Fembio Specials Pionierinnen der Frauenbewegung Minna Cauer
Fembio Special: Pionierinnen der Frauenbewegung
Minna Cauer
Wikimedia commons
(Theodore Wilhelmine Marie Cauer, geb. Schelle, verw. Latzel)
geboren am 1. November 1841 in Freyenstein bei Wittstock, Ostprignitz, Nordbrandenburg
gestorben am 3. August 1922
deutsche Frauenrechtlerin, Publizistin und Pazifistin
100. Todestag am 3. August 2022
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Um 1900 hat die Erste Frauenbewegung auch hierzulande zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten hervorgebracht. Viele von ihnen sind heute allerdings nur noch Wenigen bekannt. So auch Minna Cauer. Dabei war sie nicht nur „eine der bedeutendsten Akteurinnen der ‚radikalen’ Frauenbewegung“, sondern Ende des 19. Jahrhunderts „sogar ihre unangefochtene Repräsentantin“ (Briatte, S. 53). Vom Ende des Dezenniums an bildete Cauer gemeinsam mit Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann etwa ein Jahrzehnt lang das „Dreigestirn an der Spitze“ (ebd., S. 355) des radikalen Flügels der Frauenbewegung. Schließlich zerfiel es jedoch, obwohl alle drei stets etliche frauenpolitische und später auch pazifistische Ziele teilten. Eine der ausschlaggebenden Ursachen für den Bruch dürften nicht zuletzt persönliche Verstimmungen zwischen Cauer und Heymann gewesen sein.
Zur Zeit ihres frauenrechtlerischen Engagements um die Jahrhundertwende stand die am 1. November 1841 im nordbrandenburgischen Örtchen Freyenstein als Theodore Wilhelmine Marie Schelle geborene Pfarrerstochter zwar bereits in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt, dass sie einen eigenen Willen besaß und auch durchsetzen konnte, hatte sie jedoch bereits in frühen Jahren bewiesen. So begann sie nach dem Besuch einer Höheren Töchterschule gegen allerlei Widerstände eine Lehrerinnenausbildung, insbesondere gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Eltern, die sie „als Stütze und Freude um sich in ihrem Alter haben wollten“ (Cauer, zitiert nach Briatte, S. 55). Allerdings unterbrach die ungehorsame Tochter die Ausbildung und ging an ihrem 21. Geburtstag 1862 eine Ehe mit dem Arzt August Latzel ein. Der Ehemann und ein inzwischen geborener Sohn verstarben jedoch innerhalb weniger Jahre. Die junge Witwe nahm ihre Ausbildung zur Lehrerin wieder auf und legte nur ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes 1867 das Examen ab.
Im darauffolgenden Jahr wagte sie sich – wiederum gegen den Widerstand ihrer Verwandten – ins Ausland und trat eine Stelle als Hauslehrerin in einer Pariser Bankiersfamilie an. „[R]ückblickend“ sah sie in ihrem Frankreichaufenthalt „einen entscheidenden Schritt zur Unabhängigkeit“ (Wedel, S. 149). Dennoch kehrte sie nach nur einem Jahr nach Deutschland zurück, da sie an der Mädchenschule in Hamm eine Stelle als Lehrerin antreten konnte. Noch im gleichen Jahr heiratete sie Eduard Cauer, den Direktor der Schule. 1876 zog das Ehepaar nach Berlin, wo Minna Cauer in Berührung mit den Ideen der langsam aufkeimenden Frauenbewegung kam.
Ihre zweite Ehe sollte nicht von sehr viel längerer Dauer sein als ihre erste, denn auch Eduard Cauer starb früh. Nach dessen Tod 1881 zog Minna Cauer für einige Jahre nach Dresden, wo sie begann, sich intensiver mit der Geschichte der Frauen zu befassen. Der Situation der Frauen ihrer eigenen Zeit wandte sie sich 1898 in ihrem Buch Die Frau im 19. Jahrhundert zu. Doch handelt es sich bei dem Werk keineswegs um ihre erste große Publikation. Denn fünf Jahre zuvor war bereits ihr Band über Die Frauen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika erschienen. Erste Publikationserfahrungen hatte sie sogar schon in den Jahren 1883 und 1884 sammeln können, in denen sie einige Artikel in der renommierten Vossischen Zeitung unterbringen konnte, die allerdings anonym erschienen.
