Fembio Specials Pionierinnen der Frauenbewegung Olympe de Gouges
Fembio Special: Pionierinnen der Frauenbewegung
Olympe de Gouges
geboren am 7. Mai 1748 in Montauban, Südfrankreich
hingerichtet am 3. November 1793 in Paris
französische, feministische Menschenrechts-Philosophin,
Autorin von Theaterstücken, Romanen und politischen Schriften
275. Geburtstag am 7. Mai 2023
230. Todestag am 3. November 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Mme de Gouges, die geistige Mutter der Menschenrechte für weibliche Menschen, ist die bedeutendste politische Denkerin im patriarchalen Europa: Ihre »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin« (1791) ist ein bis heute unübertroffen scharfsinniges Dokument konsequenten Widerstandes gegen die »Erklärung der Männer- und Bürgerrechte« (1789), verfasst von Bürgern und Hausvätern.
Von Frauenfeinden bösartig diffamiert, von Republikanern ins Gefängnis geworfen, vom Revolutionstribunal zum Tode verurteilt, wurde sie unter der Guillotine enthauptet und in einem Massengrab verscharrt.
Bis heute verweigert das Vaterland diesem Opfer des Terrors die – seit langem überfällige – Rehabilitation. Von rechten, liberalen und linken Historikern aus der Geschichtsschreibung eliminiert, haben einige internationale feministische Wissenschaftlerinnen die Autorin zu Beginn der 1970er Jahre wiederentdeckt: Seit ihrem Tode bis zu diesem Zeitpunkt war keines ihrer literarischen Werke, weder ihre Erklärung der Bürgerinnenrechte, noch eine ihrer anderen politischen Schriften erneut veröffentlicht worden. Der Prozess der Wiederentdeckung, der Neuausgabe und Rezeption einzelner Werke, der Übersetzung und wissenschaftlichen Bearbeitung verläuft jedoch sehr mühsam, besonders in Frankreich selbst. Eine fundierte wissenschaftliche Biographie ist eine Aufgabe von großer Dringlichkeit.
Kindheit und frühe Jugend in Montauban, Languedoc
Marie Gouze war offiziell die Tochter von Anne-Olympe und Pierre Gouze, Fleischer; tatsächlich war der junge Marquis de Pompignan, Erbe eines Schlosses in der Stadt und eines feudalen Landsitzes ausserhalb Montaubans ihr Vater, der seinen »Bastard« gesetzlich nicht anerkannte. Er sorgte weder für Unterhalt noch für bescheidene Unterrichtung oder gar eine Mitgift, Voraussetzung einer »guten« Verheiratung.
Ob und bis zu welchem Grade Marie Gouze lesen und schreiben konnte, lässt sich schwer sagen, da es keine Schulen für Mädchen gab. Frauen waren Analphabetinnen, wenn sie nicht ausnahmsweise privat im Vaterhaus oder von Klosterfrauen unterrichtet wurden. In dieser Provinz wurde Occitans gesprochen. In dieser Sprache gab es eine reiche mündliche Überlieferung; das Französisch des Nordens hingegen und die literarische Tradition des Klerus, der Juristen, Literaten und sonstiger Publizisten, war fast eine Fremdsprache, eine entfernte fremde Welt: Eine Reise mit der Postkutsche von Montauban nach Paris dauerte mindestens zwei Wochen, war beschwerlich und nicht ungefährlich, also ein großes Unterfangen, das die Mehrheit der BewohnerInnen höchst selten auf sich nahm. Der generelle Missstand fehlender Unterrichtung von Mädchen und die Muttersprache Occitans, beide Tatsachen erklären, dass es Marie Gouze in den ersten Pariser Jahren große Mühe kostete, Französisch zu sprechen – und zu schreiben, zumal sie sich diese Fähigkeiten autodidaktisch aneignen musste.
Sie wuchs mit mehreren Geschwistern auf. Ihr ältester Bruder war Fleischer wie sein Vater und verheiratete die siebzehnjährige Schwester – gegen ihren Willen – an Louis-Yves Aubry, einen Mann, »den ich durchaus nicht liebte und der weder wohlhabend noch guter Herkunft war. Ich wurde geopfert ohne ersichtlichen Grund…«, schreibt sie viele Jahre später in ihrem Briefroman. Diese Äußerung könnte sich auf ihre eigene Situation beziehen. Aubry stammte aus Händlerkreisen des Pariser Marktes und konnte sich dank ihrer Mitgift als Gastwirt in Montauban niederlassen.
