Fembio Specials Europäische Jüdinnen Sara Benedicts
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Sara Benedicts
(Ehename: Sara Bosmans-Benedicts )
geboren am 23 Oktober 1861 in Amsterdam, Niederlande
gestorben am 12. November 1949 in Amsterdam, Niederlande
niederländische Pianistin und Musiklehrerin
75. Todestag am 12. November 2024
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Sie gehörte um 1900 zu den berühmtesten Persönlichkeiten des niederländischen Musiklebens: die Pianistin Sara Benedicts. Inzwischen steht sie eher im Schatten ihrer heute bekannteren Tochter, der Komponistin und Pianistin Henriette Bosmans.
Als ältestes von fünf Kindern wurde Sara Benedicts 1861 in einer jüdischen Amsterdamer Familie geboren. Ihre Mutter, Hanna de Goede, war Modistin, ihr Vater, Benedictus Benedicts, Musikdozent für Geige und Piano, einige Jahre spielte er im Parkorkest. Er war auch ihr erster Musiklehrer, bei dem sie schnell Fortschritte machte. Sie bekam früh ihr eigenes Klavier, da ihr Vater seines für seinen Unterricht brauchte.
Es war damals üblich, dass talentierte KünstlerInnen ihren Unterricht im Ausland fortsetzten, was sich Benedicts' Eltern jedoch finanziell nicht leisten konnten. Daher wandten sie sich an König Willem III. Dieser hatte 1871 ein Stipendium eingeführt, mit dem junge talentvolle MusikerInnen und MalerInnen ein Studium im Ausland aufnehmen konnten. Diese Auserwählten wurden „pensionnaires“ genannt. Voraussetzung für das Stipendium waren ein guter Leumund, eine ordentliche Ausbildung, gute Kenntnisse der Musikgeschichte sowie des Niederländischen, Französischen und Hochdeutschen. Die BewerberInnen mussten anschließend vor einer Jury aus bekannten Musikern in dem Palast Het Loo vorspielen.
Sara Benedicts gehörte 1877 zu den Auserwählten. Der König hätte gerne gesehen, dass sie in Rom bei Liszt Unterricht nähme. Da ihre Eltern Rom angesichts ihres jungen Alters für zu weit entfernt hielten, wurde beschlossen, sie nach Köln zum Studium zu schicken. Ihr Vater brachte sie dorthin, und zusammen besuchten sie eine Aufführung von Wagners Tannhäuser, die Sara begeisterte. Für sie war diese Oper „eine Offenbarung“.
Köln erschien ihr als Paradies, überall spürte sie Interesse und Sympathie für ihre Arbeit. Am Konservatorium studierte sie u.a. Piano bei Jacob (James) Kwast, der selber früher „pensionnair“ gewesen war. Einmal pro Woche erhielt sie Unterricht vom Direktor, Ferdinand von Hiller. Sie spielte ihm vor, man spielte vierhändig, oder er las ihr Essays über Musik vor. Auch durfte sie ihm manchmal eine eigene Komposition vorlegen. 1880 erhielt sie ihr Diplom. Aus den anschließend von Freunden geplanten Konzerten in Berlin wurde jedoch nichts, da ihre Eltern auf ihrer Rückkehr nach Amsterdam bestanden.
Benedicts debütierte mit 19 Jahren erfolgreich mit dem 2. Klavierkonzert von Saint-Saëns in Felix Meritis, dessen Konzertsaal zu dieser Zeit der wichtigste in Amsterdam war. Schon bald galt sie als eine der besten KlaviervirtuosInnen der Niederlande. Auch wenn von ihr erwartet wurde, dass sie ihre Karriere im Ausland fortsetzte, kehrte sie doch nach einem England-Aufenthalt von nur sechs Wochen, bei dem sie gebeten wurde, sich in Liverpool niederzulassen, wieder zurück.
Bei einem Konzert in Leeuwaarden lernte Sara Benedicts 1881 den Cellisten Henri Bosmans kennen, mit dem sie danach gemeinsam mit Solostücken auftrat. Ihre gemeinsame Liebe galt vor allem den Werken von Bach.
Die beiden heirateten 1886 standesamtlich; anders als sie war ihr Mann römisch-katholisch. Ihre beiden ersten Töchter, geboren 1886 und 1887, starben noch im Säuglingsalter.
In den folgenden Jahren trat Benedicts hauptsächlich in Kammermusikensembles auf, aber kaum noch als Konzertpianistin. Das Ehepaar setzte aber seine musikalische Zusammenarbeit fort. So traten sie im Mai 1890 im Großen Saal des Concertgebouws auf, wo sie u.a. die Cellosonate von Grieg auswendig spielten, was als große Besonderheit galt. Andere MusikerInnen, mit denen das Ehepaar im ganzen Land zusammenarbeitete, waren u. a. der deutsch-niederländische Pianist, Komponist und Dirigent Julius Röntgen, die Sopranistin Isabella Oppenheim sowie der Geiger Willem Kees.
