Fembio Specials Künstlerinnen - Eine Ausstellung von Almut Nitzsche Marta Hegemann
Fembio Special: Künstlerinnen - Eine Ausstellung von Almut Nitzsche
Marta Hegemann
(Martha Räderscheidt [Ehename])
geboren am 14. Februar 1894 in Düsseldorf
gestorben am 28. Januar 1970 in Köln
deutsche Malerin und Graphikerin
130. Geburtstag am 14. Februar 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
»1933 fiel man uns ins Wort, fielen wir aus dem Rahmen, wurden wir, die doch eben erst Angekommenen, schon deportiert in die äußere oder innere Emigration« (Hegemann 1965, S. 82; nachfolgend zit. als MH 1965) erinnerte Marta Hegemann ihr zwangsverordnetes Ende als Malerin mit gerade einmal 39 Jahren in NS-Deutschland. Bis ihre, zwischen ›Magischem Realismus‹ und Surrealismus anzusiedelnden Werke als ›entartet‹ abqualifiziert und aus den Galerien und Museen verbannt wurden, zählte sie zu den sichtbarsten Künstlerinnen der Weimarer Republik. Deckungsgleich mit zahllosen männlichen Weggefährten erklärte sie Frauenfiguren zu ihrem Lieblingssujet. Im Gegensatz zu vielen dieser inzwischen oft markant populäreren Kollegen verlor sie sich allerdings nicht in einer bis zu sog. Lustmord-Darstellungen reichenden Diskreditierungs-Nomenklatur. Vielmehr schuf sie mit ihren aktiven Hauptdarstellerinnen eine wohltuende Gegenwelt, die anachronistischen Genderstereotypen trotzte.
»Und dieses Suchen war das ungeheuer Belebende«:
Dada, Stupid und die Progressiven
Als sich Marta Hegemann mit 24 Jahren für die Freie Kunst entschied, bedeutete dies zunächst, eine pekuniär gesicherte Existenz auf Eis zu legen. In Düsseldorf, Köln und der »kleinen Waldstadt« (MH 1965, S. 73) Iserlohn von sechs Schwestern umringt in bürgerlichem Beamtenhaushalt aufgewachsen, hatte sie eine abgeschlossene Berufsausbildung vorzuweisen: 1918 bestand sie ihr Examen am Staatlichen Kunst- und Zeichenlehrerseminar in Düsseldorf. Doch nach einem knappen Jahr Tätigkeit im Schuldienst disponierte sie um und entschloss sich für ein Leben als Malerin. Zeitgleich ehelichte sie ihren Künstler-Kollegen Anton Räderscheidt (1892-1970), den sie seit ihrer Stippvisite an der Kölner Kunstgewerbeschule 1911 kannte.
Trotz aller Unbilden bereute Hegemann ihren Schritt in die Freie Kunst zeitlebens nicht – zumindest nicht offiziell, wenngleich ihr die materiellen Entbehrungen bis ins hohe Alter in den Knochen steckten: »Von unserer Armut damals kann man sich keine Vorstellung machen, von unserem Reichtum auch nicht« (MH 1965, S. 83). Den literarisch und kunstwissenschaftlich vielbeschworenen künstlerischen Nachkriegs-Urknall erinnerte sie entglorifizierend unaufgeregt: »Es war keineswegs klar, was wir wollten« (MH 1965, S. 82), aber das gemeinsame Handwerk und die Angst vor bohrender Isolation habe nach 1918 den Zusammenhalt progressiver KünstlerInnen forciert. »… wir froren, wir hungerten, wir feierten, aber vor allem, wir suchten. Und dieses Suchen war das ungeheuer Belebende« (MH 1965, S. 83).
Unter dem Namen »La Paloma« war sie eng verbandelt mit der Kölner Dada-Szene, insbesondere mit der Malerin Angelika Hoerle und der Kunsthistorikerin Luise Straus-Ernst. Daneben traf sie regelmäßig Jankel Adler, Gerd Arntz, Hans Arp, Johannes Th. Baargeld, Max Ernst, Wilhelm Fick, Otto Freundlich, Heinrich Hoerle und Franz Wilhelm Seiwert. 1919-21 gehörte sie zur sog. Kalltalgemeinschaft, die sich regelmäßig im Junkerhaus Simonskall in der Eifel einfand, um sich in zukunftsträchtige Kunst- und Gesellschaftsvisionen zu vertiefen.
