Fembio Specials Frauen mit DDR-Hintergrund Tamara Bunke
Fembio Special: Frauen mit DDR-Hintergrund
Tamara Bunke
(Haydée Tamara Bunke Bider; „Tania la guerrillera“; Tamara Lorenzo (Deckname); Haydée Bidel Gonzáles (Deckname); Marta Iriarte (Deckname); Vittoria Pancini (Deckname); Laura Gutiérrez Bauer (Deckname))
geboren am 19. November 1937 in Buenos Aires, Argentinien
erschossen am 31. August 1967 am Río Grande bei Yado del Yeso, Bolivien
argentinisch-deutsche Agentin und Guerrillera
85. Geburtstag am 19. November 2022
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Wer war Tamara Bunke, die unter dem Namen „Tania la guerrillera“ weltweit berühmt wurde als die Frau, die an Che Guevaras Seite in Bolivien kämpfte? War sie eine Dreifachagentin, die Ches Operationsbasis verriet? War sie Ches Geliebte oder „nur“ eine überzeugte Kommunistin, für die es folgerichtig war, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen? Die Wahrheit wird sich nicht mehr herausfinden lassen, die meisten Augenzeugen der Geschehnisse leben nicht mehr und die anderen widersprechen sich. Überdies bietet sich das Thema „Sozialistische Revolution“ für Ideologisierungen jeder Art geradezu an.
Kindheit in Argentinien
Haydée Tamara Bunke Bider wird am 19. November 1937 in Buenos Aires geboren. Ihre Eltern, beide Lehrer, 1935 aus Deutschland nach Argentinien emigriert (die Mutter ist Jüdin), sind überzeugte, ja geradezu fanatische Kommunisten. Auch in Argentinien setzen sie ihre illegale Arbeit fort, und Tamara und ihr älterer Bruder lernen so beizeiten die kommunistischen Ideale und Begriffe kennen.
1945 kommt Tamara zur Schule. Sie treibt viel Sport, klettert, reitet und schwimmt, sie ist musikalisch, spielt Klavier und Akkordeon, und sie ist ehrgeizig.
Leben in der DDR
1952 entschließen sich die Eltern zur Rückkehr nach Deutschland – ihrer Überzeugung entsprechend in die DDR. Weil nicht sofort eine Unterkunft zur Verfügung steht, nehmen Freunde der Eltern Tamara in Babelsberg auf, ehe sie mit ihrer Familie in Stalinstadt (früherer Name von Eisenhüttenstadt) eine Wohnung bezieht. Diese Freunde erinnern sich später daran, dass sie bereits einen sehr ausgeprägten kommunistisch geprägten Standpunkt vertrat und die Lebensbedingungen in der DDR häufig mit denen in Lateinamerika verglich. Im Umgang mit den Söhnen der Familie verbessern sich Tamaras Deutschkenntnisse zusehends.
Als die Familie umzieht, ist Stalinstadt erst ein Jahr alt, die Lebensverhältnisse sind abenteuerlich, auch die Wohnung ist längst nicht fertig und dient außer Bunkes drei Lehrerinnen als Unterkunft. Tamara kommt in die Erweiterte Oberschule (Gymnasium) in Fürstenberg, lebt im Internat und tritt in die Gesellschaft für Sport und Technik (GST, eine militärähnliche Organisation mit Uniformen usw.), Sektion Schießen, ein, wo sie bald zu den besten Schützen gehört und Wettkämpfe und Meisterschaften gewinnt.
An Tamaras Hilfsbereitschaft, ihr Organisationstalent und ihr Gitarrespiel erinnern sich Mitschüler – ebenso wie an ihr ansteckendes, tiefes, raues Lachen. Sie hat jedoch Heimweh nach Argentinien, und das bleibt ihr Leben lang so. Ihre Sehnsucht äußert sich unter anderem darin, dass sie lateinamerikanische Folkloremusik sammelt (die sie bis in den Tod begleiten wird) und mit Freunden in Lateinamerika korrespondiert, bei denen sie sich häufig nach politischen Entwicklungen und Ereignissen erkundigt. 1954 dolmetscht sie erstmals für eine Delegation brasilianischer Sportler – von da an wird sie zunehmend Ansprechpartnerin für Lateinamerikaner in der DDR.
