Fembio Specials Frauen aus Zürich Marianne Breslauer Feilchenfeldt
Fembio Special: Frauen aus Zürich
Marianne Breslauer Feilchenfeldt
geboren am 20. November 1909 in Berlin
gestorben am 7. Februar 2001 in Zürich
deutsch-schweizerische Fotografin und Kunsthändlerin
115. Geburtstag am 20. November 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
„Sehr weiblich“ nannte Marianne Breslauer Feilchenfeldt ihre Fotos, als sie sie 1982 in ihrer ersten eigenen Retrospektive in Zürich begutachtete. Sie wunderte sich, „jetzt, nachdem ich meine eigene Ausstellung gesehen habe, weiß ich plötzlich, dass ich ja wirklich etwas gezeigt habe, was heute total verloren gegangen ist.“
Marianne Breslauer Feilchenfeldt leistete Pionierarbeit - in zwei Berufen, in zwei Ländern und mit zwei Namen: Als Marianne Breslauer machte sie in Berlin als eine der meistbeachteten Fotografinnen der Weimarer Republik von sich reden. Als Marianne Feilchenfeldt avancierte sie in der Nachkriegszeit in Zürich zu einer der ersten international erfolgreichen Kunsthändlerinnen. Die großen Kunsthäuser der Welt erwarben ihre Fotos, das Londoner Victoria & Albert Museum, das J. Paul Getty Museum in Los Angeles. Der GaleristInnen-Welt galt sie als „ästhetische Instanz“. Und doch waren Breslauer Feilchenfeldt Selbstzweifel nicht fremd: Als man ihr fotografisches Œuvre in den 1980er Jahren wiederentdeckte, sie 1999 als erste Frau den renommierten Hannah-Höch-Preis des Landes Berlin erhielt, zeigte sie sich überrascht. Jahrzehnte lang schienen ihr ihre Fotos „weder besonders modern, noch besonders gut oder wichtig“.
Poetin des Alltags
Nur elf Jahre, zwischen 1927 und 1938, widmete sich Breslauer Feilchenfeldt der Fotografie. Gleichwohl schuf sie in dieser kurzen Spanne kleine Meisterwerke. Das eindringliche Portrait ihrer Freundin, der Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach, zählt zu den heute bekanntesten. Um 1932 entstanden, trug es maßgeblich zur Wiederentdeckung der früh verstorbenen Schriftstellerin in den 1990er Jahren bei. Schwarzenbach liebte das Portrait, glaubte, es fixiere ihre „dunkle Seite“. Breslauer Feilchenfeldt indes faszinierte Schwarzenbachs Schönheit, nannte sie „Erzengel Gabriel vor dem Paradiese stehend“.
Marianne Breslauer Feilchenfeldt suchte nicht den großen, inszenierten Augenblick. Wollte sie Menschen, Städte, Landschaften mit der Kamera einfangen, fixierte sie das vermeintlich Nebensächliche, die „von der großen Masse unbeachtete Realität“, wie sie sagte. Vom sog. Neuen Sehen der 1920er Jahre beeinflusst, verpönte Breslauer Feilchenfeldt nachgestellte Atelier-Szenen und Retuschen. In den Straßen der Großstadt, der Welt der Bohème, auf Reisen durch Palästina, Spanien, Italien fahndete sie nach unverstellten Momenten. Ausgesprochen zeittypisch war Breslauer Feilchenfeldts Liebe zur Reportage-Fotografie, ihre Begeisterung für Erich Salomons schnappschussartige Momentaufnahmen und André Kertészs Erhebung des Alltags zum Bild-Motiv. Breslauer Feilchenfeldt bevorzugte ungewöhnliche Perspektiven. Sie übte sich in Schräg- und Vogelsichten, pries Florence Henris Licht-Experimente. Der bedingungslosen Abstraktion aber, dem Weg in die radikale Moderne, verweigerte sie sich. Ausdrücklich distanzierte sie sich von der sog. Neuen Sachlichkeit – betonte, sie arbeite „poetischer“.
Berlin - Paris - Berlin
1909 geboren, wuchs Breslauer Feilchenfeldt in Berlin-Dahlem auf, als - wie sie selbst sagte - „höhere Tochter“: Ihre Mutter, eine passionierte Tennis- und Klavierspielerin, war die Tochter Julius Lessings, des langjährigen Direktors des Berliner Kunstgewerbe-Museums, ihr Vater der bekannte Villen-Architekt Alfred Breslauer. Mit 16 Jahren fasste Breslauer Feilchenfeldt den Entschluss, Fotografin zu werden – nachdem sie die eleganten Portraits der Fotografin Frieda Riess in einer Ausstellung bewundert hatte. Damals, 1925, befand sich die Fotografie an einem Wendepunkt: Die Jahrzehnte lange Abwertung als „Unkunst“ wurde zunehmend hinterfragt. Neuartige Motive und Techniken eroberten den Markt. Immer zahlreicher und kostengünstiger wurden Fotos reproduziert und in den Printmedien platziert. Die Absatzmöglichkeiten für FotografInnen stiegen erheblich.