1766 gebar die junge Frau einen Sohn, Pierre. Im gleichen Jahr starb sein Vater, wahrscheinlich bei einer Überschwemmung des Tarn. Die achtzehnjährige Witwe zog mit ihrem Kind bald darauf zu ihrer verheirateten Schwester nach Paris. Es ist anzunehmen, dass sie für ihr neues Leben in der Hauptstadt nur ein bescheidenes Erbe, den Erlös aus der Gastwirtschaft mitbrachte, womit sie sich und ihr Kind ernähren musste. Ungewöhnlich ist, dass die junge, gutaussehende Witwe kein zweites Mal heiratete; das war die übliche Lösung. Offensichtlich hatte sie andere Pläne.
Madame Olympe de Gouges in Paris
Es kann sich auf sie selbst beziehen, wenn sie in ihrem Briefroman schreibt: »…in diesem Strudel von Gut und Böse (Paris) habe ich dann … ein geregeltes, zurückgezogenes Leben im Rahmen eines kleines Freundeskreises geführt, gerade so, wie es sich schickt für eine Frau, die auf sich hält.«
Wahrscheinlich unterhielt sie eine langjährige, freie Beziehung zu Jacques Bietrix de Roziere, Erbe eines Privilegs auf Belieferung des Militärs; es ist naheliegend, dass er ihrem Sohn Zugang zu einer militärischen Laufbahn verschaffte.
Zwischen ihrer Ankunft in Paris (etwa 1768) und ihrem öffentlichen Hervortreten als Autorin Olympe de Gouges (1785) liegen siebzehn Jahre, die sie offensichtlich zu intensivem Selbststudium genutzt hat: der Kultivierung des Französischen durch Konversation im kleinen Kreis, wo sie ihr rhetorisches und ironisches Talent entfalten konnte, durch Lektüre literarischer und politischer Schriften und vielfältige schriftliche Vorübungen. Es sind Jahre der literarischen Versuche und schließlich der Produktion von Dialogen, kleinen und großen Dramen und Komödien. Es ist eine Zeit des Besuchs und Studiums von Theateraufführungen, der Selbstbildung zur Theaterautorin. Die Frau von siebenunddreißig Jahren, die mutig unter eigenem Namen an die Öffentlichkeit tritt, hat jahrelang zielstrebig an ihrer intellektuellen Entwicklung gearbeitet, sicher auch in der Hoffnung auf Einkünfte, wie viele verwitwete und ledige Frauen.
Die Autorin von Theaterstücken
Mit ihrem ersten Drama »Zamor und Mirza« nimmt Mme de Gouges gleich ein doppeltes Wagnis auf sich: zum einen begibt sie sich als Autorin in die frauenfeindliche Männerwelt des Theaters, zum anderen wählt sie ein politisch brisantes Thema, die Sklaverei der Schwarzen in den französischen Kolonien. Das hat zur Folge, dass sie jahrelang (1783-1789) in endlose Rankünen, Verleumdungen und Gefahren verwickelt wird, derer sie sich erwehren muss. Der Herzog von Duras, höchster Herr des königlichen Theaters, interveniert in diesem Konflikt der ›femme auteur‹ mit der Comédie Française – und schickt sie tatsächlich in die Bastille. Ein Wunder, dass sie freikommt.
Erst im Dezember 1789 wird ihr Drama unter dem Titel »Die Sklaverei der Schwarzen« aufgeführt: Es wird ein Theaterskandal, angezettelt von Verteidigern der Sklaverei im Gefecht mit Abolitionisten. Die Autorin wird mit Hohn überschüttet, das Stück vom Spielplan abgesetzt. Dennoch glückt es Mme de Gouges wenig später, »Das Kloster oder erzwungene Gelübde« in einem anderen Theater zur Aufführung bringen zu lassen – mit Erfolg.
Es ist gut denkbar, dass sie in den Jahren des Theaterkonfliktes mit Louis Sebastion de Mercier bekannt wird. Sie haben einige gemeinsame Interessen: de Mercier schrieb auch Theaterstücke, hatte ebenfalls eine jahrelange heftige Fehde mit dem königlichen Theater auszutragen und war etliche Jahre Herausgeber des »Journal des Dames«, ehe es endgültig verboten wurde. De Mercier gehörte zur Frondeur-Opposition, in deren Kreis einige literarisch tätige Frauen toleriert wurden. Diese Opposition stand unter der Protektion von Prinzen, die selbst in Opposition zum Hof standen und ihre Enklaven zum Treffpunkt der Fronde machten. Ein solcher Ort war das Palais Royal: Hier residierte der Herzog von Orleans, den mann später Philippe Egalité nennt, hier verkehrte de Mercier, wahrscheinlich war er es, der Mme de Gouges einführte. Sie schätzten sich gegenseitig und waren lange befreundet.
