Fembio Specials Frauenbeziehungen Marlow Moss
Fembio Special: Frauenbeziehungen
Marlow Moss
(Geburtsname: Marjorie Jewel Moss, Rufname: The Bird)
geboren am 28. Mai 1889 in London, Großbritannien
gestorben am 23. August 1958 in Penzance, Großbritannien
britische Malerin und Bildhauerin
135. Geburtstag am 28. Mai 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Ihre Werke ähneln denen von Mondrian, aber während dieser heute für seine Werke der abstrakten Malerei weltberühmt ist, kennen nur wenige den Namen oder gar die Werke von Marlow Moss. Erwähnung findet sie in Germaine Greers Standardwerk Das unterdrückte Talent. Die Rolle der Frauen in der bildenden Kunst, in der diese über die beiden schreibt: „Tatsächlich war es aber die Verbindung zweier Ebenbürtiger, und in Fällen gleichartiger Kompositionen folgte Mondrian der Führung von Moss.“
Geboren wurde Marjorie Jewel Moss 1889 in Kilburn, einem Stadtteil von London, als zweite Tochter von Fanny Jacobs und Lionel Moss, eines Meisters in der Bekleidungsindustrie und Textilfabrikanten. Ihre Schwester Gladys war zwei Jahre älter, zwei jüngere Schwestern sollten noch folgen. Engen Kontakt hatte sie vor allem mit ihrem Vater, der an Tuberkulose starb, als sie noch ein Kind war, und dessen jüdischer Familie.
Die vier Schwestern erhielten Ballett- und Klavierunterricht, in dem sich Marjorie Moss bereits früh auszeichnete, obwohl sie krankheitsbedingt – auch sie war an Tuberkulose erkrankt – immer wieder pausieren musste. Im Alter von 12 Jahren galt sie bereits als begabte Pianistin. Nach dem Tod ihres Vaters wurde der Bruder ihrer Mutter der Vormund der Schwestern. Er und die Mutter unterstützten zwar ihre Interesse an den Künsten, aber nur so lange, wie sie diese als Amateurin ausüben wollte.
Sie jedoch beschloss Künstlerin zu werden. 1916 und 1917 besuchte sie daher die St John’s School of Art; mit der Ausbildung dort war sie jedoch unzufrieden. Sie wechselte an die Slade School of Fine Art, die für ihren progressiveren Ansatz bekannt gewesen war, der jedoch zu ihrer Zeit bereits wieder zurückgedreht wurde. Zufrieden war sie auch dort nicht, und ihre Arbeiten wurden abgelehnt. 1919 brach sie die Ausbildung an dieser Schule ab. Die Gründe dafür sind unklar, deutlich ist nur, dass sie einen Nervenzusammenbruch hatte, der durch einen „emotionalen Schock“ verursacht wurde. Sie zog sich in die Einsamkeit von Cornwall zurück. Als sie nach London zurückkehrte, traf sie einige wichtige Entscheidungen: Sie wollte ein neues Leben, nannte sich von nun an Marlow, ließ ihr Haar kurz schneiden und trug Reithosen und Krawatten, was ihr ein maskulines Äußeres verlieh. Wie sie es formulierte:
Ich zerstörte meine alte Persönlichkeit und schuf eine neue.“
Der Tod ihres Onkels 1917 brachte ihr finanzielle Unabhängigkeit, so dass sie sich selber ausprobieren konnte. In London verbrachte sie ihre Zeit hauptsächlich im Leseraum des British Museums und unterrichtete sich dort selber in Kunst, Philosophie, Literatur, Ballettgeschichte, Architektur und Mathematik. Nachts erkundete sie die Underground-Szene von London.
Zwischen 1924 und 1926 kehrte sie nach Cornwall zurück, wo sie an der Municipal School of Art Unterricht in Bildhauerei nahm. Als sie 1926 nach London zurückging, richtete sie sich dort ein Atelier ein, wandte sich wieder der Malerei zu und nahm 1927 an einer Gruppenausstellung teil. Sie experimentierte mit verschiedenen Stilen, so mit Impressionismus und Kubismus. Ihr Ziel war es, eine professionelle Künstlerin zu werden.
