Fembio Specials Europäische Jüdinnen Sarah Kofman
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Sarah Kofman
geboren am 14. September 1934 in Paris
gestorben am 15. Oktober 1994 in Paris
französische Philosophin
90. Geburtstag am 14. September 2024
30. Todestag am 15. Oktober 2024
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Die 1934 in Paris geborene Philosophin Sarah Kofman verlebte zunächst glückliche Kinderjahre in ihrer jüdischen Familie, wo die religiösen Vorschriften (koscheres Essen, Einhaltung der Feiertage etc.) streng beachtet wurden. Sie liebte es, wenn ihr Vater, der Rabbi Bereck Kofman, in der Synagoge den Schofar blies.
Als Sarah acht Jahre alt war, wurde plötzlich alles anders: Der Vater wurde von Nazi-Schergen abgeholt, nach Auschwitz gebracht und dort ermordet. Um diesem Schicksal zu entgehen, wurden Sarah und ihre fünf Geschwister auf einem Bauernhof in der Normandie versteckt. Das Kind ertrug die Trennung von der Mutter nicht, verweigerte jede Nahrung, schrie und weinte stundenlang, bis die Mutter es nach Paris zurückholte. Dort wurde Sarah von einer früheren Nachbarin aufgenommen, die sie pflegte und förderte. Sie gab Sarah den Namen „Suzanne“, brachte sie dazu, Schweinefleisch zu essen, und behandelte sie liebevoll und zärtlich. Bald hing das Mädchen mit großer Liebe und Bewunderung an der blonden Frau mit den sanften blauen Augen. Sie verlor ihre jüdische Identität und entfremdete sich immer mehr von der Mutter, die mit heftiger Eifersucht reagierte und die Tochter schließlich wieder zu sich nahm. Sarah litt entsetzlich unter dem Hin- und Hergerissensein zwischen den beiden Frauen, versuchte nach dem Krieg immer wieder, den verbotenen Kontakt mit der von ihr „Mémé“ (Omi) genannten Frau aufzunehmen und entwickelte einen Hass auf die Mutter.
Sarah war ein sehr begabtes, wissbegieriges Kind. Sie studierte nach Abschluss der Schule Philosophie an der Pariser Sorbonne, wurde dort Assistentin des französischen Philosophen Derrida, bis sie schließlich einen eigenen Lehrstuhl für Philosophie erhielt. In über 20 Büchern setzte sie sich mit Freud, Nietzsche, Comte, E.T.A. Hoffman, Nerval, Derrida, Rousseau auseinander. In den 70er Jahren wandte sie sich feministischen Fragestellungen zu, untersuchte u.a. „Das Rätsel Frau in den Texten von Freud“ (L’énigme de la femme). Doch all ihre hochtheoretischen, philosophischen Arbeiten waren, nach ihrer eigenen Aussage, Umwege, da ihre geplante Autobiographie ihr wichtigstes literarisches Anliegen war. „Ich schiebe die Entscheidung (für die Autobiographie) vor mir her, als ob ich damit mein Todesdatum verschieben würde. … Ich habe den Eindruck, wenn es gesagt ist, werde ich nichts anderes mehr schreiben können.“
Jahrelang hatte Kofman sich mit der Frage gequält, ob man nach Auschwitz noch schreiben könne. Sie hatte – wie Adorno – diese Frage eigentlich verneint, kam aber nicht davon los. In ihrem ersten Versuch, Paroles suffoquées (Erstickte Worte, 1987 erschienen), ging es um das Erinnern an den Tod des Vaters, dem sie das Buch widmete. Sechs Jahre später schrieb sie das – Fragment gebliebene – Werk Rue Ordener, Rue Labat in der Hoffnung, dass es ihr helfen würde, das Kindheitstrauma zu bewältigen. Es half nicht – Sarah Kofman nahm sich 1994, kurz nach Erscheinen des Buches, das Leben.
(Text von 2008)
Verfasserin: Ursula Schweers
Literatur & Quellen
Kofman, Sarah. 1983. L’énigme de la femme: La femme dans les textes de Freud. Paris. E. Galilée.
Kofman, Sarah. 1988 (1987). Erstickte Worte. Aus d. Frz. von Birgit Wagner. Wien. Edition Passagen.
Kofman, Sarah. 1990. (1986). Die lachenden Dritten: Freud und der Witz. Aus d. Frz. von Monika Buchgeister und Hans-Walter Schmidt. München.Verlag Internationale Psychoanalyse.
Kofman, Sarah. 1995 (1994). Rue Ordener, Rue Labat. Aus d. Frz. von Ursula Beitz. edition diskord. Tübingen.
Meyer, Ursula I. und Heidemarie Bennent-Vahle. 1994. Philosophinnen-Lexikon. Aachen. Ein-FACH-Verlag.
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