Erstaunlich ist ihre Entwicklung von der völlig ungebildeten, armen jungen Frau aus der Provinz zur Autorin und zeitweisen Teilnehmerin in diesen Pariser Kreisen. Üble Vorurteile und bösartige Verleumdungen vonseiten der Frauenverächter und Neider waren an der Tagesordnung. Mme de Gouges ließ die Öffentlichkeit wissen, dass sie in schneller Folge ganze Theaterstücke produzieren konnte, die sie eilends Schreibern diktierte. Jedermann mietete Schreiber, Analphabeten beiderlei Geschlechts, Unbeholfene aller Stände, selbst Gelehrte, auch die Enzyklopädisten diktierten Schreibern. Aber üble Frauenfeinde sahen hier einen »Beweis« für das Analphabetentum und die literarische Unfähigkeit der Autorin. Sie setzten – wie schon Rousseau – die Lüge in die Welt, dass sie ihre Werke gar nicht selbst schreibe. Esprit muss »männlich« sein.
Neben der Arbeit an Dramen, Komödien und Vorworten schreibt sie ab 1784 den Briefroman »Denkschrift der Madame de Valmont«, der 1786 erscheint, 1788 in zweiter Auflage. Darin thematisiert sie das Verhältnis »natürlicher« Väter, namentlich hohen Standes, zu ihren »Bastard«-Kindern, die sie, wie ihre Mütter gewissenlos einem Leben im Elend überantworten. Mit ihrer höchst kritischen Darstellung eines exemplarischen Falles thematisiert Mme de Gouges den weit verbreiteten Skandal, seine Ursachen und Folgen: das Fehlen jeglichen gesetzlichen Schutzes dieser Opfer, Kinder und Mütter, dem die gesetzliche Privilegierung der Väter entspricht. Da ihre Vaterschaft nicht festgestellt wird, können sie sich aller Pflichten entledigen. Folgen dieser Gesetzeswillkür, unterstützt von katholischer Doppelmoral, sind tiefstes Elend dieser unschuldigen Mütter und ihrer »Bastarde«, sofern sie überleben – und Kindesaussetzungen: allein in Paris werden jedes Jahr etwa 5000 Findelkinder ausgesetzt. Bekanntlich entledigte sich Rousseau auf diese unmenschliche Weise der Vaterpflichten für seine fünf Kinder. In diesem Zusammenhang kritisiert die Autorin entschieden die Galanterie dieser Sorte Männer, da sie in den verantwortungslosen, galanten Verführern die Verursacher des Elends ihrer »Bastard«-Kinder und deren Mütter sieht.
Bereits im Jahre 1788 erscheinen ihre bisherigen Werke in drei Bänden. In ihrem umfangreichen, utopischen Roman »Der philosophische Prinz« (1792) formuliert sie radikal-universale Gedanken zur Rechtsgleichheit: »Frauen sind gleich mit Männern, wenn sie es in bürgerrechtlicher und politischer Hinsicht sind und wenn sie die gleiche Erziehung genossen haben.«
Die feministisch-politische Autorin – Opfer des Terrors
Es liegt in der Konsequenz ihres mutigen, kritischen Denkens, dass sie die »Erklärung der Rechte des Mannes« (1789), verfasst vom dritten Männerstand, und den Prozess der Verfassungsgebung aufmerksam verfolgt und analysiert. Ab 1789 beobachtet sie die Tagesereignisse aus nächster Nähe in Versailles und schreibt in schneller Folge über politische Probleme: ihre Vorschläge, Kritik an Missständen, Politikern und Faktionen verbreitet sie in Druckschriften, offenen Briefen und Adressen an die Nationalversammlung. Ihren »Pacte National« lässt sie als grosses Plakat drucken und an Pariser Mauern anschlagen. Autorinnen haben keine eigene Zeitung. – Sie erörtert vielfältige soziale und politische Probleme: so plädiert sie für eine »Öffentliche Einrichtung zur Ausbildung von Hebammen«, ein Theater für Autorinnen und für die Einführung der Ehescheidung. Schon 1788 schreibt sie einen »Brief an das Volk über das Projekt einer patriotischen Kasse«, 1789 einen Brief »An die Repräsentanten der Nation«, 1792 eine »Antwort an meine Verleumder«; ferner einen »Brief an den Präsidenten des Konvents zur Verteidigung des Königs« (sie ist prinzipielle Gegnerin der Todesstrafe), eine »Prognose über Maximilien Robespierre« und viele andere tagespolitische Schriften.
