Fembio Specials Frauen aus Potsdam Marie Luise Kaschnitz
Fembio Special: Frauen aus Potsdam
Marie Luise Kaschnitz
(Freifrau von Kaschnitz–Weinberg, geb. von Holzing)
geboren am 31. Januar 1901 in Karlsruhe
gestorben am 10. Oktober 1974 in Rom
deutsche Schriftstellerin
50. Todestag am 10. Oktober 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Eine Grenzgängerin, immer auf der Suche nach der eigenen Ortsbestimmung, immer wieder hinüberschauend in den Abgrund des alltäglichen Schreckens, oft verzagt, aber nie ganz aufgebend.
Der letzte Aufsatz erwägt noch “Die Rettung durch die Phantasie”. Drei besondere Orte, die in der Lyrik und Prosa einander durchdringen, bestimmen ihre Lebenslandschaft und ihren Lebensweg, der immer eine “Suche nach Heimat (Liebe)” war. Nach der Schulzeit in Berlin und Potsdam wird ihr das badische Dorf Bollschweil schon während des ersten Weltkrieges zum Inbegriff der Heimat. Sie wird Buchhändlerin in Rom, wo sie 1925 den Archäologen Guido von Kaschnitz-Weinberg heiratet und 1928 die Tochter Iris Costanze gebiert. Sie erlebt über dreißig produktive Jahre des Aufgehobenseins in ihrer Ehe. Wenn nicht Aufenthaltsort, bleibt die ewige Stadt Ort der Erinnerung und der Sehnsucht. Als Gegenpol die “häßliche Stadt”, Frankfurt am Main. Immer wieder sucht die in ihrem innersten Weltgefühl Unbeheimatete nach einem sicheren Standort: “Wohin sind wir gekommen?” und “Wohin denn ich?”
Zwei Einschnitte im Lebensweg bringen Änderungen im Inhalt und in der Form der literarischen Versuche: die Erfahrung des zweiten Weltkriegs und der Tod des Ehemannes im September 1958. Zurück aus der Todessehnsucht, die durch die zweite, größere Existenzkrise ausgelöst wird, kann sie behaupten: “Das Alter ist für mich kein Kerker, sondern ein Balkon, von dem man zugleich weiter und genauer sieht.” Von dem Pathos der früheren Werke hat Kaschnitz ihre Sprache auf die nüchterne Benennung reduziert. Trotz der Ratlosigkeit bleibt sie bis zuletzt “immer noch offen”. Sie will immer noch sehen, hören, sich mitteilen. Wie der Photograph hinter der Hecke in ihrem berühmten Gedicht Hiroshima will sie als Schriftstellerin “das Auge der Welt” sein, “nirgends mehr und überall zu Hause sein”. Am Ende ihres Lebens und Schreibens klingt aber die Resignation durch: “meine Füße hinterlassen keine Spur”, schreibt sie 1973 am Ende von Orte.
Marie Luise Kaschnitz starb am 10. Oktober 1974 in Rom und wurde in Bollschweil begraben.
(Text von 1993)
Verfasserin: Margaret E. Ward
Zitate
Das Äußerste, das ist die Grenze, dahinter steht der Wahnsinn oder die Verzweiflung, dahin wollte ich nicht. Beim Schreiben war es später dasselbe… Wahrscheinlich wollte ich leben, nicht allein, sondern in der Liebe, dazu gehört Ausgewogenheit, ein Schweben und Sich-Tragen-Lassen, wenigstens für eine Frau. Wer sich die Welt auf die Schultern packt, wird hinabgerissen, ach, manchmal kann man es nicht so regieren und hat sie schon im Nacken und stürzt hinunter und von allen anderen fort.
Links
Link geprüft am 23.01.2021 (AN).
Literatur & Quellen
Gersdorff, Dagmar von. 1992. Marie Luise Kaschnitz: Eine Biographie. Frankfurt/M. Insel.
Kaschnitz, Marie Luise. 1981-85. Gesammelte Werke. 7 Bde. Hg. Christian Büttrich & Norbert Miller. Frankfurt/M. Insel.
Pulver, Elsbeth. 1984. Marie Luise Kaschnitz. Autorenbücher 40. München. Beck; Text & Kritik.
Reichardt, Johanna Christiane. 1984. Zeitgenossin: Marie Luise Kaschnitz. Eine Monographie. Frankfurt/M.; Bern. Peter Lang.
Schweikert, Uwe. Hg. 1984. Marie Luise Kaschnitz. Materialien. Frankfurt/M. suhrkamp TB materialien 2047.
Stephan, Inge. 1987. “Männliche Ordnung und weibliche Erfahrung: Überlegungen zum autobiographischen Schreiben bei Marie Luise Kaschnitz”, in Stephan, Inge, Regula Venske & Sigrid Weigel. 1987. Frauenliteratur ohne Tradition? Neun Autorinnenporträts. Frankfurt/M. Fischer TB 3783.
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