Nach dem Abitur 1957 ist Tamara Bunke Pionierleiterin in Berlin, bevor sie 1958 am Romanistischen Institut der Berliner Humboldt-Universität immatrikuliert wird. Gemäß ihrer kommunistischen Weltanschauung arbeitet sie aktiv in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und wird 1958 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Mit Studenten gründet sie eine lateinamerikanische Gruppe, informiert dort über die DDR und regt kulturelle Aktivitäten an, für die sie Bücher und Liedtexte besorgt.
Fasziniert ist sie von den Nachrichten, die ab 1957 aus Kuba kommen, die kubanische Revolution begeistert sie, sie fiebert mit, fragt Kubaner aus, mit denen sie zusammentrifft, und freut sich über jeden Sieg. Ihr Wunsch, nach Argentinien zurückzukehren oder in Kuba mitzukämpfen, wird immer stärker, und offenbar sind ihre Pläne 1960 weit gediehen – Cordt Schnibben schreibt:
Ihre Ausreise aus der DDR genehmigt das Zentralkomitee der SED am 12. Dezember, ihre Überfahrt nach Argentinien mit einem polnischen Überseedampfer ist schon geregelt, als sie Che Guevara trifft.“
Für Che Guevara, damals Direktor der kubanischen Nationalbank, dolmetscht Tamara auf einem Treffen lateinamerikanischer Studenten in Leipzig, und das soll sich als entscheidender Wendepunkt ihres Lebens erweisen. Che ist Argentinier wie sie, er beeindruckt sie mit seinem Intellekt und seinen rhetorischen Fähigkeiten, und er ist in Kuba tätig, wo aufregende politische Ereignisse stattfinden – Tamara will mit dabei sein.
Noch im Dezember ist sie wiederum als Dolmetscherin tätig, diesmal beim Kubanischen Nationalballett. Mit diesem fliegt sie schließlich nach Kuba, wo sie am 12. Mai 1961 eintrifft, und es ist bis heute nicht geklärt, wie ihr das gelungen ist: Reisen nach Kuba wurden wegen der Nähe zu den USA ähnlich streng gehandhabt wie ins kapitalistische Ausland.
Kuba - Tamara
Im Zusammenhang mit ihrer geplanten Ausreise nach Argentinien hatte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS, „Stasi“) Kontakt zu ihr aufgenommen – sie sollte nach ihrer Ankunft aus dem Land berichten. Nach ihrer plötzlichen Kubareise und der Flucht ihres Kontaktmannes Günter Männel (nach zwei Disziplinarverfahren wegen Trunkenheit und sexueller Nötigung) in die BRD 1961 wurde die lose Verbindung offenbar nicht wieder aufgenommen.
Kaum auf Kuba angekommen, stürzt Tamara sich in einen unglaublichen Wirbel von Aktivitäten. Sie arbeitet beim Internationalen Studentenbund mit, betreut ausländische Delegationen, hört Fidel Castro sprechen, trifft bei unterschiedlichen Gelegenheiten mit Che Guevara zusammen, übersetzt, unterrichtet Analphabeten, diskutiert nächtelang, organisiert, beteiligt sich an freiwilligen Arbeitseinsätzen. Ende 1961 oder Anfang 1962 tritt Tamara Bunke in die Revolutionäre Miliz ein – fortan sieht man sie nur noch in Uniform. Von Oktober 1961 bis Ende 1963 ist sie als Dolmetscherin im Bildungsministerium angestellt – ohne ihre unzähligen anderen Tätigkeiten aufzugeben. 1962 beginnt sie außerdem ein Journalistikstudium an der Universität in Havanna. Sie brennt förmlich und steckt andere mit ihrem Schwung an. In Briefen berichtet sie ihren Eltern in Deutschland von ihrem Leben und den Ereignissen in Kuba.