Als Anfang September 1791 die Verfassung, beruhend auf der »Erklärung der Rechte des Mannes und Bürgers« verabschiedet und Frankreich konstitutionelle Monarchie wird, druckt sie in aller Eile ihre »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin« und schickt sie an die Nationalversammlung. Gleichzeitig sendet sie ihre Erklärung an die Königin, so wie der dritte Stand die seine dem König zugesandt hatte. Marie-Antoinette ist jedoch völlig machtlos, ohne Einfluss und selbst in hohem Masse als Frau und Ausländerin diffamiert. Sie hat diese Erklärung höchstwahrscheinlich gar nicht erhalten.
Der Prozess – das Todesurteil – die Hinrichtung
Die politischen Ereignisse eskalieren zu Diktatur und Terror: Mme de Gouges hat zu einem frühen Zeitpunkt gewagt, die Gräueltaten der Schreckensherrschaft anzuprangern, zu Beginn des Terrors (Juni 1793), lange vor mächtigen Männern, die es erst 1794 wagten, »Nieder mit dem Tyrannen« – Robespierre – zu rufen, freilich nur, um ihren eigenen Kopf zu retten.
Im Juni 1793 sieht Mme de Gouges voraus, dass auch sie Opfer des Terrors wird und schreibt ihr politisches Testament. Sie endet mit den Worten:
»Mein Herz vererbe ich dem Vaterland, meine Rechtschaffenheit den Männern (die haben sie nötig), meine Seele den Frauen – das ist kein geringes Geschenk -, meine Kreativität den Stückeschreibern, die kann ihnen von Nutzen sein … meine Selbstlosigkeit vererbe ich den Ehrgeizigen, meine Philosophie den Verfolgten, meinen Geist den Fanatikern, meinen Glauben den Ungläubigen…«
Am 20. Juli 1793 wird sie verhaftet; Vorwand ist das Plakat »die drei Urnen oder das Wohl des Vaterlandes«, das sie anschlagen lassen wollte. Sie kritisiert darin das republikanische Regime und schlägt eine direkte »Volksabstimmung« vor. Sie erhofft sich davon innenpolitischen Frieden. Eine Woche lang wird sie in der Commune de Paris gefangen gehalten, dann in die Abtei de Saint-Germain des Pres verlegt. Sie wird verhört, eine Hausdurchsuchung findet statt. Im Gefängnis schreibt sie Briefe, den Text für das Plakat »Olympe de Gouges an das Revolutionstribunal« und an den »Bürger Staatsanwalt«. Sie erhält keine Antwort, keine Hilfe. Die Zustände im Gefängnis sind katastrophal, sie ist erschöpft, krank und verzweifelt. Am 28. Oktober holt mann sie ab – in die Conciergerie. Am 1. November findet »der Prozess« vor dem Sondergericht statt. Diese höchste Instanz lässt keine Berufung zu und vollstreckt ihre Todesurteile am gleichen Tage.
»Die Guillotine arbeitet hier mit voller Kraft […] wohl zwölf, fünfzehn, ja zwanzig Menschen zugleich […] Frankreich ist ein großes Schafott, wo der Stärkste im Namen des Gesetzes, die Schwächsten vernichtet«, schreibt ein Gefangener. Eine auffallend große Zahl von Frauen wird als gefährlich verdächtigt, zum Tode verurteilt und hingerichtet. An einem einzigen Tag werden sogar 54 Todesurteile gefällt, noch am Tage von Robespierres Sturz 46 Verurteilte hingerichtet!
