Fembio Specials Frauenbeziehungen Mireille Best
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Mireille Best
geboren am 4. Juni 1943 in Le Havre
gestorben am 16. Januar 2005 in Roquebrune-sur-Argens
französische Schriftstellerin
80. Geburtstag am 4. Juni 2023
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Die Kunst des Auslassens zeichnet Mireille Best seit ihrem ersten 1980 erschienenen Buch Les Mots de hasard aus: Die Kunst, die Sprachschwierigkeit zwischen zwei Personen, meist Frauen, auszudrücken und die Öffnung zu finden, durch die die andere berührt werden kann.
Mireille Best wird im zweiten Weltkrieg in Le Havre geboren, eine Stadt, die vollständig von Bomben zerstört wird. Ihr Vater ist Metallarbeiter, ihre Mutter ›ohne Beruf‹, wie es heißt. Die Wohnprobleme ihrer Familie sind so groß, dass Mireille bei ihrer Großmutter mütterlicherseits, einer ›fliegenden‹ Fischhändlerin, aufwächst. Da Mireille bis zu ihrem zwölften Lebensjahr aus gesundheitlichen Gründen – sie ist schwerhörig und lungenkrank – nicht regelmäßig die Schule besuchen kann, bringt ihr die über alles geliebte mémé Lesen, Schreiben, Rechnen bei und lässt Mireille mit fünf Jahren Les Misérables von Victor Hugo entdecken. Später wird Mireille den Namen der Großmutter – sie heißt Albertine Best – als Künstlerinnennamen annehmen.
Nach lückenhaftem und abgebrochenem Besuch der Höheren Schule arbeitet Mireille einige Monate in der Fabrik. 1966 lässt sie sich mit ihrer Schulfreundin Jocelyne Crampon in Südfrankreich nieder, dort, wo die Sonne ihrer Gesundheit guttut. 27 Jahre lang reiht sie mit Widerwillen in einer Finanzbehörde Zahlen aneinander und schreibt, wann immer sie kann: abends und an den Wochenenden. Von der literarischen Welt weit entfernt, schickt sie eines Tages ihr Manuskript an den anspruchsvollen Pariser Verlag Gallimard – es wird angenommen.
Das Universum ihrer Erzählungen ist der kurze Moment einer Begegnung. Eine Begegnung, in der die berührenden Blicke oft von ablenkenden Worten betrogen werden und eine über diesen Augenblick hinausreichende Bewegung von Floskeln getötet wird, aus Angst vor Schweigen und begehrenden Gesten. Die Magie in Mireille Bests Texten liegt in der Bewegung ihres Schreibens. Sie verzerrt den Satz, benutzt nicht die übliche Interpunktion, setzt Großbuchstaben mitten in den Satz, mehrere Leertasten erscheinen zwischen zwei Wörtern. Sie gibt ihren Texten oft einen ebenso körperlichen wie geschriebenen Charakter. So gelingt es ihr, einen doppelten Dialog auszudrücken: Einen, den man hört und einen anderen, der verborgen im Schweigen oder in Gesten zum Vorschein kommt.
Die Liebe zwischen Mädchen, zwischen Frauen ist bei Mireille Best eine selbstverständliche Gegebenheit. Es sind, wie in ihrem Roman Camille en Octobre (Camille im Oktober), die anderen, die für diese Liebe einen Namen suchen. Das Problem der Protagonistinnen liegt meist in der Wahl der Anderen. Oft richtet sich die Liebe einer jungen Frau an eine ältere; an eine Gleichaltrige nur dann, wenn diese eine andere liebt. Immer ist es die Ältere, die zurückweicht, nie die Jugendliche, die bereit ist, der ganzen Stadt die Stirn zu bieten und oft die Flucht in Bücher und Träumereien der flachen Welt der Erwachsenen vorzieht. Neben dem Moment einer Begegnung hat das Leben in der Provinzstadt in Mireille Bests Büchern eine große Bedeutung. Ihre von Armut geprägte Kindheit in Le Havre, die Eintönigkeit eines Dorfs oder eines unbestimmten Ortes kommen darin zum Ausdruck. Doch plötzlich wird die graue Alltäglichkeit durch einen Blick aufgeheitert und aufgewühlt. Die Hauptfiguren irren nicht herum durch die Bars einer städtischen Nacht, sondern zwischen den Wänden ihrer Gefühle, ihrer inneren Welt.
Wenn diese Romane auch mit den zeitgenössischen Frauen- und Lesbenbewegungen einhergehen, so haben sie diese nicht zum Thema. Das Wort Lesbe erscheint spät in ihrem Werk (Il n’y a pas d’hommes au paradis, 1995 – Es gibt keine Menschen im Paradies). Nicht, weil sie das Wort ablehnt oder sie auf Feindseligkeit stoßen könnte, sondern weil sie ihr Leben und ihre Liebe ohne Kompromiss, ohne Rechtfertigung lebt. Sie gehört keinen politischen Gruppierungen an, aber sie ergreift entschieden Partei für Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Die Kinder, Brüder, Schwestern oder Nachbarn in ihren Texten solidarisieren sich in einer oft grausamen Realität.