Kuba - Tania
1963 beginnt Tamara Bunkes Arbeit für den kubanischen Geheimdienst, nachdem sie vom Geheimdienstchef Pinero und Che Guevara selbst monatelang überprüft worden war. Sie „solle die revolutionären Bewegungen unterstützen in einem Land Lateinamerikas unter einer anderen Identität“, wird ihr gesagt. „Tania“ wird ihr Deckname, den sie im Andenken an eine ermordete sowjetische Partisanin wählt. Sie muss nach und nach ihre bisherigen Aktivitäten einschränken sowie ihre zahlreichen Kontakte abbrechen und wird ausgebildet. Das dauert etwas mehr als ein Jahr. Sie wird von Geheimdienstleuten auf allen notwendigen operativen Gebieten geschult (Anfertigung und Entzifferung chiffrierter Botschaften, Einrichtung toter Briefkästen, Auswahl konspirativer Wohnungen, Prinzipien für den Aufbau eines Agentennetzes und die Versorgung einer kämpfenden Guerilla und deren Verbindungen zur Außenwelt, Sondierung eines Gebietes im Hinblick auf spätere Kampfaktionen, Beschaffen von Daten, Methoden der Einschleusung in den Polizei- und Militärapparat, Regeln für das Überleben in Zeiten absoluter Isolation) und erhält eine militärische, eine Funker- und eine Sprengstoffausbildung. Sie lernt, sich bürgerlich zu kleiden und zu benehmen, sich jederzeit zu beherrschen und anzupassen.
Einer ihrer Ausbilder, Ulises Estrada Lescaille, lobt später Tanias „Klugheit, Intention, Klarheit und Entschlossenheit“ und beschreibt sie als eine Frau mit einem starken Willen und einer rebellischen Natur, die erst nachgibt, wenn sie wirklich von etwas überzeugt ist. Täglich treffen sich Tania und ihr Ausbilder Ulises Estrada und arbeiteten viele Stunden zusammen, manchmal bis in die Nacht hinein – und sie verlieben sich ineinander und bauen eine Beziehung auf, obwohl Ulises Estrada verheiratet ist und Kinder hat und obwohl beide wissen, dass das allen geheimdienstlichen Regeln zuwiderläuft. Pinero, dem sie sich anvertrauen, findet sich letztlich damit ab, als er erkennt, welch starke Gefühle sie verbinden. Dreizehn Monate leben Tania und Ulises zusammen. Wenn Tania von ihrem Einsatz zurückkehrt, werden beide heiraten, so wird es vereinbart.
Ein erster Test-Einsatz (in einer kubanischen Stadt als Tamara Lorenzo) im Februar 1964 verläuft zur Zufriedenheit ihrer Auftraggeber, und Ende März erhält sie nach weiteren Übungen und Auswertungen von Che Guevara selbst ihre Aufgabe: Sie soll in Bolivien Kontakte zu Militärs und Politikern herstellen, im Land herumreisen, um die Lebensbedingungen kennen zu lernen – und ansonsten hat sie zu warten, bis sich ihr Kontaktmann meldet, um neue Instruktionen weiter zu geben.
Europa - Haydée Bidel Gonzáles, Marta Iriarte, Vittoria Pancini
Tania erhält einen Pass auf den Namen „Haydée Bidel Gonzáles“ und reist am 9. April 1964 nach Europa. Sie soll sich ihre erfundene Biografie „erreisen“ und lernen, sich in dieser ihr fremden Welt zu bewegen. Die Rahmenpunkte: Geboren 1939 in einem Dorf an der österreichisch-italienischen Grenze, wird sie 1944 von ihren Eltern nach Uruguay geschickt und kehrt nach Ende der Schulzeit zurück, um sich in Westberlin niederzulassen.
Die Verwandlung (Aussehen und Auftreten) erweist sich als so gelungen, dass selbst nahe Bekannte sie nicht identifizieren. Beinahe sechs Wochen reist sie durch Westeuropa, zeitweise als Marta Iriarte oder Vittoria Pancini, besucht ihre angeblichen Lebensorte und fotografiert sie, lernt etwas Italienisch, schließt Bekanntschaften und bewegt sich gekonnt in der ungewohnten Umgebung.