In ihrem letzten Brief schreibt Mme de Gouges:
»Ich sterbe, mein lieber Sohn, Opfer meiner Beseelung für Vaterland und Volk. Dessen Feinde bringen mich unter der trügerischen Maske ihrer republikanischen Gesinnung ohne Skrupel auf das Schafott. Nach fünf Monaten Haft wurde ich in ein Gefängnishospital gebracht, wo ich so frei war, wie in meinem Haus. Ich hätte fliehen können, meine Feinde und Henker wussten das nur zu gut, aber ich war so davon überzeugt, dass es – trotz größter Böswilligkeit, mit der man mich zu Fall bringen wollte, – ausgeschlossen war, mir auch nur eine Tat gegen die Revolution zur Last zu legen, dass ich selbst auf dem Prozess bestand. Hätte ich voraussehen können, dass ungezügelter Blutdurst Recht sprechen würde, gegen jedes Gesetz…? Meine Anklageschrift wurde mir drei Tage vor meinem Tod übergeben; sobald diese Akte zugestellt ist, gibt das Gesetz mir das Recht auf Umgang mit meinen Verteidigern […] Dies alles ist mir vorenthalten. Ich saß praktisch in einsamer Gefangenschaft, konnte nicht einmal mit meinem Bewacher in Kontakt kommen. Das Gesetz kennt mir auch das Recht zu, meine Geschworenen zu wählen; zwölf Uhr nachts erhielt ich Einsicht in die Liste, und um sieben Uhr des folgenden Morgens wurde ich vor das Tribunal geführt […] ich erlebte meine vollkommene Machtlosigkeit. Ich bat um einen Verteidiger meiner Wahl. Ich bekam zu hören, dass dieser nicht anwesend sei oder sich nicht mit meiner Verteidigung belasten wolle; angesichts dessen Abwesenheit bat ich um einen anderen. Die Antwort lautete, dass ich genug Hirn habe, um mich selbst zu verteidigen […] Wohl zwanzig mal habe ich meine Quälgeister erbleichen sehen, und weil sie nichts zu entgegnen wussten, jedesmal wenn ich etwas sagte, was meine Unschuld und ihren bösen Willen bewies, drohten sie mir mit dem Tod […]. Lebe wohl mein Sohn, ich werde nicht mehr sein, wenn Du diesen Brief erhältst […] Ich werde sterben […] ich sterbe unschuldig. Alle Rechte, worauf eine Frau, die höchstverdiente ihres Jahrhunderts, sich berufen kann, sind vergewaltigt […] Degouges.«
Während des Prozesses war das »Gouges Weib« einem Verhör in scharfem Ton unterworfen worden. Die Angeklagte hatte erklärt: Als sie sah, wie in einer großen Zahl der Departemente, und besonders in Bordeaux, Lyon, Marseille usf. […] der Sturm losbrach, hatte sie die Idee, alle Parteien zusammenzubringen, indem man allen die Freiheit der Wahl der Regierungsform, die sie am geeignetsten fänden, überließ; aus diesen Beweggründen habe sie »Die drei Urnen« geschrieben. Ihre Absichten hätten gezeigt, dass sie nur das Glück ihres Landes vor Augen hatte.
[…] dass sie sich seit vielen Jahren zu republikanischen Überzeugungen bekenne, wovon die Geschworenen sich anhand ihres Werkes mit dem Titel »Die Sklaverei der Schwarzen« […] überzeugen könnten.
Auf den Vorwurf, dass sie in einem Brief Prinzipien des Föderalismus vertrete, hatte sie geantwortet, dass ihre Absichten lauter seien und dass sie ihr Herz den Bürgern Geschworenen öffnen wolle, sodass diese über ihre Liebe zur Freiheit und ihren Hass auf jede Art der Tyrannei urteilen könnten.
Welche Würde, welcher Stolz und Heldinnenmut beseelt diese Frau noch angesichts des Todes, dass sie es wagt, den vor Wut schäumenden, hasserfüllten Männern dieses tyrannischen Gerichtes ihr unerschüttertes Bekenntnis zur Freiheitsliebe – und Hass auf Tyrannen aller Art – entgegen zu schleudern.
Das Tribunal, auf Grund einstimmiger Erklärung der Geschworenen, verdächtigt die Angeklagte der Wiedereinrichtung einer Macht, die die Volkssouveränität angreift, betrachtet das Staatsverbrechen als bewiesen und verurteilt Marie Olympe de Gouges, Witwe Aubry, zur Strafe des Todes, konform Artikel Eins des Gesetzes vom 29. März 1793 […] Es erklärt die Güter der obengenannten Olympe de Gouges zum Eigentum der Republik. Das Tribunal befiehlt, dass […] dieses Urteil auf dem Platz der Revolution dieser Stadt vollstreckt, gedruckt, veröffentlicht und im ganzen Land angeschlagen wird […] (lautgemäß Sitzungsprotokoll).