Parallel gründete sie 1919 mit Arntz, Fick, den Hoerles, Seiwert und Ehemann Räderscheidt die Gruppe Stupid (1919/20). Stupid distanzierte sich kategorisch von den einstigen Dada-Weggefährten Max Ernst und Jean Arp, die fortan in die Ecke der ›Apolitischen‹ abgeschoben wurden, während Stupid beteuerte, Werk und Tat voll und ganz in den »Dienst der Ausgebeuteten« (Ernst Seiwert, zit. n. Reinhardt 2000, S. 289) zu stellen. Als Dauerausstellungsraum der Gruppe, die für die »Zerstörung des alten Bildes und die Suche nach einer neuen Ausdrucksform« (Anton Räderscheidt, zit. n. Richter 1970, S. 19) eintrat, dienten die karg möblierten, phantasievoll mit bunten Windrädern und Fahnen bepinselten Räumlichkeiten Hegemanns und Räderscheidts am Kölner Hildeboldplatz 9. Gemeinsam mit Stupid wagte Hegemann ihren ersten großen Schritt in die Öffentlichkeit: Im ersten Katalog der Gruppe waren fünf ihrer Arbeiten aufgeführt, zwei davon per Abbildung. Nebenher brachte die Malerin 1919 Sohn Johannes Paul F. und 1924 Sohn Karl Anton zur Welt.
Anfang der 1920er Jahre formierten sich die Stupid-Mitglieder neu, diesmal zu den sozialreformerisch bis sozialutopisch fokussierten Kölner Progressiven. Erklärtes Ziel war es jetzt, die »Passionen der Gegenwart: … Krieg, Krüppel, Mensch und Maschine, Produktionsprozess, Streik und Masse« (zit. n. Reinhardt 1990, S. 56) im Bilde festzuhalten. Eingangs war Hegemann in die relevantesten Ausstellungen involviert – u.a. in die vielbeschworenen Bilderschauen des Kölnischen Kunstvereins und die Schau »Alte Kunst – Neue Kunst« (1926). Bald aber ging sie, mutmaßlich aufgrund politischer Differenzen, auf Distanz – und umgekehrt. Der Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten blieb dennoch eine Hegemannsche Lebenskonstante: Angesichts der eskalierenden Armut Kölner KünstlerInnen trat sie u.a. 1930 der frisch gegründeten Kölner Sektion der GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen) bei und hielt ebd. eine flammende Antritts-Rede gegen die unzureichende Unterstützung Kunstschaffender im Rheinland.
»… ich male keine Männer, weil sie nicht fassbar sind«:
Präferenzmotive der 1920/30er Jahre
Großstädtische, nach Autonomie ringende Frauenfiguren verkörpern das unübersehbare Hauptmotiv der chiffrereichen Hegemannschen Bilderwelt, die vielfach von Pastelltönen dominiert und daher vom Weggefährten Heinrich Hoerle als »Cremeschnittchen« (zit. n. Reinhardt 1990, S. 24) bespöttelt wurde. Sofern Männer unter den ca. 120 überlieferten Arbeiten überhaupt auftauchen, fristen sie ein sprichwörtliches Kulissendasein: In ihrem ironischen »Familienbildnis« (1924) beispielsweise degradiert die Künstlerin den Familienvater augenzwinkernd zum hilflosen, hinter die Trias von Mutter, Tochter und Sohn geschobenen Pappkameraden, für dessen reichlich dargebotene, pfauenhafte Potenzattitüden sich niemand der Anwesenden zu interessieren scheint. »…ich male keine Männer, weil sie nicht fassbar sind« (zit. n. Beckers 1998, S. 20) notierte Hegemann 1932 in ihr Skizzenbuch.