1895 wurde Henri Bosmans der Leiter der gerade gegründeten Orchesterklasse des Amsterdamer Konservatoriums, während Sara Benedicts dort als Klavierlehrerin angenommen wurde. Im gleichen Jahr wurde ihre Tochter Henriëtte Hilda Bosmans geboren, die später als Pianistin und Komponistin bekannt werden sollte. Als diese erst acht Monate alt war, starb ihr Vater an Tuberkulose.
Nach dem Tod ihres Mannes trat Benedicts noch zweimal öffentlich auf und beendete dann ihre Karriere als Konzertpianistin. Nur noch sporadisch arbeitete sie an Kammermusikaufführungen mit, vor allem mit Kollegen vom Amsterdamer Konservatorium wie z. B. den Violinisten Carl Flesch und Bram Eldering sowie dem Cellisten Isaäc Mossel.
Hauptsächlich aber sorgt sie für ihre Tochter, deren Ausbildung und Karriere sie sorgfältig überwacht, und unterrichtet im Wesentlichen am Konservatorium. 1898 sorgen Benedicts und die Gesanglehrerin Cornélie van Zanten dafür, dass ihre besten SchülerInnen an einer Aufführung bei der Nationale Tentoonstelling van Vrouwenarbeid (Nationale Ausstellung von Frauenarbeit) in Den Haag teilnehmen können. Diese spielte eine wichtige Rolle in der damaligen Frauenbewegung. Zum ersten Mal arbeiteten verschiedene Frauenorganisationen zusammen, die sich für Bezahlung von Frauenarbeit einsetzten, schlechte Ausbildungsmöglichkeiten und die Rechtsunfähigkeit von verheirateten Frauen bekämpften und den Kontakt zwischen den existierenden Frauenorganisationen verbessern wollten. Die Ausstellung zählte ca. 90.000 BesucherInnen und wurde ein großer Erfolg. Sie wurde mit einer Kantate für großen Frauenchor und Soli mit Orchester und Orgel eröffnet, komponiert und dirigiert von Cornélie van Oosterzee, begleitet vom Orchestgebouworkest. Auch Benedicts trat in diesem Rahmen auf, so begleitete sie bei der letzten Matinee der Ausstellung vor einem vollen Saal auf einem Pleyel-Spinett Barockmusik für Viola d’amore.
In den kommenden vier Jahrzehnten konzentrierte sie sich auf den Klavierunterricht am Amsterdamer Konservatorium und der Musikschule Toonkunst. Zu ihren bekanntesten SchülerInnen gehörten Jaap Spaanderman und ihre Tochter Henriëtte Bosmans. Auch als Klavierpädagogin war sie bekannt. Erst mit 73 Jahren verließ sie das Konservatorium.
Die Karriere ihrer Tochter verfolgte sie genauestens; wann immer es ihr möglich war, ging sie zu deren Konzerten. Die beiden hatten eine enge, wenn auch sehr konfliktreiche und komplizierte Beziehung, die Mutter blieb dominant und besitzergreifend. Eine Zeitlang verschaffte die Cellistin Frieda Belinfante, die Geliebte Bosmans, ihr etwas Freiraum, indem sie der Mutter als Blitzableiter für ihre Stimmungen diente. Sie konnte Benedicts nicht ernst nehmen, was aber von dieser akzeptiert wurde.
Während der deutschen Besatzung der Niederlande ab 1940 meldete sie sich als „Volljüdin“ an, vermerkte allerdings bei Religion: keine. Sie traute sich kaum noch auf die Straße und Bosmans drängte sie auch immer wieder, zu Hause zu bleiben. Ihre jüngere Schwester Esther van Raalte-Benedicts wurde verhaftet und kam im September 1942 in Auschwitz um. Bei Sara Benedicts wuchs die Angst: Am 1. April 1944 wurde auch sie verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork gebracht, von dem aus 100.000 Juden, Jüdinnen und Roma, so u. a. Anne Frank, Etty Hillesum und Edith Stein ins Konzentrationslager deportiert wurden. Dieses Schicksal blieb Benedicts erspart. Ihre Tochter setzte sich unermüdlich für sie ein, und es gelang ihr, ihre Mutter freizubekommen, möglicherweise mit Unterstützung des Dirigenten Willem Mengelberg. Am 5. April wurde Benedicts zusammen mit neun anderen NiederländerInnen aus “gemischten Ehen” freigelassen.
Sara Benedicts ist mit ihrem Ehemann Henri Bosmans und ihrer Tochter Henriëtte Bosmans in einem gemeinsamen Grab auf dem Amsterdamer Friedhof Zorgvlied begraben (Quelle: hier).
Verfasserin: Doris Hermanns
Literatur & Quellen
Boumans, Toni: Een schitterend vergeten leven. De eeuw van Frieda Belinfante. Amsterdam, Balans, 2015
Metzelaar, Helen: Zonder muziek is het leven onnodig. Henriëtte Bosmans (1895-1952), een biografie. Zutphen, Walburg, 2002
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