Fembio Specials Künstlerinnen und Kunstförderinnen der GEDOK Renate Rochner
Fembio Special: Künstlerinnen und Kunstförderinnen der GEDOK
Renate Rochner
Andrea Schweers
geboren am 30. November 1929 in Bremen
gestorben am 27. Juni 2023 in Bremen
deutsche Grafikerin und Fotografin, Aktivistin der Bremer Frauenbewegung
erster Todestag am 27. Juni 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
„Berühmt werde ich nun nicht mehr“, konstatierte Renate Rochner, als sie die 80 überschritten hatte. Aber Berühmtheit war eigentlich auch nie ihr Ziel. Viel wichtiger war ihr, die Bilder zu machen, die sie interessierten, ohne Rücksicht darauf, was auf dem Kunstmarkt ankommen könnte. So bewahrte sie sich ihre künstlerische Unabhängigkeit, arbeitete in den unterschiedlichsten Techniken – Fotografie, Malerei, Zeichnung, Radierung – zu Themen, die mit ihrem Blick auf die Welt zu tun hatten, und suchte sich ihr eigenes Publikum. Seit den 1980er Jahren waren das besonders die Besucherinnen der damals neu entstehenden Frauenkultur- und Projekte-Szene. Hier fand sie ihre politische Heimat und zum ersten Mal die Möglichkeit, ihren „Brotberuf“ und ihre künstlerische Arbeit zusammenzubringen.
Renate Rochner wurde 1929 als ältestes von sechs Kindern geboren. Ihre Kindheit in der Arme-Leute-Siedlung am Bremer Stadtrand erlebte sie, trotz der schwierigen materiellen Verhältnisse, als „paradiesisch“. Mit dem Krieg endete die Idylle. Zum Schutz vor Bombenangriffen wurde ihre Schulklasse nach Süddeutschland evakuiert, in die „Kinderlandverschickung“, wie es reichlich verharmlosend hieß. Das Kriegsende erlebte sie mit ihrer Mutter und den inzwischen fünf Geschwistern als wenig willkommene Einquartierung auf einem Bauernhof im Bremer Umland – Tage und Nächte voller Angst vor den Racheakten der befreiten Zwangsarbeiter und den Übergriffen durch die heranrückenden Soldaten der Westalliierten.
Schon als Schülerin wusste Renate Rochner, dass sie künstlerisch begabt war, doch an ein Kunststudium war in der direkten Nachkriegszeit nicht zu denken. So verdingte sie sich als „zeichnerische Anfängerin“ auf zumeist schlecht bezahlten Stellen, zeichnete handkolorierte Werbedias für Filmkunsttheater, Entwürfe für Handarbeitsmuster, Verkehrspläne für die Bremer Straßenbahn. Vom ersten selbstverdienten Geld kaufte sie sich, was sie am dringendsten brauchte: einen Rock, eine Bluse, einen Band mit Rilke-Gedichten - und den ersten Fotoapparat. Ihr bevorzugtes Motiv: Menschen. Die Porträts von Frauen aus ihrem direkten Lebensumfeld –Mutter, Schwestern, Freundinnen, Reise- und Lebensgefährtinnen – widerspiegelten die für sie prägenden menschlichen Begegnungen, gewannen aber oft darüber hinausgehenden allgemeingültigen Charakter, standen symbolisch für ihre jeweilige Zeit.
Mit Anfang 30 hatte Renate Rochner genug zusammengespart, um sich doch noch ein Studium leisten zu können, sie ging für vier aufregende und anregende Jahre zum Grafikstudium nach Berlin, arbeitete danach als Diplomgrafikerin bei einer großen Bremer Schiffswerft, schließlich als wissenschaftliche Illustratorin an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Nachts und am Wochenende beschäftigte sie sich intensiv mit verschiedenen Radierungstechniken. Sie trat der Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen (Gedok) bei und stellte 1978 in deren Galerie ihre Radierungen aus mit Natur- und Landschaftsmotiven, Eindrücken von ihren vielen Reisen. Bei einigen Blättern zeigte sich ihr Hang zum Skurrilen, Witzigen, auch Selbstironischen – Männer, auch männliche Künstler, so fand sie immer, nehmen sich selbst viel zu ernst.