Bürgerlichen Kreisen galt der Beruf der Fotografin schon seit der Jahrhundertwende als „achtsame Tätigkeit“. Gleichwohl - ein geregelter Ausbildungsweg existierte nicht. Breslauer Feilchenfeldt aber wollte „nicht nur knipsen“, wie sie es nannte, sondern mit der Fotografie ihren Lebensunterhalt bestreiten. So absolvierte sie - im Gegensatz zu ihren berühmten Kolleginnen, den Autodidaktinnen Ilse Bing, Gisele Freund und Lee Miller - eine fundierte handwerkliche Ausbildung: Zwei Jahre besuchte sie die Fotografie-Klasse des Berliner Lette-Vereins. Als Breslauer Feilchenfeldt 1929 die Gesellenprüfung bestand, erfüllte sie sich einen Traum: Für ein Jahr ging sie nach Paris, dem einstigen Mekka fortschrittlicher FotografInnen. Man Ray, damals als Grand Mâitre des Lichtbildes gefeiert, sollte ihr Lehrer werden. Doch dieses „kleine melancholische Männchen“, das ihr „nur bis zur Brust reichte“, wie sie später schrieb, wies sie zurück. Sie könne bereits fotografieren. So zog sie mit ihrer Kamera alleine durch die Seine-Metropole, genoss das Leben im Zentrum der Avantgarde, dem Montparnasse. Geldsorgen plagten sie nicht: Ihre Eltern unterstützten sie – finanziell und emotional.
Zurück in Berlin, 1930, suchte Breslauer Feilchenfeldt die Nähe der Bohéme. Ihre Freundin, die Journalistin Rut(h) Landshoff-Yorck, machte sie mit dem sog. „Mädchenkreis“, dem Künstlerinnen-Zirkel um Annemarie Schwarzenbach bekannt. Erstmals traf sie ihre späteren Freunde Oskar Kokoschka und Erich Maria Remarque. Breslauer Feilchenfeldt brachte ihre Pariser Aufnahmen in den namhaften Gazetten unter, im Uhu, der Dame, dem Weltspiegel. Seit 1931 arbeitete sie im Foto-Atelier des Berliner Ullstein-Verlags. Die Stelle war schlecht bezahlt, ihre Tätigkeiten blieben vornehmlich auf Werbefotos beschränkt. Doch konnte Breslauer Feilchenfeldt ihre technischen Fertigkeiten merklich ausbauen. Man Rays einstige Strahlkraft schien unterdessen zu erkalten. „Er machte immer dasselbe“, gab sie rückblickend zu bedenken. 1932 verließ Breslauer Feilchenfeldt den Verlag. Sie wollte selbständig arbeiten.
Das Ende aller Illusionen
Noch 1933 war Breslauer Feilchenfeldt voller Ideen, plante ihre Freundinnen in regelmäßigen Intervallen zu portraitieren. Doch als sie im Frühjahr 1933 mit Annemarie Schwarzenbach von einer Auftragsreise aus Spanien zurückkehrte, war plötzlich alles anders: Die Presse war gleichgeschaltet. Im nationalsozialistischen Deutschland galt Breslauer Feilchenfeldt nunmehr als Jüdin. Bis dahin hegte sie kein nennenswertes Interesse an Religion oder Politik. Wie ihre Eltern war sie protestantisch getauft. Doch fortan sollte sie diese NS-Kategorisierung nicht mehr verlieren: Als sie sechzig Jahre später, in dem 1993 herausgegebenen Lexikon „Jüdische Frauen des 19. und 20. Jahrhunderts“ , ihren Namen entdeckte, war sie verletzt, bemerkte, erst Hitler hätte sie zu einem „‚Nicht-Arier‘ gestempelt“.