1927 zog Mme. Moss, wie sie dort genannt wurde, nach Paris, wo sie die Academie Moderne besuchte, ein Institut, das ihr weit mehr lag als die Londoner Schulen, die sie besucht hatte. Sie wurde dort u. a. von Fernand Léger und Amédée Ozefant unterrichtet, die beide ihre Arbeiten beeinflussten, ebenso wie die Schriften von Matila Ghyka zu Ästhetik und Mathematik. Sie wandte mathematische Prinzipien auf ihre Malerei an, da sie sich von der Präzision angezogen fühlte, die ihr die Mathematik zu bieten schien. Ihr ging es um „Raum, Bewegung und Licht“ in ihrem Werk. Eine Linie sollte für sie keinen Anfangs- und Endpunkt haben, sondern nur Beziehungen andeuten; das, was auf der Leinwand zu sehen ist, sollte sich außerhalb in alle Richtungen fortsetzen können. Geometrische Formen fand sie dann auch zu geschlossen.
In Paris lernte Moss ihre Lebensgefährtin kennen, mit der sie den Rest ihres Lebens zusammen bleiben sollte: die niederländische Schriftstellerin A. H. Nijhoff. Schon nach kurzer Zeit zog sie mit ihr und ihrem Sohn Stefan zusammen. Es war ein ruhiges Leben, beide waren kreative Individuen. Wichtige Freundschaften zu dieser Zeit verbanden sie mit den Künstlern Georges Vantongerloo, Jean Gorin und Max Bill.
1929 traf sie den Maler Piet Mondrian, den A. H. Nijhoff noch aus den Niederlanden kannte, und besuchte ihn in seinem Studio. So sehr sie ihn auch schätzte, sie entwickelte ihren eigenen Stil, was vor allem auch die Erfindung der Doppellinie deutlich macht, die sie ab 1930 benutze. Diese war ihr Beitrag zur Entwicklung der Formensprache von De Stijl. Anders als Mondrian liebte Moss die Natur, aber in ihren Werken war es ihr wichtig, mit einem Lineal zu arbeiten, um zu sehen, ob die Beziehungen des Abgebildeten stimmten. Sie benutzte ausschließlich die Farben Rot, Gelb, Blau, Grau, Weiß und Schwarz.
Mondrian und sie entwickelten sich weiter auseinander, als Moss begann, Relief mit aufliegenden Rippen und Collagen in ihren Bildern zu benutzen, um die Grenzen der Malerei zu erkunden. Später ging sie auch mehr zu plastischen Konstruktionen über.
Zu dieser Zeit galt sie als eine der zentralen Figuren der Avantgarde. So war sie auch Gründungsmitglied der Gruppe Abstraction-Création, mit der sie in den 1930er Jahren regelmäßige Ausstellungen hatte; ebenso stellte sie im Salon des Surindépendants aus. Daneben nahm sie aber auch an Ausstellungen u. a. in Basel (1937) sowie Amsterdam (1938) teil.
Moss und Nijhoff zogen 1937 nach Gauciel in der Nähe von Evraux in der Normandie, wo sie das kleine Landhaus Château d`Evreux kauften, das sie selber umbauten. Sie wollten sich dauerhaft niederlassen und richteten sich dort mit selbstentworfenen Möbeln und zahlreichen Bildern von Moss, Mondrian, Gorin, Van Doesburg und anderen ein. Moss hatte dort ihr eigenes Studio. Häufig erhielten die beiden Frauen Besuch, vor allem Stefan Nijhoff kam häufig, wenn er nicht bei Man Ray in Paris war, bei dem er eine Ausbildung zum Fotografen machte. Die beiden Frauen fuhren aber auch weiterhin nach Paris, wo sie – teilweise zusammen mit Stefan Nijhoff und dessen Partner, dem Balletttänzer Albert Mol – auch weiterhin die legendäre Lesbenbar Le Monocle besuchten.
Ihr Plan, auf Dauer in Gauciel zu leben, sollte sich bald zerschlagen. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, zogen die beiden Frauen vorübergehend in das Nijhoffsche Haus in Biggekerke (auf der Halbinsel Walcheren in den Niederlanden). Dort, in diesem kleinen ruhigen Ort, hofften sie den Krieg aussitzen zu können, und schon bald wieder in ihr Landhaus nach Frankreich zurückkehren zu können.
