Fembio Specials Frauen aus Nord- und Südtirol und dem Trentino Maria Ditha Santifaller
Fembio Special: Frauen aus Nord- und Südtirol und dem Trentino
Maria Ditha Santifaller
(Maria Christina Santifaller [eigentlicher Name]; Maria Ditha Hemsoth [Ehename], Maria Ditha Sellschopp [Ehename], Christina Suntaval [Pseudonym])
geboren am 30. Juni 1904 in Kastelruth
gestorben am 5. November 1978 in Dortmund
österreichische Lyrikerin, Journalistin und Kunsthistorikerin
120. Geburtstag am 30. Juni 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Maria Ditha Santifaller ist als Lyrikerin der österreichischen Avantgarde und Neuen Sachlichkeit eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der Tiroler Literatur.
Auch im Kontext der Tiroler Autorinnen ist Santifaller einzigartig. Sie ist weder den schreibenden Wirtstöchtern noch den schreibenden Adeligen noch den katholischen Dichterinnen zuzuordnen. Ihr feines, durch und durch urbanes Äußeres und die feine, melancholische Welt der Sprachbilder, der elegisch-elbische Ton ihrer Gedichte sind ganz und gar eigenständig und bewahren als Blumen aus Blut und Schmerz einen hermetischen Reiz.
Ihr mäandrierender Lebensweg hat die Kosmopolitin von ihrem Heimatdorf Kastelruth aus an viele Orte geführt, zum Sprachenstudium nach London und Paris zu Beginn der 1920er-Jahre, an den Gardasee als Journalistin unter dem Zeichen Gabriele D'Annunzios, nach Wien als Studentin in den bewegten 1930er Jahren, an die Universität von Florenz während des Zweiten Weltkriegs, nach Argentinien nach 1945, nach Deutschland als Unternehmerin im Wirtschaftsboom der 1950er Jahre, Mitte der 1960er Jahre nach Peru und schließlich nach Dortmund, ihrem letzten Lebensort. In einem frühen Prosatext hält Santifaller ihr jugendliches Fernweh fest: »Wir sind wohl alle einmal auf sonnigen Hügeln gestanden und glücklich gewesen: Aber dann gingen wir fort vom Hause bis an den Rand der Hügel und da lag weit draußen das Leben wie eine schimmernde, lockende Stadt, in die es uns unwiderstehlich zog.«
Dieser für eine Frau ihrer Generation und Herkunft bemerkenswerte Lebensweg verdient an sich schon Aufmerksamkeit, nicht zuletzt die Verbindung von Literatur und Wissenschaft und der Ausbildungsweg, an dessen Endpunkt eine auf Giovanni Battista Tiepolo und seine Zeit spezialisierte Kunsthistorikerin mit zwei Studienabschlüssen (in Wien und Florenz) steht, die die Sprachen Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch und Spanisch beherrscht. Daneben gibt es noch weitere interessante biografische Facetten: die der Journalistin, der Übersetzerin, der Unternehmerin.
Maria Ditha Santifaller galt – vor allem – aufgrund der Tiroler Rezeption ihrer Gedichte in den 1930er Jahren – zu Unrecht lange als Heimatdichterin. In dieser Zuordnung äußert sich ein ausgeprägter frauenfeindlicher Zug des Tiroler Literaturkanons, in dem der Typus der hochintellektuellen Weltbürgerin, den Maria Ditha Santifaller verkörperte, nicht vorkam.
Erst eine genauere Beschäftigung mit den Lebensstationen, den Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften, den literarischen Kreisen in Wien, den Vorbildern und der Lektüre machte sichtbar, wie gründlich Santifaller den Bruch mit der Tradition und Konvention vollzieht. Sie führt als Frau (vor allem bis 1945) ein unkonventionelles, selbstbestimmtes Leben und löst sich in der Form ihrer Lyrik von der Tradition, ihr lyrisches Ich sucht in freien Rhythmen jeder Bindung an Menschen oder Herkommen zu entfliehen: »Ich aber hasse das Joch,/das sie so lange gedrückt./Ich erkenne nicht das Gebot,/unter dem sie zerbrochen./Ich zerschlage die Satzung/die sie in ewiges Leiden gehüllt.” (aus: Der Nachkomme)
Der Teil ihres literarischen Werkes, der heute noch Aufmerksamkeit verdient, ist die Lyrik, die zwischen 1927 und 1938 entstanden ist. In dieser Zeit und mit diesen Gedichten war Maria Ditha Santifaller eine der allerersten, wenn nicht die erste der Tiroler Schriftstellerinnen, welche den Ausbruch aus der Provinz in den Gedichten inhaltlich und formal gefordert und (auch in ihrem Lebensweg) vollzogen hat, Jahrzehnte vor Norbert C. Kaser, mit dem sie die Liebe zu den italienischen Ermetici wie Quasimodo verbindet. Aus dieser Perspektive und durch ihre ästhetische Qualität ist die Lyrik Maria Ditha Santifallers eine kleine Kostbarkeit innerhalb der Tiroler Literatur.
Von 1927 bis 1930 hat Santifaller als Journalistin in Desenzano sul Garda gelebt und für die Zeitschrift Il Garda, die in dieser Zeit Gabriele D'Annunzios persönliches Publikationsorgan war, Journalistisches und Literarisches auf Deutsch und Italienisch geschrieben.