In Dresden hielt es sie nicht lange. Vielmehr zog es sie bereits Mitte der 1880er Jahre nach Berlin zurück, wo sich in Sachen Frauenemanzipation wesentlich mehr tat. Ihren Lebensunterhalt bestritt Cauer nun fürs Erste damit, dass sie in einem Pensionat lebende Amerikanerinnen in Geschichte unterrichtete. Möglicherweise wurde sie hierdurch zu ihrem Buch über die US-amerikanischen Frauen angeregt. Weit wichtiger aber ist, dass sie begann, eine ganze Reihe von Frauenvereinen wie etwa den Kaufmännischen Hilfsverein für weibliche Angestellte zu initiieren oder mitzubegründen, unter denen der 1888 ins Leben gerufene Verein Frauenwohl als wichtigster und wohl auch langlebigster herausragt. Sein Aufgaben- und Tätigkeitsfeld war ebenso vielfältig wie das der Frauenbewegung insgesamt, war sein Ziel doch die völlige rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der Frau in allen Lebensbereichen von Bildung und Erziehung über die Erwerbstätigkeit bis hin zum Eherecht. In dieser Vielfalt spiegelt sich auch wider, dass Cauer, die dem Verein Frauenwohl über drei Jahrzehnte hinweg bis zu seiner Auflösung im Jahr 1919 vorsaß, selbst in Sachen Frauenrechte „eher Generalistin als Spezialistin“ (Briatte, S. 458) war. So setzte sie sich etwa gegen das Betätigungsverbot für Frauen in politischen Vereinen, das Verbot politischer Zusammenkünfte von Frauen, das frauenfeindliche Eherecht im Bürgerlichen Gesetzbuch, sexuelle Angriffe gegen Frauen sowie das Abtreibungsverbot und für die Mädchenschulreform, das Frauenstimmrecht, die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf sowie für ledige Mütter ein.
Damit nicht genug, gründete sie 1895 mit der zweimal monatlich erscheinenden Zeitschrift Die Frauenbewegung die wichtigste Stimme des radikalen Flügels der deutschen Frauenrechtlerinnen, als deren Herausgeberin, Redakteurin und natürlich Autorin sie über ein Vierteljahrhundert fungierte und so „einer ganzen Generation“ radikaler Feministinnen „ihren Stempel auf[drückte]“ (Briatte, S. 53). Ihre Beiträge reichten von Leitartikel über Kongressberichte bis hin zu Rezensionen.
Zudem war sie 1899 eine der Gründerinnen des gegenüber dem Bund Deutscher Frauenvereine radikaleren Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine, dessen Vorstand sie bis 1907 ebenso angehörte wie dem des Frauenvereins Reform, aus dem sie jedoch gemeinsam mit Marie Stritt und Anita Augspurg 1896 zurücktrat, um zwei Jahre darauf den Verein Frauenstudium zu gründen. Ein weiterer Verein zu dessen Gründerinnen und Vorstandsangehörigen die „unermüdliche Kämpferin für Frauenrechte und Demokratie“ (Jank 1991, S. 7) zählte, war der Deutsche Verein für Frauenstimmrecht.
Cauer war somit zwar in etlichen Frauenrechts-Vereinen höchst aktiv, ihr größtes Talent offenbarte sich allerdings in der freien Rede vor großem Publikum, als packende Rednerin mit ausgeprägten rhetorischen Fähigkeiten, die stets darauf verzichtete, auf ein Manuskript zurückzugreifen. So erinnert sich die russische Feministin und Sozialistin Alexandra Kollontai in ihren Memoiren, dass die zweiundsiebzigjährige Vortragende, „wenn sie sprach, Tausende, ihr mitunter feindlich gesinnte Zuhörer zu fesseln vermochte“ (Kollontai, zitiert nach Jank 1991, S. 22). Cauer nutzte ihre Begabung für zahlreiche Vorträge nicht nur in Deutschland, sondern auch in etlichen weiteren europäischen Ländern. Hoch in ihren Sechzigern hielt sie alleine in den Wintermonaten des Jahreswechsels 1910/11 rund fünfzig Vorträge – und dies nicht etwa in Berlin, sondern „in allen Teilen Preußens“ (Jank 1991, S. 11).
