Fembio Specials Frauenbeziehungen Patricia Highsmith
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Patricia Highsmith
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(Geburtsname: Mary Patricia Plangman)
geboren am 19. Januar 1921 in Fort Worth/Texas
gestorben am 14. Februar 1995 in Locarno, Schweiz
US-amerikanische Schriftstellerin
100. Geburtstag am 19. Januar 2021
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Biografie
Mich haben immer nur die kriminellen Anlagen und Möglichkeiten des Normalmenschen in der Gesellschaft beschäftigt, dabei ist mir die Aufklärung eines Mordfalls völlig gleichgültig.
Zwanzig Romane und sieben Bände mit Kurzgeschichten hat Patricia Highsmith zu Lebzeiten publiziert, und immer schaffte sie es: Millionen von Leserinnen und Lesern identifizierten sich mit ihren Verbrechern. Mit dem „talentierten“ Tom Ripley beispielsweise, der 1955 zum ersten Mal in Aktion trat, charmant, intelligent, absolut skrupellos, ein Erpresser mit Vorstellungen vom angenehmeren Leben. Die Abgründe der menschlichen Seele hatte sie bereits in ihrem ersten publizierten Roman Zwei Fremde im Zug ausgeleuchtet, der 1950 erschien, nachdem er von sechs Verlagen abgelehnt worden war. Nach einer Drehbuchbearbeitung von Raymond Chandler kam noch im selben Jahr Alfred Hitchcocks Filmversion in die Kinos und machte Patricia Highsmith weltberühmt.
Als Patricia neun Jahre alt war, entdeckte sie in der Bibliothek ihrer Eltern ein psychiatrisches Lehrbuch von Karl Menninger, The Human Mind. “Es war ein Buch mit Fallstudien: Kleptomanen, Pyromanen, Serienmördern, alles, was im Kopf schiefgehen konnte. Dass es reale Fälle waren, machte sie interessanter als Märchen. Ich stellte fest, dass diese Leute äußerlich völlig normal wirkten und dass es somit auch um mich herum solche geben konnte.” Es wurde ihr Lieblingsbuch.
Zwischen 1938 und 1942 studierte sie am Barnard College der Columbia University Englisch, Latein, Griechisch und Zoologie. Danach nahm die 21jährige Literaturwissenschaftlerin einen Job als Comics-Autorin an. „Ich konnte mir das berühmte, 'eigene Zimmer' leisten, auf das Virginia Woolf so viel Wert legte.“ Seit ihrem 18. Lebensjahr schreibt sie. Aber bis zu ihrem literarischen Durchbruch 1950 muss sie immer wieder Gelegenheitsjobs annehmen. 1948 beispielsweise arbeitet sie in der Spielzeugabteilung im New Yorker Warenhaus Bloomingsdale’s, wo eines Tages „eine blonde Frau in einem Pelzmantel in diesem lauten Verkehrsrummel auftrat ... ich fühlte mich merkwürdig benommen, wie knapp vor einer Ohnmacht“. Die entsprechende Geschichte, die ihr „aus der Feder floss, irgendwoher ...“, beschreibt sie in Carol.
Der Roman über die lesbische Liebesbeziehung zwischen Carol und Therese kann aber erst 1952 unter Pseudonym erscheinen. Die Taschenbuchausgabe erreicht eine Auflage von fast einer Million. Nur noch ein weiteres Mal steht eine Frau im Mittelpunkt eines Romans: Edith in Ediths Tagebuch, erschienen 1977. Sie schreibe „action novels“ und beschreibe darin „Charaktere, die sich frei bewegen können in einer Unabhängigkeit, die ich nur bei Männern finde”, erwiderte sie amerikanischen Feministinnen, die sie zur Frauenfeindin Nr. 1 gekürt hatten.
Seit Anfang der 1960er Jahre lebte Highsmith zurückgezogen in Europa, zunächst in England, später in Frankreich und zuletzt im Tessin, umgeben von Katzen und Schnecken, deren Zweigeschlechtlichkeit sie faszinierte. „Die Liebe ist generell weniger konstruktiv als die Arbeit, also weniger wichtig“, sagte sie 1979 in einem Interview. „Kein einziger Versuch mit einem Leben zu zweit?“ - „Doch, aber katastrophal.“ In Locarno ist Patricia Highsmith am 14. Februar 1995 an Leukämie gestorben, aus dem Nachlass erschien im selben Jahr ihr 21. Roman: „Small g“ - Eine Sommeridylle.