Ein Wunsch, der nicht in Erfüllung ging: Das Château wurde von der französischen Luftwaffe besetzt und 1944 durch Bombardierungen der Alliierten vollständig zerstört – und damit auch fast das gesamte frühe Werk von Marlow Moss. Die Ausnahme bildeten nur einige wenige Gemälde, die bereits in Sammlungen aufgenommen waren oder anderswo lagerten, und somit der Nachwelt erhalten blieben.
Beide Frauen konnten ihre Arbeit in Biggekerke erfolgreich fortsetzen. Moss arbeitete vor allem mit Holzkonstruktionen; Malen war für sie schwierig, da es in den Niederlanden zu dieser Zeit nicht leicht war, an gute Leinwände zu kommen.
Am 10. Mai begann die Invasion der Niederlande durch die Deutschen, vier Tage später drangen sie auch in Walcheren ein. Moss gelang es gerade noch, mit einem Fischerboot nach England zu fliehen. Sie war in jeder Hinsicht bedroht: als feindliche Ausländerin, als Lesbe und mit ihrem teilweise jüdischen Familienhintergrund (sie selber scheint sich als Atheistin gesehen zu haben).
Moss zog wieder nach Cornwall und ließ sich in Mousehole nieder, 1941 zog sie nach Lamorna. Das kleine Fischerdorf wurde am Ende des 19. Jahrhunderts durch die Lamorna Group bekannt, zu der viele MalerInnen der Newlyn School gehörten. Diese hatten den Ort allerdings größtenteils bereits wieder verlassen, als Moss dort hinzog. Zu den Verbliebenen hatte sie kaum Kontakt. Es war eine Zeit der Isolation und Unsicherheit, nur selten hörte sie von Menschen, die ihr nahestanden.
Mit über 50 Jahren stand sie fast vor dem Nichts: Der Großteil ihrer Werke war zerstört, sie musste mehr oder weniger neu anfangen. Neben gemalten Reliefs, mit denen sie bereits in den Niederlanden experimentiert hatte, beschäftigte sie sich mit Architektur und fertigte weiterhin Skulpturen an. Während des Krieges konzentrierte sie sich auf weiße Reliefs und Skulpturen, während sie danach wieder mit Farbe malte – und ohne Reliefs. Für den Rest ihres Lebens experimentierte sie mit ihren Bildhauerinnenarbeiten.
Nach dem Krieg pendelte Moss zwischen Lamorna, Paris und Biggekerke und konnte ihr gemeinsames Leben mit A. H. Nijhoff wieder aufnehmen, die sie erst 1947 in Paris wieder traf. Sie arbeitete immens viel in ihren letzten Lebensjahren, als ob sie damit die Zerstörung so vieler Werke kompensieren wollte.
1942 wurden einige ihrer Werke für eine amerikanisch-britischen Kunstausstellung im American-British Art Centre in New York angenommen, und sie wurde Mitglied in der Artists’ International Association und der Group Espace in London, wo sie 1956 eine Einzelausstellung in der Hanover Gallery hatte.
1956 erhielt sie eine Entschädigung für Kriegsschäden, für den Verlust des Châteaus in Gauciel. Dadurch war sie finanziell in der Lage, wieder nach Paris zurückzuziehen, was immer ihr Wunsch gewesen war. Dort wurden Werke von ihr 1957 in der Ausstellung Cinquante Ans de Peinture Abstraite aufgenommen.
Nur einen Monat nach ihrer zweiten Einzelausstellung in der Hanover Gallery in London, wurde Magenkrebs bei ihr diagnostiziert, an dem sie zwei Monate später, am 25. August 1958, starb.
In ihrem Testament hinterließ sie Stefan Nijhoff ihre Werke, der sie in das Nijhoffsche Haus in Biggekerke brachte, in dem seine Mutter zu der Zeit lebte.
