Fembio Specials Frauen aus Hannover Ruth Gorny, geb. Lessing
Fembio Special: Frauen aus Hannover
Ruth Gorny, geb. Lessing

Albert Renger-Patzsch
geboren am 8. Februar 1913 in Hannover
gestorben am 21. August 1992 in Oldenburg
einziges Kind von Ada und Theodor Lessing, Halbjüdin, Assistentin ihres Ehemanns im Fotoatelier, Leiterin einer Erwachsenenbildungsstätte
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Ihren zukünftigen Ehemann Hein Gorny, mit dem sie zweimal verheiratet war, lernte die damals Zwölfjährige 1925 kennen. Er hatte 1922 eine Tischlerlehre abgebrochen, war nach Hannover gezogen und hatte sich mit großem Erfolg der Fotografie gewidmet. Als Produktfotograf arbeitete er für verschiedene hannoversche Firmen, darunter Pelikan und Bahlsen. Für ihn war wichtig, dass er schnell in Kontakt zu intellektuellen Kreisen kam. So lernte er Albert Renger-Patzsch kennen, der 1927 in der hannoverschen Kestner Gesellschaft eine Ausstellung vorbereitete. Eine Freundschaft verband ihn mit Otto Umbehr, genannt UMBO, ausgebildet beim Bauhaus in Weimar und freier Zeitungsfotograf in Berlin. Gorny eröffnete in Hannover ein eigenes Fotoatelier und entwickelte sich zu einem bekannten Vertreter der Neuen Sachlichkeit.
Im Gästebuch von Kate Steinitz, die 1913 nach Hannover gekommen war und in ihrer Wohnung in der Georgstraße 34 einen Salon eröffnet hatte, wo sich eine bunte, intellektuelle Gesellschaft traf, finden sich Erinnerungen an das Ehepaar Gorny. Beide wurden vom 1. bis 10. März 1934 gastfreundlich beherbergt und kamen kurz darauf ein zweites Mal für ein paar Tage.
Ruths Eltern Ada und Theodor Lessing hatten 1925 ein schönes Haus mit großem Garten in Anderten bezogen, damals noch eine selbständige Stadt. Hier porträtierte Hein Gorny Prof. Lessing (1872-1933), Privatdozent an der Technischen Hochschule Hannover und traf Ruth, das einzige Kind ihrer Eltern. Sie kam am 8. Februar 1913 zur Welt, ein „Geburtstagsgeschenk“ für ihren 41-jährigen Vater. Ruth, wenngleich erst 12 Jahre alt, hat die Begegnung nicht so bald vergessen, ein Foto von 1927 zeigt sie und Hein eng aneinander geschmiegt.
Ihr Abitur legte Ruth 1931 als Externe an einem Hildesheimer Gymnasium ab, gegen sie gab es Vorbehalte an hannoverschen Schulen. Im selben Jahr zogen Ruth und Hein gemeinsam nach Berlin in die Lindenallee 4, Hein übernahm das Atelier der ausgewanderten jüdischen Fotografin Lotte Jacobi am Kurfürstendamm 35. Ein Jahr später heirateten sie, Ruth war noch nicht volljährig.
Theodor Lessing war als Jude und Sozialist im Deutschland der NS-Zeit doppelt gefährdet. Schon im 19. Jahrhundert waren jüdische Dozenten in akademischen Kreisen wenig gelitten. „Die Juden sind unser Unglück“ las man 1879 in einem Artikel des Historikers, Staatswissenschaftlers und Publizisten Professor Heinrich von Treitschke. Das NS-Blatt „Der Stürmer“ druckte den Satz später allwöchentlich auf dem Titelblatt. In Hannover wurde Lessing wegen seiner kritischen Äußerungen zum Prozess gegen den Serienmörder Fritz Haarmann und der Warnung vor der Ernennung Hindenburgs zum Reichspräsidenten bei Vorlesungen ausgebuht und tätlich angegriffen. Zum Sommersemester 1926 stellte er seine Lehre ein, andernfalls wäre ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Andauernde Pöbeleien und Übergriffe ließen ihn am 1. März 1933 nach Marienbad in der Tschechoslowakei fliehen. Er starb am 31. August, von gedungenen Mördern in seinem Arbeitszimmer erschossen.
Ruth hatte ihren Vater auf seiner Reise begleitet, anschließend fuhr sie nach Berlin zu ihrem Ehemann. Ihre Mutter Ada, die Hannover erst am 2. April 1933 verlassen hatte, besuchte Ruth noch mehrere Male in Marienbad. Im März 1938 nach dem Überfall deutscher Truppen auf die Tschechoslowakei entkam Ada Lessing nach England.
Ab 1933 war Ruth als Halbjüdin in Deutschland gefährdet. Der Versuch, 1934 nach Paris zu emigrieren misslang, da Hein Gorny die Arbeitserlaubnis verweigert wurde. Am 14. Juni 1935 wurde Sohn Peter in Berlin geboren. Als Professor für Informatik an der Universität Oldenburg forschte er bis zu seinem Ruhestand 2000 in dem von ihm aufgebauten Fachbereich. Er starb am 1. Juli 2019.
