Fembio Specials Frauenbeziehungen Martina Navrátilová
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Martina Navrátilová
(Martina Šubertová [Geburtsname])
geboren am 18. Oktober 1956 in Prag
tschechisch-US-amerikanische Tennisspielerin
65. Geburtstag am 18. Oktober 2021
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Martina Navrátilová ist eine der erfolgreichsten TennisspielerInnen aller Zeiten, wenn nicht sogar die erfolgreichste: Ihre größten Triumphe feierte sie Anfang bis Mitte der 1980er Jahre; 332 Wochen stand sie an der Spitze der Weltrangliste – und wurde darin bis heute nur von Steffi Graf überflügelt. Insgesamt gewann sie 59 Grand-Slam-Titel – d.h. die bedeutendsten Tennisturniere der Welt: die Australian Open, French Open, Wimbledon und US Open – im Einzel, Doppel und Mixed und wird hierin nur von der Australierin Margaret Smith Court mit 64 Titeln übertroffen. Allein 20 Titel gewann Martina Navrátilová in Wimbledon – wo sie immer am liebsten spielte – und mit denen sie den Rekord von [url=https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/billie-jean-king ]Billie Jean King [/url] einstellte. Ihre Siegesserie von 74 gewonnenen Turnieren in Folge sowie ihre insgesamt 344 gewonnenen Turniere der WTA-Profi-Tour, davon 167 im Einzel und 177 im Doppel, wurden bis heute nicht übertroffen, auch von keinem männlichen Spieler.
Nach ihrem Rücktritt 1995 – und nachdem bereits etliche Biographien über sie erschienen waren und sie in die Tennis Hall of Fame aufgenommen worden war – kehrte Martina Navrátilová 2000 überraschend in den Tenniszirkus zurück und feierte wieder große Erfolge. Unter anderem gewann sie 2003 mit ihrem indischen Mixed-Partner Leander Pais die Australian Open und ihren 20. Titel in Wimbledon. Damit war sie die älteste Spielerin, die je ein Grand-Slam-Turnier gewann und krönte eine einzigartige, mehr als 30 Jahre andauernde Sportkarriere, wie sie wohl so bald nicht wieder erreicht wird. »Auf ihre alten Tage« wurde sie 2004 zusammen mit ihrer Doppelpartnerin Lisa Raymond sogar für die Olympischen Spiele in Athen nominiert, wo sie allerdings im Viertelfinale ausschieden. Nach den US Open 2006 trat Martina Navrátilová endgültig vom Hochleistungssport zurück.
Aber sie machte nicht nur mit ihren sportlichen Erfolgen von sich reden. Sie hielt sich nicht an das Grundlinientennis, das Frauen ihrerzeit meist zeigten, sondern spielte offensiv und suchte die Entscheidung am Netz. Sie betrieb systematisches Krafttraining, das ihre sprichwörtlichen Muskeln zutage treten ließ. Sie war die erste Spielerin, die in Shorts antrat, und die erste prominente Sportlerin, die sich als Lesbe outete. An ihr rieb sich die Öffentlichkeit, die zunächst nicht akzeptieren mochte, dass da eine über das herkömmliche Bild der bescheidenen, unterwürfigen, hübschen, femininen Frau, die Männern gefallen möchte, einfach hinwegschritt.
Selten werden Neugeborene nach Gebäuden benannt. Jana Šubertová, Skilehrerin, und Miroslav Šubert, Leiter des Pistenrettungsdienstes, leben in der Skihütte Martinova bouda nahe des bekannten Wintersportortes Spindlermühle im Riesengebirge, als sie ihre Tochter zeugen. Für beide offensichtlich naheliegend, nennen sie ihr Kind nach dieser Hütte Martina, ein für tschechische Ohren ungewöhnlicher Name. Bereits mit zwei Jahren lernt Martina das Skifahren. Das Bergidyll endet ein Jahr später, als die Eltern sich scheiden lassen. Jana und Martina Šubertová ziehen in Janas Elternhaus nach Řevnice, einem Vorort von Prag. Im örtlichen Tennisverein lernt Jana ihren künftigen zweiten Ehemann Miroslav (Mirek) Navrátil kennen, den sie im Sommer 1961 heiratet. Aus Martina Šubertová wird Martina Navrátilová. 1963 kommt Martinas kleine Schwester Jana zur Welt.