Es lässt sich belegen, dass Santifaller im italienischen wie im deutschen Kultur-und Literaturkreis verankert war. Maria Ditha Santifaller hat Quasimodo gelesen, Pirandellos Roman II turno begeistert rezensiert und 1927 ein Liebesgedicht auf Italien in deutscher und italienischer Version veröffentlicht, was angesichts der politischen Situation in Südtirol zu der Zeit jedenfalls bemerkenswert war.
Gleichzeitig hat die Autorin auch Kontakte mit dem deutschen Kulturraum gepflegt, mit Ludwig von Ficker korrespondiert, weil sie sich für Paula Schlier und Georg Trakl interessierte und in Fickers Innsbrucker Zeitschrift Der Brenner veröffentlichen wollte. In ihrer Wiener Zeit ist Maria Ditha Santifaller ab 1930 aktiver Teil der Kulturvereinigung Gruppe der Jungen, die die Zeitschrift Literarische Monatshefte herausgibt. Die Gruppe war interessanter Brennpunkt der nicht nationalsozialistischen jungen österreichischen Zwischenkriegsliteratur mit einer intensiven Veranstaltungstätigkeit.
Die Zugehörigkeit zu diesem Kreis hat Maria Ditha Santifaller literarische Kontakte und Publikationsmöglichkeiten im gesamten deutschen Sprachraum eröffnet, u.a. in Dresden, Berlin und München.
In der Wiener Zeit entsteht das Gedicht Schwalbe, welches das allgegenwärtige Sehnsuchtsmotiv der Dichterin verdichtet:
Schwalbe
Golden sind deine Flügel du bist droben im Licht.
Sehnsucht ist dein Anblick über engen Gassen der Schönheit nachzugehen im sinnenden Abend.
Lange über Städten zu sein die ferne glänzen mit weißen Kirchen und Hügeln.
Ganz golden sind deine Schwingen im letzten Licht.
Als das Gedicht 1931 in der Neuen Freien Presse abgedruckt wird, hebt Karl Kraus es in einer Besprechung hervor und druckt es in der Fackel noch einmal ab.
Maria Ditha Santifaller hat sich 1938 selbst von der Literatur ab- und anderen Schwerpunkten zugewandt, dennoch verdient die Lyrik, die zwischen 1927 und 1938 entstand, bis heute unsere Aufmerksamkeit als literarischer Ausdruck eines widerständigen Lebens und Schreibens.
Verfasserin: Karin Dalla Torre
Links
Dalla Torre-Pichler, Karin: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv - Zwei Briefe der Lyrikerin Maria Ditha Santifaller an Ludwig von Ficker.
Online verfügbar unter https://ulb-dok.uibk.ac.at/download/pdf/1745962.pdf, zuletzt geprüft am 25.10.2023.
Lebensaft, Elisabeth: Santifaller Maria Christina, gen. “Maria Ditha”, verh. Hemsoth, zuletzt Sellschopp, Ps. Christina Suntaval, Kunsthistorikerin, Lyrikerin, Übersetzerin, Kulturorganisatorin und Unternehmerin.
Online verfügbar unter http://www.univie.ac.at/biografiA/daten/text/bio/santifaller.htm, zuletzt geprüft am 26.06.2013.
Praßl, Wolfgang (2020): Maria Ditha Santifaller. Lyrikerin, Kunsthistorikerin und Übersetzerin. Eine Relektüre ihrer frühen Gedichte - Literaturtirol. LiteraturTirol.
Online verfügbar unter https://literaturtirol.at/lilit/wiederentdeckt-autorinnen-und-autoren-buecher-und-texte/beitraege-2012-2019/maria-ditha-santifaller-lyrikerin-kunsthistorikerin-und-uebersetzerin-eine-relektuere-ihrer-fruehen-gedichte, zuletzt geprüft am 25.10.2023.
Literatur & Quellen
Werke
Masante, Maresa (1931): Antologia pestalozziana. Traduzione inedita di Maria Ditha Santifaller. Torino. SEI. (Letture di pedagogia) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Santifaller, Maria Ditha (1933): Gedichte. Wien. Krystall-Verlag. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Santifaller, Maria Ditha (1938): Die Radierungen Giambattista Tiepolos. Dissertation. Wien. Universität. (WorldCat-Suche)
Santifaller, Maria Ditha (1978): Deine ernte sammle. Gedichte / 1930-1970. Bozen. Ferrari-Auer.
Venturi, Adolfo (1930): Die Malerei des Fünfzehnten Jahrhunderts in Oberitalien. Lombardei-Piemont-Ligurien. Mit 80 Tafeln in Lichtdruck. Die Übertragung aus dem Italienischen besorgte Maria Ditha Santifaller. Firenze, Berlin. Pantheon Brandus. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Dalla Torre, Karin: Blumen aus Blut und Schmerz. Die Gedichte von Maria Ditha Santifaller (1904-1978). In: filadressa, 3. S. 7–46.
Dalla Torre, Karin: Die Mütter der Süd-/Tiroler Literatur. In: Kulturelemente, 24. S. 1–2.
Dalla Torre, Karin (2003): Maria Ditha Santifaller 1904-1978. »Blumen aus Blut und Schmerz«. Phil. Dissertation. Innsbruck. Universität.
Dalla Torre Pichler, Karin: Zwei Briefe der Lyrikerin Maria Ditha Santifaller an Ludwig von Ficker. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv, 21. S. 137–142.
Oberkofler, Elmar (1998): “Ich habe keine Sehnsucht mehr als die der Berge”. Maria Christina (Ditha) Santifaller (1904 - 1978) zum 20. Todestag. Aus: Der Schlern ; 72. Bozen. Athesia.
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