(Text von 1999)
Neuerscheinungen zum 100. Geburtstag von Patricia Highsmith
von Manfred Orlick
Zum 100. Geburtstag von Patricia Highsmith hat Diogenes ein wahres Feuerwerk an Neuausgaben gezündet. Den Auftakt bildete der Band Ladies mit frühen Erzählungen, die in den Anfangsjahren verstreut in Schul- und Frauenmagazinen erschienen waren. In der Geschichte “Die Legende des Klosters von Saint Fotheringay” sind alle Klosterangehörigen weiblich – es gab sogar eine Hausmeisterin und eine Heizerin. Doch eines Tages wird in der Nähe ein Findelkind entdeckt – ein Knabe, den man aufnimmt und dem man den Namen Mary gibt. Die junge Lucille in “Die Heldin” dagegen nimmt eine Stelle als Hausmädchen an, um noch einmal von vorn anzufangen. Doch dann kommt es wieder zur Katastrophe. In zwei skurrilen Geschichten spielen schließlich Spinnen bzw. Schnecken die Hauptrolle.
Im November und Dezember 2020 folgten dann Neueditionen von sechs Romanen (Tiefe Wasser, Der Schrei der Eule, Ediths Tagebuch, Der süße Wahn, Salz und sein Preis und Elsies Lebenslust), in denen Frauen eine Hauptrolle spielen. Alle Bände in neuer Ausstattung, kritisch durchgesehen nach Vorlage der amerikanischen Originaltexte oder teilweise in Neuübersetzungen. Alle sechs Bände sind mit einem mehrseitigen Nachwort von Paul Ingendaay versehen, das ausführlich die Entstehungsgeschichte der einzelnen Romane beleuchtet. Aufschluss darüber gaben Tagebuchaufzeichnungen, Notizbücher oder der Briefverkehr der Schriftstellerin.
Auf den mutigen Roman Salz und sein Preis über eine lesbische Liebe wurde bereits eingegangen. Deep Water (jetzt unter dem deutschen Titel Tiefe Wasser), Highsmiths fünfter Roman, entstand unmittelbar nach The Talented Mr. Ripley. Highsmith erzählt darin die Geschichte der jungen Eheleute Victor und Melinda Van Allen in einem beschaulichen Städtchen. Die Idylle wird aber durch die zahllosen Affären der lebenshungrigen und nymphomanischen Melinda gestört, die Vic zunächst mit erstaunlicher Toleranz und rätselhaftem Gleichmut hinnimmt. Doch der äußere Anschein trügt und er wird zum schizophrenen Doppelmörder. Das Hauptaugenmerk des Ehepsychogramms liegt auf der Beschreibung der Motive und der Gefühlswelt des Täters.
Während Vic in den Schlaf hinüberglitt, stieg langsam eine Feindseligkeit gegen Melinda in ihm auf, fast unwillkürlich, kaum greifbar und wie ein Ringer Halt suchend. Sie stieg in ihm auf, wie etwas Gewohnheitsmäßiges sich durchsetzt – das Einschlafen in Rückenlage etwa, wie jetzt bei ihm –, und bevor er ganz eingeschlafen war, hatte er das alles erfasst und ließ es sanft über die Oberfläche seines Bewusstseins gleiten wie einen gewöhnlichen, nicht sehr eindringlichen Gedanken, der einem kurz vor dem Einschlafen durch den Kopf geht. Es war, als erhielte Melinda in seinem Bewusstsein das Etikett „Mein Feind“, und sein Feind war sie, jenseits aller Vernunft und aller Vorstellung von Veränderung. Die kaum greifbare Feindseligkeit in seinem Bewusstsein fand Halt, verfestigte sich, und er drehte sich leicht im Bett und war eingeschlafen.
Vielleicht stellte Highsmith in Victor sich selbst dar – beide zeichneten sich durch Bildung, Kultiviertheit, Schneckenliebe und Interesse an klassischer Musik aus. Victors Entlarvung und Verhaftung auf der letzten Seite des Romans war allerdings ein Novum der Highsmith-Romane. „Liebe ist eine Idee“ könnte das Motto für den 1960 erschienenen Roman Der süße Wahn sein, in dem der erfolgreiche Chemiker David Kelsey nach außen hin ein unauffälliges Leben in einer Pension führt. Am Wochenende – so lässt er alle glauben – kümmert er sich um seine Mutter, die in einem Pflegeheim wohnt. In Wahrheit verbringt er unter dem Pseudonym „William Neumeister“ das Wochenende mit seiner ehemaligen Freundin Annabelle in einem Haus auf dem Lande. Gemeinsame Nächte in einem Wolkenkuckucksheim.