Am 16. Oktober wurde Marie-Antoinette enthauptet, am 3. November Olympe de Gouges, am 8. November Manon Roland.
Damit führt »das Revolutionstribunal den Frauen (Frankreichs) ein bedeutsames Exempel vor Augen, das zweifelsohne für sie nicht ohne Bedeutung sein wird. Denn die Gerechtigkeit, immer unparteiisch, stellt der Strenge die Lehre zur Seite […] Olympe de Gouges wollte Staatsmann werden, und es scheint, dass die Verschwörerin vom Gesetz gestraft wurde, weil sie die Tugenden, die ihrem Geschlecht (!) gebühren, verleugnete. […] Frauen […] liebt, achtet und tragt die Gesetze weiter, die Eure Gatten […] an die Ausübung ihrer Rechte gemahnen […] Seid einfach in Eurer Kleidung, fleißig in Eurem Haushalt. Folgt niemals den Volksversammlungen mit dem Wunsch, dort selbst zu sprechen…« (Salut Public, Organ der Republik. November 1793)
Zur politisch-feministischen Bedeutung der universalen Erklärung der Menschenrechte, 1791
Die welthistorische Bedeutung dieser feministischen Grundsatzerklärung liegt darin, dass ein entrechteter weiblicher Mensch alle Frauen als Menschen definiert: Die Verfasserin begreift weibliche Menschen als Teil der menschlichen Gattung. Sie geht von einer, unteilbaren Menschheit aus – nicht von zwei differenten »Gattungen« – männlichen Menschen und weiblichen Untermenschen. Allein unter der Voraussetzung ihres universalen Begriffs von Menschheit (alle Frauen und Männer) gelten die geforderten bürgerlichen Rechte auf Freiheit, Gleichheit, Eigentum, Arbeit und Teilnahme an allen Gewalten der politischen Macht für alle, universal. Die Privilegierung der Männer als Bürger-Hausväter einerseits bedeutet zugleich die weitere Entrechtung ihrer Hausfrauen (ihrer Eigentumsobjekte) andererseits. Da dieses alte Unterwerfungs- und Unrechtsverhältnis mit religiösen Dogmen (Gottes Wille) und der Ideologie von zwei differenten »Naturen« verteidigt wird, setzt die Autorin diese außer Kraft: Erstens verwirft sie den männlichen Alleinanspruch auf Vernunft, indem sie Aufklärern und Politikern, den Vätern der Verfassung, Unvernunft nachweist; Zweitens beansprucht sie für Frauen Vernunft, den Besitz »aller intellektuellen Fähigkeiten«: »Überall ist das dümmste Tier, meiner Meinung nach, der Mann«. Für sie ist evident, dass die menschliche Natur Kooperation in Gleichheit »ohne Unterschied« vorschreibt, also die Tyrannei des männlichen Geschlechts nicht legitimiert, sondern illegitim macht. Das aber will weiter »als Despot befehlen« über vernünftige Menschen, Frauen – und das »in diesem Jahrhundert der Aufklärung«. Frauen haben Vernunft, also sind sie Menschen, Teil der Menschheit mit legitimem Anspruch auf gleiche Menschen- und Bürgerinnenrechte. Mme de Gouges’ »Erklärung…« ist also die einzig wahre universale, radikaldemokratische und damit die theoretische Überwindung der beschränkten Erklärung der Männer-Vorrechte. Diese ist undemokratisch, reaktionär, veraltet. (Text von 2013)
Verfasserin: Hannelore Schröder
Literaturangaben von Dr. Hannelore Schröder
Zitate
Mann, bist du imstande gerecht zu sein? Es ist eine Frau, die dir diese Frage stellt; dieses Recht wenigstens kannst du ihr nicht nehmen. Sage mir, wer hat dir die souveräne Macht verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken?