Europa – Laura Gutiérrez Bauer
Schnell wird klar, dass diese angebliche Biografie zu viele Lücken und innere Ungereimtheiten enthält. Deshalb wird nach Tanias Rückkehr nach Kuba eine neue Person erfunden: Laura Gutiérrez Bauer (deren Lebensdaten an Tamaras tatsächliche Geschichte angelehnt werden), 1938 in Buenos Aires geboren, Tochter einer deutschen Einwanderin und eines argentinischen Geschäftsmannes, die zeitlebens unter den Streitigkeiten ihrer Eltern und unter deren Nomadentum litt, nach dem Tod der Mutter und dem Zerwürfnis mit dem Vater nach Peru und Bolivien ging und sich nun mit Ethnologie und Folklore beschäftigen will. Auf 15 Seiten wird die Biografie dieser Laura mit unzähligen Details festgehalten.
Am 5. August 1964 muss Tania wieder nach Europa, um die Orte ihres angeblichen Lebensweges zu besuchen, mögliche Unstimmigkeiten herauszufinden und legale Kontakte aufzubauen, die ihr erlauben würden, unter dem neuen Namen eine eigene Korrespondenz zu führen. Sie leidet unter der Isolation, genießt es aber andererseits, ihre Rolle zu spielen und die Menschen in ihrer Umgebung hinters Licht zu führen. Heimlich lauscht sie so oft wie möglich kubanischen Rundfunksendungen, um besser mit ihrer Einsamkeit fertig zu werden. Das Heimweh treibt sie von Westberlin auch bis vor das Haus in Ostberlin, in dem ihre Eltern wohnen – sie darf sie freilich nicht besuchen, ruft sie aber mehrmals an.
Bolivien, La Paz
Und dann ist es soweit: Am 5. November 1964 landet Tania als Laura Gutiérrez Bauer in Peru, reist einige Tage und nimmt erste Kontakte als Ethnologin auf, bevor sie am 17. November 1964 abends auf einem Esel die bolivianische Grenze passiert. Am nächsten Tag geht sie zum Polizeikommissariat, um sich den Einreisestempel zu holen, besorgt, weil ihr Pass nicht ihre eigenen Fingerabdrücke enthält (eine Sicherheitsmaßnahme – bei Entdeckung sollte sie nicht auch noch der Passfälschung bezichtigt werden können). Sie stößt jedoch nicht auf Schwierigkeiten.
Als sie in La Paz ankommt, sind die Umstände völlig anders als geplant, da kurz zuvor General Barrientos sich an die Macht geputscht hat und die bislang regierenden pro-kubanischen Politiker abgelöst hat. Tamara lässt sich davon nicht abschrecken. Die ersten Tage verbringt sie damit, die Stadt gründlich kennen zu lernen, sie besucht Museen und lernt u.a. den Maler Moíses Chile Barrientos kennen, einen Verwandten des neuen Präsidenten, der ihr heftig „den Hof macht und so weiter“ (Bericht Tanias nach Kuba). Dieser Maler ist für Tania eine große Hilfe, denn er kennt viele einflussreiche Personen. So stellt er sie im Ministerium für Erziehung einer Frau vor, durch die sie ins „Komitee zur Erforschung der Folklore“ kommt. Das dafür nötige Empfehlungsschreiben der argentinischen Botschaft erhält sie problemlos vom Sekretär der Botschaft, Ricardo Acre. Später trifft sie Acre wieder, u.a. im Karneval, wo er sie betrunken allen möglichen Leuten als Mitarbeiterin der Botschaft oder gar als seine Frau vorstellt, was Tania später zu gute kommt. Und bei anderer Gelegenheit macht er sie mit dem Präsidenten selbst und anderen Regierungsmitgliedern bekannt. Durch Acre lernt sie auch den argentinischen Konsul in Santa Cruz kennen – und nutzt das später, um Informationen über die Gegend zu sammeln, die Che Guevara als Operationsgebiet ausgewählt hat.
Tania baut ihr Netz in Diplomaten- und Regierungskreisen immer weiter aus, nutzt Bekanntschaften und Kontakte und schafft es schließlich, für 10 000 bolivianische Pesos ein polizeiliches Führungszeugnis und einen Personalausweis zu erhalten. Am 20. Januar 1965 hat sie ihr Ziel erreicht: Sie darf endgültig in Bolivien bleiben.
Um Einkünfte nachweisen zu können, gibt sie acht Kindern Deutschunterricht. Einen Großteil der Zeit arbeitet sie unentgeltlich im Komitee zur Erforschung der Folklore. Ihr Hobby, die Sammlung lateinamerikanischer Musik, wächst in diesen Tagen um viele Titel an.