Fassbar schien ihr dagegen die ihrerzeit unverändert grassierende Diskriminierung von Frauen: Wenngleich umstritten ist, wie emanzipiert sie in den Kölner KünstlerInnenkreisen tatsächlich auftrat (vgl. Rowe 2013, S. 71) bzw. auftreten konnte, konterte sie, ähnlich wie u.a. Claude Cahun, oktroyierten Weiblichkeitsidealen wiederholt mit kahl rasierten Frauenköpfen. Analog zu Kollegin Annot widmete sie daneben berufstätigen bürgerlichen Frauen eine Bilderserie. Frauenrechtlerinnen wie Hedwig Dohm hatten schon lange zuvor zur Sabotage des verkrusteten Glaubens, »Mütterlichkeit und Familienleben« sei der »alleinige Daseinszweck des Weibes« (Dohm, Hedwig: Die neue Mutter. Neunkirch 1987, S. 22) aufgerufen. Und mit ihrem Bilderzyklus schien Hegemann nun den bürgerlichen BetrachterInnen untilgbar vor Augen halten zu wollen, dass längst allerhand veritable Alternativen zum Hausfrauendasein existierten. Dass sie damit ganz nebenbei ein wohltuendes Kontrastprogramm zu den bis heute vielgelobten, auf der Leinwand ausgelebten misogynen Phantasien neusachlicher Wegbegleiter wie Otto Dix oder George Grosz kreierte, war ein mutmaßlich unbeabsichtigter Nebeneffekt.
»Ich glaube eben, mittels solcher Treffpunkte ins Schwarze zu treffen«:
Wiederkehrende Nebenchiffren
Omnipräsentes Beiwerk der Hegemannschen Hauptdarstellerinnen bilden metaphorisch aufgeladene Tiere und Alltagsgegenstände. In einem unveröffentlichten Brief erklärte die Künstlerin, sie »glaube eben, mittels solcher Treffpunkte ins Schwarze zu treffen, den Nagel auf den Kopf zu haben« (zit. n. Reinhardt 1990, S. 33). Einen greifbaren Ansatz zur Dechiffrierung ihres symbolträchtigen Rahmenprogramms verwehrte sie. Doch haben sich die meisten ForscherInnen inzwischen darauf verständigt, die Summe der Hegemannschen Emblematik als »Befreiungsikonographie gegen eine konservative Frauenrolle« (Berents 1990, S. 49ff.) zu lesen. Die häufig anzutreffenden Katzendarstellungen wurden dabei als Alter Ego der Künstlerin identifiziert, die allgegenwärtigen Tauben, Segelschiffe, Drachen, Zigaretten oder Fliegenden Teppiche als Freiheitsmetaphern und die ebenfalls turnusmäßig wiederkehrenden aufgeschlagenen Bücher als Sinnbilder von Intellektualität.
Die kraftraubenden sozialen Zwänge und die männlichen Attacken gegen weibliche Selbstbestimmungsversuche, denen sich Hegemann im katholischen Köln besonders massiv ausgesetzt sah, verpackte die Malerin indes in ein Chiffren-Vokabular, das von Kreuz und Kirche über getötete Vögel bis zu abgehackten Armen reichte. Enkelin MAF Räderscheidt, ebenfalls bildende Künstlerin und erbost darüber, permanent auf ihren Großvater Anton Räderscheidt, beträchtlich seltener aber auf ihre Großmutter Marta Hegemann angesprochen zu werden, widersprach dieser Deutung keineswegs: Sie erinnerte ihre Großmutter als kluge, kämpferische Frau, die mit traditionellen Geschlechterrollen signifikant haderte (vgl. Euler-Schmidt 1990, S. 85).
