Fembio Specials Europäische Jüdinnen Selma Merbaum
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Selma Merbaum
(Selma Meerbaum-Eisinger [unkorrekter Name, unter dem Selma Merbaum bekannt wurde])
geboren am 5. Februar 1924 in Czernowitz, Bukowina
gestorben am 16. Dezember 1942 im KZ Michailowka, Ukraine
deutschsprachige Dichterin, Opfer der Nationalsozialisten
100. Geburtstag am 5. Februar 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Häufig wird Selma Merbaum (sie trug nie den Doppelnamen ›Meerbaum-Eisinger‹) als zweite Anne Frank bezeichnet, teilte sie doch mit ihr das leidenschaftliche Schreiben sowie den grausamen Erfahrungsweg des Holocausts, an dessen Ende der Tod im Zwangsarbeitslager stand. Während die eine jedoch mit 15 Jahren starb, fing die andere in diesem Alter gerade an zu dichten. Zeitgleich mit ihrem Auszug aus dem Elternhaus. Nach Zerwürfnissen mit ihrer Mutter zog Selma 1939 zu ihrer Großmutter Henie Schrager. Früh schon lebte das junge Mädchen selbstbestimmt ihre Unabhängigkeit.
Selma stammte aus kleinen Verhältnissen; nach dem frühen Tod von Selmas Vater noch im Jahr ihrer Geburt heiratete ihre Mutter drei Jahre später Leo Eisinger. Ihren Kurzwarenladen, den sie mit ihrem Schwager betrieben hatte, führte sie bis zur Deportation 1942 weiter.
Czernowitz war die lebendige Metropole des Vielvölkerlandes Bukowina; in der Schule wurde Rumänisch gesprochen, während Selma zu Hause, mit FreundInnen und in der zionistischen Jugendbewegung »Haschomer-Hazair« primär Deutsch sprach. Außerdem las sie mit Begeisterung Heine, Rilke, Verlaine, Tagore und Klabunds Nachdichtungen chinesischer Gedichte. Nach dem sogenannten Russenjahr in der jiddischen Schule besann sich Selma auf ihre Wurzeln und wandte sich dem Jiddischen zu. Diese Einflüsse sind in ihren eigenen Texten wie auch in ihren Nachdichtungen französischer, rumänischer und jiddischer Lyrik unverkennbar.
Und dennoch weisen die Tiefe und Empfindsamkeit ihrer Poesie weit hinaus über die Dokumentation des Schicksals einer jungen Jüdin unter dem Nazi-Terror. Aus ihrem einzig erhaltenen Band mit 58 Gedichten, Blütenlese, den sie dem Freund Leiser Fichman aus der zionistischen Jugendgruppe widmete, spricht Selmas burschikose Lebendigkeit und spontane Lebenslust, ihr sanftes Träumen und Leiden mit großer Authentizität und poetischer Kraft. Ihre Gedichte atmen jedes Naturerlebnis und verliebte erotische Sehnen, jedes Einsamkeitsempfinden und resignierte oder aufbegehrende Gefühl in einer Klarheit und zarten Intensität, der man sich nicht entziehen kann. Für den flüchtigen Augenblick des Erlebens und Schreibens ist sie der Frühling und die Nacht, der Regen und Wind, das welke Blatt und der Fliederduft selbst, sich in ihren Schlafliedern wiegend.
Selma überlebte zwar das Czernowitzer Ghetto, aber nicht den Holocaust. Im KZ Michailowka stirbt sie mit 18 Jahren an Flecktyphus – nur ihre Gedichte singen noch ihr Lied.
(Text von 1993, 2015 aktualisiert und korrigiert von Marion Tauschwitz)
Literaturhinweis:
Tauschwitz, Marion. 2014. Selma Merbaum. Ich habe keine Zeit gehabt zuende zu schreiben. Biografie und Gedichte. Mit einem Vorwort von Iris Berben. Springe. Klampen.
ISBN 978-3-86674-404-2.
Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Rezension auf literaturkritik.de
Verfasserin: Imke Lode
Zitate
Es ist eine Lyrik, die man weinend vor Aufregung liest: so rein, so schön, so hell und so bedroht.
(Hilde Domin)
Links
Windekind. Ein musikalisches Märchen von Herman van Veen. Eine Ode an Selma Meerbaum-Eisinger.
Online verfügbar unter http://www.windekind.de, zuletzt geprüft am 12.12.2017.
Fichman, Pearl: Selma and Her Friends. (Chapter 23 of Pearl Fichman’s memoirs, Before Memories Fade). In: Cincinnati Occasional Papers in German-American Studies No. 9.
Online verfügbar unter http://www.libraries.uc.edu/libraries/arb/ger_americana/OccPapers/fichmanselma.html, zuletzt geprüft am 12.12.2017.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Meerbaum-Eisinger, Selma, 1924-1942. Bücher und Medien.
Online verfügbar unter http://dispatch.opac.d-nb.de/DB=4.1/REL?PPN=118579894, zuletzt geprüft am 12.12.2017.
Klein, David: Selma – In Sehnsucht eingehüllt. Schulprojekt. Enthält u.a. Selma Meerbaum-Eisingers Gedichtband mit ihrer Handschrift, Jürgen Serkes Texte »Ein Buch kommt in Deutschland an« und »Geschichte einer Entdeckung« (Biografie).
