Fembio Specials Gruppenbild: Frauen mit Brecht Ruth Berlau
Fembio Special: Gruppenbild: Frauen mit Brecht
Ruth Berlau
geboren am 24. August 1906 in Kopenhagen
gestorben am 16. Januar 1974 in Berlin
dänische Regisseurin, Schauspielerin, Schriftstellerin und Fotografin
50. Todestag am 16. Januar 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Ruth Berlau war Journalistin, Schauspielerin am Königlichen Theater in Kopenhagen, Gründerin und Leiterin eines Arbeitertheaters, Frau eines wohlhabenden Arztes und - 1930 war sie der dänischen KP beigetreten - in Dänemark bekannt als die “rote Ruth”. Dann begegnete sie 1933 auf der dänischen Insel Thuro bei Karin Michaelis Bertolt Brecht. “Daß ich ihn da schon liebte, wußte ich nicht”, notiert Ruth Berlau später. “Lehren ohne Schüler / Schreiben ohne Ruhm / Ist schwer” beschrieb Brecht damals seine Situation im Exil.
Ruth Berlau wird seine Schülerin “Lai-tu”, der “Me-ti”, der Lehrer, “moralisches Verhalten beizubringen” versucht. Sie wird, nach Elisabeth Hauptmann und Margarethe Steffin, seine wichtigste Mitarbeiterin und bleibt, nach Helene Weigel, am längsten mit ihm zusammen. Sie sorgt für die Übersetzung seiner Stücke und inszeniert sie in Dänemark. 1939 reist Brecht über Schweden, Finnland und Rußland in die Vereinigten Staaten. Aus Finnland schreibt er ihr: “Ich rechne nicht wegen Dir auf Dein Kommen, sondern wegen mir, Ruth”. Und Ruth kommt, sie trennt sich von ihrem Mann, verzichtet auf ihre finanzielle Unabhängigkeit und geht mit ihm ins Exil.
Ein Jahr lang lebt sie in der Nähe von Brecht und Helene Weigel in Santa Monica, 1942 nimmt sie an einem Frauenkongreß in Washington teil, dann reist die Journalistin und Antifaschistin weiter nach New York und findet Arbeit im Office of War Information. “Ich schrieb an Brecht, daß ich in New York eine Möglichkeit zum Arbeiten habe. Mir war auch wichtig, daß ich unabhängig bin und meinen Lebensunterhalt selbst verdiene und nicht immer als Anhängsel Brechts behandelt werde.” Aber Brecht besucht sie auch in New York, er ist auf seine Mitarbeiterin angewiesen, die seine Theaterarbeit auch in Amerika unermüdlich mit ihrer kleinen Leica dokumentiert. 1944 kommt in Los Angeles der gemeinsame Sohn Michel zu früh auf die Welt und stirbt wenige Tage später.
Zurück in Europa, gründen Weigel und Brecht 1948 das “Berliner Ensemble”. Berlau wird mit dem Aufbau eines Archivs betraut. “Eine Sisyphusarbeit”, erinnert sie sich später. Daß Brecht 1950 ihre Beziehung “versachlichen” will, verkraftet sie nicht. Sie leidet an Depressionen. 1951 bietet sie Peter Suhrkamp die 1940 erstmals erschienenen Erzählungen Jedes Tier kann es zur Publikation an. “Hier bin ich halt für die Leute Brechts Freundin, die einmal sehr schön war. Jetzt aber sucht Brecht junges Fleisch. Meine Arbeit ist mir schließlich - jetzt da ich vierundvierzig Jahre alt bin - das Wichtigste. Ich will nicht mehr fotografieren ... Ich will schreiben und Regie führen. Das ist mein Fach, mein Beruf. Das kann ich!” Nach Brechts Tod 1956 kündigt das Berliner Ensemble ihren Arbeitsvertrag, sie erhält Hausverbot. Am 16. Januar 1974 kommt Ruth Berlau in ihrem Krankenbett in der Charité ums Leben, sie war mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen - dieselbe Todesursache wie bei Ingeborg Bachmann ein Vierteljahr zuvor.