Zu Hegemanns unverwechselbarer Emblematik zählte außerdem der Komplettverzicht auf individuell umschriebene Gesichter: Da sie ihre physiognomisch uniformierten Figuren gleichzeitig beinahe ausnahmslos frontal ins Zentrum der Komposition rückte, sozial isolierte und mit angeschnittenen Architektur-, Großstadt- oder Landschaftselementen rahmte, begab sie sich – trotz hocheigenständiger Handschrift – in auffällige Nähe zu den sog. »manichini« (= Puppen)-Darstellungen der italienischen, 1917 u.a. von Giorgio di Chirico gegründeten ›pittura metafisica‹. Manichini-Adaptionen fanden sich häufig im Umfeld des Magischen Realismus und Surrealismus und wurden dort insbesondere als Synonym für die Marionettenhaftigkeit des von der Industriegesellschaft unterworfenen (Metropolen-)Menschen gewertet. Ob es sich darüber hinaus bei Hegemanns Frauen, wie Gisela Breitling spekulierte (vgl. Beckers 1998, S. 5), immerzu um anonymisierte Selbstportraits handelte, oder, ganz im Gegenteil – wie Ingrid von der Dollen mutmaßte (vgl. von der Dollen 2000, S. 189) – die Künstlerin kein einziges Selbstbildnis hinterließ, ist umstritten. Neuere Studien belegen, dass sie sich zumindest gelegentlich zeichnete (vgl. Rowe 2013, S. 71).
»…unter den Kölner Künstlerinnen wohl die begabteste«:
Hegemann in der Kunstkritik ihrer Zeit
Für Künstlerinnen, erst recht für moderne, gestalteten sich die Ausstellungsmöglichkeiten im Rheinland der 1920er Jahre schwierig. Marta Hegemann glückte es trotzdem, ihr Werk vielerorts unterzubringen und entsprechend präsent in den Medien zu sein. Vertreten war sie u.a. bei den Schauen »Kölner Sezession« (1925, 1926), »Das junge Rheinland« (1925) »Große Düsseldorfer Kunstausstellung« (1925), »Raum und Wandbild« (1929), »Moderne rheinische Maler« (1929), »Juryfreie Kunstschau« (Berlin, 1925, 1929, 1930) und »Rheinische Sezession« (Berlin, 1930). Als die Kölner Galerie Dr. Becker-Newman Einladungen zur ersten großen Hegemann-Einzelausstellung verschickte, war ihr Name längst deutschlandweit ein Begriff: Der bekannte Kunsthistoriker Hans Hildebrandt listete sie in seinem vielgelesenen Band »Die Frau als Künstlerin« (1928, S. 149) unter den bedeutendsten Malerinnen der Gegenwart auf. Zeitgleich schloss die eng befreundete Kunsthistorikerin Luise Straus-Ernst im renommierten Berliner »Kunstblatt«, Hegemann sei »unter den Kölner Künstlerinnen wohl die begabteste« (zit. n. Reinhardt 1990, S. 59), während sich der angesehene Kunstkritiker Paul Westheim vor der Malerin mit den Worten verneigte, sie besäße Anspruch auf »Beachtung und Geltung über ihren heimatlichen Bezirk hinaus« (zit. n. Reinhardt 1998, S. 54).
Von chauvinistischen Attacken blieb Hegemann dennoch nicht verschont: 1925 empfahl ein Rezensent der Kölner Volkszeitung, dem Sprachrohr der katholischen Zentrumspartei, Hegemann möge den Pinsel bei Seite legen und es lieber mit dem Kunsthandwerk versuchen (vgl. Rowe 2013, S. 94). Fünf Jahre später wurde im selben Organ ein Abgesang auf ihre »abstrusen Zwitterbildungen zwischen Traum und Realistik« (zit. n. Beckers 1998, S. 50) gedruckt. Weit versöhnlicher zeigte sich wiederum Hermann Ginzel. Anlässlich ihrer ersten Einzelausstellung 1931 schwärmte er von ihrem »eigensinnig(en) Schaubarmachen innerer Gesichte, die immer aus der gleichen Mitte aufsteigen« (Nachdruck in: Beckers 1998, S. 78).