Die Werke Mireille Bests werden von den KritikerInnen mit Begeisterung aufgenommen, gleichzeitig mit dem Bedauern, dass diesen Büchern keine größere Aufmerksamkeit auf dem Buchmarkt geschenkt wird. Dank des Amsterdamer Frauenverlages Furie werden die meisten ins Holländische übersetzt, auf Deutsch erscheinen zwei Erzählungen und zwei Romane; an US-amerikanischen Universitäten werden ihre Werke Studiengrundlage in Fakultäten französischer Literatur, einige Bücher ins Englische übersetzt.
Ab 1990 kann sich Mireille Best endlich ganz dem Schreiben widmen, da sie krankheitsbedingt vorzeitig Rente bezieht. Mit ihrer Lebensgefährtin Jocelyn Crampon und einer Boxerhündin lebt sie in Roquebrune-sur-Argens, in einem kleinen Dorf nahe des Mittelmeers, wo sie 2005 stirbt.
In ihrem Garten blüht ein Hibiskus in einer wunderschönen Amphore mit der Asche ihrer Großmutter.
Verfasserin: Suzette Robichon, Traude Bührman
Zitate
Erzählen bedeutet stets, das in Stücke zu brechen, zu zersplittern, was zusammenhält. Erzählen bedeutet, Dinge zu verlegen, sie in falsche Schubläden zu räumen.
Wenn ich einen Text übers Trauern schreiben würde, dann würde ich über meine Großmutter schreiben. Aber ihr Tod ist mir noch zu nah. Sie ist vor zehn Jahren gestorben.
Masques homosexuelle Zeitschrift 1981: »Die Protagonistinnen sprechen schräg an den Worten vorbei, ihr sehr sehr langsames Lächeln verdeckt ganz Flächen von Leere und Schatten.«
Links
Best, Mireille (1997): Mireille Best. Autobiografischer Text (frz.), geschrieben für Bagdam Espace Lesbien, Toulouse. (Link aufrufen)
Internet Movie Database: Mireille Best. Filme. (Link aufrufen)
Perlentaucher: Mireille Best. Rezensionen. (Link aufrufen)
Wikipedia (engl.): Mireille Best (Link aufrufen)
Links geprüft und korrigiert am 15. Mai 2023 (AN)
Literatur & Quellen
Werke (französisch)
Best, Mireille (1980): Les Mots de hasard. Nouvelles. Paris. Gallimard. ISBN 2-07-022061-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Best, Mireille (1983): Le méchant petit jeune homme. Nouvelles. Paris. Gallimard. ISBN 2-07-024639-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Best, Mireille (1985): Une extrême attention. Nouvelles. Paris. Gallimard. ISBN 2-07-070282-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Best, Mireille (1986): Hymne aux murènes. Roman. Paris. Gallimard. ISBN 2-07-070549-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Best, Mireille (1988): Camille en octobre. Roman. Paris. Gallimard. ISBN 2-07-071245-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Best, Mireille (1991): Orphea trois. Nouvelles. Paris. Gallimard. ISBN 2-07-072156-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Best, Mireille (1995): Il n'y a pas d'hommes au paradis. Roman. Paris. Gallimard. ISBN 2-07-074105-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Werke (deutschsprachige Ausgaben)
Best, Mireille (1998): Es gibt keine Menschen im Paradies. Roman. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. 1. Aufl. Berlin. Krug & Schadenberg. ISBN 3-930041-16-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Best, Mireille (2000): Camille im Oktober. Roman. Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer. Berlin. Krug & Schadenberg; Krug und Schadenberg. ISBN 3-930041-20-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Gerlach, Carola (Hg.) (1990): Erkundungen. 35 französische Erzähler. Enthält die Erzählung Am Tag als der Schnee kam (Le jour de la neige), übersetzt von Gotthardt Schön. Berlin. Volk und Welt. ISBN 3-353-00660-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Busch, Alexandra (Hg.) (1997): Frauenliebe, Männerliebe. Eine lesbisch-schwule Literaturgeschichte in Porträts. Darin: Suzette Robichon, Mireille Best. Stuttgart. Metzler. ISBN 3-476-01458-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Cairns, Lucille (1999): Lesbianism in contemporary French realist fiction : three case-studies (Mireille Best, Jocelyne François, Hélène de Monferrand). In: French Studies Conference, Mars 1999.
Cairns, Lucille (op. 2002): Lesbian desire in post-1968 French literature. Lewingston N.Y. E. Mellen press. (Studies in French literature, 56) ISBN 0-7734-7110-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ricouart, Janine (2003): Mireille Best. In: Women in French, 2003.
Schechner, Stephanie (2003): Mireille Best : The Quest for a French Lesbian Literary Identity. In: Mid-Atlantic Women’s Studies Association Annual Conference, February 2003.
Waelti-Walters, Jennifer R. (2000): Damned women. Lesbians in French novels ; 1796 - 1996. Includes bibliographical references (p. [253]-265) and index. Montreal. McGill-Queen's University Press; McGill-Queen's Univ. Press. ISBN 0-7735-2110-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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