Ihre “Sisyphusarbeit” wurde erst posthum gewürdigt. Unter anderem erschien 2003 der von Grischa Meyer herausgegebene Fotoband Ruth Berlau: Fotografin an Brechts Seite. Aus den 235 Mappen mit ihren Rohabzügen und Negativen, die im Archiv des Berliner Ensembles schlummerten, hat er einen Schatz gehoben: ein einzigartiges Dokument der Fotografie- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.
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Notat zu Ruth Berlau
von Lisette Buchholz, ihrer deutschen Verlegerin (persona verlag)
Vor ein paar Jahren fand ich auf ihrem Grabstein ein kleines Fahrrad aus Draht, das jemand liebevoll gebastelt und dort abgelegt hatte. Das Grab befindet sich an der hintersten Mauer des Dorotheenstädtischen Friedhofs in Berlin, weit weg von Helene Weigel und Bertolt Brecht, womit wir gleich beim Thema sind.
Ruth Berlau war Schauspielerin, Übersetzerin, „Aufschreiberin“ und Fotografin. Sie war klug und schön. Kommunistin, Dänin aus Kopenhagen, am 24. August 1906 geboren. Sie fuhr mit dem Fahrrad nach Paris und Moskau und schrieb darüber. Sie gründete das erste Arbeitertheater Dänemarks und ebnete Brecht den Weg, als er 1933 im dänischen Exil eintraf. Sie übersetzte seine Gedichte und Theaterstücke, brachte letztere auf die Bühne und sorgte so dafür, dass die Brechtfamilie „unterm dänischen Strohdach“ zu essen hatte.
Sie verliebte sich in Brecht und blieb in dieser Liebe über seinen Tod hinaus.
1937 reiste sie mit Martin Andersen Nexö zum Internationalen Schriftstellerkongress nach Paris und Madrid. Ein halbes Jahr lang erlebte sie den spanischen Bürgerkrieg aus der Nähe.
Sie folgte Brecht ins amerikanische Exil, wo sie Radiosendungen für dänische HörerInnen konzipierte. Nach dem Tod ihres Kindes 1944, das auch das Kind von Brecht war, durchlebte sie eine schwere innere Krise. Kaaren Verne und Peter Lorre kümmerten sich um sie. Lorre sorgte auch dafür, dass sie nach einem Nervenzusammenbruch in eine anständige Klinik kam. Ruth Berlau wurde als Kommunistin denunziert und verlor ihre Stelle.
Bereits 1937 und 1938 hatte Ruth Berlau Aufführungen von den „Gewehren der Frau Carrar“ in Paris und Kopenhagen fotografiert. 1947 fotografierte – und filmte – sie die Arbeit am „Galileo“ (so der englische Titel) mit Charles Laughton in Beverly Hills sowie die Premiere dieser Produktion in New York.
Brecht war da schon in Europa und rief sie zu sich: Der „gute Soldat“, wie er sie in dem Brief nannte, sollte die „Antigone“-Aufführung in Chur fotografieren. Im Januar 1948 reiste Ruth Berlau also in die Schweiz. Sie fotografierte die Züricher „Puntila“-Aufführung und die der „Mutter Courage“ in Berlin. Die Modellbücher, die sie erarbeitete, sind eine einzigartige Dokumentation.
Ruth Berlau wurde Mitarbeiterin des Berliner Ensembles und Begründerin des Brecht-Archivs. Sie führte auch selbst Regie, u.a. in Leipzig und Rotterdam. 1955 gab sie die erschütternde „Kriegsfibel“ heraus, die Dokumentarfotos aus dem Krieg mit Gedichten von Brecht zusammenspannt. „Der gute Mensch von Sezuan“ und „Der kaukasische Kreisekreis“ nennen sie als Mitarbeiterin.