»Mit der gleichen Freude sieht man M. Hegemann«:
Auf- und Abwertungen eines KünstlerInnenpaares
Genauso oft wie Hegemann und Räderscheidt ihre Bilder gemeinsam in die Öffentlichkeit trugen, wurden sie in Vergleiche gezwängt. Vor 1933 wurden beide zumeist als künstlerisch ebenbürtig eingestuft: »Die besten Ölbilder der Ausstellung malt Räderscheidt (…). Mit der gleichen Freude sieht man M. Hegemann« (Cicerone 1924, zit. n. Reinhardt 2000, S. 294). Vereinzelt galt sie als die Talentiertere: Beispielsweise schloss der namhafte Kunstkritiker Max Osborn 1930, Hegemann sei ihrem Mann »an Straffheit und Klarheit des abstrakten Bildbaus (…) überlegen« (zit. n. Reinhardt 1990, S. 59). Heute aber fehlt Hegemanns Name in beinahe jedem Überblicksband zu Magischem Realismus und Neuer Sachlichkeit, während Räderscheidt nahezu allerorts auf den Sockel einer Schlüsselfigur gehievt wird.
Gebahnt wurde jene eklatante Diskrepanz zwischen zeitgenössischer Auf- und aktueller Abwertung u.a. durch die 1925 eröffnete Mannheimer Ausstellung »Neue Sachlichkeit – Deutsche Malerei seit dem Expressionismus«. Denn nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann die Kunsthistoriographie den zugehörigen Katalog zu einer Art »Who is Who« progressiver figurativer Kunst der Weimarer Republik umzudefinieren. Dass Frauen in Ausstellung und Katalog grundsätzlich ausgeklammert blieben – und damit auch Hegemann –, animierte lange Zeit niemanden zu weiterführender Recherche. Speziell Gustav Hartlaub, der verantwortliche Direktor der Mannheimer Bilderschau, schätzte Hegemann wiewohl nachweislich: Mehrfach bat er sie, sich mit ihrem Werk an der Ausstellung »Der Frauen-Spiegel: Die Frau von heute in Zeichnung und Graphik« (1932, vgl. Rowe 2013, S. 98/99) zu beteiligen. Hegemann ließ seine Gesuche jedoch unbeantwortet. Aus unbekannten Gründen.
Angefüttert durch Hegemanns ›Befreiungsikonographie‹ sowie eine Reihe altpatriarchal anmutender Bilder Anton Räderscheidts wurde lange Zeit über die privaten Machtstrukturen des Paares gerätselt: Mehrfach fertigte Räderscheidt Doppelportraits, die ihn in noblem, hochgeschlossenem Zwirn darboten, Hegemann dagegen komplett entblößt. Überdeutlich bemühte er damit das antiquierte, orthodoxe Geschlechterhierarchien reproduzierende »Maler und Modell«-Motiv. Daneben griff der für chauvinistische Tagebucheintragungen bekannte Räderscheidt in einem vielgedruckten fotografischen Doppelportrait des engen Freundes August Sander seiner Frau ostentativ in tradierter männlicher Dominanzpose in den Nacken, womit endgültig das letzte, unumstößliche Indiz für eine klassisch androzentrisch temperierte Ehe geliefert schien. Zwar werden jene corpora delicti in jüngster Zeit komplett neu gelesen, nämlich als bewusst von beiden KünstlerInnen lancierte, parodistische Überspitzung eingefahrener Geschlechterstereotype. Dennoch bleibt es problematisch, von Portraits, bei denen es sich letztlich um inszenierte Dokumente handelt, auf real gelebte interne Beziehungshierarchien zu schließen.
Hieb- und stichfest bezeugt von Sohn Johann (vgl. das Interview mit von der Dollen, in: ebd., S. 90) und allen Räderscheidt-Biographen ist einzig und allein die enorme persönliche und künstlerische Relevanz Hegemanns für Räderscheidt. Mit ihr durchlebte er seine produktivsten Jahre, und nicht nur, dass kaum ein zweiter Maler jener Tage seine Ehefrau so häufig portraitierte – mehr noch: Während Räderscheidt das eigene Antlitz zum Prototypus aller von ihm gemalten Männer erhob, erkor er Hegemann zum »Prototyp(en) aller von ihm gemalten Frauen« (Herzog 1991, S. 28). Im Gegenzug bedachte die Künstlerin ihren Lebensgefährten bestenfalls mit Portraitskizzen (vgl. Rowe 2013, S. 71). Abgesehen vom Postum-Bildnis ihrer früh verstorbenen Freundin Angelika Hoerle fertigte sie – soweit bekannt – jedoch grundsätzlich keine Portraits.