Wir Mütter, Töchter und Schwestern, Repräsentantinnen der Nation, fordern, Bestandteil der Nationalversammlung zu werden […] wir haben beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräusserlichen und heiligen Rechte der Frau festzulegen […] auf dass die Ansprüche der Bürgerinnen fortan auf einfache und unbestreitbare Prinzipien gegründet (sind) […] (Präambel)
Erster Artikel: Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich an Rechten […] II. : […] diese Rechte sind Freiheit, Eigentum, Rechtssicherheit und vor allem das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung. III.: Das Prinzip aller Souveränität ruht wesentlich in der Nation, die nichts anderes ist als eine Gesellschaft von Frau und Mann: keine Körperschaft, kein Individuum kann Macht ausüben, die nicht ausdrücklich daraus hervorgeht […] VI.: Das Gesetz muss Ausdruck des allgemeinen Willens sein: alle Bürgerinnen und Bürger müssen an der Gesetzgebung persönlich oder durch ihre Vertretung mitwirken […] alle Bürgerinnen und Bürger, gleich in den Augen des Gesetzes, müssen gleichen Zugang haben zu […] allen Stellen und öffentlichen Ämtern […] VII.: […] Die Verfassung ist nichtig, wenn die Mehrheit der Individuen, aus denen die Nation besteht, nicht an der Verfassungsgebung mitgewirkt hat. […] ”
Frauen erwacht! […] erkennt eure Rechte […] Frauen, wann hört ihr auf, blind zu sein? […] Ihr werdet noch mehr verachtet, noch mehr verhöhnt […] Der Frauenhandel war eine Art Unternehmung […] Wenn der Frauenhandel fortbesteht, ist die Revolution für uns verloren […] Kann die Vernunft wirklich leugnen, dass jeder andere Weg, Einkommen zu erwerben, der Frau verschlossen ist; die Frau wird vom Mann gekauft wie ein Sklave an der Küste von Afrika […] – Die Ehe ist das Grab des Vertrauens und der Liebe […] (Postambel)
Meine teuersten Schwestern […] hätte ich von Euch nicht durchaus mehr Strenge und Unerbittlichkeit zu befürchten als von der allerstrengsten Kritik unserer Gelehrten (Rousseau et.al., H. S.), die alles an sich reißen wollen und uns Frauen kein anderes Recht zubilligen als das, zu gefallen? Die Männer versichern, wir seien zu nichts anderem nütze als eben dazu, ein Hauswesen zu führen; Frauen indes, die sich dem Geiste zuneigen und sich gar mit Ambitionen der Literatur widmen, seien für die Gesellschaft untragbare Wesen. Da sie ihr nicht ihre Nützlichkeit erwiesen, fielen sie ihr nur zur Last. […] Daher sollten wir, meine teuersten Schwestern, untereinander nachsichtiger mit unseren Fehlern umgehen, sie uns eher gegenseitig verbergen und uns darum bemühen, konsequenter zu werden in der Begünstigung unseres Geschlechts. Ist es denn so verwunderlich, dass die Männer uns unterdrücken […] ? […] leider schlägt sich die große Mehrheit (der Frauen) unerbittlich auf die Seite der Stärkeren […] ”. (Vorwort für die Damen. Denkschrift der Madame de Valmont)
Männer haben alle Vorteile. Ich habe sie gesehen, die aus dem Abschaum des Volkes kommen und doch ein Vermögen gemacht haben und einen Rang bekleiden, und ich habe gesehen, dass Frauen, wenn sie tugendhaft sind, im Elend bleiben. Wir sind von jeglicher Macht und jeder Wissenschaft ausgeschlossen. Das Schreiben hat man uns noch nicht genommen. Das ist wirklich ein Glück. (Vorwort, Der großmütige Mann)
Links
Bock; Gisela (2009): Frauenrechte als Menschenrechte. Olympe de Gouges’ „Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin“ Beitrag zum Themenschwerpunkt „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“. Essay. Themenportal Europäische Geschichte.
Online verfügbar unter https://www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-3555, zuletzt geprüft am 25.04.2023.
Frauenmediaturm: Olympe de Gouges. Biografie, Chronologie, Auswahlbibliografie.
Online verfügbar unter http://www.frauenmediaturm.de/themen-portraets/feministische-pionierinnen/olympe-de-gouges/, zuletzt geprüft am 25.04.2023.
Frysak, Viktoria: Olympe de Gouges.
Online verfügbar unter http://olympe-de-gouges.info/, zuletzt geprüft am 25.04.2023.
Google Buchsuche: Olympe de Gouges.
Online verfügbar unter http://books.google.de/books?q=olympe+de+gouges&btnG=Nach+B%C3%BCchern+suchen, zuletzt geprüft am 25.04.2023.
Gouges, Olympe de: Entwurf eines Gesellschaftsvertrags für Ehepartner (»Contrat social«). D@dalos.