Brecht wandte seine Aufmerksamkeit jüngeren Frauen zu – es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu. Ein großes Herz bietet viel Platz für Kränkungen und Verletzungen.
Ruth Berlau trank. Und liebte Brecht. Und wenn sie in der engen DDR im Nachthemd auf die Straße rannte und schrie, war das nur zu verständlich. Die Autoritäten sahen das anders. Sie wurde zur Unperson. Klinikaufenhalte zeigten ihr die Grenzen. Der Alkohol wurde vom Tröster zum Zerstörer. Am 15. Januar 1974 verbrannte sie in einem Krankenbett der Charité.
Ihr erster Roman erschien 1935 unter dem Titel „Videre“ („Weiter“). 1940 veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Maria Sten die Erzählungen „Ethvert dyr kann det“ („Jedes Tier kann es“). Ich erfuhr von diesem Buch 1985, als ich Hans Bunges „Brechts Lai-Tu“ las.
„Jedes Tier kann es“ in der deutschen Übersetzung von Regine Elsässer erlebte im persona verlag mehrere Auflagen. In Dänemark ist es seit 1940 nie wieder erschienen. Alle Texte handeln von der Liebe – oder besser: von den Schwierigkeiten der Liebe. Ein feministisches Buch avant la lettre. „Es geht um Liebe: wie schwer sie ist, vielleicht unmöglich. Erstaunliche, fast unglaubliche Texte einer Frau, in dieser Zeit (1940), vor allem weil sie nicht gramverhangen, sondern frech, witzig, melancholisch klingen, zupackend, alles benennend, ohne die heute übliche Vulgarität. Höhnisch, zynisch, auch lustig in der Abrechnung mit Männern als Kollektiv von Liebhabern“, lobte Günther Anders.
2003 erschien der Band „Ruth Berlau, Fotografin an Brechts Seite“ (Propyläen), herausgegeben von Grischa Meyer, und 2007 die Textsammlung „Der Teufel ist ein schlechter Chauffeur“, herausgegeben von Ditte von Arnim (Transit). Mehrere Theaterstücke und biografische Studien beschäftigen sich mit Ruth Berlau und ihrer Liebe zu Brecht. Bis heute muss Hilda Hoffmann, die Erbin Ruth Berlaus, allerdings bei Ausstellungskuratoren darum kämpfen, dass Ruth Berlaus Fotografien nicht ohne Nennung der Fotografin und ohne Honorar abgedruckt werden. Die Missachtung der Lebensleistung dieser vielseitigen Frau dauert an.
Das „B E“- Zeichen des Berliner Ensembles dreht sich und dreht sich und erinnert stumm an Ruth Berlau, die sich den Namen für das Theater ausgedacht hatte.
Und am Grunde der Spree wandern die Steine.
Einen Überblick zum Stand der Berlau-Forschung gibt: „Who was Ruth Berlau, Wer war Ruth Berlau?“ The Brecht Yearbook 30, The International Brecht Society, University of Wisconsin Press, 2005.
Verfasserin: Lisette Buchholz / Susanne Gretter
Links
Literatur & Quellen
Berlau. Ruth. 1985. Brechts Lai-tu: Erinnerungen und Notate. Hg. und mit einen Nachwort von Hans Bunge. Darmstadt; Neuwied. Luchterhand.
Berlau. Ruth. 2001. Jedes Tier kann es. Erzählungen. Aus dem Dänischen von Regine Elsässer. Frankfurt/M. Suhrkamp TB 3276.
Fuegi, John. 1997. Brecht & Co. Biographie [=The Life and Lies of of Bertolt Brecht]. Autorisierte, erweiterte und berichtigte dt. Fassg. von Sebastian Wohlfeil. Hamburg. Europ. Verlagsanstalt.
Häntzschel, Hiltrud. 2002. Brechts Frauen. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt.
Kebir. Sabine. 2003. Ein akzeptabler Mann? Brecht und die Frauen. Berlin.
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