Mit dem 1933 verhängten Berufsverbot schwand Breslauer Feilchenfeldts Hoffnung, jemals von der Fotografie leben zu können. Sie reiste mit dem Kunsthändler Walter Feilchenfeldt quer durch Europa, ging mit ihm 1936 nach Amsterdam, heiratete ihn, um ihren „Eltern eine Freude zu machen“. Obwohl 1934 eine Pariser Zeitung Breslauer Feilchenfeldts Foto „Schulmädchen aus Gerona“ zum „Bild des Jahres“ wählte, sie den Auftrag erhielt, Erika Manns politisches Kabarett, die Pfeffermühle, zu portraitieren, fotografierte sie zusehends seltener. 1938 bereitete ihr die Reichspogromnacht unwiderruflich „das Ende aller Illusionen“. Bis dahin hielt sie den Nationalsozialismus für einen vorübergehenden Spuk. Nun aber emigrierte sie in die Schweiz, betrat nach eigenen Worten „keine Dunkelkammer mehr“. Der „Verlust der Heimat“ blieb ihr lebenslang „ein nie zu verwindender Schmerz“.
Ein neues Leben beginnt
1947 erteilte die Schweiz dem Ehepaar Feilchenfeldt endlich die Genehmigung, eine Galerie zu eröffnen. „Walter Feilchenfeldt“ hieß die Kunsthandlung, wenngleich Breslauer Feilchenfeldt von Anbeginn rege mitarbeitete. Als ihr Mann 1953 unerwartet starb, führte sie die Galerie alleine weiter. Rasch profilierte sie sich im europäischen Kunsthandel, einer traditionellen Männerdomäne, in vorderster Reihe. Auf die Frage, wie sie sich als Frau in diesem Metier ihren ungewöhnlichen Erfolg erkläre, entgegnete sie: „In der Tätigkeit, sich mit Kunst zu beschäftigen“ erkenne sie „keinen Unterschied zwischen Mann und Frau“. Lediglich „Unerschrockenheit“ sei von Nöten. Und über diese verfüge sie reichlich.
Zwischen Freiheitsdrang und Konvention
Marianne Breslauer Feilchenfeldt war nicht ohne Widersprüche: Die Bohème zog sie magisch an. Doch wollte sie keine Bohèmienne sein. Sie widmete sich den Randständigen und Verstoßenen, fotografierte Sinti und Roma, Obdachlose und stellte klar, „Soziales lag mir fern“. Trotz aller öffentlich dargelegten Bescheidenheit wusste sie durchaus um ihre ungewöhnlichen visuellen Fähigkeiten. „Gottesgabe“ nannte sie sie. Augenzwinkernd bekannte sie sich zu ihrer „Berliner Verwegenheit“, liebte die Freiheit, dachte und lebte emanzipiert. Als man jedoch ihr fotografisches Werk in den 1980er Jahren wiederentdeckte, begründete sie ihren Ausstieg aus der Fotografie streng geschlechtsrollenkonform mit ihrer Heirat, der Geburt ihrer Söhne Walter (*1939) und Konrad (*1944). Das Berufsverbot in NS-Deutschland klammerte sie aus. Ihre Tätigkeit als Kunsthändlerin zwang sie in einen Nebensatz. Auch in ihrer posthum veröffentlichten, von Bernhard Echte redigierten Autobiographie findet sich die zweite Lebenshälfte drastisch verkürzt: Ein halbes Jahrhundert Galeristinnen-Existenz wird in knappe sieben Seiten gepresst. Hoffentlich gerät ihr diese Gewichtung nicht irgendwann zum Bumerang.
Verfasserin: Annette Bußmann
Zitate
„Interessiert hat mich nur die Realität, und zwar die unwichtige, die übersehene, von der großen Masse unbeachtete Realität“ (aus: „da alle meine Fotos fast fünfzig Jahre alt sind und ich andererseits noch vorhanden bin.“ Interview mit Marianne Breslauer. Zürich, Juli 1982, S. 15. In: atropin. frauen-foto-zeitung, Nr. 0, Berlin 1982, S. 14-19)
„ … und ich sehe in der Tätigkeit, sich mit Kunst zu beschäftigen, keinen Unterscheid zwischen Mann und Frau. Etwas ganz anderes gehört dazu, diesen Beruf auszuüben: eine gewisse Unerschrockenheit.“ (Marianne Breslauer Feilchenfeldt: 50 Jahre Kunsthandel. S. 17. In: Marianne Breslauer. Photographien 1927-1936. Berlin 1999, S. 12-17)
„Nach Krieg und Inflation wurden junge Frauen nicht mehr allein für die Ehe erzogen. Für mich war es vielmehr selbstverständlich, etwas Eigenes leisten zu wollen und berufstätig zu werden; auch die meisten meiner Freundinnen sahen dies so. Die Zeiten, in denen eine Frau nur Gesellschaftsdame oder Hausfrau sein konnte, waren eindeutig vorbei, und meine Mutter, die keine Berufsausbildung hatte, bestärkte mich in meiner Haltung.“ (Marianne Breslauer Feilchenfeldt: Bilder meines Lebens. Erinnerungen. Wädenswil 2009, S. 50)