Gonzalo López Muñoz, Informationschef des Regierungspalastes, stellt Tania als Abonnentenwerberin für seine Zeitschrift ein und verschafft ihr dadurch mehr Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit, neue Verbindungen aufzubauen. Auch nutzt sie später sein Geschäftspapier und den Stempel, um für Che Guevara Legitimationsschreiben zu erstellen, die ihm erlauben, überall im Land herumzureisen.
Ein in sie verliebter Student, Mario Martínez, macht Tania einen Heiratsantrag – und sie nimmt an, nachdem sie sich im August 1965 mit Kuba in Verbindung gesetzt hat, erhält sie doch so die Möglichkeit, die bolivianische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Anschließend sorgt sie dafür, dass ihr Ehemann ein Stipendium für ein Studium in Bulgarien erhält, damit er ihr nicht im Wege ist, und lässt sich im Oktober 1966 wieder scheiden.
Brasilien
Bei allen Erfolgen leidet Tania zunehmend unter dem Druck, sich ständig verstellen zu müssen. Im September 1965 ersucht sie darum nach fast einem Jahr Isolation um Unterstützung. Am 1. Januar 1966 trifft ein Agent mit dem Decknamen „Mercy“ in La Paz ein. Vorerst überprüft er, ob sie beschattet wird, und nimmt nach einer Woche Kontakt mit ihr auf. Er überbringt ihr Glückwunsche für die bisher geleistete Arbeit sowie die Post von Freunden und der Familie. Mercy soll täglich mehrere Stunden mit Tania üben, die Grundkenntnisse ihrer Agentenausbildung auffrischen, er soll die von Tania aufgebauten Beziehungen untersuchen auf ihren möglichen Nutzen für die revolutionäre Arbeit und ihre Ausreise in ein anderes lateinamerikanisches Land vorbereiten, wo sie ihren gefälschten argentinischen Pass gegen einen mit ihren eigenen Fingerabdrücken eintauschen kann. Tania streitet sich in den folgenden Wochen oft mit Mercy, was einerseits auf ihren Charakter und andererseits auf die Anspannung der vergangenen Monate zurückzuführen ist. Bald stellen sie fest, dass die tägliche gemeinsame Arbeit in La Paz nicht möglich ist, so dass sie nach Brasilien ausweichen. Fast einen ganzen Monat lang üben sie straff von morgens bis abends, unterbrochen nur von kurzen Mittagspausen am Strand. Nachts gibt es „Radio Havanna“ zur Erholung. Tanias Kenntnisse werden aufgefrischt und auf den neuesten Stand gebracht. Das dauert bis Ende März 1966. Dann fliegt sie nach Mexico City, wo sie Mitte April endlich einen neuen Pass mit ihren eigenen Fingerabdrücken erhält. Die Zwischenzeit nutzt sie für Museumsbesuche und um Briefe zu schreiben, die sie nach Kuba mitgibt.
Tschechoslowakei, Prag
Zu ihrem Erstaunen führt Tanias nächste Reise nach Prag. Dort hält sich Che Guevara seit dem Scheitern seines Afrika-Abenteuers auf. Sein Plan ist, die Revolution in einem südamerikanischen Land zu beginnen und von da in die benachbarten Staaten zu tragen. Ursprünglich war dafür nicht Bolivien, sondern Peru vorgesehen, aber unter anderem Tanias gute Arbeit gibt letztlich den Ausschlag für Bolivien. Che bestellt Tania zu sich, um sich genauer über die Verhältnisse in Bolivien zu informieren. Außerdem erhält sie neue Codes und lernt den Funkplan und andere Einzelheiten für ihre Tätigkeit. Nicht erst jetzt in Prag wird über eine Liebelei zwischen Tania und Che gemunkelt. Nach zwei oder drei Wochen fliegt Tania nach La Paz zurück.