Online verfügbar unter http://www.selma.tv/index.php?path=home, zuletzt geprüft am 12.12.2017.
Literatur & Quellen
Quellen
Dick, Jutta (Hg.) (1993): Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Lexikon zu Leben und Werk. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt. (rororo, 6344 : rororo-Handbuch) ISBN 3-499-16344-6. (Amazon-Suche | author=dick&title=juedische+frauen | http://www.worldcat.org/oclc/29907373)
Meerbaum-Eisinger, Selma (1979): Blütenlese. Gedichte. Herausgegeben von Adolf Rauchwerger. Tel Aviv. Universität. (Pirsûmê ham-MāØkôn le-ÖHēqer hat-TefûÖsôt, Buch 29)
Meerbaum-Eisinger, Selma (2001): Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Gedichte eines jüdischen Mädchens an seinen Freund. Herausgegeben und eingeleitet von Jürgen Serke. Frankfurt am Main. Fischer-Taschenbuch-Verlag. (Fischer, 5394) ISBN 3-596-25394-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Seydel, Heinz (1968): Welch Wort in die Kälte gerufen. Die Judenverfolgung des Dritten Reiches im deutschen Gedicht. Berlin. Verlag der Nation. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wall, Renate (1989): Verbrannt, verboten, vergessen. Kleines Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1933 bis 1945. Köln. Pahl-Rugenstein. (Kleine Bibliothek, 510 : Frauen) ISBN 3-7609-1310-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Tonträger
Meerbaum-Eisinger, Selma (Hg.) (2007): Selma. In Sehnsucht eingehüllt. Audio-CD. World Quintet. Köln. Random House Audio. ISBN 3-86604-650-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Meerbaum-Eisinger, Selma (2005): Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Gedichte. Auswahl. Lesung. Audio-CD. Mit Iris Berben. Herausgegeben von Jürgen Serke. Hamburg. Hoffmann und Campe. ISBN 3-455-30429-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Meerbaum-Eisinger, Selma (2008): Du, weißt du … Herman van Veen liest Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger. Audio-CD. Regie: Edith Leerkes. Bergisch Gladbach. Lübbe. (Lübbe audio - Bücher zum Hören) ISBN 978-3-7857-3758-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Vertonte Gedichte
Denhoff, Michael (2001): Wie eine Linie dunkelblauen Schweigens. Sieben Gesänge nach Gedichten von Selma Meerbaum-Eisinger für Mezzosopran (Alt) und Konzertakkordeon; op. 80 (1997). Bad Schwalbach. Ed. Gravis.
Dinescu, Violeta (1993): Der Kelch. Lieder für Singstimme und Cembalo nach Gedichten von Selma Meerbaum-Eisinger. Beigefügt: Herbst und Kristall Baden-Baden. Selbstverlag der Komponistin.
Franke, Bernd (2000): Zerbrochene Nähe. Szene für Bariton und Orchester nach Texten von Giorgio Caproni, Selma Meerbaum-Eisinger und dem Hohelied Salomos. Partitur in Handschrift des Komponisten Leipzig. Franke.
Kukuck, Felicitas (1998): Sieben Lieder zu Gedichten von Selma Meerbaum-Eisinger. Partitur Kassel. Furore.
Medek, Tilo (c 1981): Schlaflieder. Drei Lieder für mittlere Singstimme und Orgel nach Texten von Selma Meerbaum-Eisinger. Unkel am Rhein. Medek.
Medek, Tilo (c 1982): Schlaflieder. Drei Lieder für hohe Singstimme und Orgel nach Texten von Selma Meerbaum-Eisinger. Unkel am Rhein. Medek.
Thoma, Xaver Paul (c 2000): Ich bin in Sehnsucht eingehüllt. Sieben Lieder; (1984 - 86); op. 37A; für Sopran und Klavier. Bühl/Baden. Antes-Edition.
Weiterführende Literatur
Lăzărescu, Mariana-Virginia (2009): »Schau, das Leben ist so bunt«. Selma Meerbaum-Eisinger, Karin Gündisch und Carmen Elisabeth Puchianu. Drei repräsentative deutsch schreibende Autorinnen aus Rumänien. Berlin. wvb Wissenschaftlicher Verlag. ISBN 978-3-86573-445-7. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Niethammer, Ortrun (2004): Innere Differenzierung. Selma Meerbaum-Eisinger. Rezeption ihrer Gedichte nach 1980. . In: Hansen-Schaberg, Inge (Hg.): Als Kind verfolgt. Anne Frank und die anderen. Berlin. Weidler. ISBN 3-89693-244-6. S. 181–194 (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Shchyhlevska, Natalia (2004): Deutschsprachige Autoren aus der Bukowina. Die kulturelle Herkunft als bleibendes Motiv in der Identitätssuche deutschsprachiger Autoren aus der Bukowina ; untersucht anhand der Lyrik von Paul Celan, Rose Ausländer, Alfred Kittner, Alfred Gong, Moses Rosenkranz, Immanuel Weißglas, Alfred Margul-Sperber, Selma Meerbaum-Eisinger, Klara Blum, Else Keren. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien. Lang. 2009. (Studien zur deutschen und europäischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, 55) ISBN 978-3-631-58654-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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