»Die Marta können wir nicht mehr ausstellen«:
Die NS-Herrschaft und ihre Folgen
Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler war Marta Hegemanns Malerinnen-Karriere beendet. »Die Marta können wir nicht mehr ausstellen, die ist entartet« (zit. n. Reinhardt 2000, S. 315) tat Andreas Becker kund, der nur zwei Jahre zuvor ihre erste Einzelausstellung kuratiert hatte. Hegemanns Œuvre wurde aus den öffentlichen Sammlungen verbannt. Sie konnte keine Bilder mehr verkaufen, geschweige denn ausstellen. Der Versuch, mit der Familie in Italien ein neues Leben zu beginnen, scheiterte. Quälende finanzielle Nöte wurden zur täglichen Begleiterin – erst recht seit Räderscheidt die Familie 1934 zu Gunsten seiner neuen Freundin, der Fotografin Ilse Salberg (1901-1947), verlassen hatte und Hegemann sich allein um den medikamentenpflichtig an Diabetes erkrankten Sohn Karl Anton zu kümmern hatte. Ständige Umzüge – nach Berlin, Genf, Paris, Heidelberg, München, Straßburg, schließlich seit 1944 wieder Iserlohn – sowie der Verlust von rund 40 Werken bildeten Hegemanns Lebensdeterminanten während der NS-Herrschaft.
1953 wurde sie offiziell als »Geschädigte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft« anerkannt. Fünf Jahre später kehrte sie nach Köln zurück. An ihre Vorkriegserfolge aber konnte sie nie mehr anknüpfen. Stattdessen schlug sie sich, zermürbt von einem jahrzehntelangen Trennungskrieg mit Räderscheidt, mit Porzellanmalereien und der Produktion von Buchumschlägen, Mappen, Dosen und Batik-Textilien durch. Nebenher blieb sie – wenngleich mit markant gestrafftem Duktus – der figürlichen Malerei treu und beteiligte sich gelegentlich an Ausstellungen. Als Marta Hegemann 1970 starb, wollte Enkelin MAF Räderscheidt den Tod ihrer Großmutter zunächst nicht akzeptieren – bis sie schlussendlich erkannte, dass »Malerinnen sowieso unsterblich sind, weil sie uns viel mehr anzubieten haben als ihre bloße Gegenwart« (zit. n. Euler-Schmidt 1990, S. 93). Für ihre Großmutter gilt das uneingeschränkt.
Verfasserin: Annette Bußmann
Zitate
»Das wunderbarste Thema wird zur Banalität durch unglaubwürdige Darstellung (…) Banalitäten werden zu wunderbaren Kunstwerken durch die glaubwürdige Darstellung« (MH, 1929, zit. n. Reinhardt, 1990, S. 42)
»Meine Auffassung von Kunst ist, dass sie ein Gleichnis des Lebens bildet, dass allen Künsten gemeinsam die Ordnung ist.« (MH, 1929, zit. n. Berents, 1990, S. 49)
»Und wenn sie mich in jedem Interview fragen, ob ich mit Anton Räderscheidt verwandt sei, antworte ich jedes Mal, ich sei mit … Marta Hegemann verwandt.« (MAF Räderscheidt in: Euler-Schmidt 1990, S. 93)
»Sehr eigensinnig ist dieses Schaubarmachen innerer Gesichte, die immer aus der gleichen Mitte aufsteigen (…). Das Schaffen der Hegemann wird vom ersten bis zum letzten Bild (von) einer folgerichtigen, sich stetig weiterentwickelnden Grundhaltung bestimmt.« (Hermann Ginzel, Kölner Stadt-Anzeiger, Nr. 589, 21.11.1931, Nachdruck in: Beckers 1998, S. 78)
Links
artnet: Marta Hegemann.
Online verfügbar unter http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/martha-hegemann/auktionsresultate, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
Berents, Catharina (1990): Marta Hegemann. Elemente einer Befreiungsikonographie. In: Kritische Berichte. 18.1990, 1, S. 39-55.