Bolivien, La Paz
Nun ist ihre Isolation vorbei. Zwei Geheimdienstleute, die sie kennt, halten sich in La Paz auf, es beginnt die unmittelbare Vorbereitung des Guerilla-Kampfes. Sie mietet Häuser als Lager, empfängt kubanische Kämpfer, organisiert Verpflegung, Kleidung, Dokumente und Waffen, zeigt ihnen die Stadt und die Umgebung – und all das, obwohl ihr dringend nahegelegt worden ist, sich von direkten Kontakten zurückzuhalten, um ihre Sicherheit nicht zu gefährden und um weiterhin ihre Beziehungen zu Regierungs- und Militärkreisen nutzen zu können. Tania kauft im Auftrag der Guerilla einen Jeep für die zahlreichen Transporte. Ab November 1966 ist Che Guevara in Bolivien. Tania wird von da an in seinem Tagebuch als zum inneren Kreis gehörig genannt. Tania hält den Kontakt zu ihm aufrecht und befördert Waffen und Männer mit ihrem Jeep. Um ihre häufigen Aufenthalte in der Nähe des Basislagers zu tarnen, initiiert sie in der Kleinstadt Camiri eine Rundfunksendung „von Frau zu Frau“, die bald recht beliebt ist. Manchmal wundern sich die Zuhörerinnen über ungewöhnliche Ausdrücke und Sätze – dann sind gerade verschlüsselte Nachrichten an die Kämpfer übermittelt worden.
Mitte Dezember löst Tania in Ches Auftrag die Guerilla-Unterkunft in La Paz auf, und am 31. Dezember kommt sie ins Lager, um neue Instruktionen zu erhalten. Ihre Ankunft wird mit lautem Jubel begrüßt, bringt sie doch Briefe und kleine Geschenke für die Kämpfer mit. Ihre neue Aufgabe: Sie soll nach Argentinien reisen und Kontakt zu zwei argentinischen Gefolgsleuten Che Guevaras aufnehmen. Im Januar 1967 führt sie diesen Auftrag aus, und im Februar reist sie erneut nach Argentinien, um Ciro Roberto Bustos, einen engen Vertrauten Ches, ins Lager einzuladen.
Bolivien, Tania la guillera
Über die nächsten Ereignisse ist, wie über vieles in Tanias Leben, viel spekuliert worden: Warum bringt Tania Bustos und den Franzosen Debray selber ins Lager, obwohl Che ihr klar untersagt hat, dorthin zu kommen, weil er seine Top-Agentin nicht auffliegen lassen will? Ist kein anderer da, der die Männer hätte begleiten können? Und warum lässt sie im Jeep ihren Koffer samt Notizbuch mit Adressen und Telefonnummern liegen – Vergesslichkeit, Nervosität oder Absicht?
Fest steht, dass Tania Anfang März mit den beiden Männern ins Basislager der Guerilla reist, den Jeep beim Wellblechhaus der Guerilla parkt (das wenige Tage später von der Armee erobert wird) und alle persönlichen Unterlagen darin liegen lässt, was letztlich zu ihrer Enttarnung führt und dazu, dass sie nicht wieder in die Stadt zurückkehren kann – und dass Che Guevara mehr als sauer ist, als er sie bei der Rückkehr von einer längeren Expedition in Uniform inmitten seiner Truppe vorfindet. Als dann auch noch die Nachricht von ihrer Enttarnung eintrifft, notiert er in seinem Tagebuch, dass damit „zwei Jahre guter und geduldiger Arbeit verloren gehen“. Damit ist eine seiner wenigen Verbindungen zum städtischen Netz zerstört. Che versucht in der Folgezeit vergebens, Tania aus der Gefahrenzone zu bringen.
Bustos und Debray bleiben einen knappen Monat bei Che Guevara. In der Zwischenzeit versagt die Funkausrüstung der Guerilla, es kommt zu Desertionen, durch die die Armee an wertvolle Informationen gelangt, und einige Angeworbene bitten um Entlassung. Am 23. März liefert sich die Guerilla ein erstes siegreiches Gefecht mit der Armee. Am 3. April beginnt der harte, entbehrungsreiche Marsch nach Norden, der der Anfang vom Ende für die Guerilla sein wird. Am 7. April 1967 besetzt die bolivianische Armee das Hauptlager der Guerilla und gelangt in den Besitz weiterer Hinweise. Am 10. April verzeichnen die Rebellen wieder einen Sieg. Debray und Bustos werden auf der Heimreise am 20. April gefangen genommen.
