaufte, teilweise, weil sie sich von einem ihrer Werke trennen musste und – hauptsächlich – weil sie das Gefühl hatte, eines ihrer eigenen Kinder im Stich gelassen und einem ungewissen Schicksal ausgesetzt zu haben …
Beide Zitate von Walter Taussig, Eröffnungsrede für die Tina Blau-Ausstellung im Jüdischen Museum, Wien, im Juli 1996
Links
art4public: Tina Blau. Biografie. Online verfügbar unter http://www.art-kunst-art.com/index.php?babel=DE&uuid=3882358b7fa6cf85aa4c473690b39f64&page=kuenstler_lexdetail&kuenstler_kennung=98, abgerufen am 17.12.2015. WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6dqRaCSXQ.
artnet: Tina Blau-Lang. Biografie, Werke. Online verfügbar unter http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/tina-blau-lang/, abgerufen am 18.12.2015.
Johnson, Julie M. (2005): Writing, Erasing, Silencing. Tina Blau and the (Woman) Artist's Biography. Nineteenth-Century Art Worldwide, Volume 4, Issue 3, Autumn 2005. Online verfügbar unter http://www.19thc-artworldwide.org/autumn05/58-autumn05/autumn05article/208-writing-erasing-silencing-tina-blau-and-the-woman-artists-biography, abgerufen am 17.12.2015.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Tina Blau. Publikationen. Online verfügbar unter https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=119270056, abgerufen am 18.12.2015.
Österreichische Nationalbibliothek: ARIADNE - Projekt »Frauen in Bewegung« – Tina Blau-Lang. Online verfügbar unter http://www.onb.ac.at/ariadne/vfb/bio_blautina.htm, abgerufen am 18.12.2015.
Österreichische Nationalbibliothek: AustriaN Newspaper Online – Neue Freie Presse, 1. November 1916. Todesanzeige. Online verfügbar unter http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=nfp&datum=19161101&seite=26, abgerufen am 18.12.2015.
Zentralfriedhof Wien: Blau, evangelische Ehrengräber, Tor 4. Online verfügbar unter http://www.viennatouristguide.at/Friedhoefe/Zentralfriedhof/Tor4_ev/html_ehrengraeber/gr03_012_blau.htm, abgerufen am 18.12.2015.
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Literatur & Quellen
Johnson, Julie M. (2012): The memory factory. The forgotten women artists of Vienna 1900. West Lafayette, Ind. Purdue University Press. (Central European Studies) ISBN 9781612492032. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Natter, Tobias G.; Blau, Tina (1996): PLEINAIR. Die Landschaftsmalerin Tina Blau 1845 - 1916. Ausstellungskatalog. Wien. Jüdisches Museum. ISBN 3-901398-05-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Natter, Tobias G.; Jesina, Claus (1999): Tina Blau. (1845 - 1916). Salzburg. Verl. Galerie Welz. ISBN 3-85349-232-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Schöny, Heinz (1971): Tina Blau. 1845-1916 ; eine Wiener Malerin. Ausstellungskatalog. Wien. Selbstverlag der Österreich. Galerie. (Wechselausstellung der Österreichischen Galerie, 67) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Seligmann, Adalbert Franz (1917): Versteigerung des künstlerischen Nachlasses der Landschaftsmalerin Tina Blau. 28. März 1917 Auktionslokal der Kunsthandlung C. J. Wawra Wien. C. J. Wawra. Wien. C. J. Wawra. (Kunstauktion von C. J. Wawra, 240) (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
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