Zwar waren Stritt und Cauer zu Beginn ihres gemeinsamen feministischen Engagement miteinander befreundet, doch ähnlich wie das Dreigespann Cauer, Augspurg, Heymann zerbrach auch diese Freundschaft. Nach Stritts Wechsel vom im Verband fortschrittlicher Frauenvereine organisierten radikalen Flügel in den Bund Deutscher Frauenvereine der Gemäßigten fand diese sogar „recht harte Worte“ (Wolff, S. 78) für Cauer, was allerdings durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Überhaupt galt Cauer in ihrem persönlichen Umgang als etwas schwierig, zumal sie Kontroversen nie aus dem Weg ging. Zu den Zerwürfnissen zwischen ihr und anderen Frauenrechtlerinnen mag auch beigetragen haben, dass sie es „liebte“, „Machtpositionen innezuhaben und ihren Einfluss auf ihre nächste Umgebung auszuüben“ (Briatte, S. 362). Jedenfalls führten verschiedene Kontroversen dazu, dass Cauer in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg innerhalb der Frauenbewegung in „wachsende Isolation“ (ebd.) geriet. 1907 legte sie ihren Vorsitz im Verband fortschrittlicher Frauenvereine nieder, zwei Jahre später verzichtete sie darauf, sich erneut in den im Vorstand des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht wählen zu lassen und 1912 zog sie sich ganz aus dem Verein zurück. Ihr Amt als Vorsitzende des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht gab sie ebenfalls in diesem Jahr auf.
Dabei waren etliche Frauenrechtlerinnen, die mit ihr zu tun hatten, voll des Lobes für ihre Klugheit und ihr feministisches Engagement. Helene Stöcker etwa pries sie in ihren Lebenserinnerungen als „eine sehr kluge, gewandte Frau, die […] in sehr geschickter und erfolgreicher Weise versucht hatte, die Interessen der Frauen zu vertreten “ (Stöcker, S. 111), und selbst die Marxistin Clara Zetkin bescheinigte der „treuen Verfechterin der Frauenrechte“ eine „echt demokratische Gesinnung“ (Zetkin, zitiert nach Jank 1991, S. 19)
Während des ersten Weltkrieges wurde Cauer zu einer der Gründerinnen des Frauenbundes der Deutschen Friedensgesellschaft. Auch stand sie dem Verein Frauenwohl, der ihr offenbar besonders am Herzen lag, bis zu dessen Auflösung 1919 vor. Im Dezember des gleichen Jahr stellte sie auch ihre Zeitschrift Die Frauenbewegung ein, die sie vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges an nicht zuletzt für ihr pazifistisches Engagement genutzt hatte. Ausschlaggebend für das Ende der Zeitschrift dürfte neben dem hohen Alter Cauers auch die finanzielle Schieflage gewesen sein, in die das Periodikum infolge der Inflation geraten war.
Cauer verfasste im Laufe ihres Lebens nicht nur unzählige Beiträge für Zeitschriften, sie war auch eine passionierte Leserin, die Romane und Erzählungen ebenso verschlang wie politische und historische Sachbücher. Die Sachliteratur entlieh sie sich gerne und oft in der Bibliothek des Reichstages. Überdies griff sie auch zu philosophischen und ökonomischen Schriften etwa aus der Feder des nicht eben als frauenfreundlich bekannten Pessimisten Arthur Schopenhauer oder des Gründers des sich als wissenschaftlich verstehenden Sozialismus’ Karl Marx, in dessen Schriften sie allerdings „nicht nur viele Widersprüche“ ausmachte, „sondern auch eine große Einseitigkeit und Engherzigkeit, weil alles und alles aus ökonomischen Gründen allein abgeleitet werden soll“ (Cauer, zitiert nach Jank, 2018).
Cauer, die am 3. August 1922 in Berlin einer Herzattacke erlag, war glücklich darüber, ihren Lebensabend in einer Republik verbringen zu dürfen, in der Frauen endlich das aktive und passive Wahlrecht ausüben konnten. Persönlich zog sie eine positive Bilanz: „Meine Aufgabe innerhalb der Frauenbewegung halte ich für erfüllt, da das Bürgerrecht der Frau den Frauen gegeben worden ist“ (Cauer, zitiert nach Jank, 2018). Doch hatte sie auch erkannt, dass „[d]ie Gleichberechtigung in der Stellung der Frau“ mit dem Wahlrecht „noch keinesfalls gesichert“ (Cauer, zitiert nach Briatte, S. 405) ist. Dennoch, so schrieb sie 2019 in der letzten Ausgabe der Frauenbewegung, wolle sie sich fortan anderen Aufgaben zuwenden, die „allgemeiner Natur“ seien und „Menschheitsfragen und Menschheitsprobleme“ beträfen (Cauer, zitiert nach Briatte, S. 406).