Vierzig bis sechzig Kilometer Marsch pro Tag in unwegsamem Gelände mit schweren Rucksäcken – nicht nur Tania ist den körperlichen Anstrengungen auf Dauer nicht gewachsen. Unter dem Druck der Ereignisse teilt Che Guevara am 18. April seine Truppe. In der Nachhut unter Führung seines Unterkommandanten Joaquín lässt er außer Tania, die Fieber hat und kaum noch laufen kann, weitere Erkrankte und diejenigen, die ihn um Entlassung gebeten haben, insgesamt 17 Mann. Eigentlich sollen beide Gruppen drei Tage später wieder zusammenfinden, aber sie ziehen beinahe vier Monate suchend durch die Wildnis, ohne je wieder Verbindung zu bekommen.
Die Nachhut erlebt schreckliche Zeiten. Anfangs hat sie noch einmal Glück und erbeutet zwei Lastwagen mit Lebensmitteln. Das wird ihr einziger Erfolg bleiben. Von der Versorgung abgeschnitten, gejagt von der Armee, mit Napalm beworfen, verliert die Gruppe vier Männer. Tanias Anwesenheit strapaziert die Nerven der Kämpfer, und manche werfen ihr vor, dass sich Che Guevara ihretwegen von der Nachhut getrennt habe. Sie ist krank, kann mit den anderen nicht Schritt halten und fällt oft mehrere Stunden zurück. Es gibt ewige Diskussionen und Streitereien, die Führungsqualitäten von Joaquín lassen offenbar sehr zu wünschen übrig, auch scheint sich sein Geisteszustand während der folgenden Monate sehr zu verschlechtern.
Im Mai desertiert einer der Männer, im Juni kommen zwei weitere in einem Hinterhalt ums Leben. Im Juli spürt die Armee das Lager der Nachhut auf und zwingt sie zur Flucht, ein weiterer der Männer wird erschossen, und später gibt es erneut zwei Desertionen. Bei ihrem letzten Gefecht vor dem Massaker bei Yado del Yeso wird die Truppe umzingelt und beinahe völlig vernichtet, kann aufgrund einer Warnung unter Feuerschutz entkommen, der Schütze jedoch, der ihnen den Rücken freihält, überlebt nicht. Inzwischen haben sie nichts mehr zu essen, einige laufen barfuß, andere halten ihre Schuhe mit Schnüren und Lappen zusammen, viele haben Durchfall und Koliken.
Ende August erreichen sie den Río Grande und nehmen Kontakt zu einem Bauern auf, den sie für einen Verbündeten halten. Dieser jedoch verrät sie an die Armee, und bei dem Versuch, den Fluss an einer Furt zu überqueren, werden alle am 31. August 1967 erschossen – bis auf zwei Männer, die gefangen genommen werden. Einer von ihnen stirbt an seinen Verwundungen, der andere gibt umfangreichen Bericht von der langen Odyssee der Truppe. So verbreitet er auch, Tania habe an Gebärmutterkrebs gelitten – was sich, wie vieles andere, nicht überprüfen lässt.
Tanias Leiche wird am 7. September 1967 aus dem Río Grande geborgen, bereits stark verwest und nur anhand ihrer Uniform und ihres Rucksacks zu erkennen. Der letzte Überlebende der Nachhut identifiziert sie. Die Frauen des Dorfes Vallegrande halten Totenwache, und von der ganzen Nachhut ist Tania die einzige, die ein richtiges Begräbnis, sogar mit militärischen Ehren, erhält und nicht irgendwo in einem Massengrab verscharrt wird.
In Tanias Rucksack findet man neben Notizbüchern, Einkaufslisten, einem Aluminiumteller und Kleidungsstücken auch Kassetten mit Musik – lateinamerikanische Folklore – und einen angefangenen Brief an ihre Mutter:
„Liebe Mutter, ich habe Angst. Ich weiß nicht, was aus mir und all den anderen werden soll. Wahrscheinlich nichts. Die Furcht steckt tief in mir, und bei jeder Gelegenheit weine ich ...“
Nachspiel
Die Nachricht vom Tod Tamara Bunkes löst an vielen Stellen hektische Betriebsamkeit aus, so in La Paz, wo man die Bekannten von Laura Gutiérrez Bauer überprüfen muss (und damit die halbe Regierung) und in der DDR, wo man mit der Zeit eine kommunistische Heilige aus ihr machen wird.