„Ich dagegen habe schon damals instinktiv nur das angestrebt, was im Rahmen des Erreichbaren lag; vielleicht bin ich deswegen auch nicht die große Bohemienne geworden, zu der mich meine Freunde gerne gemacht hätten.“ (Bilder meines Lebens, 2009, S. 58)
„Dieser Begriff ‚Nicht-Arier‘ ist etwas, das mir noch bis ins hohe Alter hinein Kopfschütteln bereitet, denn niemand konnte und kann vernünftigerweise verstehen, was ein ‚Nicht-Arier‘ sein soll. Kürzlich ist ein Buch mit dem Titel ‚Jüdische Frauen des 19. Und 20. Jahrhunderts‘ erschienen und in diesem Buch figuriere auch ich als Photographin Marianne Breslauer, obwohl ich gar keine jüdische Frau bin. Erst Hitler hat mich zu einem ‚Nicht-Arier‘ gestempelt … ungeachtet der Tatsache, dass ich als Christin aufgewachsen und erzogen worden bin.“ (Bilder meines Lebens, 2009, S. 136)
„Es mag sich heute kaum glaubhaft anhören, aber damals (1933, A.B.) nahmen wir Hitler mit seinem merkwürdigen Äußeren und seiner entsetzlichen Sprache noch nicht wirklich ernst. Wir vermochten uns schlicht nicht vorzustellen, dass er tatsächlich ein ganzes Volk in sein Gefolge bringen konnte, so sehr uns die neuesten Ereignisse auch frappierten.“ (Bilder meines Lebens, 2009, S. 139)
„Man merkte mir jungem Wesen wohl an, dass ich im Ruf stand, eine Mischung von Wandervogel und Waldnymphe zu sein, wie Vitale Bloch dies ausgedrückt hatte (wobei ich bemerken muss, dass mir diese Charakterisierung nur in ihrem zweiten Teil einigermaßen gefiel.)“ (Bilder meines Lebens, 2009, S. 146)
Links
Literatur & Quellen
Breslauer, Marianne: Retrospektive Fotografie. Düsseldorf 1979
Dies.: „da alle meine Fotos fast fünfzig Jahre alt sind und ich andererseits noch vorhanden bin.“ Interview mit Marianne Breslauer. Zürich, Juli 1982, in: atropin. frauen-foto-zeitung, Nr. 0, Berlin 1982, S. 14ff.
Dies.: Bilder meines Lebens. Erinnerungen. Wädenswill 2009
Busch, Günter: Ästhetische Instanz. Zum Tod von Marianne Feilchenfeldt. In: Neue Zürcher Zeitung vom 14.2.2001
Dick, Jutta/Sassenberg, Marina (Hg.): Jüdische Frauen im 19. Und 20. Jh. Reinbek b. Hamburg 1993
Eskilden, Ute (Hg.): Fotografieren hieß teilnehmen. Fotografinnen der Weimarer Republik. Düsseldorf 1994
Freund, Gisèle: Photographie und Gesellschaft. Frankfurt/Main 1974
Heinsohn, Kirsten/Schüler-Springorum, Stefanie (Hg.): Deutsch-jüdische Geschichte als Geschlechtergeschichte. Göttingen 2006
Hörner, Unda: Madame Man Ray. Fotografinnen der Avantgarde in Paris. Berlin 2002
Lange, Nadine: Der neue Blick. In: Der Tagesspiegel vom 29.10.1999
Marianne Breslauer. Photographien 1927-1937. Berlin 1989
Marianne Breslauer. Photographien 1927-1936. Berlin 1999
Miermont, Dominique Laure: Annemarie Schwarzenbach. Eine beflügelte Ungeduld. Eine Biographie. Zürich 2008 Moortgat, Elisabeth/Beckers, Marion: Begegnungen mit der Kamera. Die Fotografin Marianne Breslauer. In: Kairos. Mitteilungen des österreichischen Fotoarchivs. 2 (1987), H. 5/6, S. 83-88
Reichardt, Manuela: Das Geheimnis des eingefangenen Augenblicks. In: Die ZEIT vom 17.11.1989
Sykora, Katharina: Außer Kurs. Zu den Reisefotografien von Marianne Breslauer, Annemarie Schwarzenbach und Ella Maillart. In: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 13(1993), H. 48, S. 27-43
Dies.: „Ich wollte Geschichte in Bildern erzählen. Von Menschen, nur von Menschen.“ Zu Marianne Breslauers Fotoreportagen und Fotosequenzen. In: Eskilden, Ute (Hg.): Fotografieren hieß teilnehmen. Fotografinnen der Weimarer Republik. Düsseldorf 1994, S. 263-270
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