Mirek Navrátil unternimmt viel mit seiner »Großen«. Er stromert mit Martina durch Wälder und Berge; sie baden in Seen und Flüssen, gehen im Riesengebirge Skiwandern. Mit dem Motorrad zieht er sie auf Skiern hinter sich her. Er entdeckt ihr großes Tennistalent, ihr gutes Ballgefühl. Wenn die Eltern mal wieder endlos im Club oder bei Amateurturnieren spielten, hatte sie aus Langeweile mit einem alten Schläger Bälle an die Wand gedroschen. Nun trainiert er sie systematisch, und Martina ist begeistert bei der Sache. Immer wieder fordert er sie auf, offensiv zu spielen und ans Netz zu laufen. Später wird sie die konsequenteste Serve-and-Volley-Spielerin des internationalen Tennis sein. Aber andere Sportarten kommen nicht zu kurz; am liebsten fährt sie Ski, spielt Fußball und Eishockey.
An und für sich galt Tennis in den Ostblockländern als elitär und dekadent und damit ablehnenswert. Die Tschechoslowakei bildete mit ihrer langen Tennistradition eine Ausnahme; Martinas Großmutter Agnes Semanská war gar selbst 1935 böhmische Meisterin gewesen. Mittlerweile wurde Tennis als Möglichkeit gesehen, das Ansehen der Tschechoslowakei im Ausland zu steigern – und später als gute Gelegenheit, Devisen ins Land zu bringen.
Als Martina neun Jahre alt ist, schickt Mirek Navrátil sie in das Tenniszentrum von Sparta Prag zu Jiří Parma, dem nicht nur besten Tennislehrer der Stadt, sondern einem der besten Spieler der Tschechoslowakei, der sogar schon in Wimbledon gespielt hatte. Von nun an muss das dürre, schlaksige Mädchen mit den um die langen Beine baumelnden Schulranzen und Sportsachen nach der Schule zum Bahnhof hetzen, um den Vorortzug nach Prag zu erwischen. Sie möchte so gut werden wie der australische Weltklassespieler Rod Laver, den sie bei einem Schauturnier in Prag gesehen hat. Ihr größter Traum ist, in Wimbledon zu gewinnen oder den Federation Cup für ihr Land zu holen. Mirek bestärkt sie darin, dass sie eines Tages zu den ganz Großen im Tennis gehören wird.
Parma feilt an ihrer Rückhand, die sie einhändig zu spielen lernt, um ihre Reichweite zu vergrößern. Ihre Linkshändigkeit ist beim Tennis von Vorteil, da sich die zumeist rechtshändigen Gegnerinnen erst darauf einstellen müssen. Schon bald gewinnt sie ihre ersten Turniere; mit 15 ist sie Meisterin der Tschechoslowakei – und damit gut genug, zu Turnieren ins westliche Ausland reisen zu dürfen. 1973 erreicht sie erstmals das Viertelfinale bei den French Open, und ein weiteres Jahr später ist sie bereits die Nr. 10 der Weltrangliste. Besonders angetan ist sie von den USA, dem American Way of Life mit Fastfood und Eiscreme, den hellen Farben, den freundlichen, offenen Menschen und dem Gefühl, sein, tun und lassen zu können, was sie will. Von ihrem Tennisverband wird ihr vorgehalten, zu »amerikanisiert« zu sein. Wenn sie sich nicht »anständig« benähme, bekäme sie Schwierigkeiten. Sie widersteht dem Druck der Polit-Funktionäre, der kommunistischen Parteijugend beizutreten.
Schon 1975 geht einer ihrer Träume in Erfüllung: Sie gewinnt mit ihrem Team den Federation Cup für die Tschechoslowakei. Obwohl sie viele Dollars, Pfund, D-Mark einspielt, die sie fast vollständig beim tschechischen Tennisverband abgeben muss, lassen sie die Funktionäre nur noch widerwillig und unter permanenter Beobachtung ins Ausland. Nach ihrer Halbfinalniederlage gegen Chris Evert bei den US Open 1975 entschlüpft sie ihren Aufpassern und begibt sich heimlich zur Einwanderungsbehörde, um dort politisches Asyl zu beantragen. Sie weiß, es gibt nun keinen Weg mehr zurück. Sie ist 18 Jahre alt und ganz allein auf sich gestellt. Sie beschließt, nicht aufs College zu gehen, sondern sich einzig auf Tennis zu konzentrieren. Dass sie eine so außergewöhnliche Karriere machen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch keine ausgemachte Sache. Sie leidet immer wieder unter Formschwankungen und Gewichtsproblemen infolge ihrer Vorliebe für Junkfood und muss nun noch mit der Trennung von ihrer Familie und der Einsamkeit zurechtkommen.