Nachts schlief er mit ihr oben in dem Doppelbett. Ihr Kopf lag auf seinem Arm, und wenn er sich ihr zuwandte und sie an sich zog, hatte sein heißes Verlangen mehr als einmal den Höhepunkt erreicht und war unter dem eingebildeten Druck ihres Körpers übergeflossen, auch wenn hinterher seine flach auf dem Laken ruhende Hand nur Leere und Einsamkeit signalisierte.
Alles nur eine Traumwelt, denn Annabelle ist längst verheiratet und hat gerade ein Baby bekommen. David will das nicht wahrhaben, er verweigert sich jeglicher Realität. Als er Annabelle mit Macht in seine Wirklichkeit holen will, führen seine wahnhaften Vorstellungen zum Mord. In seinem Nachwort sieht Ingenday in dem Roman Parallelen zu Highsmiths Privatleben, die sich 1958 in eine Frau verliebte, die mit einer anderen zusammenlebte. Ihre Notizbücher aus dieser Zeit geben Auskunft über diese unerwiderte Liebe.
Highsmiths achter Roman Der Schrei der Eule (1962, Titel der dt. Erstausgabe Das Mädchen hinterm Fenster) entstand unmittelbar vor ihrem endgültigen Umzug nach Europa. Hauptfigur ist der 29-jährige und äußerst labile Robert Forester, ein technischer Zeichner bei einem Flugzeughersteller. Nach Büroschluss beobachtet er in einem Haus ein junges Mädchen bei ihren täglichen Verrichtungen – jedoch ohne sexuelle Absichten. Das heimliche Beobachten vermittelt ihm nach der Trennung von seiner Frau Nickie ein Gefühl der Sicherheit.
Wenn Robert sie nach zwei oder drei Wochen wieder sah, ergriff ihn ihr Anblick jedesmal derart, dass sein Herz einen Schlag aussetzte und dann ein paar Sekunden lang schneller schlug. Eines Abends vor etwa einem Monat war es ihm vorgekommen, als würde sie ihn durchs Fenster direkt ansehen, und in dem Moment schien sein Herz stillzustehen. Er hatte ihrem Blick standgehalten, ohne Angst, ohne zu versuchen, sich durch Reglosigkeit zu tarnen; vielmehr sah er sich in diesen paar Sekunden mit der unangenehmen Erkenntnis konfrontiert, dass er zu Tode erschrocken war und in den nächsten Minuten womöglich schlagartig alles aufflog: Sie würde die Polizei rufen, würde ihn von Kopf bis Fuß mustern, er würde als Herumstreuner festgenommen, und das wäre dann das Ende der absurden Geschichte.
Tatsächlich wird Robert wenig später von der jungen Jenny Thierolf entdeckt; doch statt die Polizei zu rufen, bittet sie den Voyeur in ihr Haus. Jenny verliebt sich in Robert und trennt sich von ihrem Verlobten Greg, der versucht, sie wiederzugewinnen. Robert kann jedoch mit dieser realen Zuneigung wenig anfangen und er sucht in einer beruflichen Versetzung wieder Distanz. Schließlich geraten alle Beteiligten in einen Strudel unvorhersehbarer und fataler Ereignisse, die in einer Katastrophe enden.
In Ediths Tagebuch, dessen Handlung zwei Jahrzehnte von 1954 bis 1974 überstreicht, geht es ebenfalls um eine Wirklichkeitsflucht. Im Leben der Journalistin Edith Howland driften Realität und Wunschtraum immer weiter auseinander. In ihrem Tagebuch notiert Edith, wie sie sich ein harmonisches Familienleben wünscht: Brett als liebevollen Ehemann, der Sohn Cliffie brilliert an der Elite-Universität Princeton, und sie selbst ist eine erfolgreiche Journalistin, die von einer eigenen kleinen Zeitung träumt. Doch das ist alles nur eine Scheinwelt. In Wirklichkeit hat sie ihr Ehemann wegen einer jungen Sekretärin verlassen und ihr seinen bettlägerigen und halsstarrigen Onkel hinterlassen, der Sohn ist ein Versager, der allenfalls zu Gelegenheitsarbeiten fähig ist. Schließlich verliert Edith noch ihre Stelle bei einem Provinzblatt und ihr Ex-Ehemann will sie zu einer psychiatrischen Behandlung überreden. Neben der eigentlichen Handlung und dem Identitätszerfall der Titelfigur nimmt Highsmith auch immer wieder Bezug auf die politischen Ereignisse der Zeit – z. B. die Ermordung von Robert Kennedy oder den Vietnamkrieg. Am Ende kommt Edith bei einem Treppensturz ums Leben und das Tagebuch fällt ihrem Sohn in die Hände.