Und dann kam die Neue Frauenbewegung. Renate Rochner ging auf die 50 zu und fasste den kühnen Entschluss, ihrem Leben noch mal eine ganz neue Wendung zu geben. Sie kündigte ihre Lebensstellung an der Tierärztlichen Hochschule, ging für ein Jahr in ein Projekt der Künstlerweiterbildung, schrieb sich dann für das Studium der Erwachsenenbildung in Bremen ein. Als sich dort 1982 eine Gruppe gründete, die die Bremer Universität eine Woche im Jahr ausschließlich für Frauen und für ALLE Frauen öffnen wollte, war sie sofort dabei. Über mehrere Jahre übernahm sie die grafische Arbeit für die Bremer Frauenwoche, gestaltete deren Plakate und Veranstaltungsprogramme. Dass in dieser Zeit zum ersten Mal Gewalterfahrungen, die viele Frauen – gerade der Kriegsgeneration – teilten, öffentlich thematisiert wurden, gab ihr den Anstoß, eigene Erfahrungen in einer Serie von Monotypien zum Thema „Gewalt“ zu verarbeiten.
Und sie fand in der Fotografie zu ihrem wichtigsten Thema: Der weibliche Körper aus weiblicher Sicht, mit dem sie dem gängigen männlichen Fotografenblick auf Frauenkörper ganz bewusst ihre Perspektive entgegensetzte. Ihre lebensfrohen, liebevollen, teilweise auch witzigen Aktaufnahmen spiegelten das neue Lebensgefühl – Liebesbeziehungen zwischen Frauen konnten zum ersten Mal angstfrei und lustvoll gelebt werden. Als Postkartenmotive und bei zahlreichen Ausstellungen fanden sie große Resonanz in der Lesbenszene. Die zunächst naturalistischen Aktaufnahmen dienten ihr dann als Ausgangsmaterial für Fotoexperimente, mit denen sie die Grenzen der Körper auflöste, so dass ganz neue „Landschaften“ entstanden oder geheimnisvolle, farbige Räume, die den Ursprung aus dem Körperlichen nur noch erahnen lassen.
„Wenn man sich mit künstlerischen Dingen befasst“, meinte sie, sei es wichtig, „immer auch mit Menschen zu tun zu haben“. So erschloss sie sich, obwohl ihr öffentliche Auftritte eigentlich nicht lagen, ganz neue Betätigungsfelder als Erwachsenenbildnerin und Vortragsreisende. An der Volkshochschule und in Frauenkultur- und Bildungseinrichtungen im ganzen Land gab sie Zeichen- und Fotografiekurse, in denen die Teilnehmerinnen ihre eigenen kreativen Potentiale entdecken konnten, und präsentierte Lebensgeschichte und Werk von bedeutenden, dem breiten Publikum damals oft noch wenig bekannten Künstlerinnen. Bahnbrechend wurde ihre Zusammenarbeit mit den „Bremer Krüppelfrauen“, einer Gruppe von körperbehinderten Frauen, die sich mit Unterstützung der Fotografin in mutigen und provokanten Selbstinszenierungen mit ihren Be- und Verhinderungen auseinandersetzten. Über 10 Jahre tourte die Fotoausstellung unter dem Titel „Unbeschreiblich weiblich“ durch Deutschland – ein Meilenstein der Behindertenbewegung.