Zumindest eine ihrer Forderungen ist allerdings auch heute, 100 Jahre nach ihrem Tod, noch immer nicht erfüllt und somit nach wie vor aktuell. Schon wenige Tage nachdem der Rat der Volksbeauftragten am 12. November 1918 das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen beschlossen hatte, „beantragte“ sie im Zuge der „Vorbereitungen für neue Wahlordnungen auf Reichs- und Länderebene […] eine Quotenregelung für Frauen in den Abgeordnetenlisten im Wahlgesetz festzuschreiben“ (Stolze, S. 115).
(Bei dem Text handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Version meines Beitrags über Minna Cauer im von Luise F. Pusch herausgegebenen Kalender Berühmte Frauen für das Jahr 2022. R.L., 2020)
Verfasserin: Rolf Löchel
Literatur & Quellen
Archiv der deutschen Frauenbewegung. Minna Cauer (1841-1922). „Ich weiß, daß ich Sozialistin und Politikerin bin, - ein Weltmeer trennt mich von den Frauenrechtlerinnen.“ https://www.addf-kassel.de/dossiers-und-links/dossiers/dossiers-personen/minna-cauer/. Zuletzt aufgerufen am 2.11.2020.
Briatte, Anne-Laure. 2020. Bevormundete Staatsbürgerinnen. Die „radikale“ Frauenbewegung im Deutschen Kaiserreich. Übersetzt aus dem Französischen von Meiken Endruweit. Frankfurt a. M. Campus.
Cauer, Minna. 1893. Die Frauen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Berlin. Lesser.
Cauer, Minna. 1898. Die Frau im 19. Jahrhundert. Berlin. Cronbach.
Cauer, Minna. 1913. 25 Jahre Verein Frauenwohl, Groß-Berlin. Der Fortschrittlichen Frauenbewegung gewidmet zum 25jährigen Jubiläum des Vereins Frauenwohl. Groß-Berlin, Berlin. Löwenthal.
Cauer, Minna (Hrsg.). 1895-1919. Die Frauenbewegung. Berlin. Loewenthal.
Jank, Dagmar. 1991. „Vollendet, was wir begonnen!“ Anmerkungen zu Leben und Werk der Frauenrechtlerin Minna Cauer (1841-1922). Berlin. Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin.
Jank, Dagmar. 2018. Minna Cauer. In: Digitales Deutsches Frauenarchiv. https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/minna-cauer. Aufgerufen am 27.10.2020
Lüders, Else. 1922. Minna Cauer zum Gedächtnis. Erinnerungen. Berlin. Loewenthal.
Lüders, Else. 1925. Minna Cauer. Leben und Werk dargestellt an Hand ihrer Tagebücher und nachgelassenen Schriften. Gotha. Perthes.
Schüller, Elke. 2005. Marie Stritt. Eine kampffrohe Streiterin“ in der Frauenbewegung (1855-1928). Mit dem erstmaligen Abdruck der unvollendeten Lebenserinnerungen von Marie Stritt eingeleitet und redigiert von Kerstin Wolff. Herausgegeben vom Archiv der deutschen Frauenbewegung. Königstein im Taunus. Ulrike Helmer.
Stöcker, Helene. 2015. Lebenserinnerungen. Die unvollendete Autobiographie einer frauenbewegten Pazifistin. Herausgegeben von Reinhold Lütgemeier-Davin und Kerstin Wolff in Kooperation mit der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung. Köln, Weimar Wien. Böhlau.
Stolze, Elke. 2010 „Newcomerinnen“ in den Parlamenten. Politikerinnen in der Weimarer Republik, in: Ulrike Gilhaus, Julia Paulus und Anne Kugler-Mühlhofer (Hrsg.): Wie wir wurden, was wir nicht werden sollten. Frauen im Aufbruch zu Amt und Würden. Essen, Klartext. S. 115-126.
Wedel, Gudrun. 2010. Minna Cauer. In: dies. Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon. Köln, Weimar Wien. Böhlau. S. 149.
Wolff, Kerstin. 2017. Anna Pappritz 1861-1939. Die Rittergutstochter und die Prostitution. Sulzbach/Taunus. Ulrike Helmer.
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.