Im Laufe der Jahre kommt es zu immer mehr Vermutungen und Gerüchten im Zusammenhang mit ihrer Person: So soll sie zum Zeitpunkt ihres Todes von Che Guevara schwanger gewesen sein – doch eine Obduktion der Leiche hat offenbar nie stattgefunden; andere behaupten, sie sei außer für den kubanischen Geheimdienst auch für die DDR-Staatssicherheit und den sowjetischen Geheimdienst KGB tätig gewesen, sie habe Che Guevara verraten usw. Gegen viele dieser Gerüchte ist ihre Mutter, Nadja Bunke, zeitlebens erfolgreich vorgegangen. So erreichte sie per Gerichtsbeschluss, dass Zapatas Buch „Die Frau, die Che Guevara liebte“ nicht mehr aufgelegt werden durfte. Auch beteuern Stasi- und KGB-Verantwortliche, Tamara Bunke habe nicht für sie spioniert. Wie gesagt: Die Wahrheit wird sich nicht mehr ermitteln lassen. Es gibt Widersprüche und Handlungen in Tamara Bunkes Leben, die zumindest Anlass zum Nachdenken geben.
Am 21. September 1998 wird in der Presse folgendes vermeldet: Erstmals wurden im kubanischen Fernsehen Informationen bestätigt, dass ein nach Bolivien entsandtes Expertenteam in dem Ort Vallegrande auf die Überreste von Haydée Tamara Bunke Bider gestoßen ist. Im Dezember 1998 wird Tamara Bunke im kubanischen Santa Clara in einem Memorial für Guevara und seine Guerilla beigesetzt.
(Text von 2006)
Verfasserin: Almut Nitzsche
Literatur & Quellen
Quellen
Bader, Alexandra: Der Mythos Ché. Zuletzt geprüft am 12.06.2008.
Berlekamp, Hinnerk (24. Dezember 1998): Abenteurerin lässt sie nicht gelten. In: Berliner Zeitung, 24. Dezember 1998.
Castañeda, Jorge G. (1998): Che Guevara. Biographie. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch, 2911).
Guevara, Ernesto Che (1987): Bolivianisches Tagebuch. Berlin: Verl. Volk u. Welt (Volk-und-Welt-Report).
Jacobs, Peter (16. Januar 1998): Revolutionäre Küsse. In: Berliner Zeitung, 16. Januar 1998.
Kuba (20. Oktober 1997): „Hier sind wir glücklich“. In: Der Spiegel, Ausgabe 43/1997, 20. Oktober 1997.
Panitz, Eberhard (1995): Tamara Bunke. Mit Che Guevara in Bolivien. Schekuditz: GNN-Verl.
Rojas, Marta; Rodríguez Calderón, Mirta (1975): Tania, la guerrillera. Berlin: Militärverlag der DDR.
Rojas, Marta; Rodríguez Calderón, Mirta (1998): Tania, la guerrillera. Berlin: Dietz.
Schnibben, Cord (1999): Tamara Bunke. In: Adelberger, Michaela (Hg.): Rebellinnen. Leben als Aufstand. München: Goldmann.
Schumann, Gerd (14. Dezember 2004): „Die Zeit für diesen Film wird noch kommen …“. Ein Gespräch mit Heidi Specogna. In: Junge Welt, 14. Dezember 2004.
Schumann, Gerd (22. März 2003): 13 Monate mit Tania. Gespräch mit Ulises Estrada Lescaille über seine Geliebte Tamara Bunke, über Nadja Bunke, Ernesto Che Guevara und die strengen Regeln der Konspiration. In: Junge Welt, 22. März 2003.
Wiesner, Christoph (7. März 1998): Mein Kampf um die Wahrheit. Ein Interview mit Nadja Bunke, Mutter von Tamara, der Tania la Guerrillera. In: Junge Welt, 7. März 1998.
Zapata, José A. Friedl (1997): Tania. Die Frau, die Che Guevara liebte. Berlin: Aufbau-Verl.
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.