Martina Navrátilová ist die erste Tennisprofi, die auch professionell trainiert – mit täglichem Konditions-, Koordinations- und Krafttraining, unterstützt von TrainerInnen, was zu dieser Zeit beim Tennis keineswegs üblich ist. Hinzu kommt später noch ein Ernährungsberater, der ihr einen ausgeklügelten Speiseplan und Energieriegel für die Spielpausen entwickelt. Anstatt dass die Öffentlichkeit diese Professionalität honoriert, sieht sich Martina Navrátilová mit Spott und Hohn seitens der Presse konfrontiert, insbesondere wenn diese für sie wichtigen Menschen während ihrer Turnierspiele in ihrer »Familienbox« sitzen. Vor allem gerät die Zusammenarbeit mit ihrer Taktiktrainerin Renee Richards in die Schlagzeilen, eine transsexuelle Augenärztin aus Kalifornien, die zunächst bei den Männern und später bei den Frauen erfolgreich Tennis gespielt hatte.
Die Erfolge bleiben nicht aus. Legendär sind die Duelle gegen ihre größte Rivalin Chris Evert, bei der zwei Welten aufeinanderprallen: Hier die stets freundliche, feminine Chris Evert, klassische Grundlinienspielerin und über 260 Wochen die Nr. 1 der Weltrangliste, überdies All-American Girl und Everybody’s Darling, dort die muskulöse, angriffslustige Kraftmaschine mit dem fremdartigen Akzent und den unübersichtlichen Lebensverhältnissen, die ihre Emotionen nicht immer im Griff hat und nach Niederlagen auch schon mal in Tränen ausbricht oder ihren Schläger zertrümmert. Insgesamt treffen die beiden 80mal aufeinander, wobei Martina Navrátilová erst im Endspurt mit 43 Siegen die Oberhand behält.
Mit dem US-Team reist sie 1986 zum Finale des Federation Cups in die Tschechoslowakei – die erste Rückkehr nach ihrer Flucht. Nachdem sie sich abgesetzt hatte, wurden ihr Name und ihre Erfolge in ihrer Heimat totgeschwiegen. Nun vermeidet selbst der Stadionsprecher, ihren Namen in den Mund zu nehmen. Das ändert sich erst, als ihre Gegnerin Hana Mandlíková sich weigert zu spielen, solange Martina Navrátilová nicht mit vollem Namen genannt wird. Daraufhin wird Navrátilovás Auftritt in Prag zu einem Heimspiel, obwohl sie jetzt für die USA spielt: Das Publikum im Stadion spendet ihr tosenden Applaus und jubelt bei jedem Aufruf ihres Namens. Das US-Team gewinnt, und Navrátilová ist bis heute die einzige Spielerin, die den Federation Cup für zwei verschiedene Länder gewonnen hat.
Die Wachablösung wird mit dem Aufstieg Steffi Grafs ab Mitte der 1980er Jahre eingeläutet. Martina Navrátilová bezwingt ihre neue Rivalin zunächst noch, kann nach 1987 aber nur noch einen Einzeltitel bei einem der großen vier Turniere gewinnen: in Wimbledon 1990 wird sie mit ihrem neunten Einzelsieg alleinige Rekordhalterin.
Im Gegensatz zu vielen anderen SpitzenspielerInnen sind Martina Navrátilová auch die Doppel und Mixed wichtig. Sie ist eine Teamspielerin. Besonders erfolgreich ist sie mit ihrer langjährigen Doppelpartnerin Pam Shriver, mit der sie allein fünfmal in Wimbledon, je viermal bei den French und den US Open und gar siebenmal hintereinander bei den Australian Open gewinnt. Zu ihrem Bedauern spielen die Doppel und Mixed in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle, weil Tennis vor allem als Individualsport gesehen wird.