Online verfügbar unter https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/kb/article/viewFile/11028/4885, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6phU6GuuY.
Hoffmann, Claudia (2013): Ausstellung: Rebellin mit Familiensinn. Kölner Stadt-Anzeiger, 29.11.2013.
Online verfügbar unter http://www.ksta.de/region/euskirchen-eifel/schleiden—-gemuend/ausstellung-rebellin-mit-familiensinn-2184296, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6phUJbFND.
Kulturelles Erbe Köln: Hegemann-Räderscheidt, Martha, Anzeige der Kunstausstellung »Stupid« zum Erscheinen der Mappe »Herz auf Landstraße«.
Online verfügbar unter https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05025307, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6pjuROBYA.
kunstaspekte: Marta Hegemann.
Online verfügbar unter http://kunstaspekte.de/person/marta-hegemann, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
mumok – museum moderner kunst stiftung ludwig wien: Der Maler Anton Räderscheidt und Marta Hegemann. Foto.
Online verfügbar unter https://www.mumok.at/de/der-maler-anton-raederscheidt-und-marta-hegemann, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6pk3pwcQv.
Nungesser, Michael (1998): Wiederentdeckung im Verborgenen Museum: Die Malerin Marta Hegemann: Anmut und Skepsis. Berliner Zeitung, 06.10.1998.
Online verfügbar unter http://www.berliner-zeitung.de/wiederentdeckung-im-verborgenen-museum—die-malerin-marta-hegemann-anmut-und-skepsis-16336532, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6phU6GuuY.
Räderscheidt, Maf (2013): Marta Hegemann-Räderscheidt 1934, »mother as an artist«.
Online verfügbar unter http://maf-art.com/home/?p=7562, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6pk3jqqwz.
Reinhardt, Hildegard (1990): Marta Hegemann. In: Frauen, Kunst, Wissenschaft 1990, 9/10, S. 52-60. PDF-Datei.
Online verfügbar unter http://www.fkw-journal.de/index.php/fkw/article/viewFile/196/193, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
Wege zur Kunst im Kreis Düren: Junkerhaus Simonskall.
Online verfügbar unter http://www.wegezurkunst-dueren.de/HUeRTGENWALD-2016/Junkerhaus-Simonskall/, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6pk4ennoJ.
www.raederscheidt.com: Marta Hegemann.
Online verfügbar unter http://www.raederscheidt.com/Marta_Hegemann.html, zuletzt geprüft am 11.02.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6pk46zWFn.
Literatur & Quellen
Bales, Ute (2016): Die Welt zerschlagen. Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle : Roman. Zell/Mosel. Rhein-Mosel-Verlag. ISBN 978-3898010801. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Beckers, Marion; Hegemann, Marta (1998): Marta Hegemann (1894–1970). Die Kunst – ein Gleichnis des Lebens. Ausstellungskatalog. Berlin. Traum und Raum Verl. ISBN 3-929346-06-0. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Euler-Schmidt, Michael (Hg.) (1990): Marta Hegemann (1894 - 1970). Leben und Werk ; Ausstellung »Marta Hegemann – Retrospektive«. Kölnisches Stadtmuseum. Köln. Kölnisches Stadtmuseum. ISBN 3-927396-32-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Reinhardt, Hildegard (2016): Leben wie unter dem »Rasiermesser«. Marta Hegemann und Anton Räderscheidt. In: Berger, Renate (Hg.): Liebe Macht Kunst. Künstlerpaare im 20. Jahrhundert. Köln [u.a.]. Böhlau Verlag. ISBN 3-412-08400-X. S. 287–325 (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Rowe, Dorothy (2013): After Dada. Marta Hegemann and the Cologne avant-garde. 1. publ. Manchester u.a. Manchester Univ. Press. ISBN 978-0-7190-9007-3. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Vossen-Schilf, Hannelore (2008): Experiment Kalltalgemeinschaft. Herausgegeben von Reinhard Schilf. Weilerswist. Rheinische Edition. ISBN 978-3-935221-97-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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