A. H. Nijhoff bemühte sich zeitlebens um Anerkennung von Moss’ Werken und lieh sie für Ausstellungen immer wieder aus. Für die Ausstellung im Amsterdamer Stedelijk Museum schrieb sie für den Ausstellungskatalog einen Essay über ihre Geliebte.
Seit Moss’ Tod hat es immer wieder Einzelausstellungen gegeben, wie z. B. in Amsterdam, Middelburg, Zürich (2017), London, New York und Arnheim (1994). Werke von ihr befinden sich in privaten wie auch in öffentlichen Sammlungen, vor allem in den Niederlanden, dort u. a. im Gemeentemuseum Den Haag, dem Kröller-Müller Museum und dem Stedelijk Museum in Amsterdam, aber auch beispielsweise in der Tate Modern, dem MOMA, dem Israel Museum in Jerusalem sowie dem Henry Moore Institute.
Literarische Erwähnung findet Marlow Moss außer in den beiden Romanen Twee meisjes en ikund und Venus in ballingschap von A. H. Nijhoff auch in dem Roman Die Gärten von Bloomsbury von Joke J. Hermsen.
(Text von 2019)
Verfasserin: Doris Hermanns
Links
Marlow Moss - Museum Haus Konstruktiv Zürich. 27.02.2017.
Howarth, Lucy. Marlow Moss (1889-1958). Volume 3. Illustrations and Appendices.
Howarth Lucy. Marlow Moss: Space, Movement, Light. tate.org.uk.
Bakker, Joost. Biggekerke en een vrouwelijke Mondriaan. Marlow Moss en Netty Nijhoff-Wind. Zeeland 26.3
Marlow Moss. ZB: Planbureau en Bibliothek van Zeeland.
Marlow Moss. 1889-1958. tate.org.uk.
“De Stijl 1917-1931, Marlow Moss”. facebook.com.
Roeschmann, Dietrich. 21.03.2017. Rebellin im Modrian-Look: Ein Zürcher Ausstellung über die Konstruktivistin Marlow Moss. Badische Zeitung.
Wind, Antoinette Hendrika (1897-1971). DVN (Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland), ein Projekt von Huygens ING en OGC (UU).
Thomas, Angela. Aus der bewegten Geschichte der internationalen Künstlervereinigung Abstraction Création, Paris 1931-1937, in: Brockhaus, Christoph. 2009. Für eine neue Welt, Georges Vantongerloo 1886-1965 und seine Kreise von Mondrian bis Bill”. Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum - Zentrum Internationaler Skulptur. Duisburg.
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Szczesniak, Paulina. 02.03.2017. Sie brannte für Farben und Formeln. baz.ch/Newsnet.
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Literatur & Quellen
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Hermsen, Joke J. (2003): Die Gärten von Bloomsbury. Bergisch Gladbach, Ed. Lübbe.
Howarth, Lucy Harriet Amy (2008): Marlow Moss 1889-1958. Thesis submitted to the University of Plymouth.
Howarth, Lucy (2013): The Lonely Radical: Marlow Moss at Tate St Ives, in: Tate Etc. Issue 28: Summer 2013.
Nijjhoff, A. H. (1962): Marlow Moss. Amsterdam, Stedelijk Museum.
Pruis, Marja (1994): De liefelijke hel van het Hollandse binnenhuisje. Leven en werk van A. H. Nijhoff. Amsterdam, VITA.
Pruis, Marja (1998): Een schok van herkenning. De vriendschap van A. H. Nijhoff en Marlow Moss. In: Jaarboek voor vrouwengeschiedenis 18: Parallelle levens. Amsterdam, Stichting beheer IISG.
Pruis, Marja (1999): De Nijhoffs of de gevolgen van een huwelijk. Amsterdam, Nijgh & Van Ditmar.
Pruis, Marja (2018): De Nijhoffs en ik of de gevolgen een genre. Amsterdam, Nijgh & Van Ditmar (erweiterte Neuauflage von: De Nijhoffs of de gevolgen van een huwelijk).
Schaschl, Sabine (Hg.) (2017): A Forgotten Maverick - Marlow Moss. Übersetzungen: Simon Thomas und Ewa Dewes. Berlin, Hatje Cantz.
(letzte Linkprüfung am 24.04.2019)
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