Fembio Specials Berühmte Lyrikerinnen Narcyza Żmichowska
Fembio Special: Berühmte Lyrikerinnen
Narcyza Zmichowska
geboren am 4. März 1819 in Warschau
gestorben am 25. Dezember 1876 in Warschau
polnische Dichterin, Pädagogin und politische Kämpferin
205. Geburtstag am 4. März 2024
Biografie
Narcyza Żmichowska – die polnische Enthusiastin
Poetin, Pädagogin und politische Kämpferin: für eine Polin aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte Narcyza Żmichowska viele Berufe. In den Augen etlicher Zeitgenossen und auch Zeitgenossinnen war sie eine Frauenrechtlerin, eine Emanzipierte, ja, eine Frau, die der Frauenbildung und dem Leben der Frauen in Polen einen gänzlich anderen Charakter geben wollte. Nicht wenige Polinnen und Polen ihrer Zeit sahen in ihr aber vor allem eine aktive Kämpferin für die nationale Unabhängigkeit Polens.
Geboren wurde Narcyza Żmichowska 1819 in Warschau und damit in dem Teil Polens, der seit dem Wiener Kongress 1815 Kongresspolen genannt wurde und unter zaristischer Herrschaft stand. Vorausgegangen waren die drei polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795, in denen Russland, Preußen und Österreich das Land untereinander geteilt hatten. Vorausgegangen war auch zwischen 1807 und 1815 die Herrschaft Napoleons über ein Teilgebiet, das so genannte Herzogtum Warschau.
Narcyza Żmichowskas Familie entstammte dem (zahlenmäßig großen, aber zumeist unvermögenden) polnischen Kleinadel, der Szlachta. Etliche männliche Mitglieder der Familie mütterlicherseits als auch väterlicherseits hatten sich an den Freiheitskämpfen des ausgehenden 18. Jahrhunderts beteiligt, und unter ihnen fanden sich nicht wenige Anhänger der Französischen Revolution.
Narcyza war das jüngste von neun Kindern. Ihre Mutter Wiktoria Kiedrzyńska starb wenige Tage nach ihrer Geburt, und so verbrachte die Żmichowska ihre ersten Lebensjahre bei verschiedenen Verwandten.
Mit sieben Jahren wurde sie Schülerin des damals bekanntesten und angesehensten Mädchenpensionats Warschaus, der Privatschule der Zusanna Wilczyńska. Die besondere Reputation hatte sich das Pensionat durch die Orientierung an den seit 1810 für das Mädchenschulwesen erlassenen Vorschriften der Erziehungsbehörde erworben. Deren Bestimmungen gipfelten darin, die Mädchen zu „sorgsamen Ehefrauen, umsichtigen und gewissenhaften Wirtschafterinnen“ zu erziehen. Gelehrt wurde im Pensionat all das, was im Sinne des Utilitarismus einer Klementyna Tańska Hoffmanowa auf ein praktisches Leben als Ehefrau, Mutter und Hausfrau vorbereiten sollte.
1829 erhielt das Pensionat der Wilczyńska einen besonderen Status als Musterschule und Vorbereitungsschule auf das 1825 gegründete Instytut Guwernantek, der einzigen staatlichen Ausbildungsstätte für angehende Hauslehrerinnen. Die Schülerinnen des Pensionats besaßen das Privileg, ohne spezielle Eignungsprüfung nach der dritten Klasse in das Instytut Guwernantek wechseln zu können.
Diesen Weg ging auch Narcyza Żmichowska. 1833 erhielt sie ihr Diplom als Hauslehrerin und damit die Berechtigung zur Ausübung des einzigen angesehenen Brotberufs für Frauen. Doch es sollte noch einige Jahre dauern, bis sie tatsächlich diesen Beruf ausübte. Aus Narcyza Żmichowska wurde zunächst Gabriella (mitunter auch Gabryella geschrieben), die Dichterin. 1839 veröffentlichte sie erstmals unter diesem Pseudonym in der Zeitschrift „Pierwiosnek“, dem 1838 von Paulina Krakowowa gegründeten Jahrbuch von Frauen für Frauen. (1)
Doch ihren Lebensunterhalt konnte Narcyza „Gabriella“ Żmichowska nicht mit Schreiben sichern. 1838 trat sie ihre erste Stelle als Hauslehrerin bei der Magnatenfamilie Zamoyski an, mit der sie auch für einige Zeit nach Paris übersiedelte. In Paris kam sie erstmals in Berührung mit der Vielzahl der neuen philosophischen und politischen Richtungen und auch mit dem Leben der polnischen Emigrantinnen und Emigranten in Frankreich. Stetiger geistiger Begleiter war ihr in Reims lebender Bruder Erazm, der im Novemberaufstand 1830 gekämpft und Polen im Zuge der Großen Emigration verlassen hatte.