Die Familie Gorny lebte nach dem gescheiterten Emigrationsversuch weiterhin in Unsicherheit. Als Hein 1938 von der Reichspressekammer aufgefordert wurde, sich von Ruth scheiden zu lassen, widersetzte er sich. Stattdessen reiste er in die USA um die Emigration dorthin vorzubereiten. Wieder ein erfolgloser Plan, Ruth bekam keine Aufenthaltserlaubnis. Daraufhin kehrte Hein 1939 nach Deutschland zurück und arbeitete erneut in seinem alten Atelier in Berlin. Tochter Katrin Barbara kam zur Welt, sie emigrierte später in die USA.
Ruth genoss durch die bestehende Ehe einen gewissen Schutz. Aber Hein hatte man aufgrund der Verbindung für wehrunwürdig erklärt, er sollte statt zum Wehr- zum Arbeitsdienst eingezogen werden. Ein Freund, der für den der NS-Ideologie nahestehenden Bruckmann-Verlag arbeitete, vermittelte ihm 1942 einen kriegswichtigen Fotoauftrag für ein Buch über Gebirgsjäger. Aufgrund dieser Tätigkeit wurde Gorny vom Arbeitsdienst freigestellt. Bereits 1938 und immer während Heins Reisen führte Ruth Laborarbeiten aus und verwaltete das Archiv. 1943 trafen Bomben das Haus Kurfürstendamm 35, das Fotoatelier blieb erhalten, aber Löschwasser vernichtete Teile des Negativarchivs. Die Wohnung der Familie Gorny wurde 1944 zerstört, es folgte ein Umzug nach Caputh, hier waren sie sicherer vor feindlichen Bomben.
Im Januar 1945 ließ sich das Ehepaar scheiden, Hein schloss eine neue, kurze Ehe mit seiner Fotolaborantin, die Scheidung folgte schnell. Sowjetische Truppen verhafteten ihn am 25. April 1945 als Zivilgefangenen. Mitte Mai kam er frei. Er und Ruth ließen sich mit den Kindern wieder in Berlin nieder und heirateten erneut. 1947 kam es zur endgültigen Trennung. Ruth zog mit den Kindern zu ihrer Mutter.
Ada Lessing, die 1946 nach Deutschland zurückgekehrt war, betreute im Auftrag des Niedersächsischen Kultusministerium die Durchführung des von der britischen Besatzungsmacht eingerichteten Programms zur „Teacher Reeducation“ im Lehrerfortbildungsheim Schloss Schwöbber bei Hameln. Hier lebte sie bis zu ihrem Tod 1953. Ruth Gorny war seit 1947 ihre Mitarbeiterin und übernahm 1953 bis zu ihrem Rentenbeginn 1968 die Leitung. In Vertretung eines Nachfolgers, den es nie gab, blieb sie zwei Jahre länger. Das Heim wurde 1970 geschlossen.
Ihr Sohn Peter und seine zweite Frau Ulrike Daldrup nahmen Ruth 1991 bei sich in Oldenburg auf. Sie war pflegebedürftig geworden und konnte nicht mehr allein in Hannover Kirchrode wohnen. Sie starb am 21. August 1992.
Anm. der Verfasserin: Biographische Informationen zu Ruth Gorny und Ada Lessing verdanke ich Herrn Prof Dr. Peter Gorny. Ich konnte mich schriftlich und schließlich auch bei einer persönlichen Begegnung mit ihm austauschen.
Leider ist es nicht gelungen herauszufinden, in welchem Gymnasium in Hildesheim Ruth das Abitur abgelegt hat. Im Stadtarchiv gibt es keine Nachweise, auch weil Materialien durch Kriegseinwirkung vernichtet wurden.
(Text von 2025)
Links
https://www.collectionregard.de/archiv-hein-gorny/ (abgerufen am 5.1.2025)
http://de.wikipedia.org/wiki/Hein_Gorny (abgerufen am 23.12.2024)
Literatur & Quellen
Fleischer, Barbara. Frauen an der Leine, ein Spaziergang auf den Spuren berühmter Hannoveranerinnen. 5. überarb. und erweiterte Aufl. Berlin, lehmanns media 2022. ISBN 978-3-86541-788-6.
Hein Gorny in der Spectrum Photogalerie Hannover 1972, Ausstellung vom 15.Oktober - 7. April - 14. Mai 1972 in der Spectrum Fotogalerie Hannover, Karmarschstr. 44, Ausstellungskatalog. 5. Oktober – 14. Dezember 2012 Berlin Collection Regard, Marc Barbey. ISBN 978-3-00-039556-7
Wissen ist Macht, Bildung ist Schönheit. Ada & Theodor Lessing und die Volkshochschule Hannover. Katalog zur Ausstellung des Stadtarchivs zum 75 jährigen Bestehen der VHS. 26.Januar – 4. März 1995 in der VHS Hannover. Hannover 1995.
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