Nach ihrer Flucht hatte Martina Navrátilová zwar eine Aufenthaltsbewilligung für die USA erhalten, eine Einbürgerung steht aber auf einem anderen Blatt. Bis ihr diese 1981 endlich zuerkannt wird, trifft sie Vorkehrungen, bei ihren zahlreichen Reisen nie über kommunistische Staaten fliegen und im Notfall dort zwischenlanden zu müssen. Hinzu kommen ihre lesbischen Beziehungen, mit denen sie zunächst hinter dem Berg hält, um ihre Einbürgerung nicht zu gefährden. Ihre Beziehung mit der Schriftstellerin Rita Mae Brown ist allerdings so spektakulär, dass sich ein Reporter nicht zurückhalten kann und diese Beziehung öffentlich macht. Ganz anders als Martinas langjähriges Vorbild Billie Jean King, deren Skandal um Alimentenzahlungen an ihre frühere Geliebte im selben Jahr für Aufsehen sorgt, verkriecht sich Martina Navrátilová nicht hinter Ausflüchten, sondern geht – wie bei ihrem Tennisspiel – in die Offensive. Ihre jeweiligen Lebensgefährtinnen werden nicht versteckt, sondern begleiten sie zu ihren Turnieren. Zeitweilig gilt Martina Navrátilová als Synonym für die Lesbe schlechthin.
Aber so intensiv ihre Beziehungen auch sind, das Tennis ist ihr stets wichtiger. Wenn sie sich von ihren langfristigen Zielen abgelenkt fühlt oder woanders mehr Unterstützung und neue Anreize für ihre Weiterentwicklung erhofft, beendet sie ihre Beziehungen – das gilt auch für TrainerInnen und TennispartnerInnen – rasch und ohne große Sentimentalitäten. Judy Nelson, mit der sie ab 1982 mehr als sieben Jahre zusammenlebt, will sich jedoch nicht einfach abspeisen lassen. Sie hat sich wie eine Ehefrau um die alltäglichen Angelegenheiten des Tennisstars gekümmert und klagt nach der Trennung einen entsprechenden Ausgleich ein. Diese Auseinandersetzung wird ein einziges Medienspektakel – und darüber hinaus ein heikles Unterfangen für das Gericht, das sich mit der Frage befassen muss, ob lesbische Partnerinnenschaften so zu behandeln sind wie Ehepaare. Zumal in Texas, wo zu diesem Zeitpunkt Homosexualität verboten ist.
Martina Navrátilová ist die Wellenbrecherin für Lesben im Tennis. Anders als in den meisten anderen Sportarten gab und gibt es vergleichsweise viele Spitzenathletinnen – so Hana Mandlíková, Jana Novotná, Conchita Martínez, Gigi Fernández, Lisa Raymond, Amélie Mauresmo – die aus ihrer lesbischen Lebensweise keinen Hehl machen, was – dank Martina Navrátilová – die Öffentlichkeit schließlich auch sehr viel unaufgeregter zur Kenntnis nimmt.
Martina Navrátilová gehört zu den Spitzenverdienerinnen im Tenniszirkus. 1984 gibt es weltweit überhaupt nur drei ProfisportlerInnen, die mehr verdienen als sie: allesamt Boxer; im Laufe ihrer langen Karriere nimmt sie fast 22 Millionen US-Dollar allein an Preisgeldern ein. Dabei ist sie keine, die auf ihrem Geld sitzt: Sie kauft Häuser, Autos, Schmuck, Pferde und sammelt alle Arten von elektrischen Geräten. Auch ihre FreundInnen und Familie profitieren von ihrer Großzügigkeit; ihre Lebensgefährtinnen überhäuft sie mit Geschenken, ihren Eltern überweist sie Geld für ein modernes neues Haus in Řevnice. Sie gründet eine eigene Sportbekleidungsfirma, nachdem Puma den Ausrüstervertrag mit ihr nicht verlängert. Wie Billie Jean King muss sie nach ihrem Outing zunächst Einbußen bei Sponsoren- und Werbeverträgen hinnehmen.