Narcyza Żmichowska nutzte in Frankreich jede Gelegenheit zum Studium und fand auch Kontakt zum demokratisch orientierten Zweig der polnischen Emigration – was im Hause Zamoyski nicht gern gesehen war.
Im September 1839 kehrte sie nach Polen zurück und setzte vor allem ihre Bemühungen fort, als Autorin Fuß zu fassen. Als Publikationsmöglichkeiten nutzte Narcyza Zmichowska vor allem „Pierwiosnek“ und die von Eleonora Ziemięcka herausgegebene Zeitschrift „Pielgrzym“ (Der Pilger), obwohl sie deren orthodoxen Katholizismus nicht schätzte. Gleichzeitig verfasste Narcyza Żmichowska auch pädagogische Schriften, so etwa eine Art Handbuch für den häuslichen Unterricht für Mädchen, das 1847 erschien. Ebenfalls aus dieser Zeit stammte der Plan für ein Geografie-Buch, das aber erst 1857 erscheinen konnte. (Doch auch noch zu diesem späteren Zeitpunkt war es das erste Lehrbuch für Geografie in polnischer Sprache.) Zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes wollte sie zudem ein Mädchenpensionat in Posen eröffnen, scheiterte mit dieser Idee aber am fehlenden Geld.
Die Narcyza Żmichowska der 40er Jahre hatte viele Pläne und Ideen. Deren gemeinsamer Nenner war die Hebung des Niveaus der Frauenbildung, um Frauen die Möglichkeit zu geben, ihre eigene Lage besser zu erkennen. Das Bewusstsein von der eigenen Situation war für die Żmichowska gleichbedeutend mit dem Bewusstsein von der Lage Polens – nur dass das neue Polen nicht ohne die bewussten polnischen Frauen entstehen konnte. In einem Brief aus dem Jahr 1852 beschrieb sie deutlich ihre Beobachtungen: „Es ist eine merkwürdige Sache, wie in der heranwachsenden Jugend eine Generation von tausend schönster Blumen erblüht - … Aber die männlichen Altersgenossen! … ich weiß nicht, was mit so einer merkwürdigen Kombination zu schaffen ist, denn man muss doch eingestehen, dass sich von der Wissenschaft bis zur Tugend die Waagschale auf der Seite der Mädchen senkt… Jedwede männliche Politik ist in den Ereignissen der letzten Jahre mürbe geworden.“ (2)
Die Enthusiastinnen
Entscheidend für Narcyza Żmichowskas weiteren Lebensweg waren Begegnungen mit demokratischen Kreisen im preußischen Großpolen und im Königreich Polen. So hatte sie rege Kontakte nach Posen und hielt sich in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts häufig dort auf. Weitaus wichtiger aber wurden die Kontakte zu den Frauen aus den demokratischen Zirkeln, zu den Frauen, denen die Żmichowska Jahrzehnte später den Namen „Enthusiastinnen“ geben sollte.
