Fembio Specials Europäische Jüdinnen Marie Jahoda
Fembio Special: Europäische Jüdinnen
Marie Jahoda
geboren am 26. Januar 1907 in Wien
gestorben am 28. April 2001 in Keymer, Sussex (GB)
österreichisch-britische Sozialwissenschaftlerin
115. Geburtstag am 26. Januar 2022
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Marie Jahoda ist eine Pionierin der Sozialpsychologie und empirischen Sozialforschung. Ihr erstes bedeutendes Werk “Die Arbeitslosen von Marienthal”, das sie gemeinsam mit Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel 1933 veröffentlichte, bescherte ihr Weltruhm. Es wurde in viele Sprachen übersetzt. In der Studie werden Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit auf Arbeitslose dargestellt. Arbeitslosigkeit führt nicht zu revolutionärem Verhalten, sondern zu Resignation. Wegen ihrer Originalität ist diese Studie noch immer sehr lesenswert.
Marie Jahoda stammte aus einer liberal-bürgerlichen Familie. Ihre Mutter war überzeugte Pazifistin. Schon als Schülerin engagierte sich Jahoda in sozialdemokratischen Jugendvereinen, mit 17 war sie bereits Führerin einer Jugendgruppe. Mit 18 trat sie aus der mosaischen Religionsgemeinschaft aus, sie war Atheistin. Nach der Matura absolvierte sie eine Ausbildung zur Volksschullehrerin, war auch als solche tätig und studierte gleichzeitig an der Wiener Universität bei Charlotte und Karl Bühler Psychologie und schloss ihr Studium 1932 mit dem Doktorat ab. Seit 1927 war sie mit Paul F. Lazarsfeld verheiratet, 1930 kam ihre Tochter Lotte zur Welt, 1933 ließ sie sich von Lazarsfeld scheiden. Der zunehmende Antisemitismus und schließlich 1934 das Verbot der sozialdemokratischen Partei in Österreich veranlassten Paul Lazarsfeld in die USA zu emigrieren. Die von ihm gegründete Wirtschaftspolitische Forschungsstelle, in der vorwiegend Marktanalysen durchgeführt wurden, wurde nun von Marie Jahoda weitergeführt. 1936 wurde Jahoda verhaftet, weil sie im Untergrund weiterhin für die verbotene sozialdemokratische Partei arbeitete. Insgesamt war sie vom November 1936 bis Juli 1937 in politischer Untersuchungshaft und wurde wegen “Unterstützung der staatsfeindlichen Verbindung der revolutionären Sozialisten” zu drei Monaten Kerker verurteilt, aber nach internationalen Protesten (z. B. vom französischen Ministerpräsidenten Léon Blum) vorzeitig entlassen, allerdings mit der Auflage, in wenigen Wochen Österreich zu verlassen.
Im August 1937 verließ sie mit Tochter Lotte Wien, traf sich mit Lazarsfeld in Paris, der die Tochter in die USA mitnahm. Jahoda selbst ging nach London, um in der Österreichischen Exilsozialdemokratischen Organisation mitzuarbeiten, ebenfalls arbeitete sie in der Anti-Hitler-Propaganda des britischen Ministry of Information und des Foreign Office mit. Unterstützt wurde Jahoda von der “Society for the Protection of Science and Learning” - eine Institution zur Unterstützung von WissenschaftlerInnen, die durch politische Repression aus ihren Heimatländern vertrieben worden waren. Bis 1945 führte sie neben ihrer politischen Tätigkeit zahlreiche Feldstudien, vor allem zum Thema Arbeit / Arbeitslosigkeit durch. Sie übersiedelte in die USA, wo sie Mitarbeiterin von so unterschiedlichen und bedeutenden Soziologen wie Max Horkheimer oder Robert Merton war. Von 1949 - 1958 war sie erst als Associate, dann Full Professor of Psychology an der New York University in New York.
In ihrer wissenschaftlichen Arbeit hat Jahoda immer psychologische und soziale Phänomene systematisch miteinander verknüpft. Es ging immer um eine spezifische Kombination empirischer Methoden und die auf Lebensnähe bedachte Auswahl von Forschungsgegenständen wie z.B. Vorurteil und Race Relation; Mental Health und Human Relations; Arbeit und Arbeitslosigkeit; Konformität und Nonkonformismus; Fragen zu gesamtgesellschaftlichen Prognosen. Jahoda war der Meinung, dass die Wissenschaft auch einen Auftrag habe, einen Beitrag für eine “bessere Welt” zu leisten.
1958 ging sie wieder nach England. Dort heiratete sie den Labour-Abgeordneten und zeitweiligen Minister Austen Albu. Sie lebte in London, seit den 1960er Jahren in Keymer, Sussex. Es folgte Lehrtätigkeit am Brunel College, wo sie auch Research Fellow war. Bis zu ihrer Emeritierung 1973 war sie Professorin für Sozialpsychologie an der University of Sussex in Falmer, Brighton. Sie arbeitete mit am Aufbau des ersten “Department of Social Psychology” in Großbritannien. Jahoda war Mitglied in zahlreichen Forschungsinstitutionen, und bis ins hohe Alter beschäftigte sie sich mit wissenschaftlichen Problemen, speziell mit den sozialpsychologischen Wurzeln des Nationalismus.
Verfasserin: Sibylle Duda
Links
“Wie kommt man durchs Leben, Frau Jahoda?” Miriam Gebhardt befragt Marie Jahoda. Die Zeit, 1999.
Literatur & Quellen
Marie Jahoda. 1907-2001. Pionierin der Sozialforschung. Katalog zur Ausstellung des Archivs für die Geschichte der Soziologie in Österreich an der Universitätsbibliothek Graz vom 3. Juni bis zum 2. August 2002. Mit zahlreichen Erstveröffentlichungen von und über Marie Jahoda. Herausgegeben von Reinhard Müller.
Fleck, Christian. 2002. “Marie Jahoda: Lebensnähe der Forschung und Anwendung in der wirklichen Welt”, in: siehe Katalog zur Ausstellung….. zuerst abgedruckt in: Frauen in der Soziologie: Neun Portraits. Herausgegeben von Claudia Honegger und Theresa Wobbe. München: C.H. Beck 1998
Jahoda, Marie, Paul F. Lazarsfeld, Hans Zeisel. Leipzig 1933. Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit. Mit einem Anhang zur Geschichte der Soziographie. Die 1. Auflage erschien anonym. Als Bearbeiter und Herausgeber zeichnet die Wirtschaftsspolitische Forschungsstelle in Wien (Juden war das Publizieren verboten). Die letzte Auflage erschien 1975 im Suhrkamp Verlag es. 769, Frankfurt am Main.
“Lachend mich mit dem Teufel schlagen…..” Marie Jahoda - Eine Dokumentation 1907 - 1945. Österreich 1907 - 1937. Englisches Exil 1937 bis 1945. Zusammengestellt und kommentiert von Reinhard Müller, in : siehe Katalog zur Ausstellung…...
Kreisky, Eva. 1999. “Marie Jahoda: Eine Laudatio”, in : L'Homme. Ztschr. f. feministische Geschichtswissenschaft. 10.Jg., Heft 2.
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