Zunächst unpolitisch, findet Martina Navrátilová spätestens seit den 1990er Jahren heraus, dass ihr Leben aus mehr besteht als nur Tennis. Ausgelöst durch ihren Unterhaltsprozess gegen Judy Nelson beginnt sie sich mit Lesben- und Schwulenpolitik zu beschäftigen. 1993 nimmt sie mit einer halben Million Menschen an der Demonstration in Washington D.C. teil; in ihrer Rede sagt sie: »Was unsere Bewegung für die Gleichberechtigung am meisten braucht, ist, dass wir aus dem Verborgenen heraustreten. Outen wir uns selbst und zerstören wir damit die Gerüchte! Outen wir uns und stellen wir uns ans richtige Ufer, wie man so schön sagt.« In ihrem Heimatbundesstaat Colorado unterstützt sie den Protest gegen die diskriminierende Gesetzgebung, indem sie damit droht, als Botschafterin für die Skigebiete in Aspen zurückzutreten. 1997 gründet sie die Rainbow-Foundation mit, die lesbische und schwule Organisationen unterstützt. Anlässlich der Australian Open im Januar 2012 spricht sich die frühere Tennis-Ikone Margaret Smith Court – inzwischen als Pastorin tätig – vehement gegen die gleichgeschlechtliche Ehe aus, die zu diesem Zeitpunkt in Australien diskutiert wird. Zwei Prominente äußern harschen Protest: Martina Navrátilová und Billie Jean King. Über das lesbisch-schwule Engagement hinaus betätigt sich Martina Navrátilová als Natur- und Tierschützerin – schon lange hat sie dem Fastfood abgeschworen und ernährt sich vegan – und gründet die Jugendstiftung Martina Youth Foundation zugunsten sozial benachteiligter Kinder.
Auch von den politischen Veränderungen in ihrem Geburtsland wird sie eingeholt: Ganz anders als beim skandalösen Empfang 1986 ist sie bei ihrem zweiten Besuch 1990 rehabilitiert. In Prag lernt sie zufällig Václav Havel kennen, der sie einlädt, anlässlich einer Kundgebung der »samtenen Revolution« auf dem Wenzelsplatz zu sprechen. Dort wird sie von der Menschenmenge jubelnd willkommen geheißen. Dieser für sie bewegende Moment, zusammen mit der Ablehnung der Politik George W. Bushs, veranlassen sie 2007 wieder die tschechische Staatsbürgerschaft zu beantragen, die sie im Frühjahr 2008 auch erhält. Ihren Hauptwohnsitz behält sie in Aspen.
Im April 2010 teilt sie der Öffentlichkeit mit, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist und sich einer Operation unterziehen muss. Aber bereits am Ende des Jahres macht sie wieder von sich reden, als sie zugunsten einer Stiftung zur Förderung kommunaler Sportprojekte den Kilimandscharo besteigen will. Zwar muss sie die Expedition bei 4.500 Metern wegen eines Höhenödems abbrechen, aber auch künftig wird sie sich nicht davon abhalten lassen, offensiv ihre Ziele zu verfolgen. Wie es einer Symbolfigur zukommt.
(Text von 2012)
Verfasserin: Christine Schmidt
Zitate
Bei uns sagte niemand sportlichen Frauen nach, sie seien zu jungenhaft – dafür haben wir im Tschechischen gar kein Wort. Die Frauen trieben eben Sport, kümmerten sich um ihre Familie und gingen zur Arbeit. So einfach war das.
Amerikaner sind kritische Bemerkungen nicht gewöhnt, erst recht nicht von Sportlerinnen mit ausländischem Akzent.
Eine hervorragende Sportlerin wie Chris Evert wird akzeptiert, weil sie sich auf dem Platz sittsam benimmt, während eine andere – ich nenne hier bewusst keine Namen – ständig kritisiert wird, weil sie den Mund aufmacht. Ich bin überzeugt, dass das zum großen Teil daher kommt, dass sowohl die Zuschauer als auch die Presse bestimmte Vorstellungen haben, wie eine Frau zu sein hat, und nur danach gehen, ob eine Sportlerin diesen entspricht oder nicht.
Da es in meiner Familie viele selbstbewusste, intelligente, sportliche Frauen gab, war ich bereits gut auf die feministische Bewegung eingestimmt, als ich 1973 zum ersten Mal in den Westen reiste.
Mit zunehmendem Wohlstand ändern sich die Spielzeuge, mehr nicht.
Mein Image war mir egal. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ich mich nicht in sie [= Rita Mae Brown] verlieben wollte, weil sie so berühmt war.
Ich werde das nie verstehen. Die Presse stellt mir Fragen, ich antworte, aber am nächsten Tag werde ich als arrogant, gehässig oder wehleidig hingestellt.
Dass Männer einzig und allein aufgrund ihrer körperlichen Überlegenheit in höheren Positionen sitzen als Frauen, hatte ich schon immer als himmelschreiende Ungerechtigkeit empfunden. […] Im Berufsleben, in der Politik und sogar im Privatleben ist Autorität leider noch nie eine Frage des Verstands oder des Charakters gewesen. Was zählt, ist ausschließlich die körperliche Kraft, und nur deshalb bilden sich die Männer ein, Frauen herumkommandieren zu können.
Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass mich meine Offenheit über meine sexuelle Orientierung Millionen von Dollars an Werbeverträgen gekostet hat, aber das ist bloß Geld. Ich spiele mir auf dem Tennisplatz die Seele aus dem Leib, und genau das wollen die Leute sehen. Ich könnte nie so gut spielen, wenn ich mit einer Lüge leben müsste.
Ein Bekannter hat mir einmal erzählt, dass 1983 im Finale der US Open eine Frau Chris [Evert] mit den Worten »los Chris, ich will, dass eine richtige Frau gewinnt« anfeuerte. Ich finde das schade, denn Chris hätte es wirklich verdient, aus anderen Gründen angefeuert zu werden.
Man muss sein Leben jetzt leben.
Du stellst das gesamte Homosexuellen-Thema in religiöse Begriffe und zitierst die Bibel. Nun, ich bin keine Theologin, aber ich weiß, dass die Bibel in der Vergangenheit verwendet wurde, um Sklaverei zu rechtfertigen, farbigen Männern das Wahlrecht zu verwehren, Frauen das Wahlrecht zu verwehren und gemischt-ethnische Ehen zu verbieten. […] Du sagst, es ist eine Wahl homosexuell zu sein. Willst du damit sagen, du hattest Gefühle für Frauen und für Männer und hast dich für Männer entschieden? Das könnte die Gewissheit über die Frage erklären. […] (Heterosexuelle) Personen fragen oft: warum sind Menschen homosexuell? Ich sage, nun, warum sind Menschen heterosexuell? (Aus dem offenen Brief an Margaret Smith Court anläßlich der Australian Open 2012)
Ich habe immer sehr gern gegen sie gespielt. Die Art ihres Spiels. Sie ist wirklich etwas Besonderes. Sie besitzt so viel – wie sagt man – Sportlichkeit, und sie hat sehr viel für den Tennissport getan, und für mich ist sie ein wunderbarer Mensch und Charakter. (Steffi Graf)
Ihre Lebenslust, ihre Leidenschaft für Tennis sind irrsinnig. Martina hat mich verjüngt, meine Lust auf das Spiel erfrischt. (Leander Pais)
Sie ist impulsiv, großzügig, liebenswert und abenteuerlustig. Sie wird sich nicht verschließen und für den Rest ihres Lebens wegen Judy und des Geldes jammern. Es haben sowieso alle ihre Finger in ihrem Portemonnaie; es ist Teil ihres Lebens. (Rita Mae Brown)
Als ich Martina traf, verband mich sofort etwas mit ihr, ein Gefühl, dass dieser Mensch für immer Teil meines Lebens wird. (Judy Nelson)
Die Offenheit, mit der Martina ihr Leben lebt, wurde immer gegen sie verwandt, aber der Mut, mit dem sie für das eintritt, was ihr wichtig ist, wird überall auf der Welt anerkannt. (Sandra Faulkner)
Links
Martina Navratilova. Offizielle Webseite. (Link aufrufen)
Facebook: Martina Navratilova (Link aufrufen)
Twitter: Martina Navratilova (Martina) (Link aufrufen)
Australian Open: Martina Navratilova übertrifft wildeste Träume (2003). FAZ, 26.01.2003. (Link aufrufen)
Tennis: Doppel-Titel Nummer 174 für Martina Navratilova (2004). FAZ, 22.05.2004. (Link aufrufen)
Großes Tennis – Die ewige Martina (2006). sueddeutsche.de, 18.10.2006. (Link aufrufen)
Martina Navratilova: Ehe-Recht für Lesben und Schwule ist ein Menschenrechtsthema | thinkoutsideyourbox.net (2012). LesBiSchwul, 30. Januar 2012. (Link aufrufen)
Graf, Steffi (1999): Steffi Graf über Navratilova: »Die beste Spielerin des Jahrhunderts«. Spiegel online, 17.08.1999. (Link aufrufen)
International Tennis Hall of Fame: Martina Navratilova (Link aufrufen)
Komma-Pöllath, Thilo (2011): »Ich will definitiv noch nicht gehen«. Süddeutsche Zeitung Magazin, Heft 07/2011. (Link aufrufen)
McCurry, Justin (2008): ›Ashamed‹ Navratilova regains Czech nationality. guardian.co.uk, 11 March 2008. (Link aufrufen)
Munzinger Biographie: Martina Navratilova. Vollständige Fassung kostenpflichtig! (Link aufrufen)
Scheffler, Wolfgang: Wimbledon: Navratilovas niemals endende Geschichte. FAZ, 07.07.2003. (Link aufrufen)
Schwartz, Larry (1999): Martina was alone on top. ESPN.com. (Link aufrufen)
WTA: Players | Info | Martina Navratilova (Link aufrufen)
ABC News: Martina Navratilova: 18 Major Titles, 1 Outspoken Voice. Interview. Video, 7:55 min. (Link aufrufen)