Er sah das Tagebuch, dieses große braune Ding, hinten auf dem Schreibtisch liegen. (…) Er merkte, dass er eine gewisse Ehrfurcht vor dem Tagebuch hatte und sich gleichzeitig davor fürchtete. Er beschloss, es sorgsam zu hüten, und dieser Gedanke tröstete ihn. Er würde keinen Menschen je einen Blick darauf werfen lassen. Noch vor einer Minute hatte er geglaubt, er könnte es jetzt sofort im Kamin verbrennen. Doch selbst das hätte mehr Mut erfordert, als er besaß. Und das wusste er. Nein, da war es doch viel besser, es zu verstecken und es vor den anderen geheimzuhalten. Vielleicht für immer. Vielleicht sein ganzes Leben lang.
Ediths Tagebuch, der von der Kritik als „Highsmiths literarischster Roman“ gepriesen wird, ist ein beklemmender Roman über Einsamkeit und Selbsttäuschung, der auch die amerikanische Desillusionierung beschreibt.
Elsies Lebenslust (1986) ist der drittletzte zu Lebzeiten erschienene Roman von Highsmith. Elsie Tyler, ein 20-jähriges Landei, ist von zu Hause ausgerissen, um in Greenwich Village in New York ihr Glück zu finden. Mit ihrer jugendlich-erotischen Ausstrahlung verdreht sie nicht nur dem ältlichen Nachtwächter Ralph den Kopf, sondern auch dem freundlichen Illustrator Jack. Dessen Ehefrau Natalie verfällt ebenfalls der hübschen Elsie, die ein Magnet für beide Geschlechter ist.
Ein Mädchen, aus dem noch was werden kann, dachte Jack, unbeschwert und frei, unschuldig und hübsch anzusehen, doch er spürte auch eine Festigkeit: Sie würde nicht zu allem, was ihr begegnete, einfach ja sagen. Tausende junger Leute kamen nach New York, um ihr Glück zu versuchen, doch was Elsie Tyler von ihnen unterschied, war ihre Energie, ihre Frische, ihr offenes Gesicht. Die Männer laufen ihr sicher nur so nach.
Alle Beteiligten werden zu Rivalen um die Gunst der Angebeteten, doch am Ende kommt es ganz anders: Elsie wird von dritter Hand ermordet – die Eifersuchtstat einer Gelegenheitsbekannten, wobei Highsmith die Lesenden lange darüber im Unklaren lässt.
Abschluss und Höhepunkt der Highsmith-Jubiläums-Neuerscheinungen wird die Diogenes-Ausgabe ihrer Tagebücher im Herbst 2021 sein, die weltweit erstmals veröffentlicht werden. In 56 Notizbüchern (insgesamt rund 8.000 Seiten), die erst nach ihrem Tod in einem Wäscheschrank entdeckt wurden, hatte Patricia Highsmith ihre tägliche Lebensroutine von den jungen Jahren als Studentin bis zu ihrem Tod 1995 festgehalten. Neben Gedanken zur Literatur und Lektürenotizen dienten die Notizbücher auch als Ideenwerkstatt für ihre Romane. Außerdem sind sie mit Zeichnungen und Aquarellen der Autorin illustriert. Die Aufzeichnungen sollen auch mehr Einblicke in die finsteren Seiten der Autorin geben, konkret geht es um antisemitische, rassistische und misogyne Züge.
(Text von 2021)
Verfasserin: Susanne Gretter; Manfred Orlick
Links
https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2015/nov/29/my-weekend-at-patricia-highsmith-home-writer (Abrufdatum: 11.11.18)
https://www.srf.ch/kultur/im-fokus/der-archivar/patricia-highsmith-ein-leben-am-menschlichen-abgrund (Abrufdatum: 11.11.18)
Literatur & Quellen
Cavigelli, Franz & Fritz Senn. Hg. 1980. Über Patricia Highsmith: Zeugnisse von Graham Greene bis Peter Handke. Zürich. Diogenes.
Harrison, Russell. 1997. Patricia Highsmith. New York. Twayne.
Meaker, Marijane & Manfred Allié. 2005. Meine Jahre mit Pat. Erinnerungen an Patricia Highsmith. Zürich. Diogenes.
Metzler Autorinnen Lexikon. Hg. Hechtfischer, Ute, Renate Hof, Inge Stephan & Flora Veit–Wild. 1998. Stuttgart; Weimar. Metzler. 1998.
Munzinger, Ludwig. Hg. Munzinger Archiv: Internationales biographisches Archiv. Ravensburg.
Wilson, Andrew. 2005. Schöner Schatten: Das Leben von Patricia Highsmith. Aus dem Engl. von Anette Grube & Susanne Röckel. Berlin. Berliner Taschenbuch-Verl.
Bildquellen
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