Die Gruppe selbst, die sich Anfang der 40er Jahre in Warschau und in Posen bildete, gab sich keinen Namen. Anfangs waren es wohl nur vier Frauen, unter ihnen die Żmichowska, die sich regelmäßig trafen. Ab 1843 vergrößerte sich der Kreis der Mitwirkenden auf rund 20. Sie befassten sich mit den Ideen der Emanzipation, die aus dem Westen und besonders aus Frankreich nach Polen drangen. Sie befassten sich aber auch mit allen aktuellen politischen und philosophischen Fragen der Zeit. Hauptziele waren die Verbesserung der Frauenbildung und das Recht der Frauen auf Partizipation. Ihr intellektuelles Bindeglied war die in Warschau erscheinende Zeitschrift „Przegląd Naukowy“ (Wissenschaftliche Rundschau). Streng genommen bildeten die Enthusiastinnen keine Organisation, gaben sich keine Statuten oder Regeln. Sie wollten als ideelle Gemeinschaft von Frauen für die nationale Unabhängigkeit auf demokratischer Basis wirken – und damit auch die Unabhängigkeit der Frauen erlangen. Dennoch galten sie (nicht zu Unrecht) in den Augen der Teilungsmächte als erste politische Organisation von Frauen. Politisch oder vielmehr konspirativ tätig waren die Enthusiastinnen dann in der Zeit des Aufstandes um 1848. Viele Zeugnisse ihrer Existenz hinterließen die Enthusiastinnen - auch aus Furcht vor Repression und Verfolgung durch Russland oder Preußen - nicht. Narcyza Żmichowska beschrieb später, dass die Enthusiastinnen wesentlichen Anteil daran hatten, dass Frauen endlich allein auf die Straße gehen, allein Eisenbahn fahren oder auch auf Versammlungen das Wort ergreifen konnten.
„Bescheiden im Leben, einfach in der Kleidung, herzlich, posierten sie nicht mit Größe oder Verdienst; opferbereit für andere, hart gegen sich selbst, liebten sie alles, was schön und erhaben war – sie liebten enthusiastisch alle Ideale, die auf die Vervollkommnung der Menschheit hinausliefen.“ (3)
Doch nicht alle urteilten so positiv über die Enthusiastinnen. Ständig drohte den Enthusiastinnen auch die Gefahr der Verwechslung mit einem anderen – in ihren Augen falschen – Emanzipationsverständnis. Da gab es noch die als Gruppen beschriebenen „Löwinnen“ und die „Emanzipierten“. Die „Löwinnen“ waren meist Angehörige der besseren Gesellschaft, die für sich alle Männern vorbehaltenen Vergnügungen reklamierten. Es kursierten zahlreiche Geschichte über eitle Frauen in Männerkleidung, mit kurz geschnittenen Haaren, Zigarre rauchend, hoch zu Pferde sitzend, die sich ohne Rücksicht auf heilige Konventionen benahmen. Etwas weniger monströs wurden die „Emanzipierten“ beschrieben, wenngleich auch sie als Frauen galten, die all das taten, was Frauen nicht tun sollten.
Die Enthusiastinnen, und allen voran Narcyza Żmichowska, bemühten sich sehr um Abgrenzung von den „falschen Schwestern“: „... wenn es nicht so wäre, dass alle Verrückten und emanzipierten Frauen einen kurzgeschorenen Kopf haben, hätte ich schon lange meinen armen dünnen Zopf abgeschnitten; aber in gewisser Hinsicht möchte ich weder für eine von den ersten, noch für eine von den zweiten gehalten werden.“ (4)
In einem aber war die Żmichowska ihren „falschen Schwestern“ näher als mancher anderer Polin. Sie selbst schloss für sich eine Ehe aus: „Stell Dir vor, mein Erazm, man will mich unbedingt verheiraten… Aber was tun, wenn Ehe ohne Liebe nicht meiner Überzeugung entspricht. Wenn die weibliche Persönlichkeit so stark ausgebildet wäre, dass sie keine Zufälligkeiten des Lebens, kein Einfluss abändern könnte – ha! - [dann] könnte die Frau vielleicht zur Erfüllung der gesellschaftlichen Stellung, besonders im Namen der Mutter, den Traum vom individuellen Glück aufgeben, zerbrechen, und sich mit gleichgültiger Hand im Heiratsalter an einen Ring ketten … Es ist nicht zu glauben, wie eine Frau in einer schlechten Ehe jedwede Kraft ihres Geistes vergeudet, jedwede Fähigkeit, jedweden Drang zum Besseren.“ (5)
Das Bessere sah Narcyza Żmichowska in der Frauenbildung – und in der Volksbildung. Die Enthusiastinnen engagierten sich in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts besonders in Großpolen bei der Gründung von Landschulen und geheimen Zirkeln für polnische Sprache und Geschichte. In Warschau gaben sie Kurse für Handwerker, um sie für die nationale Sache zu gewinnen. Und immer wieder organisierten die Enthusiastinnen Hilfsaktionen für politische Gefangene und ihre Familien, verteilten illegale Schriften und sorgten als Emissärinnen für die Kommunikation zwischen einzelnen Gruppen, die einen neuerlichen Aufstand gegen die Teilungsmächte vorbereiteten. Die Verschwörung, die im Aufstand von 1848 gipfelte, wurde mehr und mehr zu einer Verschwörung der Frauen. Anfangs widmeten weder Russland noch Preußen noch Österreich den polnischen Frauen große Aufmerksamkeit - so war es ihnen möglich, ganz wesentlich an der konspirativen Arbeit teilzunehmen. Die nach dem gescheiterten Aufstand von 1848 einsetzende Repression traf aber auch die Frauen.