YouTube: Martina Navrátilová. Videos (zufällige Zusammenstellung durch Youtube). (Link aufrufen)
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Literatur & Quellen
Werke
Navratilova, Martina (1984): Mein Erfolgsrezept. (=Tennis my way) 1. Aufl. Bad Homburg. Limpert. ISBN 3-7853-1436-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Navratilova, Martina (1991): So bin ich. München. Copress. (Sport personality) ISBN 3-7679-0352-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Navratilova, Martina (1997): Tödliches Comeback. Roman. Dt. Erstausg. München. Goldmann. (43251) ISBN 3-442-43251-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Navratilova, Martina (2002): Nehmt euch selbst ernst! In: Emma, Nr. 3 (Mai/Juni). S. 39.
Navratilova, Martina (2006): The shape of your life. London. Time Warner. ISBN 0316732966. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Navratilova, Martina; Králik, Juraj (2005): Art Grand Slam. Text engl. und slowak. Bratislava. Rabbit & Solution Studio. ISBN 80-88947-11-1. (WorldCat-Suche)
Navratilova, Martina; Nickles, Elizabeth (1997): Spiel, Satz und Tod. Roman. (=The total zone) München. Goldmann. (Goldmann, 43593) ISBN 3-442-43593-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Navratilova, Martina; Nickles, Liz (1999): Bei Aufschlag Mord. Roman. Köln. Naumann & Göbel. ISBN 978-3-625-20362-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Navratilova, Martina; Vecsey, George (1985): Martina. 1. Aufl. New York. Knopf. ISBN 0-394-53640-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Allen, Louise (1997): The lesbian idol. Martina, kd and the consumption of lesbian masculinity. 1. Aufl. London. Cassell. ISBN 0-304-33818-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Blue, Adrianne (1994): Martina unauthorized. London. Gollancz/Witherby. ISBN 0854932518. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Blue, Adrianne (1995): Martina. The lives and times of Martina Navratilova. New York, N.Y. Carol Publ. Group. ISBN 1-55972-300-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Brown, Rita Mae (1984): Die Tennisspielerin. Roman. (=Sudden death) Ins Deutsche übersetzt von Gerlind Kowitske. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt. 1997 (Rororo, 12394) ISBN 3-499-12394-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Brown, Rita Mae (1998): Rubinrote Rita. Eine Autobiographie. (=Rita will) Reinbek bei Hamburg. Rowohlt. 2000 (Rororo, 22691) ISBN 3-499-22691-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Faulkner, Sandra; Nelson, Judy (1994): Love match. Judy Nelson und Martina Navratilova. Orig.-Ausg. Köln. Kiepenheuer und Witsch. (356) ISBN 3-462-02385-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hamer, Diane und Budge, Belinda (Hg.) (1996): Von Madonna bis Martina. Die Romanze der Massenkultur mit den Lesben. (=The good, the bad, the gorgeous) Berlin. Orlanda-Frauenverlag. ISBN 3-929823-30-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Henkel, Doris (1992): Die großen Tennisstars. München. Copress. (Die großen Stars) ISBN 3767903741. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Nelson, Judy (1997): Seitenwechsel. Wie die Liebe zu Martina Navratilova mein Leben veränderte. Köln. Jackwerth. ISBN 3-932117-30-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Pipkin, James W. (2008): Sporting lives. Metaphor and myth in American sports autobiographies. Columbia. University of Missouri Press. (Sports and American culture series) ISBN 0826217796. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Schock, Axel und Fessel, Karen-Susan (Hg.) (2004): Out! 800 berühmte Lesben, Schwule und Bisexuelle. Darin: Billie Jean King (S. 156f). Berlin. Querverlag. ISBN 3-89656-111-1. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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