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Gouges, Olympe de: Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin. D@dalos.
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Hassauer, Friederike (1999): Frauen, wacht auf! In: EMMA, Nr. 4/1999, S. 100-105. Frauenmediaturm.
Online verfügbar unter https://frauenmediaturm.de/historische-frauenbewegung/friederike-hassauer-frauen-wacht-auf-1999/, zuletzt geprüft am 25.04.2023.
Katalog der Deutschen Nationalbibliothek: Gouges, Olympe de, 1748-1793.
Online verfügbar unter https://d-nb.info/gnd/11854103X, zuletzt geprüft am 25.04.2023.
Schröder, Hannelore: Olympe de Gouges: Mutter der Menschenrechte für weibliche Menschen.
Online verfügbar unter http://www.menschenrechte-frauen.de/olympe-de-gouges-stiftung/mutter-der-menschenrechte.html, zuletzt geprüft am 25.04.2023.
Wesemann, Dorette: Olympe de Gouges (1748-1793). D@dalos.
Online verfügbar unter http://www.dadalos-d.org/deutsch/Menschenrechte/Grundkurs_MR3/frauenrechte/woher/portraets/olympe_de_gouges.htm, zuletzt geprüft am 25.04.2023.
Wikiquote: Olympe de Gouges.
Online verfügbar unter http://de.wikiquote.org/wiki/Olympe_de_Gouges, zuletzt geprüft am 25.04.2023.
Literatur & Quellen
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Gouges, Olympe (1788): Denkschrift der Madame de Valmont. (=Mémoire de Madame de Valmont). Französisch-deutsche Erstausgabe nach der französischen Erstauflage Paris 1788. Herausgegeben und aus dem Französischen übertragen von Gisela Thiele-Knobloch. Frankfurt am Main. Helmer, 1993 (Edition Klassikerinnen). ISBN 3-927164-44-5. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Gouges, Olympe (1791): Die Rechte der Frau und andere Schriften. (=Déclaration des droits de la Femme et de la Citoyenne). Herausgegeben von Gabriela Wachter. Aus dem Französischen von Vera Mostowlansky. Berlin. Parthas, 2006. ISBN 978-3-86601-273-8. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Gouges, Olympe de (2007): Die Rechte der Frau. Achtzehn Kunstpostkarten in Geschenkbox. Illustriert von Annette Meurer. Berlin. Parthas. ISBN 978-3-86601-274-5. (Suchen bei Amazon | Eurobuch)
Gouges, Marie Olympe de (1980): Schriften. Herausgegeben von Monika Dillier. Aus dem Französischen von Vera Mostowlansky. Basel. Stroemfeld. ISBN 3-87877-147-9. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Kestenholz, Salomé; Wyss, Laure (1988): Die Gleichheit vor dem Schafott. Portraits französischer Revolutionärinnen. Darmstadt. Luchterhand Literaturverl. (Sammlung Luchterhand, 818). ISBN 3-630-61818-9. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Mesner, Maria und Steger-Mauerhofer, Hildegard (Hg.) (1994): Der Tod der Olympe de Gouges. 200 Jahre Kampf um Gleichberechtigung und Grundrechte. Dokumentation zum Symposium 2.-4. November 1993. Wien. Dr.-Karl-Renner-Institut. ISBN 3-85464-006-4. (Suchen bei Amazon | WorldCat)
Nagelschmidt, Ilse, Schötz, Susanne und Kühnert, Nicole, et al. (Hg.) (2002): Menschenrechte sind auch Frauenrechte. Leipzig. Universitätsverlag (Leipziger Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung. Reihe C, 2). ISBN 3-935693-79-6. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Schröder, Hannelore (1979): Die Frau ist frei geboren. Texte zur Frauenemanzipation. 1789 – 1870. München. Beck (Beck'sche schwarze Reihe, 201). ISBN 3-406-06001-3. (Suchen bei Amazon | Eurobuch | WorldCat)
Thiele-Knobloch, Gisela (1989): Olympe de Gouges oder Menschenrechte auch für Frauen? Vortrag im Rahmen der Vortragsreihe »Berliner Wissenschaftlerinnen stellen sich vor« an der Freien Universität Berlin, 24.10.1989. Berlin. Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung an der Freien Universität (Berliner Wissenschaftlerinnen stellen sich vor, 7). (Suchen bei WorldCat)
Bildquellen
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