Narcyza Żmichowska selbst wurde 1849 im Königreich Polen verhaftet und saß bis 1852 in Klosterhaft in Lublin. (Klosterhaft war eine besonders im Königreich Polen übliche Form der „Unterbringung“ für die Frauen der Aufstandsbewegung.) Aus der Haft entlassen, stand sie bis 1855 in Lublin unter strenger Polizeiaufsicht und konnte erst danach wieder nach Warschau zurückkehren. Am härtesten aber wurde die aus Warschau stammende Enthusiastin Anna Skimborowiczowa bestraft. Sie wurde bereits 1848 verhaftet und zusammen mit ihrem Mann 1850 aus dem Königreich ausgewiesen und bis Ende 1851 nach Kiew verbannt.
Die erste polnische Frauengruppe endete also für etliche Jahre hinter Klostermauern und in der Verbannung – und es sollte viele Jahre dauern, bis sich neue Gruppen bilden konnten.
Für Narcyza Żmichowska stand nach der Haft die praktische pädagogische Arbeit im Vordergrund. Sie konnte endlich ihr lang geplantes Geografie-Buch in polnischer Sprache herausgeben, arbeitete als Hauslehrerin und für kurze Zeit auch an der mittlerweile zweiten staatlichen Ausbildungsstätte für Hauslehrerinnen in Warschau, dem Instytut Aleksandryjski. In den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts war sie wieder literarisch tätig, u.a als Herausgeberin der Werke der Klementyna Tańska Hoffmanowa. Mit dieser Neuausgabe stellte sich die Żmichowska nicht in die Tradition der Tańska Hoffmanowa, sondern nutzte die Einleitung und ausführliche Kommentierung der Werke zur Abrechnung mit den Prinzipien des Utilitarismus in der Frauenbildung. Vor allem machte sie sich einen Namen als Wegbereiterin des Positivismus in der polnischen Literatur.
Narcyza Żmichowska starb am 25. Dezember 1876 in ihrer Geburtsstadt Warschau.
Anmerkungen
- Pierwiosnek, übersetzt Schlüsselblume, erschien bis 1843 und war die erste periodische Schrift in Polen, die ausschließlich Autorinnen vorbehalten war. In der ersten Ausgabe 1838 waren 22 Autorinnen vertreten, bis 1843 hatte nahezu jede schreibende Frau Warschaus die Möglichkeit genutzt, in der Zeitschrift von Paulina Krakowowa zu veröffentlichen.
- Übersetzung E. W. aus einem Brief an Bibianna Moraczewska, 1852. In: Zmichowska, Narcyza: Listy do rodziny i przyjaciół. T. III, 1906, S. 286/287
- Übersetzung E. W. nach: Jenike, Ludwik: Jeszcze o Gabryeli (Narcyzy Żmichowskiej) i Entuzjastkach (Wspomnienie). In: Ateneum. Warszawa 1892, T. 3, S. 194
- Übersetzung E. W. aus einem Brief an Anna Kiesielnicka, 1844. In: Zmichowska, Narcyza: Listy do rodziny i przyjaciół. T. III, 1906, S. 23/24
- Übersetzung E. W. aus einem Brief an ihren Bruder Erazm Zmichowski, 1844. In: Zmichowska, Narcyza: Listy do rodziny i przyjaciół. T. I, 1957, S. 159/160
Verfasserin: Eva Weickart
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