Als sie auf die 70 zuging, begann Renate Rochner eine neue, letzte große Werkgruppe, die „Fundbilder“. Hier war das Ausgangsmaterial ein ganz anderes: Makroaufnahmen von Gesteinsformationen an der dänischen Ostseeküste und der türkischen Ägäis. In diesen von der Natur geschaffenen Formen „fand“ sie ihre überraschenden Motive, die sie anschließend mit leuchtenden Farben herausarbeitete – Fabeltiere, mythologische Gestalten, archaische Frauenfiguren, geheimnisvolle Landschafen. Und sie wandte sich verstärkt dem Schreiben zu, schrieb und zeichnete mehrere von ihren Fernreisen inspirierte Kinderbücher, notierte die Lebensgeschichte ihrer Mutter und, für ihre wissbegierige Großnichte, ihre eigenen Kindheitserinnerungen: Das Mädchen, das nicht niedlich war. Sie starb 2023 im Alter von 93 Jahren, bis zum Schluss bei klarem Verstand, politisch interessiert, bissig-humorvoll, im wahrsten Sinne des Wortes: eigen-willig. Sie hinterlässt eine große Lücke, in der Bremer Frauenkulturszene - und in den Herzen ihrer Freundinnen. (Text von 2024)
Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen:
1978 Radierungen, Gedok-Galerie Hannover
1982 Monotypien „Gewalt gegen Frauen“, Erste Bremer Frauenwoche
1987 „Der weibliche Blick“, Frauenkulturhaus Bremen
1987 „Die Farbe Blau“, Gedok Bremen
1990 „Der weibliche Blick“ – Malerinnen und Fotografinnen, Unna
1990 „Kunst und Krieg“, Haus der Kulturen der Welt, Berlin
2001 „Fundbilder“, Beginen-Wohnprojekt, Bremen
2006 „Begegnungen – Porträts aus fünf Jahrzehnten“, Beginen-Wohnprojekt, Bremen
2006 „Fundbilder“, IPS Bremer Technologiehaus
2009 „Fundbilder“, Frauenbildungsprojekt belladonna Bremen
2019 „Natur-Mensch-Fundbilder“, Stadtblibliothek Bremen-Huchting
Posthum:
Gesichter/Körper/Steine – Retrospektive Renate Rochner. Oktober 2023-März 2024. Frauenbildungsprojekt belladonna Bremen
Körperbilder. Fotos und Fotoexperimente. Juni/Juli 2024. Begine, Treffpunkt und Kultur für Frauen Berlin
Verfasserin: Andrea Schweers
Zitate
Menschen sind ja das Interessanteste, was man fotografieren kann.
Ich gehe nicht los und mache Fotos mit dem Ziel, den ‚weiblichen Blick’ herauszufinden. Ich denke einfach, das was ich sehe und fotografiere, ist der weibliche Blick, mein Blick auf die Welt…
Sicher habe ich einige Bilder gemacht, die auch von Männern hätten gemacht werden können. Aber in der Aktfotografie von Männern ist ja immer viel Voyeuristisches, auch etwas Erniedrigendes für die Frau, die nur noch Modell ist. Sie wird irgendwo hingestellt, hingelegt, auf einen Felsen oder auf Bäume gesetzt, es wird etwas mit ihr gemacht. Das möchte ich anders machen. Und ich glaube, das kommt in den Bildern zum Ausdruck.
(Renate Rochner, 1989)
Links
www.renate-rochner.de (Webseite)
FemBiografien von Renate Rochner (31 Künstlerinnen-Porträts von Renate Rochner)
Literatur & Quellen
Brunnmüller, Monika. Zeitzeuginnengespräch: Interview mit Renate Rochner. Frauenarchiv belladonna. Bremen.
Ortlieb, Annette. 2009. Renate Rochner - Das Leben ist eine Skizze. Filmisches Porträt.
Postmeyer, Anna, Margarethe Rosenberger, Andrea Schweers u.a. 1989. andersARTig. 7 Jahre Frauenkulturhaus Bremen.
Rochner, Renate. 1999. Das Mädchen, das nicht niedlich war: Eine Kindheit in Bremen.
Rochner, Renate. 2007 (1999). Alles klar für Sansibar: Ein Schwein wandert aus. Kinderbuch.
Rochner, Renate. 2009. Camila von Mayotte: Eine Schildkröte schwimmt sich frei. Kinderbuch.
Rochner, Renate. 2014. Fast ein Jahrhundert: Das Leben meiner Mutter.
Rochner, Renate. 2022. Werkkatalog.
Rochner, Renate. 2023. Ich kenne eine schlaue Ente: Freche Tiergedichte, gezeichnet von Bremer Kita- und Schulkindern
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